Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

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Arbeiter - Jugend. - 
 
 
Hierauf kann man mit ja antworten. Wenn nur ein Bruchteil von 
den Milliarden, die jährlich für den WilitarismuS, für den Völker- 
mord ausgegeben werden, dazu verwendet würde, um den Arbeit3- 
loſen zu helfen, ſo könnte viel getan werden; wenn die GemeindL- 
verwaltungen ihrer Pflicht, für alle Einwohner zu ſorgen, eU 
gedenf wären, könnte das ſchlimmſte abgewendet werden. Deshaltb 
habet denn auch in Deutſchland die Sozialdemokraten ichon m 
Sommer und Herbſt im Reichstage, in den Landtagen und in den 
Gemeinden ihre warnenden Stimmen erhoben. Sie haben ver- 
langt, daß die Regierungen und die Gemeinden rechtzeitig vor- 
ſorgen, daß überall Arbeiten in Angriff genommen werden, die 
der Bevölkerung Nußen bringen und bei denen viele Taufende von 
Arbeitern Beſchäftigung hätten finden können. Die Warnungen 
verballten im Winde, denn in den Parlamenten und Gemeinde- 
räten haben die Vertreter der Reichen und Satten, die Vertreter 
der Kapitaliſten, die Mehrheit, und denen ſcheint es nicht von 
Wichtigkeit, daß jenem unendlichen Elend der Arbeitsloſen ge- 
ſteuert werde. Das iſt nicht3 neues: noh bei jeder Krije haben wir 
e8 erſcht, daß dic Beſikenden nicht dazu zu bewegen waren, ernjt- 
haft einzugreifen. Und das wird ſo bleiben, ſolange dic Arbeiter 
gleichgültig den politiſchen Gragen gegenüberſtehen und es Zur 
laſſen, daß im Staate und in der Gemeinde die Intereſſen der 
Volk5matie, die Intereſſen der Arbeiter mit Füßen getreten 
werden. DeShalb gilt es für jeden von uns, unabläſſig zu arbeiten 
für Die Ziele der Sozialdemokratic, denn nur ſo können wir das 
Unheil der Arbeitzloſigkeit wirkſam bekämpfen. 
Jugendbewegung und Turnen. 
Jugendorganiſation und Turnen, warum gehört das zujammen ? 
Wa3 iſt unfere Jugendorganiſation? Eine Vereinigung von jugend- 
lichen Menſchen, den Sproſſen de3 Arbeiterſtandes, die ſich zujammen= 
geſchloſſen haven, um ein Stüc von jener Allgemeinbildung zu erobern, 
welche den Kindern de3 Proletariats nichtygewährt wird. Vater Staat 
bat freilich Volks8ſ<hulen und Fortbildungsſchulen, Gewerbeſchulen und 
Fachſchulen geſchaffen, aber ſic tragen den Stempel feines Geiſtes zu 
deutlich, al38 daß man von ihnen viel erwarten könnte. Leſen, Schreiben, 
Rechnen, ſo viel und ſo wenig, vaß man als Arbeiter einen Lohnzettel 
ausfüllen, zur Not einen Auftrag notieren oder eine Iechnung auf= 
ſchen fann. Zu cinem Familienbrief langt es ſchon ſelten und weniger 
iich zu einem quten deutſchen Auffaßb. Daneben gibt es Geſchichte, 
d. b.. was der Staat uns als Weltgeſchichte vorſchwaßen läßt. 
lernen wir die Leben3geſc<hic<hte von Nauce 1. bis Nau>e XXIV. kennen, 
dice Geburt3tage von cin paar hundert fürſtlichen Nullen, ſechs DußenDd 
CO 
Da 
Jahreszahlen beſonders großer Menſchenabſhlachtungen und hören 
cin Loblied auf dice Weisheit, Tugendboldigkeit und Güte eines an- 
Dazu kommt „Religion“ oder was man -19 
nennt: Auswendiglernen von Bibelſtellen, Kirchenlicdern und widcr- 
fſinnigen Glaubens8bekenntniſſen, Predigten darüber, daß man auf 
Erden ſchuften und dulden und in Zukunft den blauen Himmel genießen, 
vor allem aber allezeit der Polizei und dem Arbeitgeber gehorjam ſein 
foll. Alle3 in allem: wenig Wiſſen und viel Dreeſiur zum ſtummen 
Gehorſam. Das ſind die Gaven der Volksſchule! 
Nach der Volksſchule nehmen dann Gewerbeſchulz2, Fach] dqjule, Fort= 
bilvung3ſc<hule den der Schule entwachſenen Knaben auf. 
da nicht gelernt. Emmmal findet der Unterricht meittens abends ſtatt, 
wenn man müde und matt von der Tage53arbeit iſt, dann aber iſt auch 
das in den meiſten Städten Gebotene kümmerlic<. Das wichtigjte iſt 
wohl, daß man, wo der gleichaltrige Schüler der höheren Schulc Tadel 
oder ein bis zwei Stunden Arreſt bekommt, eine Geldſtrafe bezahlen 
ſoll, dice man dann im Gefängnis abſikßt, wenn das nötige Kleingeld 
fchlt. Was aber lehrt die wichtige Schule, um die der Jungling ins 
Gefängnis fliegen kann? Kein allgemeines Wiſſen, nichts von dem 
Wiſſen, das man beſiben muß, um ſich al8 Kulturmenſc<h zu fühlen. 
tein, man lernt nur da8, was der Meiſter oder Fabrifant an ſeinen 
Geſellen lobt, Fachgeheimniſſe lernt man, die nöbiig find, um cine 
billige Arbeitskroft zu ſzin. Dazu aber kommt, daß der Schulplan 
meiſtens alle dice Abende beſezt, an denen man ſich durch eigenen Fleiß 
eder fremde Hilfe wirkliches Wiſßen, allgemeine Bildung erobern kann. 
Das iſt die Fortbildungsſchule.- Verbildungs3ſc<ulc paßt oft beſſer! 
Gegen dieſe Zuſtände wehrt ſich die Arbeiterjugend. Sie will nicht 
geiſtig verfümmern. Sie hat von ihren Vätern und Müttern gehört, 
wie ſ<wer es ihnen ward, im reiferen Alter einen Teil von dem, was 
fehlte, in Bildungskurſcn, Bibliotheken, Leſeklubs nachzuholen. Sie 
weiß von ihnen, daß, wenn erſt die zwanziger vorbei ſind, die ein- 
tönige Arbeit, das mangelnde Wiſſen und die Fachdreſſur das Gehirn 
für höheren Flug der Gedanken zu ſchwerfällig gemacht haben. Was 
Hänsc<hen nicht lernte, lernt Hans nur ſchr ſchwer. Darum will da3 
Find des Mannes, der fein Schi>ſal beklagt, rechtzeitig V Vorſorge treffen. 
geſtammten Landc3Svater3. 
Zwar lehrten die Schriftſteller des 
Biel wird - 
Ss will fich wehren gegen die Einſeitigkeit der Lehren, mit denen die 
Anſtalten der Geſellſchaft es bedenken. G3 will nicht Fachwiſſen, ſondern 
allgemeines Wiſſen, es will keinen dreſſierten Sklavengeiſt, nein, den 
freien für edle Genüſſe des Wiſſens und der Kunſt, für die höchſten. - 
Ziele der Menſchheit jchwärmenden denkenden Geiſt eines wirklichen 
Kulturmenſchen will es erobern. Menſch ſein, heißt nicht arbeiten, 
cſjen und gehorchen. Menjch jein, heißt: arbeiten und genießen, denken 
und frei ſein. Mentc< ſein, wirflicher Kulturmenſch, weder Sklave 
ne< Drohne fein, das iſt das Ziel der Arbeiterjugend von heute. 
Solch Ziel will mit vereinten Kräften errungen fein. Der Verein, 
in dem mau ſich zu d ex Arbeit ſammelt, das iſt die Jugenvorganiſation. 
Das Arbeitsfeld der Jugendorganiſation iſt damit umriſſen. 
umfaßt alles, was bea>ert werden muß, damit die erwünichie Frucht, 
der Kulturmenſ<, erſtehen kann. Alles, aber nicßt mehr und nicht 
weniger. Sache der Jugendorganiſation iſt cs darum nicht, ihre Mit- 
gliedex Grwachſene ſpielen zu laſſen. Der politiſche Kampf, der gec- 
wertſchaftliche Kampf, ſie ſind die Aufgabe der Grwachſenen, mit ihnen 
bat die Jugendorganifation nichts zu tun. Was jedoch) dazu dient, 
tüchtige Crwachſene zu ſchaffen, das iſt ihre Sache. Damit entſtehen 
zwci Aufgaben, dice bei gründlicher Bildungsarbeit gleich notwendig 
find. Den Geijt gilt e8 zu erziehen, der aute Denkarbeit leijten, all- 
gemeines Wiſſen beherrſchen, das Schöne und Gute erfennen und alle 
Lnſpannung für hohe Ziele einſehen kann. Der Geiſt hintvieder iſt 
abhängig von dem Körper, in heften Schädel er hauſt. . Ein kranker, 
verfümmerter Körper iſt ſelten ver Nährboden für einen gefunden Geiſt, 
iſt cx es aber, ſo iſt der Körper überbürdet, und ein jäher Zuſammen- 
brud) des einen oder des anderen iit das Ende. Gin einſeitig ent- 
wickelter Körper hinwieder wird faum einem allſeitig entwi>elten Geiſte 
als Träger dienen können. Das Ueberwiegen der rohen Kraft endlich, 
die nicht von geſchulien Nexven geleitet iſt, wird eine Verfümmerunsg 
dcs Geiſtes zur Folge haben. Cin Goethe nannte neben feinem be- 
wundernswerten Genie einen prachtvollen Körper fein eigen. Wer- 
früppelte Menſchen weiſen meiſt auch einen geittigen Mangel au]. 
Der fkraftſtroßende Athlet des rohen Schaubudenringfampfes verfügt 
meiſt nur über fümmerliche Begabung. Wer alfo ganze Kulturmenſche 
ſchaffen will, muß Erzieher des Körpers ſo gut wie des Geiſtes ſein. 
Daher hat die Jugendorganiſation zwei Aufgaben: Grzichung des 
Geiſtes iſt die eine, Schulung des Körpers iſt die andere. 
Veber die geiſtige Erziehung der Jugend iſt ſchon viel geredet und 
geſchrieben worden. Wir alle befennen un3 dazu, Iaß Lejezirkel, Die 
Der Bildungshonig aus quten Büchern ſaugen, Vorträge üver die g= 
Ichichtliche und wirtſchaftliche Entwidelung der Menichheit, Aufktlärung 
über Naturwiſſenſchaft, Bekanntſchaft mit den Meiſterwerken der 
Literatur wic der Kunſt, eine gewiſſe Kunde vom Rechtsleben und den 
Wirtſc<hafisverhältniſſen de38 Volke3s dazu gehören. Darum wünſchen 
wir, daß alle3 das in der Jugendorganijation eine Stättc findet, daß 
der Geiſt der Jugend mit alle dem in Berührung fommt, alles das 
würdigen und foweit benußen lernt, daß ein denkfähiges, bewegliches 
Gehirn, ein edeldenfender Menſch, ein ſchäßenöswerter Mitarbeiter für 
alle Kulturarbeit das dauernde Ergebnis diefes Strebens nach all- 
aemeiner Bildung jind. 
Weniger allgemein iſt die Wertſchäßung der körperlichen Erziehung. 
Altertums ſchon, daß ein geſunder 
Geiſt nur im- gejunden Körper ſei, allerdings haben Leute wie Guts 
Muth3, Salzmann und Jahn nicht ganz umſonſt gelehrt. Aber gerade 
die ſelbft an hervorragende Gedanfenarbeit gewöhnten erwachjene 
Freunde der Jugendbewegung fowie mancher 
liebe für geiſtige Arbeit vergeſſen das, was nottut. Sie überſehe: 
E83. 
 
Jüngling mit ſtarker Vor- | 
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bisweilen, daß, weil der Menſch das Produkt der Verhältniſſe iſt, die nE 
ihn tragen und. umgeben, der Geijt bis zu einem gewijjen Maße dus BW 
Produkt des Körpers iſt, der ihn trägt. Erziehen heißt den Geijt bo- 
einfluſſen, und ein wichtiges Mittel zu dieſer Leiſtung iſt die EGnt- 
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0 
widelung des Körperlebens auf jener Stufe, wo es am leichteſten den N 
Geiſt ſ9 beeinflußt, wie wir 28 wünſchen. Damit wären wir beim 
Turnen. 
Der aite Jahn hat nicht, wie mancher meint, 
funden, ſondern eine Lehre aufgeſtellt, wie man Leibezübungen vor 
ſchiedener Art zuſammenſtellt und ausnußt, um friſche und freie, geijitt 
rege und Nitlich 
erziehen. 
der Junker erlebt, er hatte die 
erkannt, ihre Sünden gemeſſen und ihre „Feigheit und Jämmerlichkoit 
in greiſgarer Nähe auf der Flucht vom Jenaer Schlachtfelde bis nav | 
Magdeburg in nächſter Nähe geſehen. 
zute Menſchen, tüchtige Mitglieder des Staates 3; DG 
Er hatte den ſc<macdhvellen Zuſammenbruch des Preuße::5 M 
Vorkommenheit der regierenden Kla B 
Turnübungen c1- | 
y 
Er begri HE daß Der preußiſch: | n 
SJunferſtaat unheilbar verfault war und hoffte auf ein neues ver 
Staatsgebilde. Nicbt mehr die Junker. nein, das 
maßgebend ſein. Der Siaat, den Jahn wollte, feinen nationalen zu-| 
kunftsfigat, fonnte | er nicht mit dem verprügelten, feigen und weita 
Bolko ſchaffen, 9as in Preußen jeit dem alten Jeiß aufgewachſen we 
Volk ſollte darin 3 
Ex fonnte dieſe Menſchen ſo wenig für eine neue Jdec begeiſtern, viel 
Moſe38 jene Juden, die mit ihm aus Aegypten kamen. Darum vi 
er die Alten abſeits liegen und lodte die Jugend an ſic. Wer die 
Jugend bat, hat die Zukunft, meinte er. So ſammelte er dic Knol 
iv 
vun
	        
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