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| Arbeiter- Jugend.
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aber nun jemand herfommt und die jungen Leute darauf. aufmerkſam
macht, wie ſie ſich gegen dieſe Schändlichkeiten wehren können, dann ver
fündet eine3 der höchſten deutſchen Gerichte: Das iſt Politik, und Politik
iſt den Jugendlichen verboben.
„Wenn dieſer Recht3ſatz de3 Oberlande38gerichts in Naumburg Gültig
feit erlangen ſollte, ann man vor Jugendlichen über nichts mehr
jprechen. Fordere ſie zum Leſen, zur Selbſtbildung auf -- die Gerichte
werden folgern: Leſen gehöri ins Gebiet der Jugenderziehung, aber da
e3 auch“ Seitunge n ve „Bücher gibt, „die Streitpunkte im ſozialen Kampf
behandeln“, iſt das Leſen und die Fortbildung für die Jugend verboten.
Vei Spaziergängen 'jann über Schöpfungsgeſchichte geſprochen werden,-
bei Beſichtigung einer Drucderei über die ſoziale Frage und ſo fort mit
Grazie. Es gibt kein Gebiet, das nicht unter dieſe ſeltſame Naumburger
Rechtsfeſtſtellung fallen würde.
Ginen glänzenden Beweis für dieſe
elbit, indem 238 fernerhin ausführt:
„Wenn der Redner dann weiter vas Verhältnis ver
IuUgend zu Perſonen des anderen Geſ<le<ts be-
bandelt hat, jo vat ex damit ein Gebiet betreten, das zwar an ſid)
jehr wobl ven Gegenſtand völlig unpol1itiſ Her Erörterungen
Behauptung liefert vas Gericht
bilden kann. Andererſeit3Ziſtaberdie Frage de3 Ver=
hältniſſes der Geſchlechter zueinander, insbeſondere
jowe it ſive das Problem der Che mw. berührt, für den Beſtand der
jehbigen Staat3ordnung von außerordentlicher
Wi <htigleit. Unter dieſem Geſichtswinkel betrachtet, iſt alfo aud
vie Frage de8 Verhältniſſes der Geſchlechter zueinander zweifellos
cine politiſche Angelegenbeit.“
Alles wird coljſo politiſch, worüber vor jugendlicen Arbeitern ge-
vrebet wird. Und 8 bedarf nur der Unzeige eines Denunzianten, und
die Gerichte treten in Tätigkeit. Daß das zu ganz unhaltbaren ZU-
jtändem führt, die ganz von Jelbjt in fich zuſammenbreccken müſſen, it
fiar. Aber auch ſonſt ijt die Auffaſſung des Naumburger Gericht38 un
begreiflich. Offenbar wird die „StaatSordnung“ durch die „Lebrlings-
prügel“ nicht erhalten, fondern gefährdet. Darüber bedarf es gar keiner
Worte, die Folgen des Prügeliyſtems ſpreccken eine qax zu Vberedte
Eprache, Und weiter .
„Vor dein Sklaven, wern er die Krite bricht,
Vor dem freien Manne erzittere meht.“
Sy Jang Schiller vor mehr als hundert Jahren. Das Opbeorlande3-
gericht in YXaumburg aber iſt ganz entgegenſeBi2r Meinung. Selb-
wändigfeit, verfündet es, führt zur Shranken- und
Zügellofigfeit, „die für den Beſtand des Staatsweſens verhängs=
1iSvbll werden fann. Das höchſte Ziel alfo, da38 jich die Grziehung ſezen
fanin, nämlich ſelbſtändige, in ſh gefeſtigte Charaktere herangubilden,
ii: Preußen-Deutichland itt es ein Verbrechen, grenzend aun Hoch-
verrat H -
Doch genug! Man betrachte dieſes Urteil, von welcher Seite man
wolle, überall wird man auf Ungehenerlichkeiten ſtoßen. Und ſo hoch die
Autorität des Oberlandes8gerichts auc< ſtehen mag, wir halten es für
gänzlich ausgeſchloſſen, daß dieſes Grkenntni2 beſtehen bleibt.
X
Berliner Sc<ule,
Als der Polizeikampf gegen die Berliner Jugendorganifation cin
lokte- und als dann in dem Berliner Vorort Rixdorf, der eine eigene
Yolizeiverwaltung hat, nach Berliner Muſter gegen die dortige freie
Jugend vorgegangen wurde, ſprachen wir die Vermutung aus, daß cs
ſich bei diejen plößlichen Atta>den nicht um ein iſoliertes Vorgehen Öört-
licher Behörden handele, ſondern daß wohl eine Parole „von oben“ ex-
gangen fei. Dieſe Vermutung wird jeht nahezu zur Gewißheit durd)
ein Vorfommnis8, da8 «1!3 Char lottenburg gemeldet wird. Dort
ſolite an einem der lezten Sonntage im „Volksjaus“ eine Mitgliceder-
verſammlung der Freien Jugendorganiſation ſtattfinden, in der Genoſſ2
Eduard Bernſtein Über das Thoma: „Wie ſieht die enaliſche Ver-
faſſung aus?“ ſprechen ſollte. Wie erſtaunt aber waren die jugendlichen
Eefucher der Vorfammlung, als jie vor der Tür des „Volkshaus“ von
zwei Polizeibeamten nach ihrem Alter befragt und als die unter 18 Jahre
alten Teilnehmer gewarnt witrden, der Verſammlung beiz zuwohnen.
Das Erſtaunen der Jugendlichen wuchs, als fie im Saale gar einen
Volizeileutnant und einen Wachtmeiſter bemerkten, welche die Per-
ſjonalien des Vorſammlungsleiters feſtſtellten. .
Nach Eröffnung der Verſammlung forderte der Vorfizende die Be-
amten auf, den Saal zu verlaſſen, da eine Mitgliederverſammlung mit
nnpolitiſchem Vortraoe ſtattfinde; er wies auch darauf hin, daß die
Beamten, wenn ſie troßdem im Saale blieben, ſic) des HausfriedenSs-
bruches ſchuldig machen würden! Der Leutnant erklärte darauf, da)z
er den Auftrag habe, feſtzuſtellen, ob die Verſammlung öffe entlid
ſei. Dies ſei daraus zu entnehnen, "daß öffentlich Srivachſe 'ne einge
laden worden feien. An einer öffentlichen politiſchen ? Verſammlung
aber dürften Jugendliche nicht teilnehmen, und er ſei ; deshalb beauftragt,
alle jugendlichen Teilnehmer unter 18 Jahren feſtzuſtellen.
Beide Beamte begannen ſodann ihrem Auftrage gemäß, die Per-
jonalien dor Inugendlichen aufzunehmen. Wer feine Legitimation vei
fich hatte, follte zur Polizeiwache gebracht werden! Genoſſe Bernſſtei1
machte die Beamten auf das Ungeſetzliche ihrer Handlungs8weiſe auf-
nierffam: vor allem ſei die Verſammlung nicht politiſ, >< und daher
feine Urſache vorhanden, in dieſer Weiſe vorzugehen. Da alles Zu-
reden vergeblich war, vertagte der Vorſißende die Verſammlung und
forderte di ie Jugendlichen Uf, 1 an Der „Mitgliederver vanmmlung teilzu-
Verantwort! lich für die Rod altion: Karl Korn.
oder unpolitiſ<en Vortrag handelte.
anſamme
a. >“ Ww
. nehmen, die eine - Viertelſtunde ſpäter im großen „Zimmer ftatifinde:
' dieſer. Auforderung- famen alle nach. . --
.Die Beamten verfuchten nun,-- einige ver „Miſſetäter“ - zu exr- E
greifen, und wirklich gelang es ihnen, zwei Dex jüngſten Teilnehmer >r
feſtzunehmen. -- :
Äuch aus dieſem Vorfall geht wieder hervor, wie wenig die Behörden
mit dem neuen. Vereinsgeſeß Beſcheid wiſſen. War das T Thema, über
das verhandelt werden ſollte, ein politiſc<e8, ſo war e8 nach dem Vexr-
einsgeſes ganz gleichgültig, ob die Veranſtaltung eine Mitgliederver-
ſammlung oder eine Öffentliche Berfammlung | war. Jn beiden Fällen
hätten Jugendliche nicht teilnehmen dürfen. Der Polizeileutnant hatte
alfo nicht die Oeffentlichkeit odex Nichtöffentlichkeit der Verſammlung
fe ſtzuſtellen, jondern er mußte den Vortrag abwarten, um aus der Redo
ves Genoſſen Bernſtein zu entnehmen, ob e3 ſich um einen politiſchen
Dieſe Feſtſtellung machte iM Der
Beamte durch ſein Vorgehen ſelbſt unmöglich. Abex vielleicht lag das
gerade in der Abſicht dex Auftraggeber d28 Beamten. Gin Vortrag über
die engliſche Verfaſſung iſt natürlich kein politiſchex Vortrag, ſondern
ein wiſſenſchaftlic<er, der fich naturgemäß nur mit jtaatsrech-
lichen und geſchichtlichen Darlegungen befaſſen kann. Die Teilnahme
an ſolchen wiſſenſchaftlicken Veranſtaltungen aber iſt der Jugend auc
durc< das neuc Voreinsgeſeß nicht verboten.
Hoffentlich wird auch in dieſem Falle Gelegenheit geboten, die ami-
liche Stelle, die diefes Vorgehen veranlaßt hat, vor Gericht zur Ver-
antivortung zu ziehen,
*
Jſt Singen LandpfriedenZ5brud)?
Ueberall außerhalsd der ſchtvarg-weißen Grengpfädle würde diefe
Frage mit vohngelucmter aufgenommen werden. Aber in Preußen 1:
natürlich, wenn es ſich um irgendeine freiheitliche Regung handelt, alles
mögli<. Man höre und -- ſtaune nicht! In Düſſeldor] wollten
fürzlich eine Anzahl unferer Freunde mit 2 einigen Famerade 1 aus Koln
eincn zwangloſen Spaziergang unterne Imen In feiner Jugendfreudo
ſtimmte der Trupp das harmloſe Lied an: „Das Wanderniſt des
Müllers Luſt". Freilich geſchah das noch innerhalb der Stadt, Die
zehlreicen Spaziergänger hatten ihre belle Freude an den friſchen
jungen 8 Leuten, al3 auch ſchon ein Shußmany» zur Rettung der bedrohte:
Orduung die Sänger Lbarſ< zur Ruhe verwies, Gehorſam ſchwieg ma::
und glaubte die Sache erledigt, als mit einem Malc ein halbes Dußend
Schutleute auftauchten und die Hand am Degen den „Zug“, der aus
etwa 40 harmloſen Burſchen und "eanen, zum Teil Kindern, beſtand.
„auftöe Zehn Teilnehme wurden unter der
übliche polizeilichen O8flicfe it3formen zum
(igeifommißſfariat gaeſ<leppt, wo ſich eine vie
köpfige Menge, meiſt bürgerliche Spaziergänger
"Iten, die ihrecx Empörung über das Ve
balten dD: er Volizei Ausdruc gaben.
Bei der Vernehmung der „Verbrec>er“ wagte dex Herr Kommuzjar
allen CGrnſte8s von „Landfrieden3bruch“ nd „Zuc<thausftrafe“ ZU YCDdLU.
Vorläufig möchten wir annehmen, daß de Düſſeldorfer Polizei ilun
genug ſein wird, ihrem Heldenſtü> keine gerichtliche Fortſezung 31m
acben. Lorbeeren werden dabei für ſie ſicher nicht zu holen ſein.
Die Staats8aktion fand am Abend einen trefflichen Abſchluß. Dir
freie Jugend T Düſſeldorfs verſammelte ſich mit ihren Kölner Gajten it:
einem raſch requirierten Saale. Die begeiſterte Stimmung gab jiev
in Wort und Lied fund, und ſo wird auch diefer neweſte Angriff au!
die freie Jugendbewegung nur ihren Vormarſch fördern.
[ata Tata Natz . Ita Ms TSC>
Ne SE 22) + Fremdwörter - |N8 1388
Artiſt (lat. ars = die Kunſt) Künſtler.
Ballerino (ital.) Tänzer.
Dirigieren (lat.) lenken, leiten.
Epiſode (griech. epeis6dion == Nebenerzählung) Einſchiebjel (in einer zu-
ſammenhängenden Darſiellung). Das, was38-Gegenſtand eines ſolchen
Einſchiebſels iſt : Vorfall, Erlebnis.
Galonieren (franz.) mit Treſſen beſezen, verbrämein.
Heiduck (ungarijch hajdu == mittelaſlterlicher ungariſcher Soldat) Diener in
ungariſcher Tracht, Läufer.
JImponieren (lat.) Achtung einflößen, großen Eindruck machen.
Jſoliert (lat. 8o1lus = allein) vereinzelt, abgeſondert.
Kategorie (griech.) allgemeiner Vegriff, Gattung.
Legitimation (lat. Jegitimus == „geſebmäßig) amtliche
Marionette (ital.) Gliederpuppe im Puppentheater.
Oxhoft (niederdeutſch) ehemaliges Flütſſigkeit3maß, 200--240 Liter.
Page (franz.) Edelkuabe.
Parole (franz.) Loſung.
Perſonalien (lat.) Angaben über die LebensSverhäliniſſe
(Namen, Geburtsort und Datum, Wohnung ujtv.).
Pomp (griech.) Scanugepränge, Prunk.
Primitiv (lat.) urſprünglich, einfach. |
Pyrotechniker (griech. pyr = Feuer, techne == Kunſt) Feuerwerkskünſiler.
Renovieren (lat.) erneuern, auffriſchen.
Reparieren (lat.) wiederherſtellen, auSbeſiern.
Soutane (franz, ſprich jutan) Brieſterrot,
Tragödie (griech.) Trauerſpiel. Eigenſchaft8wort tragiſ H = = erſchüiternd
wie die Tragödie.
IZ
Beglaubigung.
einer Perſon
-- - Verlag: Zr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). =- Druck:
anttalt Paul SEinaer & Cv.
“au mms wem IO *
Buchdruckerei 1 Verlags
Vorwärts
Sämtlich in Berlin,