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Arbeiter -Iugend
der arbeitet für meinen Chef. Freilich hat er den Ehrgeiz, ſich
„Meiſter“ ſ<impfen zu laſſen; aber e8 geht ihm mijerabel, und
gezahlt wird er für feine Arbeit noc<h ſchlechter als die Arbeiter,
die bei un38 ſißen. Daß er auch für Kunden arbeitet, kann ic) mir
gar nicht vorſtellen; denn er hat ja kein Geld, um den Stoff zu
kaufen, und borgen tut ihm ſc<on lange miemand mehr.“
Inzwiſchen famen wir an einem Sc<uhmacherladen vorüber.
Sarl la8 laut das Schild ab: „Schuhwarenniederlage. Repa-
raturivorkſtätte.“ „Na, da haſt du den ſelbſtändigen Gewerbo-
treibenden,“ ſagte er. „Er behauptet ja -
ſelber nicht einmal mehr, daß er Schuhe
Iatur-Urkunden.
IL
dy üter, die mühelos in unſeren Beſiß gelangen, werden in dor
) Jicgel nicht ſonderlich geſchätzt. Deſto höher bewerten wir
aber die anderen, deren Crwerbung mit großen Schwierigkeiten
verknüpft war; und zu dieſer zweiten Gruppe gehören auch die Be-
obachtungen und Forſchungen von der Art der Natur-Urkunden.
Der Photograph, der hinau8zicht, um mit ſeiner Camera Natur-
Urfunden aufzunchmen, hat mit Schwiso-
Lrigfeiten zu kämpfen, von deren Größe
macht; er repariert nur welche, wid
daneben verkauft er Ware, die er ſelbſt
aus der Fabrik bezieht.“ „Aber trotß
alledem“, entgegnete Wilhelm, „gibt es
doch noch immer auch ſelbſtändige Klein-
meiſter. Jreilich habe ich ihre Zahl
weit überſchäßt; aber wenn man auch
von allen denen abſieht, von denen ich
jet weiß, daß ſie in der Tat keine
ſelbſtändigen Exiſtenzen ſind, dann
bleiben doch immer no< zahlreiche Klein-
meiſter übrig, die vom Großkapital nicht
nicederkfonkurriert ſind. Meiſt geht es
ihnen ja nicht ſehr gut, das iſt wahr,
aber fie behaupten ſich doh.“ „Aber
auf weſſen Koſten?“ warf ich hier ein.
„Daß ſich immerhin noch Kleinmeiſter
behaupten können, das verdanken ſie
vor allem dem Umſtande, daß ſie
unentgeltliche Arbeiter haben, die ſie
nach Herzensluſt ausbeuten, ohne
daß ſich dieſe wehren können, die
Lehrlinge.“ „Ja, das iſt wahr,“ R. Voigtländers Verlag, Leipzig.
pflichtete mir Karl bei. „Meine kleinere |
Schweſter zum Beiſpiel iſt bei einer Blumenmacherin in der
„Lehre“. Gezahlt kriegt ſie nicht3, und das Eſſen muß auh jehr
wenig ſein; denn wenn ſie abends nach Hauſe kommt, hat fie immer
einen ſchrecklichen Hunger. Dabei lernt ſie aber nicht einmal
wa3 Rechte3; denn faſt den ganzen Tag muß ſie das Kind der
Meiſterin herumſ<leppen, aus8fegen, Staub wiſchen und jonſt
häusliche Arbeiten machen. Die Frau hat dann noh ein älteres
Lehrmädchen, der ſie ein paar Mark monatlich zahlt, die macht
mit dcerMeiſterinzuſammen | im SEE
die ganze Arbeit. So hat
dieſs cine Ntagd umſonſt
und eine Arbeiterin faſt
umſonſt.“ Und dabei ſind
gerade dieſe jungen Leute
gaitz ſchußlo38,“ fuhr ich
fort. „Die UArbeiterſchuß-
geſcße gelten nur für Fa-
brifen, die kleinen Weiſter
können ihre Lehrlinge
ſchinden, wie fic wollen,
und ſie können fie jogar
prügeln. Ja, die Klein-
meiſter, das ſind die Lieb-
linge der Regierungen, und
um ihnen zu helfen, werden
die armen Lehrlinge ge-
opfert. Die haben Ja kein
Stimmrecht, und organi-
ſiert ſind ſie auch nicht.“
„Das muß aber auch
einmal anders werden,“
unterbra<ß mich Karl mit
großem Eifer. „Auch wir
Jugendlichen müſſen zu-
A15: H. Meerwarty u. K. Svſſel,
„Leben35bilder aus der Ticrwelt.“
ſammenhalten. Das darf us: H. Wweerwarth u. 8. Soffe,
es nict mehr geben, gSbignänders Vertag, Leipäi:
daß auf unſerem Nücken
Holz geha>t wird. Wenn die Jugendlichen mit den erwachſenen
Arbeitern wirkli zuſammenhalten, dann werden auc< die Lehr-
linge eine Stüße finden. ViSs8her habe i< noh immer geſchwankt,
ob ich unſerm Jugendverein beitreten ſoll; denn ich glaubte, daß
is etwa38 doc< für uns keinen rechten Zwe hat. Aber jetzt ſehe
ich ein, daß auch wir unſere Intereſſen ſelber wahrnehmen müſſen.
Mit unſern Knocß<en ſollen die bankerotten Kleinmeiſter nicht
ves ihren Kampf gegen das überlegene Kapital ausSfechten
durfen.“
Zwergmäuſe auf Getreideähren.
Stor<enfamilie.
und Zahl der Uneingeweihte Feine
Ahnung hat, und die nur die beharr-
lichſte AuSdauer und die unerſchütter-
lichſte Liebe zur Natur zu überwinde:
imſtande iſt. Zuweilen freilich wirft ihm
"ein günſtiger Zufall die ſchönſte Frucht
in den Schoß; aber die Fälle ſind ſehr
jelten. Jn der Regel muß er lang-
wierige und umſtändliche Vorbereitungen
erledigen, um zu feinem Zwed zu
kommen. E58 genügt aud) keine5Swegs,
ein geſchickter Photograph zu ſein; das
Haupterfordernis bleibt immer die ge-
naue Kenntnis der Verhältniſſe, unter
denen da3 betreffende Tier lebt. Wer
Natur-Urfunden aufnehmen will, muß
cin echter Naturforſcher ſein. Stellt Euc)
einmal die Hinderniſſe vor, die der For-
ſcherüberwinden mußte, um das reizende
Bild mit den Zwergmänſen zu erlangen!
Er mußte zunächſt ihren Schlupfwinkel
in einem Weizenfeld aufſpüren, und ich
bin Überzeugt, manchen würde jc<on
dieſes erſte Hindernis mutlos machen.
Aber nachdem er den Aufenthalt3ort feſtgeſtellt hat, beginnt erſt die
Hauptſhwierigkeit. Auf die ſ<cuen Tierchen macht die bekannte Ani-
forderung: Bitte, recht freundlich !leidernicht den gewünſchten Eindruc;
jeßt heißt e38, mit unſäglicher Geduld auf dem Anſtand verharren,
die „ſchußbereite“ Camera in der Hand. Die erſte Aufnahme miß-
lingt, auch die zweite, dritte und vierte; bei der fünften endlich ſcheint
die Beleuchtung günſtig geweſen zu ſcin. Weittlerweilehat der Forſcher
cine Stunde faſt regungslos in dorſelben Stellung ausgehalten; eine
einzige unvorſichtige Be-
wegung würde die Mäuſe
verſcheuchen, vielleicht anf
Nimmerwicederſehen. Dem
Aus8dauernden gelingt es,
nod) einige günſtige Vis9-
mente zu erwiſchen. Dse>
friedigt und hoffnungsfroh
eilt er nach Hauſe, um in
der Dunkelkammer ſeine
Schäße an3 Licht zu beben.
Und da muß er zu jeinem
Schmerze erfahren, daß der
Erfolg den Bemühungen
leidernicht entſpricht. Keine
einzige befriedigende Auf-
nahme! Er erneuert den
Verſuch bei günſtiger Be-
leuchtung; wartet ſtunden-
lang; aber die Mäuſe tun
ihm nicht den Gefallen, zu
erſcheinen; ohne Aufnahme
muß er abziehen; aber er
läßt darum nichtlo&der. Das
nächſte Mal ſind ſie wieder
da, und jeßt gelingen lurz
nacheinander mehrere vor-
züglicheAufnahmen. Welche
Freude! Nun iſt alle Mühe
reichlich belohnt. Laßt mich aus eigener Erfahrung noch ein Beiſpiel
hinzufügen. Seit Jahren war mir das Treiben der Kampfhähne auf
den ſogenannten „Kollerpläten“ ein Gegenſtand eifrigſter Beod-
achtung, und es wurde in mir der lebhafte Wunſ< rege, die überaus
drolligen Kampf- und Liebcsſpiele „auf die Platte zu bannen“. Die
erſten Verſuche mißlangen völlig; ich kam niemals ſo nahe heran,
daß auf der Platte Einzelheiten zu bemerken geweſen wären. „31
dieſem Jahre nun ließ ic mir dur einen freundlichen Landmann
in unmittelbarer Nähe des Kollerplates eine Hütte aus Scilf und
Geſträuc<h bauen, acht Tage vorher, ehe ich Aufnahmen zu machen