Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
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erfenntni8, in der Hen>ell die ſeiner Dichterſ<haft von Haus aus 
geſekßten Schranken niemal3 zu überſpringen vermöchte, wäre manch 
anderen unterer neuzeitlichen Lyriker zu: gönnen. Aber 1inner- 
halb der Empfindungsdichtung umſpannt ſeine Begabung (von 
der Miſchart der Ballade abgeſehen) ein weite? Reich bis zum 
gen Spottgedicht, zu deffen wirkungskräftigſten Vertretern 
er zuhlt. 
Jett hat Karl. Hen>ell die Höhe de3 ManneZalter3 erreicht. 
Man fann kaum glauben, daß fein dichteriſches Schaffen abge- 
ſchloſſen ſein ſoll. Noch iſt, jo ſcheint e3, bei ihm das Ringen um 
eine Weltanſchauung nicht abgeſchloſſen; und wenn nicht alles 
täuſcht, werden wir von Karl Hendkell noch manches Wort felbſt- 
erfämpfter Leben3weiSheit, in edle, künftleriſche Form gegoſfen, 
zu hören bekommen. 
Seute aber gilt'3, ſich de3 von dem Fünfzigjährigen ſc<on 
Geſchaffenen zu freuen. Unſerer Jugend wird der junge Hencell, 
der Dichter au38 den achtziger Jahren, der ein kühner Neuerer 
und: Revolutionär war, beſonder3 naheſtehen. Und danken wird 
ſie's ihm, daß er in dem ergreifenden: Gedicht: Die kranke Pro- 
ſctarierin, die hehre Miſſion: gefeiert hat, die dem proletariſchen 
Jungvolf geworden iſt: | 
Der Knabe, den dein Leib gebar, 
Den du mit Kummer aufgeſäugt, 
Zieht hoch voran der Heldenſc<har, 
Die alle Not von hinnen ſcheucht. 
Sein blaue8 Auge glänzt voll Kraft 
Im Lichtmeer einer ſchönern Zeit, 
Die Giſenhand umſpannt den Schaft 
Der purpurnen Gerechtigkeit. 
Max Poens38gen-Alberty. 
I? 
Wiſſenswertes von der Sprache. 
| Weidmannsſprace, 
Da38 Wort Weidwerk mit ſeinen Verwandten erſcheint beſonders 
geeignet, uns die wunderbare Wandlungsfähigkeit der Sprache in der 
Bedeutungz3entwicdelung ihre3 Wortſchaße3 deutlich vor Augen zu jtellen. 
Wer ſollte heute meinen, daß die Wörter Gingeweide, Vieh- 
weide und Weidwerk zuſammengehören, und doch find ſie des= 
ſelben Urſprungs und gehen auf ein und denſelben Grundbegriff zurüc. 
Dieſe3 Wort Weide lautet althochdeutſch weida, während der Name 
de3 Weidenbaums8 wida iſt. Jenes bezeichnet zunächſt: Futter, Speiſe; 
daher Eingeweide, eig. die genoffene Speiſe, der Inhalt von 
Magen und Darm, dann die mit Speiſen gefüllten Gedärme, endlich 
verallgemeinert: die Weichteile der Bruſt- und Bauchhöhle (Herz, Leber, 
Zunge und Gedärme). Au die Jägerausdrücke Weide für die Uejung 
(d. 9. Nahrung) des Fafan3 und des Rebhuhns8, auch des Hajen, und 
Weidlöffel oder Weidmeſſer für die Zunge von Hirſch oder 
Reh haben dieſe älteſte Bedeutung beibehalten. Das Wort bezeichnete 
jodann den Futter ort, davon die Bezeichnungen: Viehweide, 
 
Weidegrund, Weidefläche u. a; in übertragenem Sinne ge= . 
hört auh Augenweide und Ohrenweide hierher. Gndlich galt 
unfer Wort auch für das Suchen von Futter und Speiſe, alſo das Jagen 
und zwar urſprünglich ſo allgemein, daß man auch den Fiſchfang mit 
darunter einbegriff; ſpäter ſchränfte man es in dieſer Beziehung auf 
die Jagd ein, an die man bei Wörtern wie Weidwerk, Weid- 
mann (früher auch Weidner, jezt nur noch als Familienname er= 
halten), Weidtaſche, Weidmeſſexr u. a. allein noch denkt. Auch 
weidlic bedeutet eigentlich: jägermäßig, wurde dann aber von der 
Gemeinſprache verallgemeinert zu: friſch, tüchtig, gehörig; vergl. 3. B. 
weidlich ſchwißen. . 
Drei Jahre ſind oder iſt e3 her? 
Heißt e3: „No< nicht viele Jahre ſind e3 her, daß . . .“, oder: 
„Noh nicht viele Jahre iſt e8 her, daß . . .'? -- Das „ſind“ iſt fehler- 
haft; denn auf die Frage: wie lange iſt e3 her? ſteht der vieric Fall: „es 
iſt einen Monat her, daß ex zu mir fam“, „es ijt einen Tag her“, „es 
ijt faum einen Augenbli>k her“. GErträglicher wäre e3, Wenn c3 
ohne „her“ hieße: „Noch nicht viele Jahre ſind c38, daß . « +“. Aber da3 
klingt mehr franzöfiſc) al3 deutſch. " . 
- Vom Kaffee. . 
Kaffee und Rechtſchreibung =- zwei der unentbehrlichſten Dinge. 
Aber ſich mit der Rechtſchreibung des Wortes Kaffee zu beſchäftigen, das 
halten viele für ſehr entbehrlich. Es gibt wenige Wörter, die ſv ſelten 
richtig geſchrieben werden wie dieſe3: Kafe, Cafe, Kaffe, Caffe, Kafe, 
Kafee, Cafee uſiv. Am meiſten verſündigen ſich die Schildermaler bei 
diejem Worte, und beſondere Schwierigkeiten macht ihnen bei der fran- 
zVſiſchen Schreibweiſe der Akzent: wie oft verwechſeln ſie ihn und 
Ichreiben Cafs, wie oft mit dem Kürzung3zeichen und ſchreiben Cake; 
und wie oft ſeßen ſie dies Häfen dann auch hinter das Wort: Cate! 
Die Schreibung Cafe oder Cafe iſt übrigens nur noch anzutvenden, wenn 
das Wort im Sinne von „Kaffee ha u 3“ ſteht und wenn Michel3 faljche 
Gitelfeit dieſe deutſ<e Bezeichnung nicht geſtattet; lächcrlich aber 
Arbeiter- Jugend 
wirkt die Schreibweiſe Cafehaus, weil wir das Nahrungsmittel ſelbſt 
„Kaffee“ ſ<reiben müſſen, und ni<t „Cafe. 
.* 
Steter Tropfen höhlt den Sieiän. | 
Das müſſen wir uns auc< bei jo manchem ſchier unausrottibar 
ſcheinenden 'Sprachſchnißer ſagen: Steter Tropfen höhlt den Stein, und 
endlich werden Jie es denn doch wohl merfen und die Dummheit nicht 
immer wieder machen. Zeigte da neulich einer an: „Gin ſeiten arbeit3- 
freudiger Fachmann jucht die kaufmänniſche Leitung . . . zu üÜber=- 
nehmen.“ Sollten die, j9 in Verlegenheit um einen kaufmännijchen 
Fachmann waren, den „ſelten Arbeitsfreudigen“ wörtlich genommen 
haben, dann dürfte ihm fein einziges Angebot zugegangen ſein. Und 
wenn nicht, dann hat er nicht jelten, fondern außerordentlich großes 
Glück gehabt. Möchten wir doch dieſer felten richtigen Anwendung von 
„jelten“ al3 Umjiand8wort immer ſeltener begegnen! 
F= 
Das arme Gericht. | - 
„Das Gericht wolle erfennen, daß der Beklagte jei ſchuldig, mir 
für die von mir für ihn an die in dem von ihm zur Bearbeiiung Üüber- 
nommenen Steinbruche beſchäftigt geweſenen Arbeiter vorgeſchofſjenen 
Arbeitslöhne Grjaß zu leiten.“ So lautet das Klagebegehren eines 
NRecht8anwalies aus jüngljier Zeit. Das arme Gericht, das aus dieſem 
JÜrdievonmirfürihnandieindemvonihmfauderwelich lug werden muß! 
Am richtigjten wäre e3, wenn 235 dem Rechtz3anwalt darauf ſc<riebe, ex 
jei es der Würde der deutſchen Sprache und der Würde des Gerichtes 
1<uldig, jich für die von ihm an dem für ihn zur Anbringung von Klage- 
begehren zuſtändigen Gerichte anzubringenden Klagebegehren der Dienite 
eines des Deutſchen nicht unfundigen jungen Mannes zu bedienen, der 
ihm für Das für die von ihm für ihn für jeine Kunden in Anwendung 
zu bringenden Schriftſätze erforderliche verſtändlihe Deutich mit im 
beiten Sinne wohlgemeintem Rate an die Hand zu geben die Fähigleit 
und Möglichfeit hätte. Denn es bleibt dabei: Wurſt wider Wurtkt! 
Und wer mir in unverjtändlicem Deutſc< ]<hreibt, der verdient, daß 
ich ihm mit gleichem diene. 
* 
Mobilarverkauf, 
Wie oft muß man ſo leſen: Mobilar! Und heißen muß es: 
Mobiliar, denn e3 kommt aus dem mittellateinijichen mobiliare. Alſo, 
wenn man das Fremdwort anwendet, dann auch gleich richtig! Aber -- 
wir können wirklich deutlicher jein und dafür Jagen: HausSrat, Hau3- 
gerät, Fahrnmis (füddeuti<) und Jaließlich auch Möbel. 
* . 
Orientieren. 
KürzlihH wurde in der Zeitſchrift des Sprachverein2 al3 VerdeuT- 
ſhung von Orientierung (beim Kirchenbau) „Okung“ empfohlen, das 
ausdrudsvoller ijt al38 das verwaſchene Fremdwort. Und wie oit liet 
man dicſes troß feiner Verwaſ<enheit heute, wie ſehr iſt es zum Mode= 
wort geworden! Gigentlich orientiert nur der Seemann, d. H. er jucht 
den Sonnenaufgangspunkt, den Oſten, auch „orientiert“ man mit Fiecht 
eine Kirche, d. h. richtet ihren Chor nach Oſien; heute aber „orientiert“ 
man cinen Bau gar von Süden naß Norden! Heute jagt man Jerner, 
eine Regierungs3politif ſei nach dem und dem Geſichtzpunki orientiert, 
: Jpricht von einer national orientierten Mittelpariei, meint, die Politik 
ſtatt richten, 
Verdeutſchungen 
ihrer ein volles 
umi<hauen“. 
müſſe gänzlich neu orientiexrt werden u]w. uſw. -- 
einrichten, einſtellen ujw. -- Und wieviele 
gibt es doch für „Jidh orientieren“! Sarrazin bat 
Dußend, darunter „ji umifehen“ und „]1< 
: Zu diefen ]tellt ſi< für viele Fälle ganz vortrefflich) „ſiH umhören“. 
Das Hauptwort „Umhörung“ ſcheint zwar nicht beſonders empfehlenz- 
wert zu jein, aber da3 rüdbezügliche Zeitwori dürfie fjich in ſehr 
vielen Fällen als brauchbare und zwe>dmäßige Verdeutichung von 
„jich orientieren“ erweiſen. Und ebenſo könnte man Jagen: „JH muß 
erſt umhorden“. 
. R 
Komiſch. . 
Kaum ein anderes Fremdwort wird ſo viel fali< angewendet wie 
da3 kleine „komiſch“. Da fliegt beiſpiel35weiſe ein Luftſchiff in großer 
Ruhe und Sicherheit über un3: ſchon finden das einige Menjchen „ſehr 
komiſch“. Ein ernfte3 Bild erregt allſeitiges Auffehen. Es wird Über 
das Für und Wider geſtritten, und man hört: „Komiſch, daß der Meitier 
das gerade auf dieſe Art dargeſtellt hat.“ In beiden Fällen -- aus 
tauſend Beiſpielen ſind nur dieſe zivei herausgegriffen -- fragt man ſich: 
„Wo ſte>t denn da das Scerz- und Spaßhafte, was 1ijt denn luſtig 
dabei?“ Und dann fällt es uns ein, daß das deutſche Volk wieder bei 
Fremden Anleihen macht, obgleich ihm unſere Sprache treffendere Au3= 
drüde zur Verfügung ſtellt. Die Menſc<hen lachen über etwas und finden 
das „fomiſch“, alfo jpaßhaft -- ſie finden aber auch etwas merkwürdig 
und nennen das wieder „komiſch“. Jſt das nun nicht romiſih? Ob man 
nicht doch allmählich anfangen wird, über den Sinn der Worte nachzu- 
denten? 
> 
Ein biß<en. 
E3 gibt gewiſſe Kleinigkeiten in unſerer amtlihen Rechtſ<reibung, 
die ſich durchaus nicht einbürgern wollen. Dazu gehört ein bißchen. 
Immer wieder ſieht man die Schreibung „ein bisc<hen“. Da es aber 
von dem Hauptwort „Biſſen“ kommt, ſo hat man eben die Schreibung 
mit ß feſtgelegt, und um der Einheitlichkeit willen ſollte ſic jedermann 
dem fügen. Daß es mit kleinem b geſchrieben wird, beruht auf Der 
Regel, daß alle umſtand3wörtlichen Wendungen ſo geſ<hrieven werben 
ſollen. 7 ,
	        
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