Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

Arbeiter - Jugend. 
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Lorübergehenden blieben ſtehen, ſchauten fie an und lächelten auch, 
freundlich und voll milder Güte. Wie ein Dornrö3s<en ſtand ſie 
da, mit ihrem Korbe voll von Sc<hneebällen und Roſen, mitten im 
Winter unter rieſelndem Schnee auf offener Straße. 
Da hoben die Leute, die dichtgedrängt vor ihr ſtanden, ihre 
Kinder auf den Arm und riefen: „Seht das Chriſtkind dort unter 
Koſen ſtehen!“ | 
 
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Aber da tauchte Piddel Hundermark plößlich unter den 
Leuten auf und j<rie: „Da3 iſt ja Klara Dinghammer au8 der 
Winkelgaſſe.“ 
Da erwachte ſie, noch ſelig von dem Glück, das ihr der Traum 
zugetragen hatte, und während ſie ſich im Bette aufrichtete und 
ſich noc< nicht wieder in die Wirklichkeit zurückfinden konnte, ſah 
ſie ven j<malen Lichtſtreifen, der au8 der Wohnſtube ins Schlaf- 
zimmer fiel und hörte plößlich die Worte der Mutter. die ſeufzend 
jagte: „Und jelbſt wenn i> nur die Hälfte der Margarine nehme 
und de Roſinen ganz rauslaſſe, = i> weeß nich, wie i> de Jeſt- 
3 ſiulle fertig kriegen ſoll.“ 
4 zufjammenberufen war. 
MEERES DIEZ BAILE AIN 
FENEEDIIENNESSIEN SEISER 
EL will, abfühlend auf die anderen? 
3 men in Der anderen Ee, dem immer ein ſpöttiſches Lächeln in den 
A "'undwinkeln zu>t, wenn die anderen cinmal in Übermütiger AusS- 
Zn dieſem Augenblicke begriff Klara, das es nur ein Traum 
| geweſen war, den ſie geträumt, ein ſchöner, ſeliger Traum -- 
aber nur ein Traum! Stumm ſank ſie in ihr Kiſſen zurück. Aber 
X vie graue, lähmende Enttäuſchung, die ihr kleines Herz erfüllte, 
4 vich jc<on nach wenigen Minuten der Reſignation, welche nur die 
Armut kennt, und al8 ihre Mutter dann ſeufzend die Kammer 
I betrat, tröſtete Klara ſie: „Vielleicht, daß ich das nächſte Vral 
| mehr verfaufe, Mutter. Es ſind ja noch acht Tage bi8 Weoih- 
nachten.“ 
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Sollen wir ſpielen ? 
Neulich war ich in einer Geſellſchaft, die aus fröhlichem Anla 
4 Die Abſicht war bei allen die gleiche: fich 
während einiger Stunden in Gemeinſchaft mit den anderen fröhlich 
und Ungezwungen zu vergnügen. 
Aber der löblicße Zwe wurde nicht erreicht. Weiß der Kuckuc, 
voran es lag! Die richtige „Stimmung“ wollte nicht auffommen und 
verjtohlen 309g bald er eine bald der andere die Uhr. Lag3 daran, daß 
emige fremde Geſichter in der Geſellſchaft waren, die die Ungezwungen-= 
beit der anderen dämpften? Oder wirkte der Gries8gram in der E>c, 
von dem man wußte, daß er fich nie an luſtigen Scherzen beteiligen 
Oder war es der kühle Verſtandcs3- 
Bz oclaſjenheit den Ernſt des Lebens abſchütteln? Oder kam es daher, daß 
J [ciner den Ton für gemeinſame Luſtigkeit anzugeben wußte ? 
Denn darauf kommt es an: auf luſtige Unterhaltung, an der jich 
3 alle beteiligen und darauf, daß einer friſch und fröhlich fomman- 
PY diert. 
Gi, wie das anfeuernd wirkt und den Widerſtand einzelner 
3 2ußenſeiter bricht, wenn ein ke>er Diktator als mutiger Steucrmann 
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.l wenn das ſalzige Naß auf dieſe Weiſe bei ihnen wieder einmal zum 
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3 das Ruder der Geſelligkeit ergreift und das Schifflein durch einige 
Y (iergiſche Kommando8 ordentlih vor den Wind der allgemeinen 
ZE Vveiterfeit bringt! 
R Cticepetetes ausſchließen wollen! 
Und wenn er es nicht duldet, daß ſich einige 
Und wenn es ihm und den anderen 
durc< ihre anſte>ende Luſtigkeit gelingt, ſelbſt dieſe Etepetetes in einen 
Taumel lachenden Uebermutes zu bringen! Wie da die Stunden 
lichen! Mit wütenden Augen wird der Frevler gemeſſen, der in ſchuld- 
DB vo vwußter Scheu mit ſt5Fender Stimme zum Aufbruch zu mahnen wagt! 
I Denn wann kommen wir ſo fröhlich wieder zuſammen ? 
R << ihm entgegen, 
-Y |clig, daß wir uns von den ſeltenen fröhlichen Stunden nicht einc 
-A Sctunde entgehen laſſen möchten. Und jede Sekunde, die der ſtrahlende 
8 Sonnenſchein jubelnden Frohſinns unſer Herz erwärmt, ſtärkt uns für 
uch viele Stunden harten und düſteren Kampfes. 
| So ſchallt 
Das Leben iſt ja ſonſt ſo ernſt, ſo ſchwer, ſo müh- 
Auch ernſte Männer und Frauen vergeben ſic<ß nichts, wenn ſie 
gclegentlich dem Uebermut die Zügel ſchießen laſſen, wenn ſie wic 
Kinder im kindlichen Spiel aufgehen und dabei lachen, daß ihnen dice 
Tränen über die Baen rollen. Es tut gut, körperlich und ſeeliſch, 
: Stoffwechſel angeregt wird; in Schmerz und Qual zu weinen, haben 
R |10 ja doch längſt verlernt, ſo etwas freſſen fie ingrimmig in ſich hinein. 
TO habe Männer im engen Freundeskreiſe lachen ſehen, daß ihr 
Schnupftuch dem plößlihen Andrange kaum gewachſen war; die Oeffent- 
lichfeit aber würde ſolche Menſc<hlichkeiten bei ihnen gar nicht für möglich 
halten, glaubt ſie doch, daß dieſe Männer das Lachen ſeit Jahrzehnten 
verlernt haben! . 
Cs freue jich ein jeder, wenn er den heißen Kämpfen der Zeit noch 
| hin und wieder eine Stünde glücklichen Lachen8 abringen kann 
Beſonder3 aber hat die Jugend ein Recht auf dieſe3 Lachen, die 
arbeitende Jugend. Während glücklichere Kinder eine fröhliche 
Kinderzeit: in Spiel und LebenSluſt verjubeln konnten, mußte das Prole 
tarierkind entbehren und arbeiten. Jn der kahlen Wohnung voll ſforgen- 
ſchwerer Unruhe wollte da8 Lachen nicht gedeihen, und im kreiſchenden 
Lärm der Straße ging es unter. 
Jeßt aber findet ſich das junge Volk der Arbeiter in freier, ſelbſt- 
gewählter Gemeinſchaft wieder zuſammen. Sie reichen ſi9 die Hände 
zu gemeinſamem Kampfe, fie neigen in gemeinſamem Lerneifer ihr 
Ohr den ernſten Worten des älteren Freundes -- aber ſie wollen auch 
ihr Recht auf Sonne, und von Zeit zu Zeit durchbricht bei ihnen der 
jugendliche Frohſinn, der ſolange von der Not 5:8 Leben3 jtraff im 
Zaum gehalten worden iſt, die Dämme der Gemeſſenheit -- und in 
heiterer AuSgelaſſenheit tanzen ſie mitten im Kampfe einen MRingel- 
reihen. 
Und das iſt gut ſo! Wir älteren freuen uns darüber, und wenn 
die Jungen wollen, tanzen wir gern einmal mit. Wenn aber irgendwo 
ein Jugendausſ<uß odcr der Leiter ciner Organiſation von Jugend- 
lichen nicht weiß, wa8 für Ringelreihen und Spiele und übermütige 
Scherze e38 für fröhliche Geſellſchaften gibt, 19 nehme er das Spicel- 
buch für die arbeitende Jugend zur Hand, das ſoeben Der - 
jugendliche Genoſſe Paul Bött<her in Leipzig (Verlag der Leipziger 
Buchdruckerei A.=G., Preis 1 Mk) in zweiter und ſtark vermehrter Auf- 
lage hat erſcheinen laſſen. Das nette Büchlein enthält eine jo reiche 
Auswahl von Unterhaltungen aller möglichen Art, für ganz kleine und 
für große, für Spiele im Freien und im Zimmer, für Spiele ohne 
Geräte und mit Geräten, für Scherzſpiele, Rfänderſpiele und PfänDder- 
auslöſungen, daß kein Spielleiter in einem Jugendheim oder bei einem 
Ausfluge in Verlegenheit kommen fann. 
Möge e3 vielen jugendlichen Arbeitern und Arbeiierinnen viele 
freundliche Blumen in das graue Ginerlei der täglichen Ürbeit flechten! 
+ Heinric9 Stcauailz. 
Bier Tage. 
Erzählung von W. Garſchin. Aus dem Ruſſiſchen von A. Lampert. 
(Schluß. 
< begann die Flaſche vom Riemen zu löſen, indem ich mich 
"Y vdabei auf den Ellbogen ſtüßte, und al3 ich zufällig das Gleich- 
gewicht verlor, fiel ih mit dem Geſi<t auf die Bruſt des 
Toten. Er begann ſchon einen ſtarken Verweiungsgeruc< auszu- 
ſtrömen. 
I< tranf. Das Waſſer war warm, aber no< gut, und es 
gab auch vicl davon. So kann ich noch mehrere Tage leben. I< 
erinnere mich, in einem populären mediziniſchen Lehrbuch geleſen 
31 haben, daß der Menſc< eine ganze Woche ohne Ytahrung zu 
leben vermag, wenn er nur genügend Waſſer zum Trinken hat. 
Nun, und was dann? Was wird daraus, wenn ich noch fünl 
oder fec<3 Tage leben bleibe? Unſere Leute ſind fort, die Bulgaren 
ſind geflohen. Schließlich muß ich doch ſterben. Wait dem Unter- 
ſchied bloß, daß ich ſtatt eines dreitägigen, einen achttägigen 
Tode8kampf zu überſtehen haben werde. Jt es nicht beſer, ein 
Ende zu mac<ßen? Neben meinem Nachbar liegt fein Gewehr, 
cine gute2 engliſches Gewehr. I< brauche nur die Hand aus- 
zuſtreden -- nur einen Augenbli>, und = Schluß. Die Patronen 
liegen auc< no< da, er hat ſie nicht alle verbraucht. 
Alſo =- ein Ende machen oder warten? Aber worauf warien? 
Auf Rettung? Tod? Oder bi3 die Türken kommen und mir die 
Haut von den verwundeten Füßen. abziehen? Lieber ſelbſt! 
Nein! Nur nicht den Mut ſinken laſſen! J< werde kämpfen, 
ſolange ich e8 nur fann. Denn = wenn man mich nur findet, bin 
ich gerettet. Vielleicht ſind die Knochen unverlezt. J< werde 
geheilt. I<h werde die Heimat wiederſehen, meine Mutter, 
Maſcha . . . . 
Großer Gott, laß ſie nicht die Wahrheit erfahren! Sie ſollen 
glauben, ich ſei auf der Stelle tot gewejen. Was wird mit ihnen, 
wenn ſie erfahren, daß icq zwei, drei, vier Tage lang Qualen ge- 
litten habe! 
Mir ſchwindelt; der Weg zu meinem Nachbar hat mich furcht- 
bar angegriffen. Und nod dazu dieſer entjeßliche Geruch! Er 
iſt ſc<on ganz ſchwarz; was wird's nur morgen oder übermorgen? 
Schon jeßt liege ich hier nur, weil ich keine Kraft habe, mich fort- 
zuſ<leppen. J4 will etwas ausriuhen und dann wieder zurüc> 
auf meinen alten VWlaß; gut, daß der Wind eine günſtige Richtung 
hat und den Geruch fortwehen wird. 
J< bin ganz entkräftet. Die Sonne brennt auf Geſicht und 
Hände. Nicht3 iſt da, um ſich vor ihr zu ſ<hüßen. Wenn es 
wenigſten3 |<hon Nacht wäre! Das wird die zweite ſein, glaub' ich. 
Die Gedanke verwirren ſich, das Bewußtſein verläßt mich. 
s* X 
IT 
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