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Klara Dinghammers Weihnachkskfraum.
Von Wilhelm Sc<harrelmann.
3 war in: den Tagen vor Weihnachten.
C Falter Wind ſtrich durc; die abendvbunkeln Straßen und
fämpfte vergeblich gegen den Nebel an, der di> und zäh
war und alle Gegenſtände 'draußen vor Näſſe erglänzen ließ, die
Griffe an den Türen, die Häuſer, die Steine auf dem Pflaſter
und die Laternen auf den Straßen. Fröſtelnd gingen die Leute
durch den Nebel, tauchten plögßlich auf und verſchwanden wieder,
wie die Bilder eine8 Schattentheater8. Selbſt auf den Haupt-
ſtraßen, wo allenthalben die Läden mit ihren verlo>enden AuS3-
lagen zum Einkauf einluden und ein ganzes Meer von elektriſc<em
Qicht in den nebelverhangenen Abend hinaus8geſchi>t wurde,
ſchien der Nebel der Stärkere bleiben zu ſollen. Er hüllte die
elcktriſcken Sonnen in milchweiße Schleier, machte das Aſphalt-
pflaſter glatt und ſ<lüpfrig und ſteigerte die Formen aller Gegen-
ſtände in8 Riefenhafte. Er ließ gewöhnliche Taxameter, die hinter -
müden Bferden langfam mit fFlirrenden Scheiben durc; die
Straßen rollten, wie urväterliche Poſtkutſchen erſcheinen und be-
ladene Frachtwagen bi8 ins Ungewiſſe hinaufwachſen. Wo ſich
aber cin paar Bekannte auf der Straße begegneten. hörte man
immer dasſelbe Geſpräch: Dieſer Nebel! Abſcheulich! Da3 foll
ein Weihnachts8wetter ſein? Na, ich vanke.
Klara Dinghammer ſtand an einer Straßene>e und hielt
fünſtlicße Blumen feil, Shneebälle au8 weißem Seidenpapier und
Noſen aus rotem Kreppapicr. Ihre Mutter hatte die Blumen in
ſpäten Abendſtunden für den Straßenverkauf angefertigt, und
beute jollte Klara nun zum erſten Male verſuchen, mit den
Blumen ein paar Weihnacht8groſchen zu verdienen.
Die Finger waren ihr bereits ſteif geworden in der naßkalten |
Quft und das kleine, ſ<warze Jäckchen, das ihr in dieſem Jahr völlig
zu eng geworden war, ſchüßte ſie nut ſchlecht vor der Kälte. Sie
trat fröſtelnd von einem Fuß auf den andern und blice3 abwechſelnd
in die Hände, um ſie ein wenig zu erwärmen. Die Papierblumen
hatte ſie in einem kleinen, ſauberen Körbchen forgjam eingeordnet,
das ſie am Arme trug.
Einundeinehalbe Stunde hatte ſie bereits geſtanden, und bis
dahin hatte ſie nur einen einzigen Schneeball für zehn Pfennige
verfauft.
Sie hatte ſo viel Mut gehabt, als ſie gleich nach der Schulzeit
fortgegangen war mit ihrem Korbe. Aber der war ihr ſchon ver-
gangen. Niemand kümmerte ſich viel um ſie. Jeder hatte es
eilig, weiter zu kommen, und die langſamer gingen und mehr Zeit
zu haben ſchienen, jfahen nur immer in die hellerleuchteten-Schau-
fenſter hinein, ſtatt in Klaras beſcheidenes Körb<hen.
Zuleßt wagte ſie es und begann leiſe: „Blumen gefällig?“ zu
rufen, wenn jemand nahe genug an ihr vorüberging.
Nach einer Stunde verkaufte jie wieder einen Schneeball.
Nun brauchte ſie nur noch einen zu verkaufen, damit ſie die
AuSslagen wieder. hatte für das Papier, das ihre Mutter beim
Buchbinder gekauft hatte.
Wie die Equipage da vorüberrollte! Wan - hörte nur die
Pferdehufe auf dem Pflaſter. Der Wagen lief auf Gummirädern
geräuſhlo3 hinterdrein. Da drinnen hinter den Scheibeu in den
warmen Polſtern zu ſißen --!
Klara hauchte wieder in die Hände.
Schneebälle? Roſen?“
Plözlich tauchte Piddel Hundertmark vor ihr auf. Was8 trug
denn der da auf den Händen?
„Klara!“ ſagte er überraſcht und blieb ſtehen.
Klara ni>kte ihm zu und lächelte. Eigentlich war es ihr nicht
recht, daß Piddel ſie hier ſtehen ſah. Er brauchte nicht zu wiſſen,
daß e8 bei ihnen zu Hauſe ſo knapp war.
begriffen, warum ſie hier auf der Straße ſtand.
„Haſt Du ſ<on brav verkauft?“ fragte er teilnahmsvoll.
Sie ſchüttelte ſtumm den Kopf.
„Du mußt Dich auch hier nicht herſtellen!“ riet er. „Hier
haben's die Leute zu eilig. Geh' lieber in eine der Nebenſtraßen.
Dort kommen auc< Leute genug durch, aber ſie gehen dort lang-
ſamer und laſſen ſich eher Zeit.“
Mutlos ſchüttelte Klara den Kopf. „Was trägſt Du denn
da?“ fragte ſie, um auf ein anderes Geſpräch zu kommen.
„Einen Feſtkuchen,“ ſagte er ſtolz. „Der ſoll ſchon zu Weih-
„Zlumen gefällig?
| fannft Du ihn riechen.
Ein eiſiger, feucht-
„Hopfen.
und ſpie nur höhniſch in die Stube.
- Blumen wachſen,
Aber er hatte ſofort.
„wie
7 '- Arbeiter- Jugend.
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nachten jein, weißt Du? Komm' einmal etwas dichter heran, da
Gein, wa32?“
„30,“ Jagte ſie und ſhlotterte vor Kälte. „Fein, das iſt wahr.“
Aber Piddel konnte nicht den ganzen Abend bei ihr ſtehen
bleiben. „I< muß weiter,“ ſagte er, „dic Meiſterin ſchilt, wenn
ich zu lange wegbleibe. JH habe nachher noc& mehr zu laufen.
Eine Apfeltorte iſt beſtellt und muß noch ausgetragen werden und
vielleicht muß ich nachher no<h mit Teegebä> unterweg38. Man
hat's nicht leicht al38 Laufburſche, da8 kann ich Dir fagen. Aber
der Nebel! Fein, was? Z< wollte, daß er noc< di>&cr würde.
Das wäre ein Spaß.“ -
Er nickte ihr zu und ging.
Klara ſtand wieder allein.
vielleicht Roſen?“ =- = -=--
Spät, um zehn Uhr, kam fie heim, hungrig und müde. |
„Ra?“ fagte Dinghammer und |prang von feinem Schuitcr-
ſeſſel auf, und „na?“ ſagte die Mutter atemlos und hielt im
Kartoffelſchälen inne.
„Vierzig Pfennig!“ ſagte Klara und legte das Geld mit
ſtarren Fingern auf den Tiſch. „Drei Schneebälle und eine Rofſc.“
„Den Teufel auch!“ ſ<rie der Schuhmacher, ſette fich wieder
auf ſeinen
Frau Dinghammer 1<wieg.
„Set' Dic< an den Ofen und iß und trink".
ganz ausgefroren.“
„Blumen gefällig? Schneebäilct?
Sie jeufzte nut leiſe.
Du biſt gewiß
Schemel und begann wütend ein Stüc Leder zu I
Klara aß gierig, au8gehungert, von dem Nebel und der naß- 2
kalten Luft. Geſprochen wurde nichts.
daß man auc< kaum cetwa3 hätte verſtehen tonnen.
Leiſe drückte ſich Klara in die Kammer, die nebenan lag, 309 |
ſich aus und ſ<lüpfte ins Bett. Dic Schweſter ſchlief ichon.
Ah, wie mollig das war, bei der hineinzutriechen, Ve war,
wie ein friſchgeba>ener Kuchen unter der De>e lag. Nur fil
mußte ſie liegen, daß ſie die Kleine nicht we>te. --
„Wenn dat ſo weiter geht, langt et nicht zu einem
ſtullen,“ ſeufzte Frau Dinghammer auf, die wieder ſchälend vs
ihren Kartoffeln ſaß.
Der Schuhmacher lachte grimmig auf.
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„> weceß ok nich," fuhr Frau Dinghammer fort, „det komm
“. ;
Feſt- 1
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Aber er ſagte niet | |
mir ſo vor, al8 wenn in dieſem Jahre alles wieder viel teurer el +
worden wäre, als voriget mal.“
Weit einem Ru> wandte ſiß Dinghammer um. „Dat fm |
Dir ſo vor? Man bloß ſo vor? . .. Ei, kieke mal, wat D
ich Jagſt.“
Dann begann er wieder grimmig da8 Leder zu klopfen.
„Du ſollteſt Feierabend machen für heute, Emil,“ begüti; at]
ihn die Frau.
„Den: Teufel auc<!“ ſchrie er.
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Der Schuſter hämmerte,
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Klara aber lag nebenan in ihrem Bettie und war längſt ein- 8 ;
geſc<lafen. Sie ſah ſich im Traum wieder auf der neblitg on 3
Straße ſtehen und ihre Blumen feilhalten, aber der Nebel begann
ſich in große, weiche Schneefloc>en aufzulöſen und eine wunderbar]
Milde erfüllte die Luft. Der Froſt prielte ihr nicht in den!
Händen und der Wind zerſc<hnitt ihr nicht das Geſicht. Weich und]
mild fiel der lo>ere Schnee, und das Geräuſch der Straßen klang |
gedämpft, faſt heimlich und ſtill. Die Leute, die vorübergingen |
jahen fie freundlich an, und ſie verkaufte ohne Unterlaß, dic? eng
einen Schneeball und jenem eine Roſe -- bi5 der Korb leer war.j
Aber, o Wunder!
Wie ſie den leeren Korb vom Pflaſter auf-ü
nehmen und fortgehen wollte, mit einem Herzklopfen der Freude/Y
da3 ihr beinahe den Atem wegnahm, jah ſie aus dem Korbe neuch
Schneebälle und Roſen. Richtige,
lebendigcH
Blumen waren es, und die Roſen dufteten durc<hdringend und voll!
wie die erſten, die ſich im Juni öffnen.
Und jedesmal, wenn [uV
mit freudezitternden Händen eine der Blumen aus ihrem Korb
nahm, blühte eine andere an ihrer Stelle auf!
--- Roſen!
Sie nahm ganze Büſche voll heraus und ſtreute ſie in iind]
licher Freude um ſich herum, daß ſie wie große Blutflecke in deus
weißen Schnee lagen. Aber e8 wurden darum nicht weniger "8
ihrem Korbe. Die aber auf die Erde fielen,
cnmpor, höher und höher, ſchlangen ihre Zweige ihr um Hals uns
Schultern und hüllten ſie gang in Roſen ein. Sie aber ſtand dz
in einer frühling8warmen Laube und lächelte, und dE
Roſen -- Roſen]
wuchſen von dor
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