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ſollten von einem Bahnwärter überraſ<ht und dieſer von ihnen
auf die Schienen gebunden werden. Der Zug ſollte im ent-
ſheidenden Moment angehalten und der Schauſpieler durch eine
- Ruppe erſet werden. Unglüdlicherweiſe gelang es dem Majcht-
niſten nicht, den Zug rechtzeitig anzuhalten, und der Schaujpieler
wurde überfahren und zermalmt. Der Film wurde ſelbſtverſtänd-
lich beſchlagnahmt. -- -
Aus vorſtehenden Darlegungen ſieht man, daß auc< beim
Kinematographen alles mit natürlichen Dingen zugeht, und die
Jilmfabrifanten werden nicht müde, immer wieder neue, wirkung3-
volle Tri>s zu erſinnen. |
N-4
ein Glü&wunſch!
Deutſche Jugend, ſturme3mädhtig,
GloFenlöutend, frühling3prächtig
Ruft dich auf mein ſtolzer Sang.
Ginig Band balt uns umſchloſſen,
Hört mich, wachſende Genoſſen,
Brüderbund in Sturm und Drang!
Alle Ketten, die da lauern,
Alle morſchen Scheidemauern
Schmettert in den tiefften Grund!
Arbeit foll die Arbeit achten,
Faule Schlemmer ſollen ſc<hmacten
Ginfam mit verdorrtem Mund,
ZW er Dichter, der dies kraftvolle Lied an die deutſ<s Jugend
y 5 geſchrieben, wird am 17. April fünfzig Jahre alt. Und Karl
“= Sendell verdient 23, daß die Arbeiterjugend ihm zu diejem
Tage einem jungfriſchen Kranz dankbar darreicht. Ihm, der ſich
innerlich ſeine Jugend gewahrt hat.*) Die lauten Kampflieder frei-
lich, in denen einſtmal3 -- dur< lange Jahre -- ſeine ſtarke und ehte
Cmpörung gegen „die große Sünde unſerer Zeit, die ſoziale Grau-
jamfeit und Verlogenheit unſerer mammoniſtiſ<en Kulturwelt“
jich austobte, ſind jchon ſeit geraumer Zeit verſtummt. E3 ſind mehr
allgemein-menſ<liche Empfindungen, die der Dichter heute in
zarten, lyriſ<en Kunſtwerken geſtaltet. Aber darum wär 3 doch
fali<, zu glauben, unſer Fünfzigjähriger ſei ſeinen Jugendidealen
untreu geworden. Nur den Glauben hat er eingebüßt, daß dem
politiſchen Kampflied ſchöpferiſche, die ſoziale und politiſche Wirk-
lic<feit umgeſtaltende Kraft innewohnen könne:
Kein Sehnſuchtslied mehr mag ich geigen,
Denn nicht au3 Liedern wächſt die Tak
Wa3 dem Henc>ellſichen Kampflied der achtziger und neunziger
Jahre, in dem er ſo mutig für die unterdrückte proletariſche
Klaſſs eintrat, ſeine hinreißende Kraft verlieh, da38 war ja jener
ſhöne Glaube, daß e8 möglich ſei, mit ſolchem Kied in der
Wirklicßkeit Erfolge davontragen zu können:
Auf, Freunde! Nicht ewig das Elend bejammern
In ſentimentalen Gedichten ! | |
Lehrt uns mit ſtrophiſchen Giſenklammern
Den Bau de3 Rechtes errichten.
Schlagt mit den Aexten der Reime
In die wurmzerfreſſenen Bäume!
Dieſer Glaube an de3 politiſchen Liede38 wirklichkeitgeſtaltende
Macht war auch den revolutionären Sängern der vierziger Jahre
eigen geweſen, und unwillkürlich gedenkt man beim Leſen vieler
Hendkellſchen Kampfverſe ähnlicher Gedanken bei Georg Herwegh:
Laßt, o laßt das Verſeſchweißen.
Auf den Ambeß legt das Giſen,
Heiland ſoll das Eiſen ſein!
Wie überhaupt ſich man< Verwandte3 zwiſchen Herwegh und
Hendkell aufſpüren ließe: der Geſang der modernen Barbaren
könnte -- vor allem auch der leicht anſprechenden, fanglichen
Farl Hen>ell
Form nach -- den ſchwäbiſchen Sänger der Revolution zum Ur-.
heber haben:
Wir ſind die Vandalen der Milde,
Wir ſind die Barbaren de3 Rechts,
Wir führen die Freiheit im Schilde,
Die Freiheit des Menſc<engeſchlecht3.
Wir, die modernen Barbaren?
Moderne Barbaren? O nein!
Wir wollen die roten Huſaren,
Huſaren der Menſchheit ſein.
-*) Eine eingehende Würdigung des Dichter8 nebſt einer knappen
Skizze ſeines äußeren LebensSganges3 findet ſich im Jahrgang 3, Nr. 20
der „Arbeiter-Jugend“ aus Otto Koenig3 Feder.
Arbeiter-Jugend
emen
tenen
Doh ſol< ein leicht in3 Ohr gehende3, volkstümlich pa>endes
Lied, das Herwegh3 ganze Stärke au8macht, bedeutet in Hendells
Schaffen doch nur einen Nebenzweig am Baume einer Dichtung,
Hen>oll iſt reicher an Tönen und Weiſen und, was mehr gilt, reicher,
vielſeitiger auch in ſeinem Innenleben. Während Herwegh eigents-
lich nur € in politiſches Lied -- das allerdings in vollendeter Schöne
-- gelungen iſt: „Sc möchte hingehn wie da38 Abendrot“, finden
wir in Hendkells lyriſchem Strauß. Blumen aller Art. Ganz einfache,
innige Naturbilder glücken ihm gleich meiſterlich wie empfindungs-
ſtarke Liebeslieder und weltbejahende, kraftvolle Bekennini3-
gedichte. Und daß der Lärm des kampferfüllten Tages nicht die
geſammelte Stille der Seele, nicht die einzige Schönheit trauter
Einſamkeitsſtunden zu zerſtören vermochte, das tut ein Gedicht
kund wie die mir beſonders lieb gewordene „Winterweihe“:
In Dieſen Wintertagen,
Wenn ſich das Licht verhüllt,
Laß uns im Herzen tragen,
Ginander traulich ſagen,
Wa3 un3 mit innerm Licht erfüllt.
Was milde Glut entzündet,
Soll brennen fort und fort,
Was Seelen zart verbündet
Und GeijteSbrüden gründet,
Sei unſer leiſes Lofung3wort.
Das Rad der Zeit mag rollen,
Wir greifen kaum hinein,
Dem Schein der Welt verſ<hollen,
Auf unſerm Giland wollen -
Wir Tag und Nacht der ſel'gen Liebe weih'n.
Ein. Dichter, der un3 ſo viel rein Menſ<liche3s zu ſagen hat,
dem nichts Hohe38 oder Süße8, das Menſ<enbruſt und Herz De-
wegt, fremd iſt, hatte darum ganz recht, als er ſich gegen die Ein-
ſhachtelung und Plakataufdrüc>ung zur Wehr ſekte, wie ſie von
Literaten und Kritikern ſo gern Dichbern gegenüber beliebt wird:
„Man wird das bequeme Schlagwort vom Tendenzdichter*) doch
mit der Zeit zum alten Eiſen werfen müſſen, es iſt zu plump, un
auf die Dauer zu ziehen.“ Und bei gründlicher Kenntnis von
Hendkell8 Geſamtſchaffen wird man e3 nicht für Ueberhebung des
Dichter3 achten, wenn er als ſeine „Geſamttendenz“ das poetiſche
Bild der Welt in und um ſich bezeichnet, und wenn er da3 Frei-
beit8gefühl, das ſoziale und politiſche, nur al38 ein Empfinden
neben anderen anſieht, das genau ſo wie die anderen Gefühlc:
Liebe, Naturfreude, Wehmut, Sehnſucht, der künſtleriſchen Gec-
ſtaltung wert ſei. Da3 führt uns zum Kern des Henckellſchen
Schaffens überhaupt: er will alle8, wa3 der Beachtung
wert, was menſc<lich bedeutung3voll iſt, im Kunjſtwerk ge-
ſtalten. Jedes einengende Soll, das die „Kunſtfürkunſftphiliſter“
Pepton eaaun für den Schaffenden errichten, verwirft unzer
ichter.
Und Hendkell tut recht daran. Uneingeſchräntte Freiheit in
der Stoffwahl, „da8 Große, da3 Kleine, das All und Eine“ iſt
de8 Dihter3 Wirken38gebiet. Hen>ell gehört =- darin den größten
Meiſtern der Empfindung3dichtung: Goethe, Heine, - Liliencron
ähnlich -- zu jenen ſeltenen Künſtlern, denen die ganze Wirklich-
keit in all ihrer ungeheuren Vielgeſtaltigkeit Freude macht und
zum Anlaß künſtleriſchen Bilden3 wird.
Dieſe urwüchſige Freuds allen Erſcheinungen und Aeuße-
rungen des Lebens gegenüber zeugt von der durc< und durc
weltbejahenden Grundart ſeines Weſens. DaZ iſt kein Optim15-
mu3 der Oberflächlichkeit und Gedankenloſigkeit; Hen>ells Leben3-
bejahung beruht auf ſeinem tiefen Glauben an das Gute der
.„Menſc<hennatur:
J<H weiß eine purpurne Blüte,
Die auf Wellen der Zukunft ſich wiegt,
Daz iſt die reinmenſhliche Güte, .
Die Jammer und Glend beſiegt.
Und dieſe Jreude an allen Erſcheinungen de8 menſchlichen
QebenS erflärt auch die. Vielſeitigkeit feines lyriſ<en Schaffens,
erflärt, wie Firrende Kampfeslieder ihm [9 wenig fremd ſind wie
zarteſtes Liebe38geflüſter und heimlichſte Träumerei. So hat er
ſich ſelbſt richtig gekennzeichnet :
Jch bin ein ſchwertgegürteter
Vorkämpfer in der Schlacht,
Ic<h bin ein zgartbemyrteter
Spielmann auf ſtillex Wacht.
- Die Grenzen ſeiner Begabung: de>en ſiH mit den Grenzen,
die das Gebiet lyriſchen Schaffens von dem der anderen Dichtungs-
arten (Roman und Dräma) ſcheiden. Und die weije Selbſt-
*) Tendenzdichter iſt, wer in ſeinem Werk eine beſtimmte Welt-
anſ<hauung, eine beſtimmte religiöſe, politiſche, ſoziale Meinung
vertritt, . . |