270
aus genteßt, fann jich mit dem von Stubbenfammer in keiner
Weiſe meſſen. Nur die ungeheuren Möwenſc<hwärme prägen dieſer
Kaplandſchaft eine gewiſſe Eigenart auf.
Jür den Rückweg wählen wir die am Strande entlang-
führende Straße, die über Vitte, Goor, Nobbin und dem an Wild-
Weſt erinnernden neuen Badeort Yulius8ruß, der allerding3 einen
ganz au8gezeichneten Strand beſibt, na Breege zurückführt.
Langſam ſchlendern wir durch die traulich-gewundene, langazeilige
Dorfſtraße. Aber viel Zeit zum Umſchauen bleibt nicht mehr.
Der eine Dampfer qualmt und tutet bereits im Hafen. Er hat
nur wenige Baſfſagiere, aber dafür eine beträchtliche Viehfracht :
Kälber, die nur mit Knüffen und Püffen, Zerren und Stoßer
an De> zu "bringen ſind. E3 dauert geraume Zeit, bis die
jugendlichen Vierfüßler leidlich untergebracht und ſejt ange] jeilt
jind. Dann geht ein leiſes Zittern durch den Schiffsleib, ein
immer breiteres Waſſerband ſchiebt ſich zwiſchen uns und Breeges
niedrige Fiſcherhäu8c<hen: wir fahren.
Der Breeger Bodden wird weiter und weiter. Im BÖOſien
zieht ſic) das dunkle Waldband der Schaabe. Dann tut ſich für
kurze Zeit die Einfahrt zum Großen Ja38munder Bodden auf.
Wir aber gleiten .am Ufer der Lebbiner Halbinſel entlang in den
'Breeger“ Bodden hinein, der ſeinen Abſchluß in- der Wittower
Fähre findet, wo die Kleinbahn mittel3 Trajekts ihre Wagen vom
Hauptteil der Infel Rügen nach der Wittower Halbinſel hinüber
befördert. |
Unjer Dampfer ſtampft jezt durch die Waſſer der Ra)jower
'Bucht. Die Wälder des Buger Werders dunkeln im Norden.
Kurz vor der Einfahrt in den Trog, der ſchmalen Wajſſerſtraße
zwiſchen dem Vitter Bodden und dem Schaproder Bodden, ſtoppt
unſer Shiff. Wir liegen vor Hiddenſee. Eine Segelbarke kommt
herau3, bringt Paſſagiere und bootet uns, die wir der lang-
geſtredten Düneninſfel einen Beſuch abſtatten wollen, an Land.
. Wer Hiddenſee unbeſucht läßt, hat nicht viel verloren.
Cine alte Ruine in Kloſter iſt ungefähr das einzige, was das
Auffuchen der Inſel einigermaßen rechtfertigen kann. Baumlos
faſt und ſiedelung3arm dehnt ſich das nur flac< aus dem Meere
ragende Eiland, deſſen Charakter von einem Wanderluſtigen nicht
gur anders als einförmig und langweilig genannt werden kann.
In Vitte beſteigen wir wieder einen der kleinen Dampfer,
uns ſüdwärts, Straljund zu, tragen fol. Zuerſt paſſieren
j noh befanntes Gebiet. Denn zunächſt geht e3 wieder durch
den Trog in den Schaproder Bodden hinein. Hier und da taucht
cin Inſelchen aus dem Waſſer auf. Ganz fern verdämmern
Uferlinien am Horizont. Bald iſt Hiddenſee unſeren Blicken ent-
jHwunden. Auch der breite Qubiter Bodden liegt hinter unS.
Die Waſſer de38 Strelaſunde3 haben unſer Gefährt aufgenommen.
Auf unſerem Schiff wird es lebendig. E35 geht ans Einpacken.
Die recht umfangreichen, auf der Fahrt leer gewordenen Proviant-
tajchen der Frauen müſſen jekt den Stridſtrumpf aufnehnen.
Ganz ſc<mal iſt die Fahrſtraße geworden. Rügens Sand-
ſtrand ſäumt ſie im Norden. Im Süden aber heben ſich immer
Ichärfer die weitangelegten Stralſunder Hafenbauten aus dem
Lichtdunſt des Sonnentages. Ein rieſiger Speicher re>t ſeine
maſſigen Sto>werke. Da38 Rathaus und ſpite Kirc<türme heben
ſi< über einem Meer brauner Dächer. Vreite Everkähne, Motor-
boote und Segelbarken tummeln ſich in dem dunkelgrünen Hafen-
waſſer. Langſamer und langſamer gleitet unſer Schiff; es
ſtoppt und legt an der Mole an, während jenſeit8 des Sundes
die Rügenimſiel breit und waldgeſchmickt noc< immer zu uns
berübergrüßt. =
7
. Wir jind immer die Arbeiterjugend.
MM“ einer Sonntag3wonderung hatie ich ein merkwürdige8 Erlebnis.
der
wir
Q. (We
Mit einem leßten, ſehr innigen Schnauferl hatte ic die Höbe
eine3 Waldberges in der Lehzlinger Heide geivonnen. Die Leß-
linger Heide iſt ein etwa 29 000 Hektar großes Waldgebiet in der
Provinz Sachſen, wenige Stunden Weg38 nördlich von Magdeburg,
links der Elbe. Von der erwähnten Berge3höhe ging e8 noc< höher
binauf: ein über 20 Meter hoher Wachtturm ſtreöte ins Blaue. Von
dem Turm au3 muß der Forſtwart das grüne, wogende Meer der Baum
wipfel beſtändig überſchauen, damit ein aufkommender Waldbrand
ſofort entdeFi wird und gelöſcht werden kann. Noch einem andern
Zwe dient ſolch ein Turm: er lo>t Menſchen an. Wer ihn von weitem
aus ven Kiefern emporragen ſieht, muß 1bn ſelbſtverſtändlich aufjfuchen.
I< traf daher eine ganze Au8wahl von Menſchen am Fuße des hölzernen
Turmes.
Jetzt fam es bunt genug aus grünem Laubwerk hervorgeſprungen,
geſungen und gela<ht. Rote Baden, blonde Scöpfe -- oder auc
ſchwarze, was weiß ich -- blaue Bänder, weiße Bluſen und Mieder,
die allein ſchon zehn Farben trugen. t oder neun junge Burſchen
- Arbeiter-JIugend
waren es und drei Mädchen. Gleich geht es hinauf zum Ausgud!
Die Leitern erklettern ſie flinf wie Schornſteinfeger bzw. Schornſtein-
fegerinnen. Gin Viertelſtündchen ſpäter landen: ſie wieder auf dem
Waldboden. Das war eine Sahrt!
Jeßt wird gegeſſen! Der Vorſchlag fand ungeheuren Anklang. --
So, nun wollen wir ſpielen! Habt ihr ſon einmal erfahren,
wie häßlich es iſt, wenn quf einem . grünen Plan oder auf einem
grauen Sandplaß der Ruf zum Spielen erſchallt und einige Mieſepeter
reden und ſtreden fich und zeigen ſich gar nicht erbaut? „Jet abe 1b
rioch feine uit, wartet noch ein. bißchen.“ Oder ein junges Madcher
zieht ein Mäulchen und ſagt: „Ach, .dieſc3 Spiel gefällt mir ſchon gar
nicht; ich möchte Licber dies vder jenes ſpielen.“
Sit eu) das ſchon vorgekommen? Gewiß!
häßlich, ift nos viel ſchlimmer: es ijt unkfameradſc<aftlid.
Das gab es hier nicht. Hei, wie ſie flogen! Kein Zögern, keine Gin-
wendungen. C8 läßt ſic) bei jedem Spiel lachen und ſpringen. Unter
den Zuſchauern, „den alten Und den Jungen, gab ez feinen, Der jich
nicht mitfreute. Dem Zopf der blonden Marie wolite bei dem allfeiti
Bowegen das Gebundenſein nicht behagen, er wollte auch ſpielen.
Darum machte er ſich von allen Nadeln und Spangen frei und beſchried
fühne Schwünge in der Luft.
„Marie, dein: Z9pp!“
„ZLaß man, der iſt angewachſen!“
Nichtig, ex war angewachſen.
Dann wurde es wieder ganz ſtil, Sie ſaßen in Gruppen und
erzählten. Giner hatte ein - Buch Servorgeholt; zwei oder Drei gingen
und ſuchten Waldblumen.
Jezt nahte wieder eine Ausflüglerin. EC38 war keine von Der
gewöhnlichen Sorte. Ihr Wanderkfleid war nicht von nceucr Art, und
fie trug auch nicht das kleinſte Päckchen Frohſinn herbei. Deſto ſ<werer
drüte ſie ein Tragkoxb, der gefüllt war mit Reiſern, Kräutern und
Blumen. Und noch ſchwerer als der Korb laſteten auf ihr die vielen
Jahre eines harten Arbeiterlebens. So kam es wohl, daß ſie tic]
gebeugt einherging. Schnee brate ſie mit in dieſe grüne, warme
Frühling3welt; Schnee, der auf ihrem Haupte lag. Seit dem früheſten
Morgen war fie woh! ſcon im Walde umhergeſtreift und hatte geſammelt
um ihr Stü> Brot. » Ihre derben Schuhe waren durchſeuchtei, an ihrem
RoE, an ihrer Jake harten im niederen Gebüſch die Blätter ihren Tau
abgeſtreift.
Sie ſuchte einen Plaß.
Auf drei Bänker. traf man allerlei Vorbereitungen, um ihr zu
zeigen, daß fein Plaß mehr da fei. Wie merkwürdig! Vor cinigen
Minuten haben die Menſchen noch alle feöhlich gelacht! Jckt ſehen jie
falt und abweiſend um ſich, weil ein altes, naſles Weiblein einen Sitz
zwiſchen ihnen haben will.
C3 gab noc< eine Bank, darauf Satte ich ein bedenkliches Durch-
einandex von Taſchen, Mädchenhüten und Ruckſäden breit gemacht.
Und dazwiſchen faßen Marie und Grete von der jungen Geſellſchaft.
So, nun könnte eine rührfame Geſchichte kominen, iwie die beide:
Mädel mit einer gottvollen Rücſicht5loſigkfeit die Nu>ſäc>e, Tajchen un?
Hüte =- man denke: Mäd<henhüte! -- in den Sand warfen, auseinander-
rüdten und der müden, von der Arbeit beſc<hmußten Alzen Plaß machten.
Viellgicht würden auch manche das Bild jehr rührend gefunden haben,
wie die graue Alte zwiſchen der weißgekleideten Jugend ſaß.
Da3 iſt alles Unſinn. Die beiden Mädel würden ungeheuer lachen".
wenn man ihnen etiva3 fagte von ihrer Hilfsbereitſhaft und ihrem Edel-
mut. Daran haben ſie beſtiinmt nicht gedacht. Was ſie taten, hielte:
fie doc< für eine Selbſtverſtämdlichkeit. Bei alledem hat fie auch ver
loſe Schalf keinen Augenbliä verlaſſen. Er guckte ihnen aus allen
Knopflöchern, al8 ſie nachher mit der Alten ins Geſpräc< kamen, di2
ich als ein wunderliches Haus entpupvie. ,
E3 war ein drolliges Bild.
Dann pate die junge Geſellſchaft ihre Sicbenfachen. „Nun ſcheiden
wir mit Sang und Klang; leb wohl, du ſchöner Wald.“ Weiter gings,
den Berg hinab. Jh wanderte hinterdrein. An einer Kreuzung tkraſcit
WIL zuſammen.
„Junge Leute, wo ſeid Jhr her?“
Giner nannte einen Städtenamen, den ich nicht mitteilen will;
ſchreibe ſtatt deſſen ein N.
Alo der junge Mann trat aus dem Trupp heraus:
von der Arbeiterjugend in N.“
„Wir
fin
Aus ſeinen Worten lang verhaltener Troß, er blidte auc nicht.
mehr ſo fröhlich in die Welt; ſcine Freunde waren ſtill geworden und
ſchloſſen die Reihen enger,
Jh verſtand ſie. „Wir ſind von der Arbeiterjugend,“ das iſt ein
Kampfruf geworden. Wenn unſere Jugend dieſe Worte hören [äBt,
entſtehen ihr Gegner allüberall, auch beim harmloſeſten Spiel und auf
den fröhlichſten Wanderungen. Auch ich konnte ein Gegner ſein, der
ihre Sache angreifen wollte. Darum ſchloſſen ſie ſich zur Verteidigung
gegen mich, den Alten, der auf Die Ueberlegenheit ves Alters pochen
konnte, zuſammen. .
Da3 hat mir ebenſo gefallen wie ihr flottes Spiel vorhin.
Nicht wahr, das it
6:58.
-:Wax;n,
4.2
4234