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1910
MEDIRE
Deutſchlands Schuß und Wehr.
Von Julian Bor<ardt.
Zir Deutſchlands Schuß und Ehr, greift freudig ſie zur
Ei avechr,“ heißt e3 in einem viel geſungenen Liede, da38 neben
& unjerem KriegSheer auch unſere Flotte zu preiſen beſtimmt
iſt. Zun der Tat, wozu haben wir das Heer, wozu die Flotte?
Um das Vaterland zu verteidigen, wenn der Feind e3 bedroht.
Um den deutſ<hen Namen hinauszutragen in alle Welt, um deut-
imen Ruhm und deutſche Größe zu wahren! Muß e3 nicht eine
Quit jein und eine Freude für jeden, der mit Stolz einen Deut-
ſhen ji nennt? Muß nicht mit Begeiſterung ein jeder das
Seinige beitragen, an Gut wie an Blut, um die Waffe de3
Vaterlande3 blank und ſchneidig zu erhalten? ZJIſt e8 nicht die
höchſte Ehre des Jüngling3 wie des Manne38, den Waffenro> zu
tragen und ſjich einzureihen in die Zahl der Kämpfer, die, wenn
es fein muß, mit Freuden ihr Blut verſprißen für da38 Höchſte,
wa3 es auf Erden gibt, für die große gemeinſame Sache, fürs
- Vaterland?
Und doc< gibt es Nörgler, die auch an dieſem Höchſten und
Seiligſten ſich vergreifen! Die Sozialdemokraten. die vor nichts
Ehrfurcht haben, ſ<re>en auc< davor nicht zurück, das glänzende
RriegSheer zu bekritteln und hberunterzureißen. Ja, ſie wollen
e8 jogar ganz und gar abſchaffen! Durch eine „Miliz“ wollen ſie
es erjeßen! Zeugt da38 nicht von ihrer abgründigen Verruchtheit,
von ihrer vollkfommenen Vaterlandsloſigkeit, daß ſie auf dieſe
Keiſe Deutſchland wehrlos und zur Beute jede3 Feinde3 machen
wellen?
- Indes, die Sozialdemokratie zählt heute über 3 Millionen
deutſcher Männer, von denen die Mehrzahl ſelbſt Soldaten ge-
weſen ſind und da8 Krieg8weſen genau kennen. Da darf man
wohl nicht ohne weiteres annehmen, daß ihre Abneigung purer
DvSwilligkeit entſpringt. Sondern fie werden ihre Gründe haben,
dem, was man uns ſo oft in glänzenden Jeſtreden über da3
j deutſche Kriegö3heer und ſeine Aufgaben ſagt, zu mißtrauen.
Eg „zn der Tat: „Süß und ſchön iſt es, für3 Vaterland zu
4 iterben,“ lautet ein bekannte8 Wort. Aber die ſo reden, denken
| für ihre Perſon oft am wenigſten daran, ſich fürs Vater-
8 land zu opfern. „Als im Jahre 1870 der Krieg mit Frankreich
8 ausbra<; und der Norddeutſ<e Bund eine Kriegs8anleihe von
EK 100 Millionen Talern ausſchrieb, die er mit 5 Proz. verzinſte
E uind wobei er für 80 geliehene Taler eine Schuldverſ<reibung
9 für 100 Taler bot -- alſo nach heutigen Begriffen Wuchervorteile
FX in Ausſicht ſtellte --, ließ die deutſche Kapitaliſten-
E tlaſſe die Regierungen im Stiche, troß der hoch-
B gebenden patriotiſ<en Wogen. Die Anleihe wurde nicht voll ge-
8 zeichnet. Erſt als die Siege von Weißenburg und Wörth uſw.
die Gewähr boten, daß das Geld ſicher ſei, fand ſi< der nötige
8 "pferwillige PatriotiSmus8.“ So erzählt der Genoſſe Bebel in
R iner Schrift über die Volkswehr.
| Man muß ſich den Sinn dieſer Worte re<t klarmachen. Weil
E ter Krieg aus8brach, brauchte das Vaterland Geld. Und ſiehe da,
E ihm die nötigen Geldmittel zu opfern, daran hat von den
ßk vielen reichen Patrioten keiner auc<ß nur im Traume gedacht.
„ondern von vornherein war alle Welt ſich klar, daß da3 Vater-
KE (and pumpen müſſe. Do< ſogar die Hoffnung auf8 Pumpen
E ar ziemlich klein, ſonſt hätte man nicht ſolche koloſſalen Wucher-
Lorteile in Ausſicht geſtellt: für 80 geliehene Taler 100 zurück-
5 zuzahlen und obendrein no< 5 Proz. Zinſen! Man ſieht: vom
5 Patriotioumu8 det Beſitzenden verſprachen ſich die Regierungen
nicht3; nur dann hofften ſie, das Geld fürs Vaterland zu kriegen,
wenn ſie tüchtigen Profit in Ausſicht ſtellten. Bi3mar>, der
damal3 der erſte Mann in Deutſchland war, muß alſo wohl über-
zeugt geweſen ſein, daß die Beſigzenden ſich niht ums Vaterland
verdient machen, ſondern am Vaterland verdienen
wollten. Aber ſelbſt jo hatte er noM zu viel gehofft. Selbſt zu
jol<en Wucherzinſen gaben ſie das Geld micht eher, al8 bis des
Vaterlandes größte Not vorüber und die Rückzahlung geſichert
war! Wahrlich, es iſt ſonderbar beſtellt um die Opferwilligkeit
der Beſißenden für3 Vaterland!
Jedoch, das iſt lange her. In den verfloſſenen 40 Jahren --
jo mag mancher denken -- wird fich das gebeſſert haben. Nehmen
wir alſo auc<h ein Beiſpiel au3 neueſter Zeit.
Im Jahre 1909 wurde dem deutichen Volfe eine gewaltige
Erhöhung ſeiner Steuern aufgehalſt. 500 Millionen Mark muß
es alljährlich mehr zahlen als früher. Und zwar nur wegen der
Militärau8gaben. Jmmer und immer iſt da3 geſagt und des-
wegen das Steuerzahlen eine „patriotiſche Pflicht“ genannt wor-
den. Aber von der Erfüllung dieſer Pflicht haben fi<ß die Be-
ſißkenden zum größten Teil gedrückt. Vier Fünftel haben ſie deit
Beſitloſen auferlegt und ſi< dann neun Monate gezankt, weil
das lebte Fünftel jeder dem anderen zuſchieben wollte. Bei dieſer
Gelegenheit wurde auch wieder viel über die Geldbedürfniſſe im
Kriegsfall geſ<rieben. Und wieder nahm man es allgemein als
jelbſtverſtändlic< hin, da3 die Reichen ihr Geld im Notfall nicht
geben, ſondern hödhſtensz borgen würden, aber au< nur
dann, wenn das Vaterland nicht ſFon ohnedies zuviel Schulden
babe und die Rückzahlung geſichert ſei. In der Denkweiſe der
reichen „Patrioten“ hat ſiH von 1870 bi8 1908 nichts geändert
Dazu einige andere Tatſachen. Al38 im Jahre 1900 das
Deutſche Reich Krieg führte gegen China, da waren die Chineſen
bewaffnet mit Kanonen, die aus der Fabrik von Krupp in Eſſen
ſtammten. Der Feind war mit deutſhen Waffen ausgerüſtet,
und deutſche Soldaten fanden ihren Tod dur< deut'ic<e Kanonen-
kugeln! Was aber die Hauptſache iſt: außer den Sozialdemo-
kraten hat ſil?) niemand darüber aufgeregt; jeder hat es ganz ver-
ſtändlich umd ſelbſtverſtändlich gefunden, daß die Kruppſ<e Fabrik
ihre Kanonen auch weiterhin ans Ausland, an den Feind ver-
kauft, an jeden, der ſie haben will und bezahlen kann. Natürlich!
Wie ſollte die Fabrik denn ſonſt Profit machen, wie ſollte fie
ſonſt einen Reingewinn von 25 Millionen Mark alljährlich ab-
werfen! Noch keinem Patrioten iſt es eingefallen, zu verlangen,
daß die Fabrik, gerade weil ſie ſo reich iſt, dem Vaterland zu
Liebe auf Verkauf und Profit beim Feinde verzichten ſoll. Und
au< dieſe Anſchauung der „Patrioten“ iſt unverändert geblieben.
Im Jahre 1908 wurde die Nachricht verbreitet, daß eine deutſche
Werft in Hamburg den Auftrag erhalten habe, für Rußland
Kriegösſ<hiffe zu bauen, alſo Zerſtörungs5werkzeuge, die vielleicht
in einem künftigen Kriege gegen deutſc<e Soldaten und deutſche
Hafenſtädte Verwendung gefunden hätten. Kein Menj<) in un-
ſeren beſienden Klaſſen hatte dagegen etwas einzuwenden. Jm
Gegenteil, man war hocherfreut und feierte e8 als einen „Sieg
der deutſchen Induſtrie“. Und als ſpäter die Nachricht fich als
irrig herausſtellte, da war man empört, daß dem deutſc<en Kapital
dieſe3 Geſchäft entgangen war.
*
Da3 ſind zweifello8 Dinge, die außerordentlich mißtrautſch
machen müſſen. Und wenn man nun mit dieſem Mißtrauen unſer
Militärſyſtem, das die Sozialdemokraten beſeitigen wollen, näher
betrachtet, ſo findet man folgende3: