Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

I Ha183, das er botrat. 
8 noh acht für ihn zu haben. 
8 nzahl Menſchen ſtanden noch herum; ſo- 
Z Sprachen 
: durc<heinander welſchten, der 
E Portier in der Goldtreſſenuniform, ein 
8 anderer no; vornehmer in. langem 
I ließen; endlich ein ganz hoher unter den 
Y Hand, in ſchwarzem Gehro> und weißer 
E Woeſte. 
EZ TIcOwaßende Frau ſprach den leßteren ein 
SIE 
FIIR ZEITEN 
FZ in der Hand, von dem er Nummern ab- 
B las, woranf, wie der Chriſten deutlich ſah, 
A vie fremden Reiſenden in einen Kaſten 
8 geiverrt wurden, der mit ihnen plößlich in die Höhe fuhr. 
8 dieſem Kaſten ſtand ein Bub, wie er ſelber einer war, jeſſe3 nur 
. EN ander38, auch in eine Uniform geſte>t und geſchniegelt und 
A ſtädtiſch! 
ä Zorn und Tränen ſchluckte er hinunter. 
Y Druder will ich, zum Arnold aus Ober-Ebmeten, der. hier iſt.“ 
v Ta ſchob ihn der andere durch eine ziemlich verborgene Tür in 
 
 
Nummer 2 
 
 
Berlin, den 15. Januar 1910 
2. Jahrgang 
 
 
Fem 
Der Geiß-Chriſteli. 
Von Ernſt Zahn. (Fortſetung.) 
KMR) ic Jahrt des Hotelwagen38 und der Eillauf de8 Chriſten 
| dauerten nicht lang. Da38 Hotel Schweizerhof ſtand breit, 
jtolz, groß und vornehm über der Straße, ſo daß dieſe einzig 
e3 von dem blauen, weiten See trennte. Auf der Straße hielt der 
Chriften an, fah eine Weile zu, wie die Reiſenden drüben aus 
dem Wagen ſtiegen, das Gepä> abgeladen wurde und der Ein- 
Dann biß cr die 
 
gang de38 Gaſthof8 ſih mit Menſchen füllte. 
Zähne zujammen und ſchritt hinüber. 
Gerade ehe er die weite, von Marmoxr- 
ſäulen getragene Salle betrat, die ſelbſt 
noc< jhöner war al38 oben in Ebmeten die 
neue Kirche, tat er einen Blik rücwärt3 
und ins Freie hinau8. Ueber der weißen 
Straße lag die Sonne, aber leuchtender 
und herrlicher lag ſie über dem ſtilſen, 
wie von leiſem Atem gehobenen See. Der 
imen nach Süden kein Ende zu haben. 
Woit dehnte ſich das leuchtende Blau. 
Aber, ja, ganz fern baute e3 ſich auf wie 
mis blauen Dünſten ſteigend, dunkel am 
Fuß, weiß in der Höhe, hoch wie Mauern, 
ſhlant und zachig wie Türme und ferne 
und heimlich ſchinmernd -- Berge. Dem 
Chritten gab es einen Stich, als wäre ihm 
ein Meſſer in die Seite gefahren, gerade 
al3 :er den ſchweren Schuh zum erſtenmal 
auf den Steinplattenboden de8 Hotelein- 
ganges jezte. Er nahm mit dem letzten 
Vlid die heimatlichen Berge mit in das 
niemand weder Zeit 
Eine ganze 
Drinnen ſchien 
eben angefommene Fremde, die in allen 
Treſſenro>, cin paar Kellner, die hin und 
ber Ic<wirrten wie Fliegen und den Fra 
wie eine Fahne hinter ſich herwehen 
Veenſchen, in der 
hohen den Zylinder 
Cine fremde, erregte, viel- 
paarmal hintereinander mit „Herr Direk- 
tor“ an. Der Direktor hielt einen Zettel 
An 
„ 
Er entdeckte ihn, den Chriſten, zuerſt und ſtieß dann den 
2 Mann im langen Treſſenro> an, al38 er eben wieder die Kaſten- 
I ür hinter. zwei Reiſenden ſchloß, ſo daß dieſer auf Chriſten 
| aufmerffam wurde. Der kam kurz darauf mit zwei großen 
I Schritten 
E er init 
8 Entrüſtung im Ton, als hätte der Chriſteli ihm vorher die 
„Was8 willſt denn Du2"“ 
aber heftiger Stimme und 
fragte 
einer 
herübergeſtiegen. 
nur halblauter, 
Der j<lu>te einmal; einen großen Klumpen 
Dann murrte er: „Zum 
Zunge gezeigt. 
 
Hedin m kvbetitſcher Verkleidung, 
der Nähe aus der hellen Halle in die Dunkelheit eine8 engen 
Gange38. „Jean,“ rief er da mit gedämpfter Stimme, in irgend- 
eine Tiefe hinab, „der Jean ſoll kommen.“ Dann drehte er ſich 
ab und ging davon. Der Chriſten ſtand jezt nicht nur allein, 
jondern auch in der Nacht des Flur38 völlig blind da. Aber nicht 
lang. Schritte kamen über eine ſteinerne Treppe aus jener Tiefe 
herauf, in die der Betreßte hinabgeſchrien hatte. Auf einmal 
Inadſte etwas und der Bliß eines Lichte38 ſprang ſo jäh von der 
Decke herab, daß der Bub ganz dumm daſtand, als hätte ihn ein 
wirtlicher Bliß geſc<lagen, und e8 hatte do< nur einer eine 
| eleftriſjicche Lampe angezündet. „Zit 
Du 3“? fragte dieſer eine den Chriſten 
und war fein Bruder, der San3, den er 
jekt ein Jahr nicht mehr geſehen und den 
er faum mehr erfannt hätte, wenn nicht 
in der Stimme und Sprache doch noc< die 
Bergrauheit geflungen hätte. Sonſt hatte 
der Hans nicht mehr viel Heimiſches an 
ich. Die Ohren ſtanden ihm noc< vom 
Kopf wie ehedem, aber das GCoſicht war ſo 
-- ſo glait, wie die Stadtgeſihter ſind und 
-=- eine grüne Schürze trug er, eine Weſte 
mit 1I<warz glänzenden Aermeln dazu, 
jauber jah er aus. 
„Biſt Du 32?“ ſagte der Hans. 
„Tag,“ gab der Chrijteli zurück. Er 
jiredte dem Bruder die Hand hin; ihre 
Finger berührten ſich kurz, troden, wie 
icheu, wie fie fich in den Bergen grüßen. 
„Komm,“ ſagte dann der ältere und 
tieg über enge gewundene Steintreppen 
dem Chriſten voran, immer höher; der 
Geißbub war ſhon auf manchen Berg 78- 
jtiegen, 1o hoch glaubte er in ſeinem Leben 
nie gefommen zu Jein. 
Endlich hatte die vberghaft hohe 
Treppe ein Ende und mündete in einen 
Gang, der unterm Dach lag; weißae- 
tinte Sparren waren boch an der Tc>e 
erfennbar. Auf den Gang führte eine 
Menge Türen, von denen der Han35 eine 
auftat. „Da 1<hlafen wir,“ ſagte er, „der 
Kurer 1I<läft auch da und der Lifibub.“ 
Wa3 das für zwei waren, wunderte den 
Chrijten nicht, weil ihm der Kopf 1<sn 
duimpf war und nicht3 Neues mehr darin 
Kaum hatte. 
„Zieh das Sonntagsgewand aus,“ be- 
fahl je8t der Hans, „dann fommit her- 
unter, über die Treppe hinab in die Puß- 
3 fammer, wirſt es ſhon finden.“ 
Er ſtand 1I<on wieder in der Tür, al3 
er das Jagte. 
„Wie geht e38 daheim?“ fragte er aber doch noch. | 
„Geſund ſind ſie,“ ſagte der Chriſten. Dabei ſah er den 
Bruder mit einem verfahrenen Bli an, ſah gar nicht den, ſondern 
irgendwie durch denſelben hindur& in blaue, dunſtumſponnene 
Ferne. Da ragten ſie auf -- Berge -- Berge. 
„Mach, ail Di<h,“ ſagte der Han3. 
„Sa,“ gab der Chriſten mechaniſch zurück. Aber als der andere 
jdjon hinaus war und die Tür geſchloſſen hatte, ſtand er noch 
innmer und ſah in3 Leere und ſah fern verſchleiert = das -- was 
er von der Straße in die Gaſthofhalle tretend mit in das Haus 
bereingenommen hatte. Er mußte ſich einen Stoß geben, daß er 
davon loSfam. Nachher tat er ſeinen Handkoffer auf und 390g 
ſich um. DaS3 dauerte nicht lang'; denn eine Unruhe trieb ihn, 
zu erfahren, wa38 in dieſem großen, fremden Haus, in dem eincr 
nicht Luft hatte zu atmen, weiter werden würde. Er verließ die 

	        
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