Arbeiter- Jugend
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„Ihr ſeid die Arbeiterjvgend von N.? Das freut mich.“
Auf der anderen Seite gab es nun auc< viel Freundlichkeit.
„Die Arbeiterjugend ſind wir eigentlih nicht. Wenn die Arbeiter-
jugend von N. einen Ausflug macht, dann ſind e8 vier= oder fünfmal
jo viel Teilnehmer. Wir gehören zur Arbeiterjugend und haben uns
nur jo zufällig getroffen.“
„Ach jo!“
„Aber wir ſind immer die Arbeiterjugend! Auch
wenn ji nur fünf oder vier odex gar nur zwei zuſammenfinden.
Unfer Obmann in N. hat es uns geſagt: ſelbſt wenn wir ganz allein
jind, auf der Straße, im Arbeits5ſaal 9der zu Hauſe =- wir ſollen mie-
mals vergeſſen, daß wir zur Arbeiterjugendbetvegung gehören.“
„Das itt rihtia. Man muß ſftet3 in die Sache denken, zu der
man gehört.“ | -
„Nein, Herr, mit dem Darandcnken iſt es wohl nicht getan. Man
muß danac<h handeln. Wir haben mehr Pflichten al8 andere junge
Arbeiter, die in unjerem Alter ſind und nicht zur Jugendbewegung
gehören, jagt Herr Freund, unſer Obmann. Wenn ſo einer, der nicht
zu uns gehört, findiſc<e Albernheiten macht, wenn er jich feige zeigt,
wenn er träge ſeine freie Zeit vertrödelt und fie ich mit Schumdliteratur
verdirbt, ſo ſollte er ſich zwar recht ſchämen -- aber wer fragt nach ihm?
Bei un3 iſt es anders. Nah uns fragt die Arbeiter-
jugend. Wir können der Arbeiterjugend Schande bringen. Wir
müſen uns nicht nur für uns ſchämen, wir müſen uns für die Arbeiter-
jugend jmämen.
Ex -ging eine Weile jweigend jeines Wegs.
„I kann Jhnen das nicht gut erklären. Sie werden aus meiner
Noderei nicht flug geworden ſein,“ ſagte er dann, ein wenig Aengjtlich-
feit in ver Stimme. |
Im Trupp hob ſich ein rotbä>iges Geſicht und einer jah mich ver-
ſiohlen an, ob ich den Sprecher wirklich nicht verſtanden batte.
Sie ſchritten ruhig ihres Wegs. J<h lief hinter ihnen her und
geriet ins Sinnen. E38 war ſehr merkwürdig: mir wollte immer ein
Sprichwort in franzöſiſcher Sprache über die Lippen = in dieſen
deutſchen Kiefernwald, bei dieſen jungen Deutſchen --, ein Sprichwori,
das in Zeitungen und Reden ſc<on jehr abgetragen ijt: Noblesse
oblige. Mir fiel nichts Vernünftigeres ein. Hatte der Junge nicht
ungefähr dasſelbe geſagt? Der Adel legt Pflichten auf, heißt es zu
deutſch. Die Sache, die Jugendbewegung, legt dir Pflichten auf. Der
Abel DEINEx Sache bebt deine perſönliche Bedeutung =- du mußt jedoch
ihrer | würdig fein.
Du bijt nicht ein tleiner Irgendwer, ein beliebiger Lehmann over
Rieffe, der auf der Straße umherlungert, Narrenpoſſen treibt und
vurc Bubentftreiße nicht vicl Anſehen verfieren kann, weil er nicht viel
beſißt, weder bei anderen Leuten, noc< bei ſich ſelbjt. Du bijt als An-
känger der Jugendbewegung etwas: ein Vertreier der großen Sade.
Du haft daher Anſehen zu verlieren: dein Anſehen vor deinen Mit=-
genoſen, das Anſehen deiner Bewegung. Darum haſt du andere
Pflichten.
Da hat in der Werkſtäite ein Iumger Mitarbeiter Malheur. Er
weiß, er hat Strafe zu gewärtigen. Dic Zehrlinge und Arbeitsburſchen
iehen dabei und = grinfen in ihrem Unverſtand. Sie haben noch nichts
von Kameradſchaftlichfeit und Solidarität gehort. Dann iſt ja die
Schadenfreude zumeiſt die erfie Wirkung. Was3 tut es, kein Menijc<
achtet darauf. Aber bei dir, wenn du von der Arbeiterjugend kommit,
achtet jemand darauf, das iſt =-- die Arbeiterjugend. Natürlich ſtehen
nicht deine Jugendgenoſſen um dich herum, aber bei dir ſteht das
Arbeitergewiſſen, das in der Geſellſchaft deiner Jugendgenoſſen gewet
wvurde; in dir regt ſich die Forderung: die Arbeiter ſollen zuceinanderx=
ſtehen, fie ſollen fich gegenjeitig helfen.
Du mußt dich dur< Kameradſchaftlichfeit und Mut auszeichnen,
beim Spiel wie bei ernſten Dingen. Denn du biſt immer „die
Arbeiterjugend“.
Genau das meinte doch der junge Freund aus N. Und mir ſchie,
ſeine Wandergeſellſ<haft hat heute vom erſten Augenbli> an fo gehandelt.
„Mir fam ein Gedanke: wenn auf jedem Wieſenplan, wo die Jugend
jpielt, in jeder Werkſtelle, auf dem Weg zur Fortbildungsſc<hule, in
jeder Jugendzuſammenkunft jeder von uns ſo-dächte und handelte wie
die Kameraden, von N., dann würden wohl die Lehmann und Riefke, die
icßt noch nichts mit unſerer Sache zu tun haben, bald zu uns kommen
und es ebenſo halten wie unſere Jungen. Denn ſchließlich will keiner
unten bleiben, wenn er andere aufwärts3ſchreiten ſieht. Und ſie
müßten alle bei un3 ſein!
Der geſamten Arbeiterjugend von N. wollte ich daher einen Gruß
beſtellen laſſen. Meine frohe Geſellſchaft war aber ſchon weit weg.
Sie hatte den Wald verlaſſen und wanderte draußen im hellen
Sonnenlicht.
„Wir ſtehn mit Jugendflammen
Stet3 treu zum freien Bund!“
lang e3 au3 der Ferne zu mir herüber. | |
Emil R. Müller-Magdeburg.
ten für ein mildes D
blieben wir glüdlicherweite uns
Hundskagswanderung.
ex dieSjährige Sommer meinte e38 wirklich. gut. mit un8; tagein,
VN) uon fielen die Strahlen der Sonne vom faſt ſtändig wolken-
loſen Himmel auf uns hernieder und verbreiteten eine richtige
Badofenglut. Jeder war beſtrebt, unnötige Bewegungen zu vermeiden,
um nicht noH mehr zu jſc<wißen, als da3 bloße Daſein ſc<on erforderte,
und jo konnte man es verjtehen, wenn auch die Luit zum Wandern nicht
bejonders lebhaft war. Allgemein zog man es vor, den Sonntag halb
im Waſſer und halb im Sande zu verliegen.
Auch wir netxgten zu digſjem Zeitvertreib, wollten aber auch die ge=
wohnte wohltätige Bewegung nicht gänzlich entbehren und verlegten
deShalb unſere programmäßige mehrjtündige Wanderung in die Nacht-
jtunden.
Um 121% Uhr nachts fuhren wir. mit dem lezten Zug in dreiviertel=
ſtündiger Fahrt von Berlin na< B. Eine ſehr gemiſchte Reiſegeſell-
ſchaft hatie fich zuſammengefunden. Arbeiter, die erſt jeht zu ihren
draußen vor der Stadt gelegenen Wohnungen gelangten; Laubenkolso-
niſten, die auch die Nacht ſchon auf ihrem „Rittergut“ verbringen
wollten; verichiedene würdige ältere Herren, Lewafinet mit langen
Yiuten und 8?) 'chb ehältern, die offenbar nicht früh genug zu ihrem „auT=
vegenden“ Sport fommen fonnten; nicht zuleßt auch eine größere Ars=
zahl Jugendfameraden, die g: 'eich uns vorhatien, die Nachtiunden hin=
durd) zu wandern.
Die ur8e Baznjirede war bald zurücgelegi. In einigen Minuten
hatten ivir das ſhon ganz ruhig daliegende Städtchen B. durc<ſ<ritien
und varen draußen. Wir waren allein, denn die übrigen Nachiwanderer
i<hienen andere Wege eingeſ<lagen zu baben.
Der Beleuchtung nach fam uns übrigens die Nat wenig zum Bc=
wüßtiein, denn der tierniſare Himinel und der hochjſtedende Vollmond jorg-
amincrlicht; Iczu maddte fich: im Rordojien iHon eint
Dieſer entgegen, durch hoße Kornfelder, führte
Schritte ſtörien die Stille. Ging M arichunter-
feines dunflcs 6 Geic<öpf furz vor uns den Weg
freuzte. „Gine Ratte,“ hieß e8. „Ausgeſchloffen -- 10 gemächlich be
megen jich dieje micht,“ lauteis es dagegen. Inzwiſchen war das „Wild“
Icon gejtelt. Ein Igel war der frühe Wanderer, der fich wahrſcheinlich
j<on vor Sonnenaufgang jein erjies Frühiück beſorgen wollie.
GStwa um 2 Uhr morgens hatten wir den Rand des Walde3 er=
reicht, der zu dur<queren war. Gerade als wir den Feldern den Rüden
tehrten, itiegen die erjten Lerchen in die Luft, um den anbrechenden
Tag mit ihrem Gruß zu empfangen.
Ju Walde bemeriten wir ähnliche Verjuche, nur gelangen fie nicht
gaanz 19 qui. Unjere Jahrigenojen hatten jich uns von anderer Nichiung
her genähert; wir jahen fie zwar noch nicht, vorien Ne aber um 19 deut=
der; denn Tie fangen laut und vernehmlich, noh dazu verſchiedene
Lieder zu eicher Zeit. Für uns galt es, Ichleunigit zu flüchten, denn
wir wollten den Morgen im Walde in ſeiner Rube genießen. Weiterhin
jelbſt überlaſſen.
Unjer Weg ging nun am Waldrand entlang, dem Laufe eines
Baches nac<. Den feuchten Wieſen, die der Bach durc<querie, ent) jtiegen
leichte Nebel die der Landſchaft ein ganz eigenartiges Gepräge gaben.
Die Dächer und Türme eines Siädtc<en38, das in ver Ferne vor uns lag,
leuchteten verſchwommen zwiſchen hohen Bäumen auf und erhielten von
dem weißen Nebel einen geradezu winterlichen Anſtrich. Dadinter aber
jtieg Jeßbt rotgoliden die Sonne empor und zerteilte al3Sbalbd die Nevel=
dünſte. Dem farbenprächtigen Gemälde geſellte jich die kötliche Rube
zu, hin und wieder durc feh hliches Vogelzwiiſhern unterbrochen, nicht
zu vergeſſen den würzigen Duft, den das friſc<gemähie Gras auSsitrömte.
Denn waren wir auch früß auf den Beinen, überall waren ichon die
Mäher am Werk, ihre Arbeit vorwärt3zubringen, bevor die Sonne jede
Tätigkeit zur Qual machie.
Auch unſere „Arbeit“ nahte ſich ihrem Ende, denn unſer Ziel, ein
lieblicher Waldſee, war nun in kurzer Zeit zu erreichen. Zuvor machte
es fich aerdings notwendig, eme Kaffeepauſe eintreten zu laſſen, denn
unſer Appetit hatte einfach unheimliche Dimenſionen angenommen; für
den verſäumten Schlaf verlangie der Körper eben auf andere Weije
Kraftzufuhr.
Gegen 6 Uhr morgen3 Hatten wir den Fle erreicht, auf dem wir
zwölf 'Stunden lang verweilen wollten. Und wie ſchnell verging die
Zeit! Ueber Plaudern, Spielen Cſſen, Lejen und Schlafen verflogen
die Stunden, fo daß man beim Aufbruch gar nicht das Gefühl hatte, dex
Abend müſſe bald beginnen.
Erleichtert wurde un38 der Abſchied durch einige Badegaſte, die ſich
im Laufe de3 Tage3 eingefunden hatten und am Abend herausfanden,
daß ſie eigentlich einen Geſangverein gründen fönnien. Der Plan war
bald ausgeführt und über den ruhig daliegenden See ertönte weithin=
ſchallend die Frage: „Wer hat dich, du ſchöner Wald, aufgebaut ſo hoh
da droben?“ Mit Grauſen und in beſchleunigtem Tempo wandten wir
unſere Schritte, die un3 bald wieder in die köſtliche Waldeinfſamkeit
janjte Röte bemertvar.
unjer Weg. Nur unſere 8
brechung gab eS, als ein