Full text: Arbeiter-Jugend - 2.1910 (2)

 
44 . Arbeiter- Jugend 
 
 
man bei einem Menſchen, der ein Brett vor dem Kopf hat, eher an das 
Scheubrett eines Stiere38 zu denken hat. Der Menſc< ſeufzt wohl ein- 
mal unter feinem Joche, aber er kann e3 nicht immer abſchütteln und 
muß es dann geduldig weiter tragen. Man ſpricht auch von dem Ghc- 
joch; doch iſt dies ja im allgemeinen recht ſanfter und angenehmer 
Ratur, 19 daß man fich ganz wohl dabei fühlt; es müßte denn die Frau 
ein Hausdrachce oder eine ſogenannte böſe Sieben ſein, die den Pantoffel 
ichwingt und die Hofen an hat, ſo daß ſie ihrem Mann die Hölle heiß 
mati. 
Albern, 
Wor möchic wohl glauben, daß dieſes Wort früher eine ganz andere 
Bedeutung hatte als heute? KRlthochdeutſche38 alawäari hieß „ganz war, 
wahrhaftig“ und daneben „gütig, freundlich, zugeneigt“. Im Mittel- 
bochdeutſhen aber hat alwaere ſchon die Bedeutung von „einfältig“, 
allerding3 häufig noh, eben wie dieſes Wort auch, in dem guten Sinne 
von „offen, ſchlicht“, alſo im Gegenſaße zu zwieſpältig, doppeldeutig, un= 
aufrichtig uſw.; „ſchlicht, offen“ aber berührt fich doch mit „gütig, freund- 
lich“. Bei Luther heißt das Wort noch alber, das n iſt erſi durc<h nieder- 
deutichen Ginfluß Hinzugefommen. Jn den meijten oberdeutſchen 
Mundarten fchlt das Wort noc< heute. Jm 17. Jahrhundert kommt 
häufig die Hauptworibildung Albertät vor -- wie Shrbartät, Grobität 
und heute noch Schwulität. Heute aber ſagen wir ſtatt deſſen Albern- 
heit oder auch „Alberei“ zu dem Zeitwort „aibern“, da8 noc< in mancher 
deutichen Mundart vorkommt. 
 
 
»Z Allerhand Wiſſenswertes und Umüſantes /Z< 
 
 
 
 
 
 
Wie Bienen und Ameiſen ſich verſtändigen. 
Der franzöſiſche Gelehrte Gerton Boumer macht in einer wijſens- 
ſ<aftlichen Zeitſchrift intereſſante Mitteilungen über Experimente mit 
Bienen und Ameiſen, die zeigen, wie dieſe Inſekten mit Hilfe der Fühl- 
horner fich untereinander verſtändigen. Boumer erzählt von einer 
Bienenkönigin, die in ein kleines metalliſches Gewebe eingeſchloſſen 
wurde, dejjen Maſchen zu eng waren, um eimer Biene Durchlaß zu ge- 
währen. Man brachte das kleine Gefängni38 dann in den Bienenkorb 
zurück, dem die Königin entſtammte, und verſeßte die gange Bienen 
kolonie in völlige Duntelheit. Nur von Zeit zu Zeit öffnete man ein 
Gudloch, um zu beobachten, was im Innern des Korbe3 vorgeht. Kurze 
Zeit ſchienen die Bienen die Gefangenſchaft ihrer Königin nicht zu be- 
merten. BPloöklich aber war gleich eine größere Anzahl von Arbeit83- 
bienen davon unterrichtet. Man ſah, wie fie ihre Fühler durc<h das 
Metallneß ſtreiten, die Königin näherte ſich ihnen, kreuzte ihre Fühler 
mit denen der Arbeitsbienen, und e3 war, als begänne ein Geſpräch 
zwijcyen ihnen. Dann wurden fruchtloſe Verſuche unternommen, um 
die Königin zu befreien. Nach einer Weile gaben die Bienen, offenbar 
verzweifelt, dizſe Arbeit auf; man ſah einige Arbeitsbienen, die ſich 
Dem wcB wieder näherten und mit ihren Zungen der Zunge der Königin 
Nahrung übermittelien. 
Ganz ähnlich verliefen die Verſuc<ße mit Ameiſen. Wenn eine 
Ameije eine Genoſſin ſucht, die ihr bei dem Transport eines ſchweren 
Gegenjiandes behilflich ſein ſoll, ſo geht dieſer gemeinſamen Arbeit ſtets 
eine Verſtändigung vorauf; die eine Ameiſe nähert ſich der anderen, 
berührt deren Fühler mit den eigenen und ſucht die Gefährtin offenbar 
zur Hilfe zu beſtimmen, worauf die zweite der erſten al3bald folgt. 
Noch merkwürdiger ift die Tatſache, daß ſowohl in den Bienenkörben wie 
in den Ameiſenbauten eine plößliche Verſtändigung auch ohne die Jühl«- 
hörner eintritt, die die ganze Kolonie mit Blißesſchnelle in höchſte 
Aufregung und zu fieberhafter Tätigkeit bringt. Es gibt offenbar 
ein Alarmzeichen, das ſi mit der größten Scnelligkeit durch den 
ganzen Vau foripflanzt; auf welche Weiſe aber dies auch geſchieht, hat 
die Forſchung biSher noch nicht aufzuklären vermocht, 
*X 
„Slutige Tränen“. 
Siann man blutige Tränen weinen? Die Dichter zweifeln nicht 
daran, und viele ihrer Helden haben blutige Tränen weinen müſſenz 
aber jenieits des Reiches der Poeſie, in der Wirklichkeit, wird man 
nur jfelten ſolhe Scmerzenzergüſſe erlebt haben. Ein franzöſiſcher 
Arzt, Dr. de Micas, hat der Frage der Möglichkeit blutiger Tränen 
eingehende Studien gewidmet, deren Ergebnis in der „Nature“ mitv« 
geteilt wird. Die Medizin kennt übrigens ſehr ſeltene Fälle, in denen 
die Tränendrüſen Blutungen erfahren, die die Tränen färben. Dieſe 
Blutungen ſind den plößlichen Blutergüſſen verwandt, die man bei ſchwer 
Nervöſen, bei Hyſterikern beobachtet und die Blutſchweiß hervorrufen. 
Bisweilen kommt es vor, daß als eine Folgeerſcheinung ſchwerer Naſen- 
blutungen die Tränenleitungen Blut ausſondern. Das Blut fließt 
durch die Naſenkanäle und bahnt ſich einen Aus8weg, genau wie die 
Tränen ſelbſt ihren natürlichen Abfluß finden. Doch auch dies ereignet 
ſich nur ſehr ſelten; in den meiſten Fällen gehen mediziniſch beobachtete 
„blutige Tränen“ auf Blutungen zurüd, die in ſc<hwereren Fällen von 
Bindehautentzündungen entſtehen; das Blut fließt dann im Augen- 
winkel zuſammen und vermengt ſih mit den Tränen. Aber auch eine 
Übermäßige Erweiierung der Gefäße der Bindehaut ruft Blutungen 
hervor, die die Umgebung glauben macht, daß der Leidende blutige 
 
 
Tränen weint. In dem Sinne, in dem die Dichter von blutigen 
Tränen ſprechen -- ſc<on in den antiken Tragödien taucht das Wort« 
bild auf --, gibt e3 jedenfalls keine blutigen Tränen; was das Auge 
De3 Poeten al3 die höchſte Acußerung eine3 tiefſten Leide8 erſchaute, 
wird ſich in der Wirklichkeit in den meiſten Fällen als eine einfache 
Blutung erweiſen, die faſt immer aus einem anderen Teile des Auges 
jtammt und von den Tränen an ſich ganz unabhängig ijt. 
* 
Ein Vorſchlag zur Güte, 
Gin berühmter franzöſiſcher Mediziner, Dr. Chapellier, crzählte 
folgendes Geſchicht&den aus der Zeit, da er noh ein junger Arzt war: 
Dr. Chapellier war befangen, wie jeder junge, unerfahrene Arzt; in 
in dem großen Krankenhauſe, in dem er arbeitete, hatte er einez3 
Tage3 einen Patienten zu operieren, der offenbar ein Mann von ſeltenem 
Humor war und zudem gegen Schmerzen eine außerordentliche Ab- 
härtung an den. Tag legte. Dem Kranken wurde an der Seite ein 
langer Schnitt beigebracht, den der junge Dr. Chapellier nach vollzogener 
Operation vernähen ſollte. Gin berühmter Profeſſor, der die Operation 
überwachte, war mit der Arbeit Chapelliers nicht einverſtanden, und der 
junge Arzt mußte die Arbeit wiederholen. Die Kritik des großen 
Profeſſor8, die Anweſenheit ſeines Chef8 ſteigerten die Befangenheit 
des jungen Mediziner38, und al8 ex nun die Wunde ordnungsgemäß 
vernäht hatte, fiel ihm zu feinem Entſeßen ein, daß er cinc kleine 
Schere im Körper des Kranken vergeſſen hatte. Vor ſeinem Chef dieſes 
Mißgeſchi> einzugeſtehen, wagte er nicht, aber ſobald der Profeſſor das 
Operation3zimmer verlaſſen hatte, öffnete er zum drittenmal die Wunde, 
haite in einer Sekunde die Schere entfernt und begann nun zum dritten 
mal die Vernähung. Der BVatient war während all dieſer Vorgänge 
bei vollem Bewußtſein geweſen und hatte alles beobachtet. Wahrenz 
Dr. Chapellier eifrig damit beſchäftigt war, die Vernähung nun cnd« 
gültig zu Ende zu führen, wandte ſich der leidtragende Dritte zu dem 
Arzte und meinte mit niederſchmetternder Freundlichkeit: „Sagen Sie 
doch, Herr Doktor, warum nähen Sie mir denn die Wunde wieder zu» 
ſammen? Glauben Sie nicht, daß es ſowohl für Sie wie für mitt 
beſſer wäre, wenn Sie gleih Knöpfe zum Aufknöpfen annähen 
würden? .... 
 
GEZ << DII<GL ZDS <LI DS Za SSS DSDS <ZI 
Wir drei. 
Wir drei, wir waren ſo fröhliche Jungen, 
Meine Brüder und ich. 
Sind geſprungen, gefallen und wieder geſprungen, 
Meine Brüder und ich. 
Matroſenkragen und gleiche Müßen, 
Die weißen Strümpfe bis über die Knie -- 
Und damit hinein in die tiefſten Pfützen! 
Wir mußten ſie meſſen und maßen ſie. 
Wie haben am Zaun wir die Planken gerüttelt 
Und lo>er gemacht! 
Zwei haben dem Nachbar die Pflaumen geſchüttelt, 
Der dritte hielt Wacht. 
Hat uns auch manchmal das Herz geſchlagen, 
Wenn wir in fremden Revieren geweilt -- 
Wir haben den Raub von dannen getragen 
&ind redlich geteilt. 
Und hatten wir glü>klich den Heimweg gefunden 
Des Mittags dann, 
Die Jacen zerplatzt, die Geſichter zerſchunden, 
So tfraten wir an! 
Oft hat uns der Vater beim Kragen genommen 
-- Gott ſegne ihn! -- 
Und wir haben gemeinſam Prügel bekommen 
Lind gemeinſam geſchrien! -- 
Nun wandert der eine verirrt und verloren, 
Wer hat ihn geſehn? 
Wir beiden andern, wir ſteiften die Ohren, 
So mußt es halt gehn! 
Do<h hat mir der Kummer das Herz mal bezwungen 
Und fröſtelt's mich, 
Dann denk' ich: Was waren wir fröhliche Jungen, 
Meine Brüder und ich. 
Carl Buſſe. 
 
Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn. -- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). -- Dru>k: Vorwärts Buchdruckerei u. Verlags- 
anſtalt Paul Singer & Co, Sämtlich in 
erlin,
	        
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