Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

 
 
 
 
156 <“lrbeiter- Zugend 
Gründe“ fein müſſen, wenn fie die Eltern beivegen, ihr es Katte der Bauer Mittag gegeſien, fo legte er ſich zur beſjore 
in oft ſehr zartem Alter meilenweit von ſich zu lafien, 1<ußlos Verdauung auf ein Stündchen hinter der fühlen Weide hin. Zir 
der Willkür unverſtändiger, manchmal ſogar brutaler „Dienſt- mich war dieſer Luxus überflüſſig. Sowie ich gegeſſen Hatte, 
berren“ preizgegeben. 
I< glaube nicht, daß ich einen beſonvors ſchlechten „Herrn“ 
hatte, obwohl or mich oft verprügelte, obne daß ic mir eines Ver- 
gehens8 bewußt war. Er mag nach dem alten mecdlenburgiſchen 
Grundiaß gehandelt haben, daß man die Hütejungen für allen 
Unfug, den ſie auszuüben imſtande ſind, pränumerando ſtrafen 
müßſlc. vevenfalls hatte das Dorf noc< ganz anverc GEremplarc 
aufzuweiſen. Da er aud nicht verpflichtet war, mich zu lieben, 
jo mußte 14) mit dem zufrieden jein, was er mir bot. Zum 
übrigen konnte iß der Natur dankbar ein, daß ſie mir ein 
autes Anpaminagzv orinögen mit auf den Lebensweg agegeben hattc. 
Weniac Wochen aenügten, und ich war gegen den Geruch des 
Pferdeſtalles, in dom. ich 
Ichliec?, wie gegen ven ſtarren- 
den Schmut, der uns umgab, 
abgeſtumpft, fand auch nichts 
darin, täglich um 4 Uhr auf- 
zuſtehen, den Stall zu reinigen, 
Stroh und Saler für das 
Bieh heranzuſchleppen und 
vergleichen mehr, obwohl dieje 
Arbeit meinen Körper dUrh- 
aus nicht angenteſſen war 1und 
mich, wenigiten3 in der erſten 
Zeit, oft überwältigte. Do) 
was halfs! Dor Baner hatte 
ein Ne dt, für ſeine 12 Taler 
jährlich auch Arbeit zu ver- 
langen. Konnte er dafür, daß 
ic) ſ<wächer war als mein 
Vorgänger im Dienſt? Der 
hatte alle Arbeiten geleiſtet 
und auch nicht mehr Lohn be- 
kommen. SCdlicklich lag es 
ja, jeiner Vecinung nach, nur 
an dem Mangel an gutem 
Willen, und den würde er mir 
ſchon austreiben. Und cr tats 
nach Kräften. -- Es war mir 
eine Erholung, wenn ich end- 
ih, müde und abgeheßt zur 
Echulegehen durfte. Lernte man 
auch wenig, ſo konnte man ſich 
doch ausrujen, und das war 
vorerſt das wichtigſte. Jh 
bewundere dice heldenmütige 
Ansdauer, die unfer armer 
Lehrer in Kampfe mit unſerer 
fampffinnigen Schlafmüßigkeit 
unter den denfbar mißlichſten 
Umjtänden entwicfelte. Stand 
ihm doch nur eine Klaſſe 
für alle Altersſtufen bei einer 
Unterricht3zeit von 24 Stun- 
den täglih zur Verfügung! 
Dazu kam, daß während des 
Sommers die Schule „im 
Intereſſe ver Landwirtſchaft“ 
woch2nlang ſeierte Al8 ic 
einſtmals den Borſud) machte, 
ein Buch, das mir der Lehrer gelichen hatte, hemnnlich auf dein 
Gele zu leſen, erwiſchte mich der Bauer dabei und mit den Worten: 
„C Krofeſ Nor brut ic nich,“ verbaute er mich dermaßen, daß ic) 
ol zeitlebens ein Grauen vor der geſamten in- und auslän- 
diſchen Literatur zurückbehalten werde. Kein Wunder, daß fich 
unter folchen Umſtänden meine in der Schule erworbei en & nt 
nine auf cnoas Leſen umd Schreiben beſchränkten. 
Kam ich aus der Schule, ſo gab mir die Bäuerin den Ranzen, 
in welchem 1ich meim zrühbſtük, eine Delſchmalzſtulle nebſt einem 
Stückchen Speck oder einer ſauren Gurke befand War ſie gnädi“u, 
ſo qab3 noch einen Apfel odor ſonſt etwas. So trieb ich nun 
neine Herde, beſtehend aus Gühen nd Schafen, zu Felde. Wer 
aber glaubt, daß mir jekt ein idylliſches Schäferleben winkte, der 
irrt jich jehr, denn während dit Herde grafte, breitete ich Dun, 
las Kartoffein hinter dem Pflug, chte Steine pom Acker, „ kurs, 
ich machte mich auf jede Art nützlich. Dazu brannte die Sonne 
oder der Wind pfiff nur dur meine ewig zerriſionen Hoſen. 
 
 
 
Ums tägliche Brot. 
gings wieder an die Arbeit, denn meine Herde konnte doch nicht 
ohne Aufficht bleiben. War die Soune untergegangen, 10 zogen 
wir endlich heim. Nun mußten die Kühe getränkt und dic Pferde 
aefültert werden, Kartoffeln wurden geſchält, Rüben geſtampft 
und endlich Fro man müde ins Bett. 
So verfloß der Sommer in eintöniger Arbeit, nur unter: 
brochen von den Erntewochen. Da gings ausnahmsweiſe hei? 
her. Die Schule wurde ge Ichloſſen und von Sonnenaufgang vis 
SZonnenuntergang war man in einemfort im Geſchirr, kaum daf 
man Zett hatte, fich fatt zu eſſen. Das3 Korn mußte gebunden und 
in Wandeln geftellt werden. Dann wurde eingefahren, und ich 
mußte im Scheinenfach packen. Nun, 1ch bin gewiß foin ver- 
zogenes Mutterſöhnehen go- 
weſen, aber in diefer ſchveren 
Zeit habe ich doh manch 
Träne geweint. Aber auch dio 
Getreideernte verging wd ibr 
folgte die Kartoffelernte. Du 
ging38 ſchon bedeutend beſſer. 
Veran bekam doch wenigſten 
ab und zu ein Lob, wenn mann 
rec<t fleißig geweſen war, uns 
das war immerhin eiwas3. Abe: 
es wurde täglich fälter umd 
mid) fror jämmerlich) in meine: 
ſchlechten Lumpen. Das mocht: 
ſchließlich auc) dem Bauer leid 
getan haben, denn obwohl ic 
fontraktlich nur auf eine Ernic- 
hoſe Anſpruch hatte, ſchenkte -. 
mir zu meinem Geburtstag: 
einen kompletten Anzug, der 
ja gerade nicht beſonders koſ:- 
bar war, für mich aber ein 
wahres Prachtgewand darſtellte. 
Zugleich kündigte er mir ai:, 
daß ich, falls ich für das nächſt: 
Jahr bei ihm bliebe, 14 Talor 
Lohn haben ſollte. ÜUeber- 
wältigt von ſoviel Großmu:t 
und Herzen38güte ſagte ich 31:, 
und jo war ich auch für cin 
zweiies Jahr verkauft. Späte! 
fam mir allerdings der Bor 
vacht, daß der Bauer mehr 
aug Bere<hnung, als au: 
gutem Herzen gehandelt habt. 
wenigſtens ſah ich, daß c- 
ſich nach Kräften bemühtr, 
das Geſchenk wieder aus 
mir herauszuſchlagen. Menn. 
Bitte, die Cltern beſuche: 
zu dürfen, wurde wohl de<- 
halb abgeſchlagen, weil moin 
„Herr“ fürchtete, ich könnt: 
Heimweh bekommen, und 12 
blieb mein einziger Weit 
nachtswunſc<h unerfüllt. Mar: 
kann ja ſchließlich von feinc1: 
Arbeitgeber fein Weitgefür: 
verlangen, aber ich finde doch, daß es etwas hart war, einer. 
zwolf jährigen Kinde den Beiuch der Gltern zu verweigert, di 
es faſt ein Jahr nicht geſehen hatte. I< bin ſeitdem vom TSchiciai 
arg mitgenommen worden, aber traurigere Tage habe ich nicht 
dur<gemadct, als jene Weihnachten im Jahre 1892. Den Elter? 
ſchrieb ich allerdings derartige Dinge nicht, weil ich fürchtete, da" 
dex Bauer mich ſchlagen würde, wenn cer es erführe. Alſo hie", 
es geduldig tragen, was mir beſchieden War. -- 
Tdh breche ab, da ich glaube, mit vorſtehendem die elende L 
eines märkiſchen Stitojungen genügend beleuchtet zu haben. Ma 
cs munden beſfer gehen, fo qibt es doch auc< ſicher viele, dene: 
es bedeutend ſchlechter geht. Was ſoll aber aus dem Geſchlecht wer 
den, das unter ſolchen Verhältniſſen heranwächſt? Muß es nic 
in Stuumpffinn ind Knechtſeligfeit vahinvogetieren? Wo iſt dc“ 
Staat, wo ſind die Hehörden, die derartige Kinderausbeutu ? 
verbieten? Leider ſcHeint in Preußen wider die Agrarier kei: 
Kraut zu wachſen. 
 
 
 
 
Verantwortlich für die giedattion: Kar! zorn, = 
%. 
Vorlag: Fr. Eb ort (2 Zentratſtele ür die die arbeitende Jugend Deutſchlands). = Druc: Vorwärts 
anſtalt Paul Singer & 8. 
 
Buchdruckerei u, Verlags: 
Sämtlich in Borlitt. 
 

	        
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