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Gründe“ fein müſſen, wenn fie die Eltern beivegen, ihr es Katte der Bauer Mittag gegeſien, fo legte er ſich zur beſjore
in oft ſehr zartem Alter meilenweit von ſich zu lafien, 1<ußlos Verdauung auf ein Stündchen hinter der fühlen Weide hin. Zir
der Willkür unverſtändiger, manchmal ſogar brutaler „Dienſt- mich war dieſer Luxus überflüſſig. Sowie ich gegeſſen Hatte,
berren“ preizgegeben.
I< glaube nicht, daß ich einen beſonvors ſchlechten „Herrn“
hatte, obwohl or mich oft verprügelte, obne daß ic mir eines Ver-
gehens8 bewußt war. Er mag nach dem alten mecdlenburgiſchen
Grundiaß gehandelt haben, daß man die Hütejungen für allen
Unfug, den ſie auszuüben imſtande ſind, pränumerando ſtrafen
müßſlc. vevenfalls hatte das Dorf noc< ganz anverc GEremplarc
aufzuweiſen. Da er aud nicht verpflichtet war, mich zu lieben,
jo mußte 14) mit dem zufrieden jein, was er mir bot. Zum
übrigen konnte iß der Natur dankbar ein, daß ſie mir ein
autes Anpaminagzv orinögen mit auf den Lebensweg agegeben hattc.
Weniac Wochen aenügten, und ich war gegen den Geruch des
Pferdeſtalles, in dom. ich
Ichliec?, wie gegen ven ſtarren-
den Schmut, der uns umgab,
abgeſtumpft, fand auch nichts
darin, täglich um 4 Uhr auf-
zuſtehen, den Stall zu reinigen,
Stroh und Saler für das
Bieh heranzuſchleppen und
vergleichen mehr, obwohl dieje
Arbeit meinen Körper dUrh-
aus nicht angenteſſen war 1und
mich, wenigiten3 in der erſten
Zeit, oft überwältigte. Do)
was halfs! Dor Baner hatte
ein Ne dt, für ſeine 12 Taler
jährlich auch Arbeit zu ver-
langen. Konnte er dafür, daß
ic) ſ<wächer war als mein
Vorgänger im Dienſt? Der
hatte alle Arbeiten geleiſtet
und auch nicht mehr Lohn be-
kommen. SCdlicklich lag es
ja, jeiner Vecinung nach, nur
an dem Mangel an gutem
Willen, und den würde er mir
ſchon austreiben. Und cr tats
nach Kräften. -- Es war mir
eine Erholung, wenn ich end-
ih, müde und abgeheßt zur
Echulegehen durfte. Lernte man
auch wenig, ſo konnte man ſich
doch ausrujen, und das war
vorerſt das wichtigſte. Jh
bewundere dice heldenmütige
Ansdauer, die unfer armer
Lehrer in Kampfe mit unſerer
fampffinnigen Schlafmüßigkeit
unter den denfbar mißlichſten
Umjtänden entwicfelte. Stand
ihm doch nur eine Klaſſe
für alle Altersſtufen bei einer
Unterricht3zeit von 24 Stun-
den täglih zur Verfügung!
Dazu kam, daß während des
Sommers die Schule „im
Intereſſe ver Landwirtſchaft“
woch2nlang ſeierte Al8 ic
einſtmals den Borſud) machte,
ein Buch, das mir der Lehrer gelichen hatte, hemnnlich auf dein
Gele zu leſen, erwiſchte mich der Bauer dabei und mit den Worten:
„C Krofeſ Nor brut ic nich,“ verbaute er mich dermaßen, daß ic)
ol zeitlebens ein Grauen vor der geſamten in- und auslän-
diſchen Literatur zurückbehalten werde. Kein Wunder, daß fich
unter folchen Umſtänden meine in der Schule erworbei en & nt
nine auf cnoas Leſen umd Schreiben beſchränkten.
Kam ich aus der Schule, ſo gab mir die Bäuerin den Ranzen,
in welchem 1ich meim zrühbſtük, eine Delſchmalzſtulle nebſt einem
Stückchen Speck oder einer ſauren Gurke befand War ſie gnädi“u,
ſo qab3 noch einen Apfel odor ſonſt etwas. So trieb ich nun
neine Herde, beſtehend aus Gühen nd Schafen, zu Felde. Wer
aber glaubt, daß mir jekt ein idylliſches Schäferleben winkte, der
irrt jich jehr, denn während dit Herde grafte, breitete ich Dun,
las Kartoffein hinter dem Pflug, chte Steine pom Acker, „ kurs,
ich machte mich auf jede Art nützlich. Dazu brannte die Sonne
oder der Wind pfiff nur dur meine ewig zerriſionen Hoſen.
Ums tägliche Brot.
gings wieder an die Arbeit, denn meine Herde konnte doch nicht
ohne Aufficht bleiben. War die Soune untergegangen, 10 zogen
wir endlich heim. Nun mußten die Kühe getränkt und dic Pferde
aefültert werden, Kartoffeln wurden geſchält, Rüben geſtampft
und endlich Fro man müde ins Bett.
So verfloß der Sommer in eintöniger Arbeit, nur unter:
brochen von den Erntewochen. Da gings ausnahmsweiſe hei?
her. Die Schule wurde ge Ichloſſen und von Sonnenaufgang vis
SZonnenuntergang war man in einemfort im Geſchirr, kaum daf
man Zett hatte, fich fatt zu eſſen. Das3 Korn mußte gebunden und
in Wandeln geftellt werden. Dann wurde eingefahren, und ich
mußte im Scheinenfach packen. Nun, 1ch bin gewiß foin ver-
zogenes Mutterſöhnehen go-
weſen, aber in diefer ſchveren
Zeit habe ich doh manch
Träne geweint. Aber auch dio
Getreideernte verging wd ibr
folgte die Kartoffelernte. Du
ging38 ſchon bedeutend beſſer.
Veran bekam doch wenigſten
ab und zu ein Lob, wenn mann
rec<t fleißig geweſen war, uns
das war immerhin eiwas3. Abe:
es wurde täglich fälter umd
mid) fror jämmerlich) in meine:
ſchlechten Lumpen. Das mocht:
ſchließlich auc) dem Bauer leid
getan haben, denn obwohl ic
fontraktlich nur auf eine Ernic-
hoſe Anſpruch hatte, ſchenkte -.
mir zu meinem Geburtstag:
einen kompletten Anzug, der
ja gerade nicht beſonders koſ:-
bar war, für mich aber ein
wahres Prachtgewand darſtellte.
Zugleich kündigte er mir ai:,
daß ich, falls ich für das nächſt:
Jahr bei ihm bliebe, 14 Talor
Lohn haben ſollte. ÜUeber-
wältigt von ſoviel Großmu:t
und Herzen38güte ſagte ich 31:,
und jo war ich auch für cin
zweiies Jahr verkauft. Späte!
fam mir allerdings der Bor
vacht, daß der Bauer mehr
aug Bere<hnung, als au:
gutem Herzen gehandelt habt.
wenigſtens ſah ich, daß c-
ſich nach Kräften bemühtr,
das Geſchenk wieder aus
mir herauszuſchlagen. Menn.
Bitte, die Cltern beſuche:
zu dürfen, wurde wohl de<-
halb abgeſchlagen, weil moin
„Herr“ fürchtete, ich könnt:
Heimweh bekommen, und 12
blieb mein einziger Weit
nachtswunſc<h unerfüllt. Mar:
kann ja ſchließlich von feinc1:
Arbeitgeber fein Weitgefür:
verlangen, aber ich finde doch, daß es etwas hart war, einer.
zwolf jährigen Kinde den Beiuch der Gltern zu verweigert, di
es faſt ein Jahr nicht geſehen hatte. I< bin ſeitdem vom TSchiciai
arg mitgenommen worden, aber traurigere Tage habe ich nicht
dur<gemadct, als jene Weihnachten im Jahre 1892. Den Elter?
ſchrieb ich allerdings derartige Dinge nicht, weil ich fürchtete, da"
dex Bauer mich ſchlagen würde, wenn cer es erführe. Alſo hie",
es geduldig tragen, was mir beſchieden War. --
Tdh breche ab, da ich glaube, mit vorſtehendem die elende L
eines märkiſchen Stitojungen genügend beleuchtet zu haben. Ma
cs munden beſfer gehen, fo qibt es doch auc< ſicher viele, dene:
es bedeutend ſchlechter geht. Was ſoll aber aus dem Geſchlecht wer
den, das unter ſolchen Verhältniſſen heranwächſt? Muß es nic
in Stuumpffinn ind Knechtſeligfeit vahinvogetieren? Wo iſt dc“
Staat, wo ſind die Hehörden, die derartige Kinderausbeutu ?
verbieten? Leider ſcHeint in Preußen wider die Agrarier kei:
Kraut zu wachſen.
Verantwortlich für die giedattion: Kar! zorn, =
%.
Vorlag: Fr. Eb ort (2 Zentratſtele ür die die arbeitende Jugend Deutſchlands). = Druc: Vorwärts
anſtalt Paul Singer & 8.
Buchdruckerei u, Verlags:
Sämtlich in Borlitt.