Arbeiter -Jugend. | 269
Die Aufgaben unſerer Jugend.
Von Thereſe Schleſinger-Ed>ſtein.
11.
hne Zweifel haben ſiß mit der Entwickelung der Sozial-
demofratie in ver organiſierten Arbeiterſchaft Sittlichkeit3-
begriffe und Sittenregeln dorauSgebildet, die mit deren
CebenöSbedingüngen viel beſſer im Einklang ſtehen und darum
yjel mehr geeignet ſind, ihr als Nichtſ<nur zu dienen, al38 die
Sittenſprüchlein, die das Bürgertum der Arbeiterjugend in
Schule und Kirche einzuprägen trachtet. So legt die prole-
iariſhe Solidarität den Arbeitern Pflichten auf, wie ſic
unter bürgerlichen Klaſſen-
imſtande wären, ihm einen würdigen Inhalt zu geben und die
aus ihm entjpringende Verantwortung fraftvoll zu tragen, das
muB wohl jedem einleuchten.
Liebe, Ehe und Fortpflanzung ſind gar ernſte Dinge, doppelt
ernſt für die Arbeiterſchaft, die ja mit jeder Generation ihrem
Ziel einen gewaltigen Schritt näher fommen will und muß. Jhr
jollte dieſes Gebiet am allerwenigſten zum Tummelplatz unge-
zügelter Triebe werden; denn während das Bürgertum in dieler
Hinſicht weder ſeine Handlungen mit jeinen veralteten Sitten-
iprüchlein in Einklang zu bringen weiß, noh für feine tatfächlichen
Gewohnheiten die moraliſche Verantwortung ſich zu "bernehmen
getraut und darum ein heuchleriſc<es8 Berſteckipiel treibt, ijt die
Arbeiterſchaft auch auf dieſem Gebiete berufen, eine neue, reinere
und auch edlere Geſittung
genoſſen, die ſich ja ſehr
oft al8 Konkurrenten gegen-
überſtehen, unbekannt find.
So gilt dem denkenden
Arbeiter ſcchranfenloſer Ar-
beitSeifer nicht als ein
Vorzug. Er fühlt ſich
vielmehr verpflichtet, dieſen
Cifer einzudänumnen, ;obalb
feine eigene oder ſeiner
Kameraden Geſundheit,
Sicherheit und Wohlfahrt
dadurch) gefährdet würde.
Ebenſo erfennt er die
Sparjamkeit, die ihm von
bürgerliher Seite ge-
vredigt wird, nicht UNn-
bedingt als Tugend an.
Er weiß nur zu gut, daß
ox ſparen muß, um jein
Ausfommen zu finden,
aber er weiß auch, daß es
ihnt ſelbſt bei der größten
Sparfamfeit nicht gelingen
wird, Schäße anzuſant-
meln, wie e3 ihm die heuch-
ieriſchen Meoralprediger
verſprechen, wohl aber erfennt er cs al
Rixdorfer
35 feine Pflicht, jich durch kluge
Anwendung feiner beſchränkten Geldmittel die geiſtigen und
wirtſchaftlichen Waffen für den Beſreinngsfampf jeiner Klaſſe
zu erwerben.
Weiter: wenn es im Bürgertum heißt: „Jugend nmß aus-
toben“, jo wird darunter häufig verſtanden, daß den unverhei-
rateten jungen Männern auf ge) jc<lechtlichem Gebiet feine
Sdcranfen gefeßt ſein follen, fjofern fie fich nur außerhalb der
eigenen Klaſſe Biataben will. Der Rroletarierjugend aber wäre es
doppelt umviirdio. dieſen Grundſaß der Bourgeoiſie zu befolacn;
denn erſtens hat die Arbeiterjugend nicht notwendig „aUS3U*
toben“, das heißt über Ichülſige Kräfte zu vergeuden, denn jie hat
reine Über Ichülfigen Gräfe. Ihre geiſtige und körperliche Kraft
wird vielmehr durc< die Bürde übermäßiger Erwerbsöarbeit und
"ar< die Notwendigkeit der Organiſation8- und Bildungsarbeit
ſo ſehr in Anſpruch genommen, daß deren äußerſte Anjpannung
und. nicht deren Vergendung nottut. Zweiten3 aber wird das
geſchlechtliche Austoben der männlichen Jugend mit der Ehre
nnd Würde, mit dem Glück und der Geſundheit Tauſender von
Prolekariermädchen bezahlt, die dadurch der Schande zugetrieben
verden. |
Daran etwas zu ändern, ijt das Bürgertum ernſtlich nicht
be tret, wenn es auch noch ſo viele Sittlichkeit8kfongrejſc abhält,
auf denen mit falſchem, enchloriſchem Ernſt die Mittel zur Be-
fämpfung der Proſtitution erwogen werden. Sind es doch äußert
ielten Angehörige der bejißenden Klaſſen, die dem abjſ<henlichſten
Frauenlos verfallen. Der Proletarierjüngling aber ſollte ſich
voch darüber klar ſein, daß es die Klaſſengenoſſin, die Arbeit3-
gefährtin iſt, die er durc< Leichtfertigkeit, Gedankenlo figfeit uno
Mangel an Veorantwortlichkeits gefühl ins Elend ſtürzen würde,
1d daß | eine eigene Schweſter ebenſo leicht das Opfer eine38 Ge-
viſſentoien werden kann, wie das Mädchen, dam er ſich, von 1m-
beherrſchten Tricben geleitet, nähern will.
Damit ſoll natürlich weder der Liebe der Krieg erflärt, noch
der doppelzingigen bürgerlichen Moral das Wort geredet werden,
die in jeder noch nicht ſtaatlich abgeſtempelten Ehe ein Verbrechen
ind in jeder nehelichen Y Mutter eine Verlorene ſieht. 'Ob wir
nN r einen Licbe3Sbund für einen würdigen anſehen können, das
hängt vor allem anderen von ſeinem ſittlichen und menſchlichen
Gehalt und von dem Verantwortungsgefühl ab, durc< das et zuU-
jammengehalten wird. Daß unreife Knaben und Mädchen nicht
Ingendheim: Leſezimmer.
heraufzuführen.
Dazu iſt aber ein un-
gezwungener, getelliger
Verfehr zwiſchen der
männlichen und weiblichen
Jugend des Proletariats
von größter Wichtigkeit.
Modern denfende PR:
dagogen aller Länder
halten die gemeinjame
Erziehung beider Ge-
Ichlechter für das einzig
Richtige und wollen Da“
rum auc<ß die Knaben Dd
Mädchen beim Scdul-
unterricht vereint wine
In älteren Zeiteit war es
ja auch allgemein üblich,
das die Kinder beiderlei
Geſchlechts nebeneinander
auf der Schulbanf ſaßen
und in ſehr vielen floine-
ren Orten wird es auch
heute nod) io gehalten.
In manchen Ländern oder
einzelnen Städten it mat
auch wieder zu dieſer Sitto
SZtandpunſft ür
zurücfgefehrt, weil man jic vom erzieheriſchen
die richtiqere hält.
Sſber auch dort, wo die Kinder in den Schulen nac: Geichlech-
tern getrennt jind, pflegen do) die allermeiſten von ihnen außer-
halb der Schule mit Kindern des anderen Geſchlochts Zu ver-
fehren, ſowohl in der Familie felbit als auch auf der Straße, au?
Spielplägen und in den Gängen und Höfen der Arbeiterhamer,
ohn? daß ein vernünftiger Pädagoge das gerinamite dagegen enn-
zuwenden hatte.
Yſt aber die Zeit des Schulbeſuches und des SPpicicis VPoP-
über, 13 werden die heranwachſenden Burſchen und Madchen in
den Werkſtätten und Fabriken, in den ' Verfaumfsläden Und Vea-
gazinen wieder zuſammengeführt. Die Unternehmer, div mit
Vorliebe die wohlfeile Arbeitsfrart eben aus der Schule ent-
[aſſener Kinder anwenden, tragen acwiß feinerlet BVedonfen
Knaben und Mädchen in ein und demielbon Matine 31 be-
[Eftigen.
Dadurch aber, daß die Arbeiterkfinder ſ9 früh ins Crivorb2=
leben hinein müſſen, lernen ſie ſich bald als Erwachſene ublen
und nehmen nur zu oft vor der Zeit an den Zerftrenumnaen der
Erwachſenen teil. Die Knaben fangen an, in Gawwirtichakte:
zu verfehren, lernen Kegelſchieben und Kartenſpielen und troffen
ſich mit famm ven Kinderſchuhen entwachſenen Mädchen in den
Tanzlokalen. Dabeiti Fommt dann wirklich nichts Gutes heraus.
Der Alkohol ummebelt das Gehirn, lähmt das Denken und ichvächt
den Willen, während er zugleich die robe Sinnlichfeit autitachelt.
Unter ſeinem Einfluß gewinnt das Tieriſche im Wenſchen die
Oberhand und das Gefühl der Verantwortlichfeit nvindot.
Darum muß auch bei den Zuſammenkünften unſerer Jugend
der Alkohol ganz und gar wegbleiben, ebenſo wie das Rauchen
und das Kartenſpiel. Was aber nicht wegbleiben joll und Dart,
das iſt echteundgeſunde Fröhlichkeit, die bei friſchen,
tüchtigen Jungen und Mädchen nicht erſt dur< den Alkohol er-
zeugt zu werden braucht.
Unſere Jugend ſoll gemeinſam lernen, arbeiten und jich des
Leben3 freuen und ſo zu ſtarken, klugen und frohen Männern
und Frauen heranreifen, die willens und fähig find, fich und den
Fonmnenden Generationen ein beſſeres Daſein zu erringen, als
es ihren Eltern beſchieden war,
es