Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
 
 
Jummer 1 
Berlin, den 3. Januar 1914 
6. Jahrgang 
 
Markus Tarras.- 
Erzählung von Carl Buſſe. 
IP Garlu3 Tarras8 war al8 Knabe ſchon merkwürdig und blieb 
/ H 8 c3 als Jüngling. Er war der Sohn des Zeugſ<hmixdes 
u Tarras, der in einem großen, aber weltabgeſchiedenen 
zvalddorfe jein Gewerbe betrieb. In den bergigen Wäldern 
waren nur Köhler in ihren Meilern beſchäftigt. Viele Stunden 
gefahrvollen Weges mußte man wandern, ehe man zu einer An- 
ſiedelüng, und von ihr auf gebahnter Straße in eine Stadt kam. 
Dic Waldbauern hielten ſich in ihrer Einſamkeit. In der Stadt 
wurden fie nur beirogen. Was ſie brauchten, gab e8 im Dorf. 
So jaßen ſie auf ihrer Scholle, altertümlich in ihren Bräuchen 
und Reden. Weſſen Vater Zeugſc<hmied war, der wurde wieder 
 
Zeugſ<hmiced, und wer die Meiler bediente, lernte ſeinen Sohn 
wieder zum Köhler an. 
So galt Markus Tarras al3 der ſelbſtverſtändliche Nachfolger 
ſeine3 Vaicer3 in der Zeugſ<miedekunſt und empfing auch Unter- 
richt dariit, daß er bald dem Alten tüchtig an die Hand gehen 
konnte. Doch da nicht gar zu viel Arbeit vorhanden und der 
Schmied ſelbſt noh rüſtig war, hatte er faule Zeit. Dann laga 
er auf deim Raſen und ſah immer das1elbe Bild. 
Rundherum im Kreiſe vor der Schmiede lief Tetta, da3 
Pfordhen. Weit verbundenen Augen lief es gleichmäßig im Kreiſe. 
Nus der Schmicde jedoch kam der Feuerſchein und. Hammeric<lag, 
und wenn cs dunkel war, lohten die Flammen weit hinaus. Der 
alte, riejige Schmied ſtand davor, und in dem wechſelnden Spiel 
der Lichter und Schatten wuchs ſeine Geſtalt jezt verdämmernd 
1138 Gewaltige, jekt ſchien ſie zuſammenzuſchrumpfen und fleiner 
ZU Werden. 
Das war am Abend. Am Tage war e3 nicht 19 hübſch. 
Sof war inimer etwas dunkel und rußig, aber der Shmied blicb 
der Sc<micd, vas Feucr war blaſſer, und die Schatten ſpielten 
nicht ſo merfwiürdig und geheimniS5voll. Dann ſah der junge 
WMearku38 Tarras lieber in die Höhe, in den blauen, ſonnigen 
Himmel. 
Große und ſeltene Adler niſicten in den uralten, unabſch- 
baren Wäldern. PMeindeſtens einer flog immer hoc< oben in der 
Luft, wenn WMarkus Tarras emporjah. 
Bilder, die ſich ihm einprägten: da38 Pferd<en Tetta, das im 
Kreiſe lief, dunkel gegen den Feuerſchein . . . und droben der 
freie, ewig blanc Himmel mit dem großen Adler. .. 
Und al3 Tag für Tag der Sohn de8 Schmiedes, halb un- 
bewußt, die beiden Bilder verglich, wuch8 ein immer ſtärkerer 
Groll in ihm empor gegen Tetta, das Pferdchen. Mit der Binde 
vor: den Augen, daß cs nicht einmal die Sonne ſah, lief e3 im 
. engen, genau abgezirkelten Kreiſe. Eine tiefe Furche hatte e3 
. im Erdboden ſchon gelaufen; denn es mußte ja im alten Geleiſe 
bleiben. uu 
Oben jedoch der Adler . . . ov, man mußte da3 ſehen, wie er 
jO<webte! Auch im Krei8, aber der Kreis dehnte ſich immer 
weiter, ward immer gewaltiger. Und der königli<he Vogel, der 
frei war, ſtieg langſam höher. Noc< war's ein großer Punkt, dann 
ein Heiner. Jeßt ſehen die Augen -- es kann auch Täuſchung 
jein =- nur ein Pünktchen noch, und jeht... 
Da ſeufzte Markus Tarras und drohte ſich halb traurig, halb 
verbittert wieder dem Pferd<en zu. Wie e3 hier klebte an der 
dunflen Erde, dem gleichen Trott! Aber der Adler war im 
Himmel und ſc<aute hinab auf die Welt, auf die Welt hier im 
Der 
Walde, auf die Welt auch, die drüben lag, reich, groß, unvor- 
ſtellbar . . . 
Der Vater hörte das Seufzen und ſah unter den buſchigen 
Brauen zum Sohn hinüber. Vom- Jeuer angeglüht Tag für 
- Tag, -itn Ohr immer den Schall der eigenen IH<weren Sämmer, 
abgeſc<hlojjen von der Welt, war er noc< mehr als die übrigen Be- 
wohner de8 Walddorfes ſ<weigſam und in ſic< gekehrt. Die Art 
aller, die jahrzehntelang vorm Amboß ſtehen, hatte auch er: er 
redete laut, faſt wie ein Hammer, und laut mußte mit ihm ge- 
Das8 waren die beiden. 
 
redet werden. Ohne daß man ihn gerade ſc<werhörig nennen 
konnte, gingen ihm die leiſen Geräuſche aleichſam verloren, al3 
hätte ſich das Ohr ihrer entwöhnt. | 
„Wonach ſiehſt Du?“ fragte er eine3 Tages den Sohn. 
Der deutete empor nach dem ſchwebenden Adler. Lange 
ſtarrte der Alte hinauf. Al3 der Bli aus den blauen Lüften 
zurücfchrte, bemerkte er, wie Markus finſteren Auges nach Tetta, 
dem Pferdc<en, ſc<aute. 
Der Schmied ſjprac<ß kein Wort. Aber im Dröhnen de3 
Hammers3 dachte er an die beiden Blie, den ſelig verlorenen 
nach droben zum Adler, den unluſtig-finſteren nach drunten zum 
Pferdhen. Er hatte ſo lange Jahre das Schweigen golernt und, 
ohne die Lippen zu regen, mit ſich ſelber geſprochen, daß er ein 
balber Philoſoph war. Che er den Mund zum Reden auftat, 
mußte. er mit ſich im reinen ſein. 
Cine Woche ſpäter lud er die Flinte und trat au? den 
H9o? hinau3. 
Martu3 lag da und blite ins Blaue. Dor Adler ſchwebte 
niedriger, in unruhigem Kreiſe. Er mochte Veute erſpäht babe 
auf der Erde und auf den günſtigſten Augenbli des Nieder- 
jtoßens warten. . 
„Der Hunger treibt ihn berunter,“ dachte der Schmied, und 
cin jeltfamer Zug trai in ſein Geſicht. 
Ler Sohn hatte fſic< aufgerichtet. Aber dor Adler, als o 
Gefahr wittere, erhob ſich plößlich und freg einpor. Tex gerad 
abgeſchnittene Schwanz ſtrand gegen bie tiefe Bläne. 
Da Uopfie der Schmied dem Pferden Tetia den Hals. 
„Sſerdc<en hier, Adler da . 1 
Martus2“ 
Teſſen Auge blikßte. Er ſaß nur nach oben. 
Noch immer kreiſte der Adler. Er mußte febr bungrig fein, 
voii wieder Ichivebie er in gewundenen Linien herab . . . näher, 
näher . . . Ichon will er die Flügel zurücklegen und ſc<räg herunter- 
jaulen auf fein Opfer. Da kracht ein Schuß, kurz und ichar? . . . 
Gedern fiäanben . . . der mächtige Vogel dreht fi und will die 
Schwingen breiten . . . da ſtürzt er hinab. Man hört das dumpfe 
Muſfichlagen des großen Körper2. 
„Mein Sobn Markus . .. 
möchteſt Du lieber ſein2“ 
Er war traurig geworden, 
PferdGen hier, Adler da. WaZ 
aber er zögerte nict mit 
der Antwort. 
„Adler . . . Er war doch oben!“ 
„Wan foll feinem die Flügel verbinden, der fliegen will,“ 
jagte der Shmied. Dam ging er davon, um ſich die De&federn 
„und Fänge des erlegten Tieres zu ſichern. 
Al3 er damit zurücfehrte, ſprach er: „Ditz Tarras ſind ein 
jeßbhaft Geſchle<t geweſen und wollten bleiben, wo fie waren. 
'S muß fremdes Blut ſein, das ſic da regt. Deino Mutter war 
von draußen. Wann willſi Du fort?“ 
Wearfus hörte erſt nicht re<t. Dann jedoch ſprang er auf 
=- er war nicht mehr faul. Er ſah nicht nach dom Himmel, wo 
der Adler geſchwebt, er ſaß nicht nach Tetta -- er jah ſtarr in 
die Augen de3 Alten. 
„Vann willſt Du fort?“ 
Seine Hand griff in dic Luft, 
„Vater!“ ſchrie er auf. 
„Sol im Di< halten?“ fragte der Schmied. „Du willſt 
doc“: raus! -- Adler werden!“ fügte er dann ſo leiſe hinzu, als 
:8 ihm, dem Lauten, möglich war. 
Und er nahm den Sohn in die Kammer, tat ein Schubfach 
auf und gab ihm einen Zehrpfennig. „Wer heut' ſchon wandern 
kann, foll nicht warten bis morgen. Da3 Leben iſt kurz. S<nür' 
Dein Bündel und ſ<hneid Dir im Walde einen Stoc.“ 
Markus zitterte vor Aufregung und Glück, aber er tat, wie 
ihm geheißen. Um die Mittagszeit war er mit dem Notwendigſten 
fertig. | 
„SO bring' Dich ein Stü>,“ ſagte der Alte und hängte die 
Glinte über. Er ließ, wenn er einige Schritte über das Dorf 
als juchte ſie einen Halt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.