Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

8 | - Arbeiter-Jugend 
 
Veranſtaltungen, das deutſche Turnfeſt, das Reichs5feuerwehrfeſt, die Bau= 
ausſtellung und die Ginweihung des Völkerſchlachtdenkmal8 ausgenußt 
zur Agitation für die bürgerlichen Jugendbeſtrebungen. Man hatte jie 
herangezogen zu Tätigkeiten, die jugendlichem Ghrgeiz beſonders 
ſchmeicheln: Zum Abholen der Vereine von den Bahnhöfen, zur Be=- 
gleitung der Fremden nach den Gaſthöfen und Quartieren, zu Paraden 
und Spalierbidungen. Ueberall ſah man die Jungdeutſchen in ihren 
Uniformen, mit ihren Abzeichen berumſtolziexen. Jndeſſen, unjere 
Jugend hat den faulen Zauber beſtens überſtanden, und die mächtige 
Demonſtration in der Alberthalle hat unſeren Gegnern gezeigt, daß ſie 
lebt, wic geſund ſie iſt und wie ſie weiter wächſt und ſtrebt. - 
Ginc hohe Chre wurde übrigens der Verſammlung zuteil, injofern 
der Herr Polizeiinſpektor Fürſtenberg in höchſt eigener Perſon mit fünf 
Beamten in Zivil zur Ueberwachung erſchienen war. Er, der weit über 
Leipzig hinau8 bekannt geworden iſt durch feine Bekämpfung der 
Arbeiterorganiſationen, eine Tätigkeit, die ihm beſonders zur Zeit des 
Sozialiſtengeſeße3 einen Namen in der Geſchichte der deutſchen Arbeiter- 
bewegung gemadht hat, muß nun, alt und grau geworden, erleben, wie 
jein ganzes Schaffen vergebens war und wie nun auch die zweite 
Generation heranwächſt und begeiſtert die Fahnen weiter trägt. . 
- , Th. D. 
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Wieder ein neues Jugendheim. 
Aus Hannover wird uns geſchrieben: In Misburg, einem Orte 
in ver Nähe Hannover3, wurde kürzlich ein ſtattliches Jugendheim, be- 
jtehend aus einem größeren Geſellſchaft8zimmer, einem Sizung3- und 
Leſezimmer und einer Küche eingeweiht. In dem Orte herrſcht ſeit 
längerer Zeit eine große Wohnungs8not. In elenden baufälligen Hütten 
haufen dicht zuſammengepfercht die Arbeiterfamilien. Gemeinde und 
Staat3behörden verſagten vollſiändig; ſie mußten erſt von der organi= 
ſierten Arbeiterſchaft durc< den „Volkfswillen“ auf dieſe geradezu ſfanda- 
loſen Zuſtände aufmerkſam gemacht werden. . 
Aus der Erkenntnis heraus, daß ſolches Wohnurigzselend beſonders 
für die heranwachſende Jugend von größtem Schaden iſt, entſchloß ſich 
die organiſierte MisSburger Arbeiterſchaft, der proletariſchen Jugend eine 
anſtändige Zufluchtsſtätte zu ſchaffen, die den jungen Urbeitern und 
Arbeiterinnen wenigſtens cinige Stunden nach des Tages Lafi und Mühe 
Gelegenheit zur Grholung und Fortbildung bieten könnte. Durch Zu- 
jammenarbeiten der verſchicdenſten Arbeiterkörperſchaften iſt e8 denn 
auch gelungen, die Frage zu löſen. Gine ſtattlike Zazul junger Arbeiter 
hatten fich zur Ginweihungsfeier zuſammengefunden. Gine Anſprache 
des Genoſſen Dähling leitete die Feier ein; mit kurzen Worten ſc<hilderie 
er die Entwidelung der freien Jugendbewegung und forderte zum 
Schluß die Anweienden auf, ſich bei den Gründern des Jugendheims3 
Dadurc< dankbar zu zeigen, daß ſie in furzer- Friſt die lebte jugendliche 
Arbeiterin und den leßten jungen Arbeiter al8 Beſucher des JugenD- 
heims und als Leſer der „Arbeiter-Jugend“ gewönnen. Der weitere 
Abend wurde mit Mandolinenvorträgen, Rezitationen und gemeinſchaft 
lihem Geſang ſtimmungsvoll ausgefüllt. 
X 
Ein Kampf um die pommerſche Arveiterjugend. 
Aus Stettin wird uns geſchrieben: Für eine ſelbſtändige Arbeiter 
jugendbewegung ſind nur in wenigen Orten der Provinz Pommern die 
Verhältniſſe herangereift. Nur an wenigen Orten konnien deö3halb bi3- 
her die Urbeiter ſich ihrer Jugend annehmen, während die nationale 
Jugendkorruption3bewegung üppig in die Halme ſchoß. Um nun auch 
für die Arbeiterjugendbewegung mehr Intereſſe zu weden, hat der 
Bezirks jugendausſchuß für Pommern eine Agitationstour unternehmen 
lajſen, die ſich zu einem erbitterten Kampf mit den Feinden der Arbeiter- 
jugendbewegung geſtaltet hat. Faſt in allen Orten, in denen Jugend= 
agitationSverſammlungen von unſerer Seite einberufen warten, wurden 
von den Gegnern Veranitaltungen getroffen, welche die Jugendlichen 
von dem Beſuch unſerer Verſammlungen fernhalten ſollten. In den 
Foribildungs8ſhulen und von den Meiſtern wurden mit mehr oder 
minder 'ſtarfem Nachdru> die Lehrlinge auf die Veranſtaltungen der 
Gegner. „aufmerkſam gemacht“ und vor unſeren Verſammlungen ge=- 
warnt. W9 aber dieſe Mittel zu verſagen drohten, ſuchte die Polizei 
unſere Verſammlungen zu vereiteln. | 
In Torgelow zogen Fortbildung3ſc<hulrektor Seliger und Amts83- 
vorſteher Bremer Arm in Arm gegen die freie Jugendverſammlung 
zu Felde. Der erſtere hatte in ſeinem der Schule angegliederten Jugend- 
lub am gleichen Abend einen Vortrag Über den AlkoholiSmus angeſeßt 
und ſeinen Schülern eingeſchärft, daß ſie dieſen Vortrag bejuchen 
müßten, andernfalls fie wie bei einer regulären unentſchuldbaren Schul- 
verſäumnis beſtraft würden. Die jungen -Leute gingen in die Zwang3- 
verſammlung und liezen uns um einen ſpäteren Beginn der Ver- 
ſammlung bitten, damit fie auch an unſerer Verſammlung noch teil- 
nehmen könnten. So geſchah e3 denn auch. Nun aber trat Amts8vor- 
ſteher Bremer in Tätigkeit, der mit der ganzen Torgelower Polizgeimacht 
auf dem Plan erſchienen war. Als unſer Redner kurz die wichtigſten 
Beſtimmungen de38 Jugendſchubgeſeße38. aufzählte, erklärte der Herr die 
Verſammlung für politiſch und löſte ſie auf. Aber ſein verdutzte8 Ge- 
ſicht hätte man durch die Kamera feſthalten müſſen, als ſich nun der 
Vorfizende erhob und prompt nach Ablauf der nächſten zehn Minuten 
eine neue unpolitiſche Jugendverſammlung einberief. Hatte der Redner 
vordem über die wahren und falſchen Freunde der Arbeiterjugend ge- 
ſprochen, ſo brauchte er nun, nach dieſem Vorfall, der beſſer als die 
ſchönſte Rede das Thema beleuchtete, nichts weiter über dieſes Kapitel 
äuszuführen, weshalb er jeßt, in der neuen Verſammlung, die kulturelle 
Bedeutung der Arbeiterjugendbewegung behandelie. So waren Bie 
Pläne der Arbeiterjugendfeinde wieder zuſchanden geworden! 
In der nächſten Unterrichtsſtunde der Fortbildungs8ſ<ule quittierte 
Rektor Seliger den Reinfall durch maßloje Beſchimpfungen unſeres 
Redner3 und der Sozialdemokratie. Der Referent ſei ein Schafskopf, 
erzählte er ſeinen Schülern; die ſozialdemokratiſchen Redakteure, die 
aus Stettin kämen, um das Volk zu verheßen, ſeien meiſtenteils weg- 
gejagte Paſtoren und Lehrer, die 5000 Mk. pro Jahr erhielten und 
Dafür ſozialdemokratiſche Politik machten, die aber ſofort auch konſer- 
vativ ſchreiben und reden würden, wenn ihnen dafür 10 000 Mk. ge= 
boten würden! Die Torgelower Bürger ſollten dieſe Redakteure doch 
mit Knüppeln fortjagen. In einer Öffentlichen politiſchen Proteſtver- 
fjammlung der Torgelower Arbeiterſchaft wurde. am 9. Dezember den 
beiden Herren eine Antwort gegeben, die ſich beide wohl nicht hinter den 
Spiegel ſte>en werden! 
zu Stolp ging die Polizei noch gewalttätiger. vor. Zu Beginn der 
dortigen Verſammlung, noch ehe der Refereni nur ein Wort geſagt hatte, 
rflärte der überwachende Beamte, daß ſeine vorgeſeßte Behörde die 
Verſammlung für eine politiſche anſehe und des8halb die Teilnahme 
jugendlicher Perſonen nicht zulaſſe. Fünf Poliziſten waren im Ver- 
fjammlungslofal, mehrere auf der Straße, und obendrein ſchien ein 
nahegelegenes Neſtaurant in eine fliegende Polizeiwa<htſtube umgc- 
wandelt zu ſein. Der Redner und einige Genoſſen ſuchten den Bürger- 
meiſter auf, um von dieſem die Zurücknahme der ungeſeßlichen polizei- 
lichen Anordnung zu erlangen. Der aber war gerade in ſeiner Stamm- 
ineipe damit beſchäftigt, ſeinen Durſt zu löſchen. Hierbei wollte 
er fich nicht ſtören laſſen und verwies die Genoſſen, die ihn zur Yede 
ſtellten, auf feine Dienſtſtunden. Nun verſuchten die Arbeiter, ſich mit 
ihren Kindern an den Tiſchen des Saale8 zu zwangsloſer Unterhaltung 
niederzulaſſen. Darauf wurde der Saal durch die Polizei gewaltſam 
geräumt, und als ſich noch in den Reſtaurationsräumen einige Arbeiter 
nut Jugendlichen zuſammen ſeßten, pflanzten fich hinter ihnen Poliziſten 
auf, um jedes ihrer Worte zu kontrollieren. Oberbürgermeiſter Zielke, 
Deſjen Polizei ſo mit der AArbeiterjugendbewegung umſpringt, ijt der 
eifrigjte Förderer der dortigen Jungdceutſchlandbewegung; daraus cxr- 
jahen die etwa 200 jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen, die zu 
unſerer Verſammlung erſchienen waren, wo ihre wahren und wo ihre 
falſchen Freunde zu ſuchen find. 
Aber gerade durch die geſchilderte Unterdrüdungs3politif iſt in die 
Arbeiterjugendbewegung Pommerns ein frijcherer Zug gefommen, und 
ſicherlich wird auch aus dieſem Paradieſe des Junkertum3 die Arbeiter- 
jugend. bald erfreuliche Reſultate melden können. 
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Arkebuſieren (franz.), mit der Arkebufe (Hakenbüchſe) erſchießen. 
Brüsk (franz.), barſch, rückſichtslo8. 
Feudalismus (lat.), Staat3- und Geſellſhaft8ordnung, in der der Großs- 
- grundbeſitz herrſcht. 
Flamberg (vom franz. klanc = Seite und dem deutſchen „bergen“), 
breites NRNitterſchwert. 
Füſilieren (franz.), totſichießen. 
Funktionieren (lat.), tätig ſein. 
Gouverneur (franz., ſprich: gutvernöhr), Statthalter, Plagoberſt. 
Honorar (vom lat. honor = Chre), eigentlich „Ehrenſold“; Bezahlung für 
geiſtige Leiſtungen. = 
Hymne (griech.), feierlicher Geſang. "= 
Komment (franz; ſprich ungefähr: kommang, Ton auf der Endſilbe; wört- 
Iich: wie?), Brauch, und Regeln im ſtudentiſchen Leben, beſonders 
beim Trinken. | 
Kultus oder Kult (lat.), Gottesdienſt. 
Maſtodon (griech ), vorweltlicher Elefant. 
Monſtrum (lat.), Ungeheuer. 
Myſtiſch (griech.), geheimmisvoll, dunkelſinnig. 
Primitiv (lat., Ton auf der Endſilbe), einfaßh im Sinne de38 Unvoll- 
fommenen. . 
Privileg (lat., Ton auf der Endſilbe), Vorrecht, Begünſtigung. 
Proviſoriſc<h (lat.), vorläufig, einſtweilig. . 
Nabiat (lat., Ton auf der Endſilbe), wütend, „ait3 dem Häus<en“. 
 
  
 
- Rapid (lat., Ton auf der Endſilbe), reißend ſchnell. 
Sentimental (franz.), empfindſam, rührſelig. 
Stadium (griec<., Ton auf der erſten Silbe), Entwickelungsſtufe. 
Star (engl.), Stern, „Bühnenſtern“. 
Typu3 oder Typ (griech.), Urbild, Vorbild; die allen einzelnen Angehörigen 
einer und derſelben Art gemeinſame Grundform, Grund- oder Urgeſtalt. 
 
0056000000000000000002006000000000000000000000 
Inhalt von Nr. 1: Jns neue Jahr hinein. -- Der Degen d23 Leut- 
nant8. Von Bernhard Rauſch. -- Lehren des Lebens. Von Friß Sepp. 
-- Die Geſchichte de3 Hühnereies, Von S. Drucker. (Mit Abbildungen.) 
--- Der Fall Stoedker. -- Aus der Jugendbewegung. Die Gegner an Der 
Arbeit. Fremdwörter. Beilage: Taras. GEGrgählung von Carl 
Buſſe. =“ Die Entwickelung der gri::chiſchen Dramatik. Von Otto Koenig. 
--- Von der Montgolfiere zum Lenkballon. Von Erwin Neumann. (Mit 
Abbildungen.) = ReligionS3unterricht. -- Menſch und Aſfs.5. Von Gg. 
Gngelbert Graf. =“- Greif. Gedicht von Richard Dehmel. -- Das „lebendige“ 
Maſtodon. Die merkivürdigſte Luftgeſchichte von Paul Sceerbart. 
 
 
Vorantwortlich für die Redaktion: Karl Korn. = Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchland3). =-- Dru>: Vorwärts Buchdruckerei u. Verlag5- 
' anſtalt Paul Singer & Co. Sämtlich in Berlin. . 
Em
	        
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