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ſich die Jugendlichen und ihre Eltern ſehr lobend über die getroffenen
Ginrichtungen aus. Von dort ging es nach dem „Volk8haus“, wo einc
entſprechende Feier veranſtaltet wurde, die einen äußerſt würdigen Ver-
jau nahm. --
Scließlicß wird un8 aus Rixdorf geſchrieben: Ein Jugendheim
vat jeßt auch die Arbeiterſchaft Rixdorfs eingerichtet, deſen Eröffnung
am Sonntag, den 21. November, nachmittags 4 Uhr, ſtattfand. Die
Entſtehung8geſchic<te dieſer neuen proletariſG<en Schöpfung iſt kurz
/olgende. Der im Februar d. IJ. von den politiſch und gewerkſchaftlich
organiſierten Arbeitern eingeſeßte Jug2ndausſc<huß kam bald zu der
ebergeugung, daß ſeine Arbeiten nur fehr bedingten Wert haben wür-
den, Jofern e3 nicht in Kürze gelänge, geeignete Räume für die Vor-
-räge, DiskuſſionöSabende und täglichen Zuſammenkünfte der Rixdorfer
Arbeiterjugend zu ſchaffen. Kühn genug war der flugs und friſch ent-
worfene Plan; denn e8 ſollte -- wenn ſc<on, denn ſchon! -- mindejtens3
vorhanden ſein: ein Vortrag8ſaal, ein Leſeſaal und eine Bibliothek.
viber, al8 der Rlan fertig war, da fehlte noc< das wichtigſie -- das
verfluchte Geld, ohne das in dieſer Welt nun mal nichts anzufangen ijt:
Wie follte dieſe Schwierigkeit überwunden werden? Nun, der jon 19
374 bewährte Opferſinn der denkenden Rixdorfer Arbeiter half auch
aber dieſen Bera hinweg. Als im Spätſommer der Appell an jie ge-
„ichtet wurde, an der Schaffung eines Jugendheim8 mitzuwirken, da
«rflärten ſich ſofort Hunderte dazu bereit, und ſchon am 22. September
gründeten zu dieſem Zwe> in einer ausgezeichnet beſuchten Verjamm-
ung die Partei- und Gewerkſchaft8genoſſen eine „Vereinigung JugenD-
beim". Binnen furzgem waren 2500 Mitglieder geworben, die freudig
zen Monats8beitrag von 10 Pf. übernahmen. Nachdem ſo die finanzielle
vrundlage geſchaffen war, konnte alles Weitere ſchnell vorwärts gehen.
ivecignete Räume fanden fich in den ſchönen Bauten der ZJvdealpaſjage2,
Zuldaſtraße 355/56. Nach Einholung von Kaztenanſchlägen und Zeich-
zungen bedurfte e8 nur noh wenig2r Wochen zur Ausführung der Gin-
richtung. -- Jeßt ſteht das Heim der Nixdorfer Arbeiterjugend fix und
fertig da. Ein Saal von rund 68 Quadratmetern dient als Vortrags3-
und Unterhaltung3raum, in dem 110 Sißpläße nebſt den dazu gehörigen
Tiſchen vorhanden ſind. Der Leſeſaal iſt etwa 38 Quadratmeter groß
uind enthält 36 Sißpläze. Beide Räume haben eine einfaLe, aber doc
ichöne und anheimelnde Ginrichtung erhalten, deren Wahl dem BVer-
iändnis und Geſchma> der damit Betrauten alle Ehre macht. Daß
vas richtige getroffen wurde, beweiſt der vom erſten Tage an einſetzende
das Richtige getroffen wurde, beweiſt der vom erſten Tage an einſeßende
geben. Im Unterhaltungs8ſaal wird allabendlich geſungen, geplaudert
und geſpielt; für Spiele ſtehen Scha<ß. Dame, Puff, Mühle, Domino,
Salta u. a. zur Verfügung. Auch der Leſeſaal bildei mit ſeinen ge-
mütlichen Lederſofa-S>en einen geſuchten Aufenthalt. Als Lektüre
iegen hier zunächſt nur Zeitungen und Zeitſchriften auf; weiterer
amfangreicher Leſeſtoff wird jedoch vom 1 Dezember ab vorhanden ſein.
vin dieſem Tage eröffnet der SozialdemokratiſFe Wahlverein ſeine in
venachbarte Räume desſelben Hauſes verlegte und aus8gezeichnet aUS3-
ncitattele Bibliothet, deren Mitbenuzung den Beſuchern und Be-
'ucherinnen des Jugendheims8 vom Wahlvereinsvorſiand in freundlicher
Weiſe zugeſichert worden iſt. -- So darf der Hoffnung Ausdruk ge-
eben werden, daß das lebhafte Intereſſe, welches die Rixdorfer Ar-
vbeiterſchaft an ihrem Jugendheim nimmt, dieſem eine geſicherte Weiter-
jitwidelung garantiert. Bei der Jugend liegt es, dieſes Vertrauen
der erwachſenen Arbeiter durd) rege Beteiligung an den Veranjſtaliungen
des Jugendausſchuſſes zu rechtfertigen. E. W.
FZ 271 : <zu d
<> 1 Bom Kriegsſ<&auplaß | S2
Pplizeiſpibel und Jugendorganiſation,
Die Berliner freie Jugendorganiſation iſt bekanntlich vom P9o-
1izeipräſidenten zum politiſ<en Verein erklärt worden. Gin Be-
heid auf die eingelegte Beſchwerde fteht noF&+ aus. Natürlich
vat der Vorſtand der ganz unhaltbaren Verfügung
weiter feine Beachtung geſ<entkt, vielmehr werden nach
wie vor Jugendliche als Mitglieder aufgenommen und die Üblichen
Lerxanſtaltungen abgehalten. Der Vorſtand. hat dies auch wiederholt
öffentlich befannt gemacht, ohne daß bisSher Anklage erhoben wurde.
im nun die Polizei zu zwingen, die Beweiſe für
den politiſchen Charatfter der Jugendorganijation
zu erbringen, haben Vorſtandsmitglieder gegen
jich ſelber Strafantrag geſtellt. Die Behörde wird alfo
weſegenheit erhalten, öffentlich und vor Gericht ihr „Material“ vor-
zutragen.
Die Art und Weiſe, wie dieſe3 Material zufammengebracht wurde,
iſt äußerſt merkwürdig. Schon vor einem Jahr iſt ein Polizeiſpitzel
namens Wilhelm Schlaf entlarvt worden, der als „engliſcher Freund
und Geſinnung8genoſſe“ William Springer mit der Jugendorganiſation
Fühlung geſucht und ſie eifrigſt beſpitzelt hatte.
Yeßt iſt wieder das ſkandalöſe Treiben eine3 Polizeiagenten auf-
aede>t worden. Der Kriminalbeamte Adolf Palm hat ver-
ſucht, ein Mitglied der Jugendorganiſation zum Polizeiſpitzel zu machen.
Der Kollege Lewin erhielt von Pahmn, der im Nebenamt Hausverwalter
ijt, Malerarbeiten übertragen. Bei dieſer Gelegenheit machte ihm
Palm da3 Angebot, für 50--75 Mk. Monatsgehalt Berichte aus der
Jugendorganiſation, beſonder3 über interne Dinge, zu liefern. Nach=
dem der Kollege Lewin ſich mit leitenden Kollegen verſtändigt hatte,
ging er ſcheinbar auf dieſes ſchmähliche Anſinnen ein. „Berichte“ ge-
nügten dem Palm aber nicht. Er forderte Lewin auf, Druckſchriften,
E Arbeiter - Jugend.
vertrauliche Zirfulare uſw., die er auf dem Bureau der Jugend-
erganifation vorfinde, au38 Verſehen einzuſte>en und ihm einzuhändigen.
Auch in einer Parteiſpedition ſollte Lewin dasſelbe verjuchen. Hier
hat alfo ein königlich preußiſcher „Hüter der Geſe3e“" einen jungen
Menſchen in gang unverblümter Weiſe zum Diebſtahl verleitet! Wird
der Staatsanwalt gegen den pflichteifrigen Beamten nun VUWnklage
erheben? Oder iſt ein Verbrechen heilig, wenn e38 der Bekämpfung
der Jugendorganiſation dient? |
Der Kriminalbeamte Palm forderte aber auch Lewin auf, ihm da 3
Manuſkript de8 „WMitteilungsblatte3“ der Berliner
JIugendorganiſation ſchon vor der Drudlegung zu ver-
fwhaſfen Go wollte er den jungen Mann alfo auch noh zum Denun-
zianten der Mitarbeiter machen und ihn zum ſc<nöden Treubruch an
feine Kameraden verleiten.
Ginmal beforgte ihm Lewin -- natürlich gegen ſofortige Bezah-
lung -- die Broſchüren: Kaßenjtein, „Alkohol und Jugend“ und Peters,
„Dice weibliche Jugend“, al8 „Neuheiten“. Palm war darüber [o er-
frcut, daß er ſagte, Lewin könne aus der PBolizei ne Menge
Geld rausholen, wenn er fo bleibe. Auch könnte er eventuell
ſpäter mal Teſt angeſtellt werden.
Run war das Maß voll und Palm wurde cines ſchönen Tage23, als
er gerade mit der Abfaſſung cines Berichts über eine Jugendvoxrſamm-
lung bejdjäſtigt war, entlarvt. C3 wurde nachdrütclichti gejagt, was
anſtändige Leute von derartiger „Tätigkeit“ denken. Auperdem wurde
der Biedere durc< eine Bekanntmachung im „Vorwärts“ aufgefordert,
das biSher an den Jugendkollegen gezahlte „Gehalt“ in Höße von
28 Mk. wieder abzuholen. m
Die Jugendlichen Berlins aber nahmen in ciner überfüllten mäch-
tigen Verfammlung zu dieſen Spißeleien Stellung. Folgende Reſo-
Lution wurde angenommen:
„Die von über 15060 Jugenvplichen bejuchte öffentliche Verſammlung
nimmt mit Gntrüſftung Kenntnis von dem Treiben des Kriminal-
beamten Palm, der einen jungen Menſchen durch Beſtechung zum BVer-
räter an feinen Kameraden, zum ehrloſfen Schuft machen und ihn zum
Dicbjtahl verleiten wollte. Cine jolHe gemeine Handlungsweite Über-
liefert ſich von ſelbjt der Verachtung aller anſtändigen Menſchen. Fü
dic Chriſtlichen, die durch ihre Denunziationen die Behörden zum Ein-
ſchreiten gegen dic Jugendorgamtjation veranlaßt und aus veren Reihen
ein Mitglied der Kriminalpolizei Berichte über die „Freie Jugendorga-
niſation“ lieferte, hat die Verſammlung nur den tiefſten Abſcheu übrig.
Die Verſammelten geloben, ungeachtet aller Schwierigkeiten und Ge-
waltö8maßregeln, unabläſſig für die „Freie Jugendorganiſation“ weiter
zu werben und in ihr zu arbeiten.“ |
“2
DD
Aiarmierende Juſtiz.
Zu Anfang dieſes Jahres fand in Magdeburg cine ZJugend-
verſammlung Jtatt, in der Genoſice Kaßentein über das Thema:
Was fehlt der Jugend, und was hat jie zu becanjpruchen ? reforierts. Die
Verſammlung war völlig unpolitiſchen Charatrers, cs exfolgto de Ü
auch feine polizeilihe Anmeldung oder Öffentliche Befannimachung.
Trotzdem erhielt der Ginberufer wegen Ucberirotung des ReichSvereins-
geiches ein polizeiliches Strafmandat über 10 Mkr. Vom Magdeburger
Schöffengericht wurde die Sirafe beſtätigt. Das Landgoricht als
Berufungs3inſtang hob das Urteil auf und ſprach den Ungektlagten
frei, weil nicht erwieſen ſci, daß politiſche Angelegenheiten erörtert
werden jollten.
Die Staatzanwaltſchaft legte Revijion ein, worauf die Enticheidung
des Landgericht3 vom Oberlandesgoricht Naumburg wieder
aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurü&verwiejen wurde.
Aus der Begründung dieſer Entſcheidung des Oberverwaltungsgoricht
ſind folgende Säße Auffſehen erregend:
Weonn der Redner Simon Kaßenſtein, wie feſtgeſtellt it, bei Der
Crörterung dex Jugendausbildung die Unzwed>mäßigkeit des gegen=
wärtigen Züchtigung3rec<htes der Lehrmeiſter berührt hat, jo ii er
damit auf eine Frage eingegangen, deren Bedeutung zweifellos über
die Grenzen des Gebietes der körperlichen und wiſjenſ<haftlichen Aus-
bildung der Jugend . . . hinausgeht. Die Frage dieſes Züchtigungs-
rechtes gehört zwar an und für ſich in das Gebiet der Jugecnd-
erzichung, bildet aber andererſeits einen beliebten Sireitpunkt
im heutigen ſozialen Kampfe und gewinnt dadurc< für die beſiehende
Staat3ordnung eine beachtenöswerte Bedeutung, ſofern man erwägt,
daß die Beſtrebungen auf Abſchaffung dieſes Züchtigungösrechtes kenn-=
zeichnend ſind für die Wünſche gewiſſer politiſcher Parteirichtungen.
Dieſen Wünſchen liegt nämlich die Anſhauung zugrunde, daß ZUr
Erziehung der Jugend zu geſunden und ſelbjtändigen Perſönlich-
feiten der Entfaltung der Individualität des einzelnen möglichſt
freier Spielraum gelaſſen, möglichſt wenige Schranken gezogen
werden müſſen. In die Wirklichkeit übertragen, würde dieſes Dogma
zwar zur Selbſtändigkeit, gleichzeitig aber auc< zu einer Sc<ranken=-
und Zügelloſigkeit führen, die für den Beſtand de3 Staatsweſens3
überaus verhängni3voll werden könnte. Von dieſen Erwägungen aus
muß auch 'die Frage des lehrmeiſterlihen Züchtigungsrcec<htes als
politiſche Angelegenheit gelten. |
Nun wiſſen wir e3. Tauſende junger Leute ſeufzen unter dem
Prügelreh<t roher Meiſtex und Meiſterkrecaturen. Die Tagespreſſe be=
richtet häufig von Lehrlingen, die ſich das Leben nehmen, weil ie die
Mißhandlungen und Schinderceicn nicht mehr ertragen konnten. Wenn
Ey