Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

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| Arbeiter- Jugend. 
 
 
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aber nun jemand herfommt und die jungen Leute darauf. aufmerkſam 
macht, wie ſie ſich gegen dieſe Schändlichkeiten wehren können, dann ver 
fündet eine3 der höchſten deutſchen Gerichte: Das iſt Politik, und Politik 
iſt den Jugendlichen verboben. 
„Wenn dieſer Recht3ſatz de3 Oberlande38gerichts in Naumburg Gültig 
feit erlangen ſollte, ann man vor Jugendlichen über nichts mehr 
jprechen. Fordere ſie zum Leſen, zur Selbſtbildung auf -- die Gerichte 
werden folgern: Leſen gehöri ins Gebiet der Jugenderziehung, aber da 
e3 auch“ Seitunge n ve „Bücher gibt, „die Streitpunkte im ſozialen Kampf 
behandeln“, iſt das Leſen und die Fortbildung für die Jugend verboten. 
Vei Spaziergängen 'jann über Schöpfungsgeſchichte geſprochen werden,- 
bei Beſichtigung einer Drucderei über die ſoziale Frage und ſo fort mit 
Grazie. Es gibt kein Gebiet, das nicht unter dieſe ſeltſame Naumburger 
Rechtsfeſtſtellung fallen würde. 
Ginen glänzenden Beweis für dieſe 
elbit, indem 238 fernerhin ausführt: 
„Wenn der Redner dann weiter vas Verhältnis ver 
IuUgend zu Perſonen des anderen Geſ<le<ts be- 
bandelt hat, jo vat ex damit ein Gebiet betreten, das zwar an ſid) 
jehr wobl ven Gegenſtand völlig unpol1itiſ Her Erörterungen 
Behauptung liefert vas Gericht 
bilden kann. Andererſeit3Ziſtaberdie Frage de3 Ver= 
hältniſſes der Geſchlechter zueinander, insbeſondere 
jowe it ſive das Problem der Che mw. berührt, für den Beſtand der 
jehbigen Staat3ordnung von außerordentlicher 
Wi <htigleit. Unter dieſem Geſichtswinkel betrachtet, iſt alfo aud 
vie Frage de8 Verhältniſſes der Geſchlechter zueinander zweifellos 
cine politiſche Angelegenbeit.“ 
Alles wird coljſo politiſch, worüber vor jugendlicen Arbeitern ge- 
vrebet wird. Und 8 bedarf nur der Unzeige eines Denunzianten, und 
die Gerichte treten in Tätigkeit. Daß das zu ganz unhaltbaren ZU- 
jtändem führt, die ganz von Jelbjt in fich zuſammenbreccken müſſen, it 
fiar. Aber auch ſonſt ijt die Auffaſſung des Naumburger Gericht38 un 
begreiflich. Offenbar wird die „StaatSordnung“ durch die „Lebrlings- 
prügel“ nicht erhalten, fondern gefährdet. Darüber bedarf es gar keiner 
Worte, die Folgen des Prügeliyſtems ſpreccken eine qax zu Vberedte 
Eprache, Und weiter . 
„Vor dein Sklaven, wern er die Krite bricht, 
Vor dem freien Manne erzittere meht.“ 
Sy Jang Schiller vor mehr als hundert Jahren. Das Opbeorlande3- 
gericht in YXaumburg aber iſt ganz entgegenſeBi2r Meinung. Selb- 
wändigfeit, verfündet es, führt zur Shranken- und 
Zügellofigfeit, „die für den Beſtand des Staatsweſens verhängs= 
1iSvbll werden fann. Das höchſte Ziel alfo, da38 jich die Grziehung ſezen 
fanin, nämlich ſelbſtändige, in ſh gefeſtigte Charaktere herangubilden, 
ii: Preußen-Deutichland itt es ein Verbrechen, grenzend aun Hoch- 
verrat H - 
Doch genug! Man betrachte dieſes Urteil, von welcher Seite man 
wolle, überall wird man auf Ungehenerlichkeiten ſtoßen. Und ſo hoch die 
Autorität des Oberlandes8gerichts auc< ſtehen mag, wir halten es für 
gänzlich ausgeſchloſſen, daß dieſes Grkenntni2 beſtehen bleibt. 
X 
Berliner Sc<ule, 
Als der Polizeikampf gegen die Berliner Jugendorganifation cin 
lokte- und als dann in dem Berliner Vorort Rixdorf, der eine eigene 
Yolizeiverwaltung hat, nach Berliner Muſter gegen die dortige freie 
Jugend vorgegangen wurde, ſprachen wir die Vermutung aus, daß cs 
ſich bei diejen plößlichen Atta>den nicht um ein iſoliertes Vorgehen Öört- 
licher Behörden handele, ſondern daß wohl eine Parole „von oben“ ex- 
gangen fei. Dieſe Vermutung wird jeht nahezu zur Gewißheit durd) 
ein Vorfommnis8, da8 «1!3 Char lottenburg gemeldet wird. Dort 
ſolite an einem der lezten Sonntage im „Volksjaus“ eine Mitgliceder- 
verſammlung der Freien Jugendorganiſation ſtattfinden, in der Genoſſ2 
Eduard Bernſtein Über das Thoma: „Wie ſieht die enaliſche Ver- 
faſſung aus?“ ſprechen ſollte. Wie erſtaunt aber waren die jugendlichen 
Eefucher der Vorfammlung, als jie vor der Tür des „Volkshaus“ von 
zwei Polizeibeamten nach ihrem Alter befragt und als die unter 18 Jahre 
alten Teilnehmer gewarnt witrden, der Verſammlung beiz zuwohnen. 
Das Erſtaunen der Jugendlichen wuchs, als fie im Saale gar einen 
Volizeileutnant und einen Wachtmeiſter bemerkten, welche die Per- 
ſjonalien des Vorſammlungsleiters feſtſtellten. . 
Nach Eröffnung der Verſammlung forderte der Vorfizende die Be- 
amten auf, den Saal zu verlaſſen, da eine Mitgliederverſammlung mit 
nnpolitiſchem Vortraoe ſtattfinde; er wies auch darauf hin, daß die 
Beamten, wenn ſie troßdem im Saale blieben, ſic) des HausfriedenSs- 
bruches ſchuldig machen würden! Der Leutnant erklärte darauf, da)z 
er den Auftrag habe, feſtzuſtellen, ob die Verſammlung öffe entlid 
ſei. Dies ſei daraus zu entnehnen, "daß öffentlich Srivachſe 'ne einge 
laden worden feien. An einer öffentlichen politiſchen ? Verſammlung 
aber dürften Jugendliche nicht teilnehmen, und er ſei ; deshalb beauftragt, 
alle jugendlichen Teilnehmer unter 18 Jahren feſtzuſtellen. 
Beide Beamte begannen ſodann ihrem Auftrage gemäß, die Per- 
jonalien dor Inugendlichen aufzunehmen. Wer feine Legitimation vei 
fich hatte, follte zur Polizeiwache gebracht werden! Genoſſe Bernſſtei1 
machte die Beamten auf das Ungeſetzliche ihrer Handlungs8weiſe auf- 
nierffam: vor allem ſei die Verſammlung nicht politiſ, >< und daher 
feine Urſache vorhanden, in dieſer Weiſe vorzugehen. Da alles Zu- 
reden vergeblich war, vertagte der Vorſißende die Verſammlung und 
forderte di ie Jugendlichen Uf, 1 an Der „Mitgliederver vanmmlung teilzu- 
Verantwort! lich für die Rod altion: Karl Korn. 
oder unpolitiſ<en Vortrag handelte. 
anſamme 
a. >“ Ww 
. nehmen, die eine - Viertelſtunde ſpäter im großen „Zimmer ftatifinde: 
' dieſer. Auforderung- famen alle nach. . -- 
.Die Beamten verfuchten nun,-- einige ver „Miſſetäter“ - zu exr- E 
greifen, und wirklich gelang es ihnen, zwei Dex jüngſten Teilnehmer >r 
feſtzunehmen. -- : 
Äuch aus dieſem Vorfall geht wieder hervor, wie wenig die Behörden 
mit dem neuen. Vereinsgeſeß Beſcheid wiſſen. War das T Thema, über 
das verhandelt werden ſollte, ein politiſc<e8, ſo war e8 nach dem Vexr- 
einsgeſes ganz gleichgültig, ob die Veranſtaltung eine Mitgliederver- 
ſammlung oder eine Öffentliche Berfammlung | war. Jn beiden Fällen 
hätten Jugendliche nicht teilnehmen dürfen. Der Polizeileutnant hatte 
alfo nicht die Oeffentlichkeit odex Nichtöffentlichkeit der Verſammlung 
fe ſtzuſtellen, jondern er mußte den Vortrag abwarten, um aus der Redo 
ves Genoſſen Bernſtein zu entnehmen, ob e3 ſich um einen politiſchen 
Dieſe Feſtſtellung machte iM Der 
Beamte durch ſein Vorgehen ſelbſt unmöglich. Abex vielleicht lag das 
gerade in der Abſicht dex Auftraggeber d28 Beamten. Gin Vortrag über 
die engliſche Verfaſſung iſt natürlich kein politiſchex Vortrag, ſondern 
ein wiſſenſchaftlic<er, der fich naturgemäß nur mit jtaatsrech- 
lichen und geſchichtlichen Darlegungen befaſſen kann. Die Teilnahme 
an ſolchen wiſſenſchaftlicken Veranſtaltungen aber iſt der Jugend auc 
durc< das neuc Voreinsgeſeß nicht verboten. 
Hoffentlich wird auch in dieſem Falle Gelegenheit geboten, die ami- 
liche Stelle, die diefes Vorgehen veranlaßt hat, vor Gericht zur Ver- 
antivortung zu ziehen, 
* 
Jſt Singen LandpfriedenZ5brud)? 
Ueberall außerhalsd der ſchtvarg-weißen Grengpfädle würde diefe 
Frage mit vohngelucmter aufgenommen werden. Aber in Preußen 1: 
natürlich, wenn es ſich um irgendeine freiheitliche Regung handelt, alles 
mögli<. Man höre und -- ſtaune nicht! In Düſſeldor] wollten 
fürzlich eine Anzahl unferer Freunde mit 2 einigen Famerade 1 aus Koln 
eincn zwangloſen Spaziergang unterne Imen In feiner Jugendfreudo 
ſtimmte der Trupp das harmloſe Lied an: „Das Wanderniſt des 
Müllers Luſt". Freilich geſchah das noch innerhalb der Stadt, Die 
zehlreicen Spaziergänger hatten ihre belle Freude an den friſchen 
jungen 8 Leuten, al3 auch ſchon ein Shußmany» zur Rettung der bedrohte: 
Orduung die Sänger Lbarſ< zur Ruhe verwies, Gehorſam ſchwieg ma:: 
und glaubte die Sache erledigt, als mit einem Malc ein halbes Dußend 
Schutleute auftauchten und die Hand am Degen den „Zug“, der aus 
etwa 40 harmloſen Burſchen und "eanen, zum Teil Kindern, beſtand. 
„auftöe Zehn Teilnehme wurden unter der 
übliche polizeilichen O8flicfe it3formen zum 
(igeifommißſfariat gaeſ<leppt, wo ſich eine vie 
köpfige Menge, meiſt bürgerliche Spaziergänger 
"Iten, die ihrecx Empörung über das Ve 
balten dD: er Volizei Ausdruc gaben. 
Bei der Vernehmung der „Verbrec>er“ wagte dex Herr Kommuzjar 
allen CGrnſte8s von „Landfrieden3bruch“ nd „Zuc<thausftrafe“ ZU YCDdLU. 
Vorläufig möchten wir annehmen, daß de Düſſeldorfer Polizei ilun 
genug ſein wird, ihrem Heldenſtü> keine gerichtliche Fortſezung 31m 
acben. Lorbeeren werden dabei für ſie ſicher nicht zu holen ſein. 
Die Staats8aktion fand am Abend einen trefflichen Abſchluß. Dir 
freie Jugend T Düſſeldorfs verſammelte ſich mit ihren Kölner Gajten it: 
einem raſch requirierten Saale. Die begeiſterte Stimmung gab jiev 
in Wort und Lied fund, und ſo wird auch diefer neweſte Angriff au! 
die freie Jugendbewegung nur ihren Vormarſch fördern. 
 
 
 
 
 
 
 
[ata Tata Natz . Ita Ms TSC> 
Ne SE 22) + Fremdwörter - |N8 1388 
 
 
 
 
 
 
 
Artiſt (lat. ars = die Kunſt) Künſtler. 
Ballerino (ital.) Tänzer. 
Dirigieren (lat.) lenken, leiten. 
Epiſode (griech. epeis6dion == Nebenerzählung) Einſchiebjel (in einer zu- 
ſammenhängenden Darſiellung). Das, was38-Gegenſtand eines ſolchen 
Einſchiebſels iſt : Vorfall, Erlebnis. 
Galonieren (franz.) mit Treſſen beſezen, verbrämein. 
Heiduck (ungarijch hajdu == mittelaſlterlicher ungariſcher Soldat) Diener in 
ungariſcher Tracht, Läufer. 
JImponieren (lat.) Achtung einflößen, großen Eindruck machen. 
Jſoliert (lat. 8o1lus = allein) vereinzelt, abgeſondert. 
Kategorie (griech.) allgemeiner Vegriff, Gattung. 
Legitimation (lat. Jegitimus == „geſebmäßig) amtliche 
Marionette (ital.) Gliederpuppe im Puppentheater. 
Oxhoft (niederdeutſch) ehemaliges Flütſſigkeit3maß, 200--240 Liter. 
Page (franz.) Edelkuabe. 
Parole (franz.) Loſung. 
Perſonalien (lat.) Angaben über die LebensSverhäliniſſe 
(Namen, Geburtsort und Datum, Wohnung ujtv.). 
Pomp (griech.) Scanugepränge, Prunk. 
Primitiv (lat.) urſprünglich, einfach. | 
Pyrotechniker (griech. pyr = Feuer, techne == Kunſt) Feuerwerkskünſiler. 
Renovieren (lat.) erneuern, auffriſchen. 
Reparieren (lat.) wiederherſtellen, auSbeſiern. 
Soutane (franz, ſprich jutan) Brieſterrot, 
Tragödie (griech.) Trauerſpiel. Eigenſchaft8wort tragiſ H = = erſchüiternd 
wie die Tragödie. 
IZ 
Beglaubigung. 
einer Perſon 
 
-- - Verlag: Zr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). =- Druck: 
anttalt Paul SEinaer & Cv. 
“au mms wem IO * 
Buchdruckerei 1 Verlags 
 
Vorwärts 
Sämtlich in Berlin, 
 

	        
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