Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

Arbeiter-Jugend | 
 
 
in einem Blatte veröffentlicht, das Herr v. Dietrich in Straß- 
ihren Weg na< Marſeille. Hier kam das Lied dur< die 
Jakobiner*) in Aufnahme, die.es bei einem Parteifeſt am. 25. Juni - 
1792 fangen. Demnächſt ging die berühmte Schar von Marſeiller 
Freiheitsſtreitern nach Paris ab, die hier ſo bedeutenden Anteil. 
an dem revolutionären Sieg de3 40. Auguſt 1792; der Erſtürmung 
der Tuilerien, des königlichen Reſidenzſchloſſes, gehabt hat. Die 
Marſeiller bekamen auf ihren Marſ< dur< Frankreich Einzel- 
abdrucke des Rouget de Lisleſchen Liedes mit. 
Zuli 1792, und ſangen :es wieder am 10. Auguſt. Durch ſie 
wurde das Lied erſt in Pari8 bekannt und al8bald auch allgemein - 
beliebt. Weil die Marſeiller e8 mitgebracht hatten, wurde es 
nun die Hymne der Marſeiller oder einfac< Marſeillaiſe genannt, 
mit dem Namen, der dem Revolutionslied bis heute geblieben - 
iſt. In den nächſten Monaten ſchon trat die Marſeillaiſe mit den 
republikaniſchen Truppen ihren Siege38zug über die franzöſiſche 
Grenze an. - Auf dem Marſc< wie im Kampf hat jie unzählige 
Male ihre-elektriſierende Wirkung auf die Streiter der Revolution 
geübt. Berühmt iſt ein Vorgang in der Schlacht bei Jemappes, 
die am 6. November 1792 die Eroberung Belgiens durc< die 
Franzoſen herbeiführte. - Beim entſcheidenden Bajonettangriff auf - 
das Dorf Cues8me3 ſtellte ſich General Dumouriez**) perſönlich - 
an die Spitze. Er verfiel auf den Gedanken, um die Stimmung 
der eben erſt zurü&geworfenen Regimenter zu heben, die Marſeil- 
laiſe anzuſtimmen. Zehntauſend Stimmen fielen ein, und unter 
 
den - begeiſternden Klängen des revolutionären Sturmmarſc<e3. 
nahmen die -Republikaner die öſterreichiſche Stellung, um kurz 
darauf in die belgiſche Hauptſtadt einzuziehen. EU 
= . 
- Nah Deutſchland brachten die Truppen Cuſtines bei ihrem - 
Vorſtoß gegen Mainz im Oktober 1792 die Marſeillaiſe mit. Als 
'die Mainzer Republikaner den erſten deutſchen Freiheitsbaum .. mo zu ' do nmöe. ven vor mid) 
- heimatlichfromme Melodie, z. B. Heil Dir im Siegerkranz oder. 
"pflanzten, da ſpielte die Muſik die Marſeillaiſe. - Sie erklang 
hier auch im Sommer 1793 unter ganz anderen Umſtänden, als 
die Republikaner noch langer Belagerung Mainz den Verbündeten. 
übergeben mußten. Freien Abzug batten ſie dur<geſjekt. - Unter 
den Zuſchauern des Ausmarſches war auch Goethe. Ihm fiel 
dabei als die merkwürdigſte Erſcheinung das Anrücken der Jäger. 
zu Pferde auf. „Sie waren ganz ſtill bis gegen uns herangezogen, - 
als ihre Muſik den Marſeiller Marſch anſtimmte. Dieſes revolu- | 
tionäre Te Deum hat ohnehin etwas Trauriges, Ahnungsvolles, . 
wenn e8 au< noh ſo mutig vorgetragen wird; die8smal. aber. 
nahmen. ſie das Tompo ganz langjam, dem ſchleichenden Schritt 
gemäß, den- ſie ritten. . Es war ergreifend und fur<tbar und ein 
ernſter Anbli>, als die Reibenden, lange, hagere Männer, von 
„gewiſſen Jahren, die Miene gleichfalls jenen Tönen gemäß, heran- 
„rückten.“ 
- "Wie im äußeren Krieg, ſo hat auc< als8bald in den inneren 
Kämpfen der Revolution3zeit die Marſeillaiſe eine große Rolle 
geſpielt, die Demokratie durc< alle Wechſelfälle der großen: Um- / 
wälzung begleitet. . Als, mit dem Tode Robespierre8***) die deimo- 
Frafiſche Zeit zu Ende ging, die Maſtbürgerrepublik begann, da 
war den beſikenden Klaſſen das Jakobinerlied* ein Gräuel. - Die 
« 
Volkes“... Es kam in den Straßen damal3 zu förmlichen Demon- 
ſtrationen und Gegendemonſtrationen durc< Abſingen der beiden 
Kieder, de8 revolutionären und des reaktionären. Und als dann 
zum erſtenmal in der Revolution ſozialiſtiſche Beſtrebungen her- 
vortraten, da wirkte wiederum Nouget de Kis8les8 Lied mit. Bei -. 
-dem Rrozeß in Vendöme ſangen. die Sozialiſten, die mit Babeuf 
wegen der Verſchwörung für die Gleichheit 1797 vor dem Staat3-. 
gericht ſtanden, in jeder Sißung die Marſeillaiſe. “ 
Republikaner geweſen und dadurc< in Schwierigkeiten geraten, 
weil er anfänglich, gleich ſeinem Freunde Dietrich, gegen die 
entſchiedene Revolution Stellung nahm. Er wurde de8halb noh 
im Auguſt 1792 ſeine3 Poſtens enthoben, nach ein paar Monaten 
zwar wieder in Dienſt geſtellt, äber im folgenden Jahr als politiſch 
verdächtig geraume Zeit in Haft gehalten. In die Freiheit zurüc- 
- gefehrt, zog .er wieder für die Republik zu Felde. Er half die 
revolutionäre Sache an den Küſten der Bretagne verteidigen, als - 
die Emigranten 1795 in Quiberon landeten. Bei dieſen gFeämpfen. 
is zum . 
wurde er dur< eine Kartätſchenkugel verwundet. 
Bataillons<ef avanciert, nahm er feinen Abſchied und ſchlug ſich 
19) Mitglieder des über das ganze revolutionäre Frankreich ver- 
breiteten Klub8, der auf den Gang der großen Revolution den ent- v 
ſcheidendſten Einfluß ausgeübt hat. Der Pariſer Stammklub tägte- 
in einem Jakobinerkloſter, daher die Bezeichnung des Klubs. | 
- * **) ſpriß Dümurieh, vierſilbig. .. 
XxX) ſprich Robspiär (berühmter Führer der Jakobiner). 
des. Sie jangen es. 
„unterwegs, ſie ſangen e8 auc< bei ihrem Einzug in Pari8, Ende - 
«goldene Jugend ſang ein reaktionäres Lied, das „Erwachen des“ 
- Während fie alſo ſogleich der Schlachtgeſang der Republikaner 
geworden war, war Rouget de Lisle ſelber zunächſt noc< nicht “ ſchaftisvorſtäriden widmete dieſem neuen Zweig der modernen Arbeiter- 
bewegung ſeine volle Aufmerkſamkeit. Jugendausſc<hüſſe wurden überall 
gegründet, fo in Delmenhorſt, Brake, Emden, Leer, Oldenburg, Norden. 
ß- ſeitdem auf verſchiedene Arten durc<s Leben. Auch literariſch und - 
burg berau8gab. Durch dieſe Zeitung fanden Text und Weiſe . 
muſikaliſ< hat er wieder gearbeitet, aber niht mit dem Erfolg, 
der ſeinem Straßburger Meiſterwerk beſchieden geweſen iſt. Seine 
anderen Erzeugniſſe halten auch keinen Vergleich mit der Mar- 
ſeillaiſe aus. . In ſeinen ſpäteren Jahren war der Marſeillaiſe- 
„dichter nicht auf Roſen gebettet. Seine materielle Lage war lange 
Zeit ſehr traurig, zeitweilig ſo. traurig, daß er ſogar mit dem - 
Schuldgefängnis Bekanntſ<aft machte. Etwas beſſer ging es 
ihm erſt von 1830 ab, al38 ihm nach der Julirevolution der Bürger- 
könig Louis Philipp, um auch einmal etwas Populäres zu tun, 
-eine -Penſion au8warf. So verbrachte der alte Mann ſeine lekien - 
Jahre ſorgenfrei in. einer kleinen Stadt in der Nähe von- Paris, 
in der er am 26. Juni- 1836 im Alter von 76 Jahren ſtarb. 
Im Jahre 1892, zum hundertjährigen Gedenktag der Ent- 
ſtehung der Marſeillaiſe, wurde dem Dichter. und Komponiſten 
des Revolutions8liedes in ſeinem Sterbeort ein Bronzeſtandbild. 
-geſebt. Er ſelber hat ſi< in. den Worten und mehr noc< in der 
Melodie der Marſeillaiſe ein Denkmal geſetzt, dauernder als Erz. 
Zwar in der der Revolution folgenden Epoche de38. politiſchen 
Niedergangs ſchien die Revolutionshymne vergeſſen. In Wirk- 
lichkeit war ſie.bloß von den herrſchenden Gewalten verpönt. Die 
Julirevolution von 1830 brachte ſie wieder in der Freiheitskämpfer 
Mund, und als 1848 die Julimonarchie zuſammenbrach, da ertönte 
wieder „überall die begeiſternde Melodie Rouget de Lisles. 
'Seinri< Heine beginnt ſeinen Pariſer Brief vom 3. März - 
1848 über die Ereigniſſe der revolutionären Februartage mit einer 
Entſchuldigung ſeines verſpäteten Schreibens: der Kopf ſei ihm 
"ganz betäubt durc< das beſtändige Getrommel, Schießen und 
-Marſeillaiſeſingen. „Lektere, das unaufhörliche Lied, ſprengte - 
mir faſt das Gehirn, und a<h! das ſtaat8gefährlichſte . Gedanken- 
geſindel, das ich dort ſeit Jahren eingekerkert hielt, brach wieder 
hervor. Um den Aufruhr, der in meinem Gemüt entſtand, einiger- . 
maßen zu ' dämpfen, ſummte ich zuweilen vor mich hin irgendeine 
Veb' Du nur. Treu und Redlichkeit =“ vergeben38, der welſche 
Teufel8geſang übertönte in. mir .alle beſſeren Laute. I< fürchte, 
die dämoniſchen Freveltöne werden in Bälde auch Euch zu Ohren 
kommen und Ihr werdet ebenfall3 ihre verlo&ende Macht erfahren. - 
von Hameln pfiff.“ | SEEESEIESSEN (SUE 
- Der verführeriſche Sang erſcholl in der. Tat ſchon in eben 
den Tagen auf deutſchem Boden. Wenigſtens in Koln. am Rhein 
So ungefähr muß das Lied geklungen haben, das der Rattenfänger | 
„ielte und fang man in den Kaffeehäuſern das verrufene“ Lied, . 
- jo jehr fic auc< die Herren vom Militär und von der Bureau- 
Fratie darüber ärgerten. Sie ärgern ſich auch heute noch darüber. 
Sie können e38 aber nicht ändern, daß Millionen von Deutſchen 
- der revolutionären Weiſe vor Melodien, die höheren Orts be- 
liebter ſind, den Vorzug geben. Wir ſingen das. Lied freilich nicht . 
„mit den Worten Rouget de Li8les. Während dieſe in Frankreich 
die offizielle Nationalhymne der bürgerlichen Republik geworden 
find, jingen die deuticen Sozialiſten eine Arbeitermarſeillaiſe, - 
deren Text von Audorf herrührt. Die Melodie -aber iſt die alte, 
 
 
 
 
 
 
iſt Rouget de Lisle unſterbliches Wer. / A. Conrady. 
58 Ne Aus der Jugendbewegung | |et81 8) 
 
 
- Die Jugendbewegung in Oldenburg und Oſtfriesland. = -/ 
: Aus Batiit wird uns geſhrieben u un 
M3 der Parteitag in Nürnberg und der Gewerkſchaftskongreß in 
Hamburg die Richtlinien feſtgelegt Jatten, nac< welchen fortan die 
Aufklärung und Bildung der proletariſchen Jugend geſchehen ſolle, be- 
mühten fi< auch unſere in Betracht kommenden . Körperſchaften, dieſe 
Beſchlüſſe in« die Tat umzuſeßen. Das LandeSparteiſekretariat im 
Verein mit dem Landesvorſtand, den öttlihen Partei- und : Gewerk- 
. “Einer Anregung de38 Landesparteiſekretariats entſprechend, fand 
dann im Anſchluß an den Landesparteitag, der am 2. Auguſt in Olden- 
burg togte, eine Konferenz dieſer Ausſchüſſe ſtatt. -Die Konfereng machte 
ſich die Winke und Ratſchläge unſerer Zentralſtelle für die arbeitende 
Jugend Deutſchlands zu eigen. Es gab ſich der einmütige Wille kund, 
alles zu verſuchen, um die proletariſche Jugend in. Oldenburg-Oſtfries- 
land ebenfalls mehr wie bisher im Geiſte der mypdernen Arbeiter- 
bewegung zu bilden und zu ezziekhemn-- - .----- Dim 
- Erfreulicherweiſe folgte den Worten die Tat! Die eingezogenen 
Berichte aus . den einzelnen Orten, -in denen Jugendausſchüſſe be- 
ſtehen, zeigen troß vieler und großer Schwierigkeiten deutlichen Fort«- 
ſchritt und ſchöne Früchte... 
.'Auch lokale Jugendorganiſationen. unpolitiſchen Charakter8 wurden 
an vielen Orten ins Leben gerufen. Den Anfang machte der Vorort 
unſere3 weiten Agitations8gebiet8? Rüſtringen-Wilhelms- 
haven. Nachdem im Februar 1909 ein Familienabend ſtattgefunden, 
„der den Zwe hatte, die Arbeitereltern mit Der Jugendbewegung be-
	        
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