Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

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Arbeiter -Iugend 
 
der arbeitet für meinen Chef. Freilich hat er den Ehrgeiz, ſich 
„Meiſter“ ſ<impfen zu laſſen; aber e8 geht ihm mijerabel, und 
gezahlt wird er für feine Arbeit noc<h ſchlechter als die Arbeiter, 
die bei un38 ſißen. Daß er auch für Kunden arbeitet, kann ic) mir 
gar nicht vorſtellen; denn er hat ja kein Geld, um den Stoff zu 
kaufen, und borgen tut ihm ſc<on lange miemand mehr.“ 
Inzwiſchen famen wir an einem Sc<uhmacherladen vorüber. 
Sarl la8 laut das Schild ab: „Schuhwarenniederlage. Repa- 
raturivorkſtätte.“ „Na, da haſt du den ſelbſtändigen Gewerbo- 
treibenden,“ ſagte er. „Er behauptet ja - 
ſelber nicht einmal mehr, daß er Schuhe 
Iatur-Urkunden. 
IL 
dy üter, die mühelos in unſeren Beſiß gelangen, werden in dor 
) Jicgel nicht ſonderlich geſchätzt. Deſto höher bewerten wir 
aber die anderen, deren Crwerbung mit großen Schwierigkeiten 
verknüpft war; und zu dieſer zweiten Gruppe gehören auch die Be- 
obachtungen und Forſchungen von der Art der Natur-Urkunden. 
Der Photograph, der hinau8zicht, um mit ſeiner Camera Natur- 
Urfunden aufzunchmen, hat mit Schwiso- 
Lrigfeiten zu kämpfen, von deren Größe 
 
 
macht; er repariert nur welche, wid 
daneben verkauft er Ware, die er ſelbſt 
aus der Fabrik bezieht.“ „Aber trotß 
alledem“, entgegnete Wilhelm, „gibt es 
doch noch immer auch ſelbſtändige Klein- 
meiſter. Jreilich habe ich ihre Zahl 
weit überſchäßt; aber wenn man auch 
von allen denen abſieht, von denen ich 
jet weiß, daß ſie in der Tat keine 
ſelbſtändigen Exiſtenzen ſind, dann 
bleiben doch immer no< zahlreiche Klein- 
meiſter übrig, die vom Großkapital nicht 
nicederkfonkurriert ſind. Meiſt geht es 
ihnen ja nicht ſehr gut, das iſt wahr, 
aber fie behaupten ſich doh.“ „Aber 
auf weſſen Koſten?“ warf ich hier ein. 
„Daß ſich immerhin noch Kleinmeiſter 
behaupten können, das verdanken ſie 
vor allem dem Umſtande, daß ſie 
unentgeltliche Arbeiter haben, die ſie 
nach Herzensluſt ausbeuten, ohne 
daß ſich dieſe wehren können, die 
Lehrlinge.“ „Ja, das iſt wahr,“ R. Voigtländers Verlag, Leipzig. 
pflichtete mir Karl bei. „Meine kleinere | 
Schweſter zum Beiſpiel iſt bei einer Blumenmacherin in der 
„Lehre“. Gezahlt kriegt ſie nicht3, und das Eſſen muß auh jehr 
wenig ſein; denn wenn ſie abends nach Hauſe kommt, hat fie immer 
einen ſchrecklichen Hunger. Dabei lernt ſie aber nicht einmal 
wa3 Rechte3; denn faſt den ganzen Tag muß ſie das Kind der 
Meiſterin herumſ<leppen, aus8fegen, Staub wiſchen und jonſt 
häusliche Arbeiten machen. Die Frau hat dann noh ein älteres 
Lehrmädchen, der ſie ein paar Mark monatlich zahlt, die macht 
mit dcerMeiſterinzuſammen | im SEE 
die ganze Arbeit. So hat 
dieſs cine Ntagd umſonſt 
und eine Arbeiterin faſt 
umſonſt.“ Und dabei ſind 
gerade dieſe jungen Leute 
gaitz ſchußlo38,“ fuhr ich 
fort. „Die UArbeiterſchuß- 
geſcße gelten nur für Fa- 
brifen, die kleinen Weiſter 
können ihre Lehrlinge 
ſchinden, wie fic wollen, 
und ſie können fie jogar 
prügeln. Ja, die Klein- 
meiſter, das ſind die Lieb- 
linge der Regierungen, und 
um ihnen zu helfen, werden 
die armen Lehrlinge ge- 
opfert. Die haben Ja kein 
Stimmrecht, und organi- 
ſiert ſind ſie auch nicht.“ 
„Das muß aber auch 
einmal anders werden,“ 
unterbra<ß mich Karl mit 
großem Eifer. „Auch wir 
Jugendlichen müſſen zu- 
 
A15: H. Meerwarty u. K. Svſſel, 
„Leben35bilder aus der Ticrwelt.“ 
ſammenhalten. Das darf us: H. Wweerwarth u. 8. Soffe, 
es nict mehr geben, gSbignänders Vertag, Leipäi: 
daß auf unſerem Nücken 
Holz geha>t wird. Wenn die Jugendlichen mit den erwachſenen 
Arbeitern wirkli zuſammenhalten, dann werden auc< die Lehr- 
linge eine Stüße finden. ViSs8her habe i< noh immer geſchwankt, 
ob ich unſerm Jugendverein beitreten ſoll; denn ich glaubte, daß 
is etwa38 doc< für uns keinen rechten Zwe hat. Aber jetzt ſehe 
ich ein, daß auch wir unſere Intereſſen ſelber wahrnehmen müſſen. 
Mit unſern Knocß<en ſollen die bankerotten Kleinmeiſter nicht 
ves ihren Kampf gegen das überlegene Kapital ausSfechten 
durfen.“ 
 
Zwergmäuſe auf Getreideähren. 
 
Stor<enfamilie. 
und Zahl der Uneingeweihte Feine 
Ahnung hat, und die nur die beharr- 
lichſte AuSdauer und die unerſchütter- 
lichſte Liebe zur Natur zu überwinde: 
imſtande iſt. Zuweilen freilich wirft ihm 
"ein günſtiger Zufall die ſchönſte Frucht 
in den Schoß; aber die Fälle ſind ſehr 
jelten. Jn der Regel muß er lang- 
wierige und umſtändliche Vorbereitungen 
erledigen, um zu feinem Zwed zu 
kommen. E58 genügt aud) keine5Swegs, 
ein geſchickter Photograph zu ſein; das 
Haupterfordernis bleibt immer die ge- 
naue Kenntnis der Verhältniſſe, unter 
denen da3 betreffende Tier lebt. Wer 
Natur-Urfunden aufnehmen will, muß 
cin echter Naturforſcher ſein. Stellt Euc) 
einmal die Hinderniſſe vor, die der For- 
ſcherüberwinden mußte, um das reizende 
Bild mit den Zwergmänſen zu erlangen! 
Er mußte zunächſt ihren Schlupfwinkel 
in einem Weizenfeld aufſpüren, und ich 
bin Überzeugt, manchen würde jc<on 
dieſes erſte Hindernis mutlos machen. 
Aber nachdem er den Aufenthalt3ort feſtgeſtellt hat, beginnt erſt die 
Hauptſhwierigkeit. Auf die ſ<cuen Tierchen macht die bekannte Ani- 
forderung: Bitte, recht freundlich !leidernicht den gewünſchten Eindruc; 
jeßt heißt e38, mit unſäglicher Geduld auf dem Anſtand verharren, 
die „ſchußbereite“ Camera in der Hand. Die erſte Aufnahme miß- 
lingt, auch die zweite, dritte und vierte; bei der fünften endlich ſcheint 
die Beleuchtung günſtig geweſen zu ſcin. Weittlerweilehat der Forſcher 
cine Stunde faſt regungslos in dorſelben Stellung ausgehalten; eine 
einzige unvorſichtige Be- 
wegung würde die Mäuſe 
verſcheuchen, vielleicht anf 
Nimmerwicederſehen. Dem 
Aus8dauernden gelingt es, 
nod) einige günſtige Vis9- 
mente zu erwiſchen. Dse> 
friedigt und hoffnungsfroh 
eilt er nach Hauſe, um in 
der Dunkelkammer ſeine 
Schäße an3 Licht zu beben. 
Und da muß er zu jeinem 
Schmerze erfahren, daß der 
Erfolg den Bemühungen 
leidernicht entſpricht. Keine 
einzige befriedigende Auf- 
nahme! Er erneuert den 
Verſuch bei günſtiger Be- 
leuchtung; wartet ſtunden- 
lang; aber die Mäuſe tun 
ihm nicht den Gefallen, zu 
erſcheinen; ohne Aufnahme 
muß er abziehen; aber er 
läßt darum nichtlo&der. Das 
nächſte Mal ſind ſie wieder 
da, und jeßt gelingen lurz 
nacheinander mehrere vor- 
züglicheAufnahmen. Welche 
Freude! Nun iſt alle Mühe 
reichlich belohnt. Laßt mich aus eigener Erfahrung noch ein Beiſpiel 
hinzufügen. Seit Jahren war mir das Treiben der Kampfhähne auf 
den ſogenannten „Kollerpläten“ ein Gegenſtand eifrigſter Beod- 
achtung, und es wurde in mir der lebhafte Wunſ< rege, die überaus 
drolligen Kampf- und Liebcsſpiele „auf die Platte zu bannen“. Die 
erſten Verſuche mißlangen völlig; ich kam niemals ſo nahe heran, 
daß auf der Platte Einzelheiten zu bemerken geweſen wären. „31 
dieſem Jahre nun ließ ic mir dur einen freundlichen Landmann 
in unmittelbarer Nähe des Kollerplates eine Hütte aus Scilf und 
Geſträuc<h bauen, acht Tage vorher, ehe ich Aufnahmen zu machen 
 

	        
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