Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

Arbeiter-Jugend 
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meine Abſicht, au ihn zu ſchreiben. Vor dem ECEintreſſen ſeiner 
vintwort fann ich nirgends hinreifen.“ 
„Wir haben auch keinen ſehnlicheren Wunſch, als daß Sie 
der Straße folgen, für die Sie ſich ſelber entſcheiden, aber wir 
ind nicht bevollmächtigt, Ihre Briefe nach Lhaja zu befördern; 
darüber entſcheidet allein der Gouverneur. Er iſt c8 alſo, mit 
dan Sie unterhandeln müſſen; Sie müſſen perſsilich mit ihm 
zuſammentreffen. Daher begeben wir uns 
wurde, einen ausführlichen Brief an den Statthalier von Safa, 
des Inhalts, daß ich derſelbe Hedin Sahib fei, der im vorigen 
Jahre hier acweien fei, daß wir ohne böſe Worte und in aller 
Jreundſc<haft beichlofen hätten, zuſammen nach Semofu zu ziehen, 
daB ich nicht nach Ladaf, jondern direkt nach Indien reiſen wolle 
und daß mir Lie Darin beſtimmen könne, auf welchem Wege dies 
zu geſchehen habe. Der Brief wurde verſiegelt und mit einent 
reitenden Kurier abgeſchickt. Dann plauderten 
 
morgen gemeinſchaftlich naß Saka-dſong. . 
„Fein, mein Herr, überall hin, aber nicht 
nad) Saka-dſong! Sie wiſſen, daß mein Kara- 
wanenführer dort ſtarb und dort begraben 
iegt. Es widerſtreitet meinen Grundſägten, 
einen Ort zu beſuchen, wo ich einen treuen 
Diener habe begraben müſſen. Nach Saka- 
diong bringen Sie mich nicht, auch wenn Sie 
ganz Tibet aufbieten.“ 
„Wenn es Ihnen ſchmerzlich iſt, Saka- 
diong wiederzuſehen, werden wir gewiß nicht 
darauf beſtehen. Wollen Sie ſtatt deſſen die 
wüte haben, uns nach Semoku am Tjangpo 
auf der Taſam 311 folgen, das wir in nur zwei 
Tagereiſen nach Südweſten erreichen können ? 
Zh werde an den Gouverneur ſchreiben und 
ihn bitten, dort mit Jhnen zuſammenzutreſſen.“ 
„Gut, ich werde morgen mit Jhnen nach 
<Zemotu ziehen.“ 
„Danke. Jc<h werde den Gouverneur glei 
dur< einen Eilboten unterrichten, damit Sie 
nicht in- Semofku zu warten brauchen. Aber 
jagen Sie mir, weShalb ſind Sie eigentlich 
 
 
und ſcherzten wir wieder miteinander, und noch . 
che die Sonne unterging, waren wir 19 intim, 
als ſeien wir ſchon von der Kinderzeit her be- 
freundet. ECS war, al3 hätten wir in diejem öden 
Tal ein Rendezvous verabredet und freuten 
uns jekt, einander nicht verfehlt zu haben! 
Daß die Tibeter vergnügt waren, it 
leicht beareiflih. Sie hatten ja, als dieie 
ſelbe Sonne aufging, nicht ahnen können, daß 
ſie no< vor Abend einen io guten Fang 
niachen würden! Der glückliche Ausgang ihrer 
VDeiſſion fonnte ihnen nur Borteil bringen; 
ſic würden vom Gouverncur gelobt und im 
Nang befördert werden. Aber auch ic emp- 
fand ungeteilte Freude. Meine Freiheit war 
freilich zu Ende, aber in Wirklichkeit war jie 
ja nur eine außerordentlich nervenzerrüttende 
Gefangenſ<aft geweſen. Jett erſt fühlte 1ch 
mich vollfommen frei und nicht mehr als Ge- 
fangener in meinem eigenen Zelt; jene jämmer- 
liche Geheimzellein Abdulsterims Zelt brauchte ich 
nun nicht mehr zu benugen. Die Tibeter lachten 
herzl ih über meinen zerlumpten, beriußten 
 
 
wiedergekommen? Sic reiſen und reiſen in 
Tibet umher, werden ſtets ausgewieſen und 
fommen immer wieder? HSaben Sie im 
vorigen Jahre, als Sie gezwungen wurden, das Land auf dem 
"Wege nach Ladak zu verlaſſen, denn noc: nicht genug davon be- 
fommen? Und nun tauchen Sie wieder mitten unter uns auf! 
Wie HFt denn das nur möglich, und weShalb fommen Sie 
eigentlich?“ 
„Weil ih Jhr Land und Ihr freundliches Volk ſo ſchr liebe, 
daß ich ohne ſie nicht mehr leben 
fann.“ > - 
„Hm! E3 iſt ſehr freundlid) .- - | 
von Ihnen, ſo zu ſprechen; aber 
wäre es nicht beſſer, wenn Sie 
ſiatt deſſen Jhr eigene8 Land 
cin wenig mehr liebten? Solange 
wir keine Reiſen in Jhrem Lande 
machen, brauchen Sie auch unſeres 
nicht zu durchreiſen. Wir bleiben 
daheim; bleiben au) Si e zu Hauſe, 
das iſt das beſte, was Sie tun 
fönnen!“ 
' „Solange wie ic noch in einem 
Sattel ſien fann, werde id) 
immerwiederkommen!SCie 
fönnen es dem Devaſchung ruhig 
nit einem Gruß von mir beſtellen, 
daß die hohen Herrſchaften ſich auf 
neue Beſuche von mir gefaßt machen 
möchten.“ 
"Sie lachten vergnügt und 
ueten einander an, als wollten 
jiv ſagen: wenn er wiederkommen 
will, unferetivegen mag er es gern 
nia. Und meine Ladakis lachten 
*benfaſSs und waren jehr cxr- 
iaunt, daß unſer leßter Freiheits- 
ig ſo friedlih und ſo Unſtig 
 
 
 
 
«ndekfe. Die Tibeter waren die ganze Zeit außerordentlich liebens. 
würdig, höflich und gefügig und ſagten kein einziges hartes Work 
über die Mühe, die ih ihnen ſchon wieder. verurſachte. Al3 die 
Rode auf die Wollgeſchichte kam, die Abdul Kerim ihnen vorher 
woigzumachen verſucht hatte, lachten ſie erſt rec<t herzlich und 
erflärten ſie für einen guten Einfall. Sie ſind jelber jo an 
Flauſen gewöhnt, daß e8 ihnen imponiert, wenn ein anderer ſie 
nit Erfolg hinter38 Licht führt. Sie fanden es auch hö<hſt wunder- 
bar, daß wir das ganze Land hatten: dur<ziehen können, ohne 
entdeckt zu werder und glaubten, daß ich über geheime Kräfte ge- 
biete, um deretwillen man mit mir vorſichtig umgehen müjje! 
Nun ſ<hrieb der junge Beamte, der Rintſche Dortſche hicß, 
aber Rindor =-- eine Zuſammenziehung beider Namen = genannt 
Lobſang, einer der kreuen Diener Hedins. 
und fettigen Anzug von grober grauer Sacklein- 
wand, in dem ich wie ein Sträfling, im beſten 
Jall wie ein Bettelmön< des Orden5 der Kap1- 
ziner ausſah. Daß ich darin unbemerkt und unentdeckt dur< ganz 
Bongaba hatte kommen fönnen, war ihnen aber verttändlich. Wie 
ichön war es jeßt, den ganzen Anzug ins. Feuer werfen und einen 
neuen fauberen tibetiſchen anlegen zu können, die Papiere und 
Nnſirumente nicht länger in ReisSfſäden vertteden und fich nicht 
jeden Morgen das Geſicht, anſtatt zu waſchen, mohrenſchwarz an- 
tuſchen zu müſſen! Cobald wir uns 
 
 
 
Suän, der „DBergnügungsrat“ der Karawane Hedins, tanzend. 
am Abend von unſeren neuen 
Zreunden getrennt hatten, mußte 
mir Gulan in einer Waſchi<hünel 
heißes Waſier bringen. Und nun 
folgte in meinem Zelt eine 1chr . 
gründlihe Waſchung vom Kopf 
bis zum Fuße = und man 1ah 
es am Watfier, wie nötig dieſe 
Waſ<hung war! Viermal mußte 
Gulan friſches heißes Waſer bringen, 
che ich mich wieder einigermaßen 
rein fühlte. 
So endete der 24. April 1908. 
Eigentümliche, melandoliſc<e Ge- 
danfen ſfürmien auf mich oin, 
als ic) mich ſIhlafen legie. Schon 
wieder hatten die Tibeter meine 
Pläne durchkreuzt = i< weiß 
ni<t, zum wievielten Vale! 
Meine Zukunft war 1o dunkel wie 
nur je zuvor! Aber in meinem 
Sci>ſal begann jetzt eine neue 
Periode; am 25. ſol ich zu einem 
neuen Kapitel erwachen. Das im 
Tal herrſchende tiefe Schweigen 
wurde nur dann und wann durd) 
Vakkar unterbrochen, welcher treu 
SEESEN . vor meiner Tür ſtand und die 
Tibeter anbellte. Sein Bellen erwe>te das Eho beider Bergwäande 
 
=. es flang, als ob mich drei Hunde bewachten. Und die ewigen 
Sterne funkelten wie früher über unſeren einfamen Zeiten. 
=> 
= Barum und wie ſollen wir Deutſch lernen? 
ichtig deitſich zu ſprechen und zu ſchreiben verſteht vielleicht 
FÜ dor zwanzigſte Teil unſeres Volkes. Es kommen alfo auf 
VF ST oden Deutſchen, der ſeine Mutterſprache wirklich veherrſcht, 
neunzehn, die mit ihr beſtändig im Kampfe liegen. Gewiß iſt 
nicht alle3, was dieſe neunzehn Zwanzigſtel jagen oder ſ<reiben, 
fehlerhaft oder falſch; gewiß gibt e8 innerhalb diejer Veberzahl
	        
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