Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

 
Arbeiter -Juc end. 
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zu frohem Spiel, bis er ſeinen H2zerhaufen hatte. Dann lehrte er 
ihmen jene Körperübungen, die der Jugend eine Freude ſind, er gab 
ihnen Re>, Pferd, Barren, Springel. Ex lehrte ſie Ringen und . 
Schwingen und war bei allem darauf bedacht, die Entwickelung von 
Ceichtem zum Schweren, das brüderliche Eintreten aller für alle, die 
Pebung des Mutes, der Geiſte8gegenwart und der allſeitigen Gewandt- 
beit zu fördern. Dazu ſchuf er ihnen die Turnfahrt, verbunden mit 
firogem Geſang und verſchönt durch einen unerſchöpflichen Strom von 
Sogen, Geſchichten und ſitilichen Grundſäßen, die ſeinem Munde ent- 
guollen. So ſchaffte ex aus Schülern und Studenten und unter 
meuer Mitarbeit ſeiner ältefien Anhänger einen Betrieb, in dem die 
Sugend Berlins ſpielend das lernte, was den Erwachſenen fehlte. 
Sahn3s Turnkunſt ward ſo eine gern beſuchte Schule, in der der Un- 
gelenke beweglich, der Schwache kräftig, der einſeitig BVerbildete all- 
ſeitig entwidelt und der Zaghafte mutig wurde. Dabei erwuchs ein 
ncues Geſchlecht, friſch, fröhlich, frei und vorwärts drängend, wie es 
der Meiſter gewollt hatte, um für den Staat, der ihm vorſchwebte, 
Streiter und Bekenner zu finden. Die wunderbar2 Macht der Turnz= 
fünft war bald zu erkennen an den Tauſenden, die nach kurzer Zeit 
i:i ganz Deutſchland den Lehren des Meiſters folgten, die lernend oder 
lchrend in feinem Sinne tötig waren und hernach als Lütßower mit 
“x Büchſe, als Burſchenſchafler mit dem geiſtigen Schwert gegen die 
«rhaßte Tyrannei de8 Auslandes und für ein einiges neues Deutſch- 
lcnd auftraten. 
Jahn3 Ziele ſind nicht unſere Ziele, ſeine Zeit iſt nicht unſere Zeit. 
Es iſt hiex nicht nötig, den Unterſchied zwiſchen der begeijierten Jugend 
von dazumal und der von heute, zwiſchen jenen Bourgeo1isfindern und 
unſeren Arbeiterſprößlingen aufzuweiſen. Wir wijſen, daß andere 
wirtſchaftliche Verhältniſſe andere Wirkungen haben und andere Ziele 
ſceßen lehren. Aber wir wiſſen auch, daß Körper und Geiſt de8 Menſchen 
heute wie 9or hundert Jahren in allem Weſentlichen gleich find. 
Darum hat die Art, in der Jahn eine Jugend kräftigte, erzog und be- 
. geiſterte, auh heute nog Wert für Leute, die, wie wir, eine Jugend 
| körperlich und geiſtig ftärfen, behende machen und für bohe Ziele be- 
geiſtern wollen. Dazu kommt noch, daß die Jugend von heute weit mehr 
al3 die Jugend von 1806 zum Gegengewicht gegen das Verſiken in 
Schule und Werkſtatt, zum Schuß gegen einſeitige Entwiedelung oder 
Verkfrüppelung der allſeitigen Stärkung und Sc<hmeidigung der Glieder 
ſowie des Antriebes zu friſchem Mut und frohen Wagen bedarf. Alles 
in allem: Wer die Arbeiterjugend erziehen will, darf die Kunſt des 
Alten im Barte nicht außer acht laſſen. Freilich ijt die Turnfunſft, die 
wir meinen, nicht die ſteife, halb militäriſche Dreſſurturnerei mit Frei- 
übungen ſowie ohne Kür und Spiel, welche die pr3ußiſche Volksſchule 
bietet. Wir lehnen auc< die Auswüchſe des Jahnſchen Syſtems ab, 
E die das Streber erzeugende und eingelne von der Maſſe bevorzugende 
E Wotturnen darſtellt. Aber das Turnen im Jahnſchen Sinne, das alle 
| Spiele, die nicht roh ſind, alle Ge-ätübungen in Kür und Riege, den 
K Goſang und die frohe Wanderfahrt verſchönt durch gegenſeitige Lehre 
|E und Hilfe, wie brüderlichen Zuſammenhalt aller, das braucht ein Verein, 
ß der die Jugend entwickeln und erziehen will. 
! Nur Turnen iſt vom Uebel, nur geiſtigen Zielen nachſtreben auch, 
8 abcr die Verbindung der geiſtigen Selbſterziehung mit der förperlichen, 
5 02 iſt das, was der guten Jugendorganijation nottut. 
. G. Adlexr-Kiel. 
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p 
. Bücher und Bibliotheken für die arbeitende 
; Jugend. 
| ES iſt nahezu erſt eine Errungenſchaft des 20. Jahrhunderts, 
B des „Jahrhundert38 des Kindes“, daß man ſich der Herſtellung 
B guter Jugendbücher und der Einrichtung guter Jugendbibliothekon 
5 zugewandt hat. | 
8 Wie in ſo vielen anderen Dingen, ſind wir auch hierbei in 
8 Deutſchland nicht in der „Welt voran“, ſondern hinter anderen 
E Sändern weit zurüd. Was8 man in England und Amerika längſt 
8 in muſterhafter Weiſe eingerichtet hat: Jugendbibliotheken, 
B vugendleſezimmer, Vorträge über gutc Bücher für Kinder u. a. m., 
8 das iſt in Deutſchland faſt überall noch das Ziel frommer Wünjche. 
“ E3 iſt nicht zu verkennen, daß durc< die raſtloſe Tätigkeit 
M einiger. hervorragender Shulmänner in Deutſchland ſeit einem 
w Jahrzehnt eine anſehnliche Zahl von neuen Jugendbüchern her- 
E vorgerufen worden iſt, daß vieles vortrefflihe Alte und Ver- 
M8 ivol'ene aus der deutſchen Literatur wieder ausSgegraben und der 
M ugend zugänglich gemacht worden iſt. Wie ſteht 23 jedoch mit 
Ber Verbreitung dieſer Werke in den breiteſten Schichten des 
88 volte32 
vB Sehr viele diejer Jugendbücher ſind jo teuer, daß Arbeiter- 
8 'iicrn gar nicht daran denker. können, ihren Kindern eine kleine 
5 Bücherſammlung anzulegen. 
 
In Amerika übernehmen die Gemeinden die Fürſorge für 
die geiſtigen Intereſſen der Kinder, indem in den aus Gemeinde- 
mitteln unterhaltenen „Freien öffentlichen Bibliotheken“ große 
Jugendbüchereien angelegt werden. Bei uns fehlen in den meiſten 
jogenannten „Volk8bibliothefen“ Jugendbücher ganz und gar; 
im den Schulbibliothefen ſieht e8 meiſt nicht viel beſſer au8. Dieſc 
Sqzulbibliothefen enthalten größtenteils völlig wertloſe Bücher, 
jogenannte „vaterländiſche“ Erzählungen, frömmelnde Ge- 
Ihichthen und allerhand andere8 dunimes Zeug. Es gibt ſogar 
manche Schulbibliothek, die ganz gefährliche Schundromane ent- 
halt, 3. B. dic Erzählungen des Herrn Karl May. Solange die 
Schule jolche Shmarren in ihren Büchereien duldet, kann ſie 
natürlich nicht mit Nachdruck gegen „Buffalo Bill“, „Nik Carter“, 
„Sarl Stülpner“ und andere Sumpfpflanzen zu Felde ziehen. 
Wenn man ſc<on davon überzeugt iſt, daß die Schundliteratur 
Geiſt und Gemüt vergiftei, dann muß man auh zugeben, daſ 
e3 ziemlich aleich iſt, ob man mit Karl May-Geſchichten oder 
blutrünſtigen Detektiivromanen vergiftet wird. 
So wie die Dinge nun heute in Deutſchland liegen, iſt kaum 
anzunehmen, daß wir in abſehbarer Zeit eine großzügige Ge- 
meinde- oder Scdulbibliothefenbewegung befommen werden. 
Selbijit wenn fie fäme, würde ſie einen ſo ſtreng bürgerlich-vater- 
ländiſchen Charakter tragen, daß die freie, denfende Jugend des 
arbeitenden Volkes keinerlei Nutzen davon hätte. 
Was bleibt alſo zu tun? 
Nichts anderes als planmäßige Selbſthilfe. Die Arbeiter- 
organijſationen müſſen auf der ganzen Linie dazu übergehen, 
Jugendbibliothefen einzurichten. 
Zn welcher Weiſe das geſchehen fann, davon im nächſten 
Aufſjaß. H. Hennig. 
Bureaukratiſch-kapitaliſtiſche „Jugend- 
wohlfahrt“. 
Der bürgerlichen Geſellſchaft brennt das Feuer auf den Nägeln. 
Immer drohender erhebt der „Umſturz“ ſein Haupt. immer weiter rückt 
das Heer der „vaterlands8lojen Geſellen“ vor. Das Wort vom „Niedor- 
reiten“ hat wohl heute bereit3 der als Irrium erfannt, der es einſt 
in die Welt geſeßt. . . . 
Auch die Jugensd.des Proletariats ertennt immer mehr die gae- 
jelſchaftlichen Zuſammenhänge der beſtehenden Zuſtände. Sie jieht ein, 
daß die Armut die Quelle des Reichtums iſt, und daß die Macht der Be- 
ſißenden nur ſo lange andauert, als die Beſizloſen noch nicht einig und 
geſchloſſen zueinander ſtehen. Auch dice Arbeiterjugend wird röter und 
roter. 
„Was iun?“ ſpricht Zeus. Man ſucht die jugendlichen wie die ex- 
wechſenen Arbeiter zu zerſplititern, möglichſt viele von ihnen auf die 
Seite der herrſ<enden Klaſſen zu ziehen. Man betäubt den Geiſt der 
wehrloſen Schulkinder unter dem Vorwande der Religion mii abge- 
ſI<hmadten Fabeln, die in ihnen den Wahn erregen ſollen, daß ſie eint 
in einem „beſſeren Jenſeits“ für alle irdiichen Mühen und Leiden 
entſchädigt werden würden. Man verkleiſtert ihnen das Gehirn mit 
„patriotiſchen“ Geſchichtslügen, die alle Segnungen der Kultur. auf Die 
herrſchende Dynaſtie zurückführen; man gründet für die Schulcntlaſſenen 
„4Iriſtliche"“ Jüngling2- und Jungfernvereine, führt jie jogenannten 
Nugendtiubs zu -- kurz, man ſucht ſie auf jede Weiſe über ihre wahren 
Intereſſen zu täuſchen. 
Mit Jahres3beginn iſt von dieſer Seite ein neues Jugendorgan ins 
Leben gerufen worden, faſt gleichzeitig mit der „Arbeiter-Jugend“, aber 
offenſichtlich dazu beſtimmt, entgegengeſeßte Ziele zu verfolgen, eine 
neue Waffe der Herrſchenden gegen die klaſſenbewußte „junge Garde“ 
zu bilden. Während die „Arbeiter-Jugend“ rücſichtslo8 kämpfen will 
gegen die Verdummung und Ausbeutung des proletariſchen Nahwuchſes, 
iſt in der neuen „Zeitſ<hrift für Jugendwohlfahrt“"“) 
von dieſer Wohlfahrt, der einzigen, die der arbeitenden Jugend not 
tut, ſo gut wie nichts zu fimden. . 
Schon die Namen des Herausgebers und der Mitarbeiter ſagen uns, 
daß dieſe Jugendzeitung nicht dazu geeignet iſt, fich als JIntereſſenver- 
treterin des jungen Proletariats au3zugeben. Herausgegeben wird jie 
von Herrn Regierung38rat Dr. Lindenau, alſo einem hohen 
Beamten, und auch faſt ſämtliche Mitarbeiter, die ihre Kraft der - 
„Jugendwohlfahrt“ widmen wollen, ſind Beamte. Boſfonder3 ſtark iſt die 
preußiſche Regierung und ſpeziel das preußiſche KultuS- 
miniſterium vertreten und das -=- ſagt genug! Von dieſer 
Seite iſt der Arbeiterſchaft, und ſpeziell der Arbeiterjugend, noch kein 
*) Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
	        
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