Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

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Die folgenden Verhandlungen betrafen das ganze weite 
Es wurden, zum Teil . 
Gebiet der proletariſchen Jugendarbeit. 
ausführliche, Vorträge entgegengenommen über unſere Bildung3- 
„beſtrebungen und über den wirtſchaftlichen Schuß der Jugend, 
über die Körperpflege und über die Bedeutung der Jugendheime. 
An ſämtliche Vorträge ſchloſſen fi gründliche. Ausſprachen an, 
die über die Art, .wie dieſe mannigfaltigen Aufgaben untjeres. 
- Sugendprogramms8 in den verſchiedenen Orten bewältigt werden, 
intereſſante Aufſ<lüſſe brachten und eine Fülle von Anregungen 
ſowohl für die Ausſchüſſe wie für die Zentrale zeitigten.. Auch 
„über die bürgerlihe Jugendbewegung wurde ein eingehendes 
Referat gehalten, das als Broſc<hüre herausgegeben werden Joll. 
DeS8gleichen ſoll über den. Jugendſchut 
erſcheinen. 
Die Einmütigkeit und Fameradſchaftlichkeit, die die Kon-- . 
| ferenzteilnehmer beſeelte, fand auc< darin ihren Aus8dru>, daß 
. die Leitſäke, in denen die Vorträge gipfelten, mit Überwiegender E 
Mehrheit, meiſt einſtimmig, angenommen wurden. Im einzelnen - 
auf die, Leitfäße einzugehen, iſt hier nicht der Ort, Sie ſind 
- ſämtlich ſo ausführlich gehalten, daß fie zu viel Raum beanſpruchen 
würden, und im übrigen ſollen ſie der Arbeiterjugend, unſeren 
Leſern, nicht in ihrer lehrhaften Abfaſſung, ſondern durc ihre 
Umſetzung in die Tat bekannt werden. 
Daß dies geſchieht, daß die Beſchlüſſe der Konferenz nicht 
"auf dem Papier ſtehen bleiben, dafür bürgt der Arbeiterjugend 
die Begeiſterung und der Feuereifer, mit dem ihre Vertreter und 
Freunde auf der Konferenz vom jüngſten bis zum älteſten Teil» 
So war der Geſamteindrü> - 
der Verhandlungen, den wohl jeder einzelne Vertreter mit nach 
Hauſe nahm, die feſte Ueberzeugung, daß dieſer erſte, unter dem. 
nehmer ihre Pflichten auffaßten.. 
' neuen Verein8geſek abgehaltene Jugendparteitag unſere prole- 
tariſ<e Jugendbewegung ohne Zweifel € ein - ftüchtiges Stück vor- 
wärtsbringen wird. | 
+ 
Die Entſtehung des Kapitaliomus. | 
Von Guſtav Edſtein.. 
1. Der Urſprung ves Proletariats. 
geendet hatte; „das ſicht man da wieder.“ Wenn einer 
Geld hat, dann wird e3 ſchon von ſelber mehr. 
oder Deinem Vater. Mein Großvater war ein tüchtiger Tiſchler, 
Dein Vater ein guter Chemifker; und. wer hatte den Vorteil .da- 
von? Beidemal ein Kerl, der Geld. hatte und ein weites Ge- 
wiſſen. 
nicht gehört. “ 
Arbeiter-Iugend 
. der Sparſamkeit. 
eine beſondere Schrift - 
- kann ich da nicht ſehen. 
“- : gut arigelegt und kann ſo vom Ertrag leben.“ 
WB: Tauben ſind, fliegen Tauben zu,“ ſagte 'garl, als ich 
Wenn 
aber einer keins hat, dann geht 68 ihm wie meinem Großvater 
Unterſchied iſt," nahm ic< nun wieder. das Wort. 
Viel Tüchtigkeit, Meth oder Talent vat dazu wirklich : 
= 
: „Das mag ja ſein,“ erwiderte Wilhelm nachdenklich, „daß 
. nicht viel dazu gehört, ſein Vermögen zu vergrößern, wenn ſchon 
einmal eins da iſt. Gar jo ſehr imponiert mir, offen geſtanden, 
. mein Herr Chef auc< nicht. 
Aber damit einmal ein Vermögen 
zuſammenkommt, dazu bedarf e8 doch des Fleißes, der Ausdauer, 
Ohne die wären eben jene Vermögen nie ge- 
bildet worden, die es jekt ihren „Beſißern allerdings oft leicht 
machen, etwas dazu zu gewinnen.“ 
„Freilich,“ unterbrach hier Karl mit ironiſchem Lachen, - 
„Fleiß und Sparſamkeit die führen zu etwas. Waren mein Groß- 
'vater, mein Vater und mein Großonkel, der Scchloſſermeiſter, 
waren das nicht alles fleißige und ſparſame Männer? Und zu 
wa3 haben ſie e3 gebracht? Faſt bis zum Bettelſtab.“ 
„Das8 ſind einzelne Falle. Die darf man nicht gleich ver- 
allgemeiner, “ erwiderte Wilhelm. | . 
- „Das iſt ganz richtig,“ miſchte ich mich nun wieder ins Ge- 
ſpräch. „Einzelne Fälle beweiſen noch nicht3; aber Du, Wilhelm, 
- warſt es ja ſelber, der ſich auf die tägliche Erfahrung berief, und 
die iſt auch lehrreich. Freilich muß man mit offenen Augen ſehen 
können Daß aber ſolhe Schidſale wie die unſerer Väter und 
Großväter keine Ausnahms8fälle ſind, das können wir leicht feſt- 
ſtellen, indem wir die Geſchichte ſtudieren. Freilih nicht die der 
Könige und Feldherren. Die gehen uns meiſt nicht viel an. Aber 
die Wirtſchaftsgeſchichte erzählt uns eigentlich nür zuſammen- 
faſſend, wie fich alle die Menſchen vor uns geplagt haben, um 
"ihren LebenzSunterhalt zu gewinnen, und wie ſie von den Mäc- 
tigen geplagt wurden, die von der Arbeit jener lebten. Dieſe 
Wiſſenſchaft wird uns denn wohl auch zeigen, wie die erſten großen 
Vermögen entſtanden, die zur fapitalifti| ichen Ausbeutung ver 
wendet wurden.“ . 
. „Große Vermögen hat es immer gegeben, w“ warf hier Wilhelm 
ein. „Aber früher hat man nichts von „Tapitaliſtiſcher Au3- 
beutung“ geſprochen.“ 
„Das macht eben auc< einen großen Unterſchied, “ erwiderte 
ih; „wozu ein Vermögen verwendet wird. Wenn ſic<h in Rom 
zum Beiſpiel ein reicher Mann Sklaven käufte und ſie für ſich 
" arbeiten ließ, dann war das doh etwas anderes, als: wenn zum 
Beiſpiel im Mittelalter ein reiher Grundbeſiter viele Leibeigene 
. . hatte, die ihm einen Teil ihrer Ernte abliefern mußten, und das 
iſt doh wieder etwas ganz andere8, al8 wenn ein moderner 
.. Fabrikant viele Arbeiter beſchäftigt und aroßen Profit. macht.“ 
„Obo,“ unterbrach mich da Wilhelm, „gar. viel Unterſchied - 
Jeder . von denen hat ſein Vermögen 
„Na ſiehſt. Du,“ rief hier Karl dazwiſchen, „jeßt ſtellſt Du 
Felber den Jahrikäanten mit dem Sklavenhalter auf eine Stufe. 
- Freilich, beide arbeiten ſelber nicht3, laſſen andere für ſi< arbeiten 
und führen dabei das jhönjte Leben. Gar viel Unterſchied iſt da . 
wirklich“ nicht.“ 
-„Das möchte ic dod) nicht behaupten, daß da ſo gar kein 
„Der Sklave 
gehört. jeinem Herrn, der nit ihm machen kann, was er will; er 
hat ihn gefauſt wie: ein Stück Vieh. | Aber gerade weil er .den. 
 
 
„Aus meiner Kindheit. - 
m Von Otto Krille. i ortfegung) 
er in wunderliches Doppelleben folgte dieſen Ereigniſſen. Körperlich 
C war ich gezwungen, in einer Welt zu ſein, mit der ich ſeeliſch keine 
Gemeinſchaft mehr hatte. Ganz nachempfinden kann dieſen Zu- 
ſtand nur jemand, der ſelbſt Aehnliches an ſich erfahren. Das gab wohl 
. „eine paſſive Stärke, aber wie ſchädlich ſie wirkte, habe ich erſt ſpäter zu 
erkennen vermocht, als ich ſie verwünſchte und doch nicht von ihr los- 
- Fommen fonnte, im wirklichen Leben, wo ein jeder auf ſeine Tatkraft 
angewieſen iſt. G8 ging mir aber auc< der Bli auf für die ſozialen 
Zuſtände, denen ich eniſtammte. Bitter empfand. ich die Armut der 
Herkunft, die es unmöglich gemacht hatte, mir eine. andere Zukunft zu 
erſchließen. Je unklarer und dunkler mir alles erſchien, was mich in 
meiner zukünftigen Laufbahn erwarten ſollte, um ſo größer wurde eine 
unbeſtimmte Angſt vor dem Leben. Endlich. verlor ich auc< alles Ver- 
trauen zu. mir ſelbſt und wurde äußerſt reizbar. Erhielt ich bei einer 
Arbeit oder Uebung einen Tadel, ſo geſchah es. wie bei den anderen Zög- 
Hierüber konnte ich innerlich ſo auf- 
“ Lingen meiſt in ſchroffem -Tone. 
gebracht werden, daß i< an eine Wiederholung weder Luſt noch Ver- 
trauen fekte. Da8 mußte dann freilich auch die Vorgeſekßten ärgern. 
Oft kam im dann in eine krankhafte Stimmung und weinte mich Abend . 
für Abend in den Schlaf, was ich den Kameraden möglichſt zu verbergen 
ſuchte, weil ih die Shwächlichkeit meiner Haltung wohl erkannte, es 
aber doch die einzige Art war, mich zu erleichtern. Manchmal kam ich 
auch zu verzweifelten Zuſtänden, in denen ich- zu „allerlei Selbſtpeini- 
Das. mag manchem ſonderbar 
gungen griff und gegen mich wütete. 
- "zu wünſchen noch -zu hoffen wagte. 
mit Todesphantaſien beſchäftigt hatte. 
“fchüttete ich ſoviel phos8phorbeſtrichene Streichholzköpfe, “al8 ich hatte 
- befommen fönnen. 
- und aufweichen, um es abends vorm Schlafengehen zu trinken. 
der eigenen Exiſtenz die größte Sünde. 
erſcheinen, Findet aber - feine Erflärung im der Beſchaffenheit der tind- 
lichen Seele und in.dem Umſtande, daß ich in dieſer Zeit weder etwas 
Trübſten Mutes faßte ich endlich 
den Gedanken, aus der Welt zu gehen, nachdem ich mich mehrere Tage 
In einen Trinktopf mit Waſſer 
Den. Nachmittag über ließ ich das Ganze ſtehen 
Jedoch 
hatte in der Freiftunde ein kräftiges Spiel, bei dem mich Freunde aus 
meiner Melancolie aufrüttelten, mich ſchon etwas heiterer geſtimmt, und 
als ich, bereit8 halb j<wankend, das greuliche Gemiſch anſah, da faßie 
mich ein Widerwillen gegen einen ſolchen Tod, und eine halbloc>ende 
Stimme ſagte mir, ein Weilchen weiter zu leben, ſei doc<h ſüßer, und - 
aufgeſchoben ijt nicht aufgehoben, und. was man ſonſt für Ausflüchte 
Findet, um ſilh vor ſich ſelbſt zu rechtfertigen, wenn man einen unan- 
genehmen Entſchluß nicht ausführen will. Da auc< Zweifel über die 
Moralität des Selbſtmordes in meinen Gedanken auftauchten, ſo ergab 
- fich als -einzige .reale Folge aus dieſer Verirrung eine lebhafte DiS8- 
kuſſion mit: meinem Freunde Paul über die Berechtigung des Freitodes, 
.die von feiner -Seite abgeſchloſſen wurde mit der Bemerkung, daß die - 
Dummheit zwär ſchädlich, aber nicht unmoraliſch ſei: 
Hingegen erlangte 
ich als. Frucht meines Nachdenkens die Ginſicht, nur das ſei wahrhaft - 
unmoralijch, was mir oder anderen ſchade, und: ſo ſei die Vernichtung - 
Wie e3- bei ſolhen Disputa- 
tionen üblich war, endete auch dieſe mit einer Verſtimmung, zu deren 
Beſeitigung keiner zuerſt die Hand reichen wollte. Mehrere Wochen 
wurde dann ein. regelrechter Briefverkehr aufre<t erhalten, der von 
meiner Seite vielfach in poetiſcher Form geführt wurde. | |
	        
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