Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Erſcheint alle 14 Tage. 
Preis der Einzel- Nummer 10 Pfennig. 
Abonnement vierteljährlich 50 Pfennig. 
Eingetragen in die Poſt- Zeitungsliſte. 
Nr. 2 
.. . » 
Wie fommen wir vorwärts? 
amd ic Frage, was wir zu tun haben, um vorwärts 3 fommen, 
yy mag wmanden unterer Leſer jonderbar anmiiten. 
wir vorwärts fommen, iſt ja eine Tatſache, iſt erfreuliche 
VBtirklichkeit, iſt etwas, das außer Trage ſteht. Die Zahl unjerer 
Anhänger wird immer größer, von Woche zu Woche kommen neue 
Heine hinzu, der Abonnentenſtand der „Arbeiter-Jugend“ geht 
danernd in die Hohe. Dabei iſt das Tempo unſerer Vorwäris3- 
bewegung durd<aus gleichmäßig, bat nie geſchwantt, jeitdem die 
Bewegung exiſtiert. In jedem ihrer Jahre8berichte konnte die 
Zentralſtelle für die arbeitende Sügend von neuen Erfolgen auf 
allen ArbeitsSgebieten. der Bewegung berichten, Und wenn man die 
Zahlen vergleicht, in denen die Erfolge ſich ansdricken, wird man 
auch etappenmäßig dieſen gleichen Schriti und Tritt in unferem 
Vormarſch verfolgen können. 
Dazu kommt der innere Ausbau der Bewegung, von dem in 
voriger Nummer an dieſer Stelle die Rede geweſen iſt, die Wög- 
Uchfeit neuer Arbeit in neuen Formen, ein Ausblick, der gleichfalls 
dazu angetan iit, das Herz jedes unſerer Kameraden in freudic ger 
Genugtuung über die Gegenwart wie über die Zukunft unjerer 
Sache hsher ſchlagen zu laſen. | 
Freude und Gemigtunig indeſſen, fo berechtigt auc) dieſc Be- 
üble angeſichts der Entwickelung unterer Bewegung ſind, Frezide 
ind Genugtuung allein dürfen unfere Stimmung nicht beſtreiten, 
wenn wir vor unfere Arbeit treten. Die Situation hat auch ihre 
gehrfeite, und auch dieſe Kehrſeite unjerer freien Jugendbewegqung 
iſt ja auf dem leißten Porteitag der deutſchen Sozialdemokratie 
ansqiebig beleuchtet worden. Da hat einer unferer Freunde an 
der Hand der Abonnentenziffern der einzelnen Orte feſtgeſtellt, daß 
dur<aus nicht überall jenes erfrenliche Durchſchnitts5tempo Ine 
Gehalten worden iſt; einzelne Orte ſind langſamer vorwärts- 
ceſchritten, einzelne ftiligeſtanden; ja an verjä Hiedenen - Stellen iſt 
der Stand unjerer Abonnenten, der do< immer der zuverläſſigſte 
Regel der '"Bewequng iſt, zurücgegangen. Tragiſch zu nehmen 
von der Warte der Allgemeinbewegung ſind ja jolc<e Erſcheinungen 
nicht; ſie ſind noch nicht einmal überraſchend, denn jede8 große 
Veer hat, md zumal beim ſtürmiſchen Verdringen, Schlappe zu 
verzeichnen. Immerhin werden ſich die Orte, die gemeint waren, 
die öffentliche Annagelung zur Notiz genommen haben, und cs iſt 
nicht daran zu zweifeln, daß ſie das nächſte Mal, wenn wieder 
Gencralmuſternung geballten wird, Tritt werden gefaßt haben. 
Geradezu grotesf aber iſt's, wenn nun gewiſſe Gegner, geſtüßt 
auf dieſe Kritif aus unſeren eigenen Reihen, ſolche für die Ge- 
jamtbewegung belangloſe AuSnahmen wiiſt verallgemeinern und 
von eineni Stillſtand, ja von einem Rückgang der freien Jugend- 
veivegung zu phantaſieren wagen! Sogar ein Pfarrer von der 
jonit jo nüchternen Hamburger Richtung gibt ſich dieſem ſüßen 
Wahn hin. Nun, wohl bekomnm's den Herrſchaften! Ein Beduine 
würde ſagen: „Der Hund vel die Karawane zieht vorüber.“ 
Die Kehrſeite unſerer Freude. an dem Erreichten ſieht nach 
einer anderen Richtung als ;ne Kritif auf dem Parteitage. Fünf 
Millionen jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen gibt es, gering 
gerechnet, in Deutſchland! Wenn wir demgegenüber bloß hundert- 
tauſend Anhänger der freien Jugendbewegung muſtern, fo be- 
deutet da38, daß das Erreichte im Vergleich zu dem, was 10 er 
reicht werden muB, gering iſt; daß die weitaus ſchwierigſte und 
umfangreichſte Arbeit auf unierem Felde noch vor uns liegt. Da- 
dei iſt es wahrlich nicht der Bli auf die bürgerliche Ingend- 
 
Berlin, 17. Januar 
 
können Jene, 
Denn daß. 
Expedition: Buchhandlung * Vorwärts, - Paul 
Singer G. m. b. H., Lindenſtraße 69. Alle Zu- 
ſchriffen für die Redaktion find zu richten 
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68 
1914 
bewegung, der uns Feuer unter die Sohlen machi. Was wir, ge- 
nieſſen an dieſer 5 Millionen-Aufgabe, noc< nicht erreicht gaben. 
nat Ausnahme vielleicht der katholiichen Jugens-“ 
vereine in gewiſſen engbezirkfien Gegenden Deutichlands, über- 
baupt nicht erreichen. Die Hauptaufgabe unſerer Ausſchüſſe liegt - 
deShalb weniger im Kamp? mit den gegneriſchen Jugendvereinen - 
als in der Gewinming des eigentlichen, aroßinduſtriellen Jugend- 
proletariais, an das die- bürgerliche "Bewegung Überhaupt nicht 
heranfommt. Unſere Jugendaustchüſſe dürfen fich darum nicht 
auf den -Snnendienſt beichränfen, 8. bh. nur darauf bedacht jein, 
wie ſie die vorhandenen Ginrichtungen unſerer Bewegung möogalichtt 
vollfommen ausbauen. Nicht minder wichtig iſt die Aufgabe, 
iminer neue Anhänger heranzuziehen. Die Bropaganda, 
die Anitation muß neben der Bildungsarbeit, von der heute 
nicht geredet werden ſoll, ein weſentliches, mit allen verfügbaren 
Fruftein zu förderndes Ziel der Ausſchüſffe fein. Gewiß, anmch die 
vorhandenen Einrichtungen, wenn ſie moglichſt werivboll und au- 
ziehend ausgeſtaltet werden -- alfo ein Jugendheim, in dem die 
Jugend ſich zu Hauſe fühlt, Wanderungen, bei denen der z3roh- 
jinn an der Spiße marſchiert, Vorträge, die imi Gegenſtand und 1 
ſeiner Behandlung den iugendlichen Sörer feſteln, Feſte, die wirt- 
lich Feſte der Iugend find =, alls dieſe typiſchen Einrichtungen 
ind Veranſtaltungen znferer Jugeitdarbeit werden, ic voll- 
fommener fie ſind, deſio wirfung5voller zugleich) als Werbemittel, 
nnierer Bewegung dienen. Aber auch die Gewertichaften und die 
Parteowereine verlaſſen ſich nicht darauf, da die Klaſſengenoiten 
die vein Weg zu thneon gefunden haben, chon erfennen mw xen, 
welche wirü<afilichen und kuliurellen Vorteile ihnen d3 gel 
werden, UND daß jie dann bei ihnen bleiben; ſondern nie alls ß aben 
umfangreiche L Vorkfehrungon getroffen, un ven fernitehenven Ge 
oſten auch den Wegzuihnenzu zeigen. 
Die freie Jugendbewegung muß auch hierin die Lehren dor 
allgemeinen Arbeiterbewegung fich zunukße machn. Wies das im 
einzelnen geſcheben foll, iſt bier nicht der Ort, eingehend aus- 
einanderzuſekon. Dafür haben wir ja überall in unſeren Nus- 
ſhiſſen-die älteren Arbeiter, die auf anderen Gebieten der aroßen 
Kuilturbeweqmung des Proletariats methodiſ< die Erfahrungen ge- 
fammelt haben, welch? ſie jezt der Sache unſeres proletariſchen 
Nachwuchſes zugute kommen laſſen. Die Bedingungen Der Agi- 
tation ſind auch, je nach der wirtſchaftlichen, politiſchen 1u1d 
ſtammespfychologiſ<en Geſtaltung der verichiedenon Ge bie 
Deutſchland8 zu verſchieden, als daß ſie in Regeln gefaßt werden 
fonnten. Yur eines ſoll hier erwähnt werden, weil es die umtt- 
gängliche, für alle Gebiete geltende Vorausfckung jeder wirlunqs- 
vollen Werbearbeit ausmaht: Wenn ein Anusſc<huß erfslareich 
arbeiten foll, muß er vor allem fein Arbeitsfeld genau kennen. 
Sein Arbeitsfeld iſt überall die Gefamtheit der jugendlichen Nr- 
beiter am. Orte. Es iſt de8halb durchaus notwendig, daB jeder 
Jugendausſc<huß ein möglichſt lückenloſes Verzeichnis der jugend- 
lichen Arbeiter und Arbeiterinnen zur Hand hat. Dieſes Ver- 
zeichnis zu beſchaffen, iſt vielleicht manch erorts eine ſcmnrere, aber 
es iſt nirgends eine unaunsführbare Aufgabe, denn die Ausſchuß- 
mitglieder ſind doch Arbeiter, die mit ihren jugendlichen Kollegen 
an der Arbeitöſtätte den ganzen Tag zuſammen ſind, und was ſiv 
ſelbſt nicht auSrichten können, dafür haben ſie in der Arbeiterſchaft 
de38 Ortes genügend Bekannte und Helfer. Sind die jugendlichen 
Arbeiter feſtgeſtellt, ſo muß. an jeden einzelnen perſönlich heran- 
getreten werden. Jeder Jugendliche Arbeiter muß nicht e in mal, 
ſondern wiederholt, womoglich regelmäßig zu unſeren Ver-
	        
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