Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Arbeiter- Jugend 
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„Ihr ſeid die Arbeiterjvgend von N.? Das freut mich.“ 
Auf der anderen Seite gab es nun auc< viel Freundlichkeit. 
„Die Arbeiterjugend ſind wir eigentlih nicht. Wenn die Arbeiter- 
jugend von N. einen Ausflug macht, dann ſind e8 vier= oder fünfmal 
jo viel Teilnehmer. Wir gehören zur Arbeiterjugend und haben uns 
nur jo zufällig getroffen.“ 
„Ach jo!“ 
„Aber wir ſind immer die Arbeiterjugend! Auch 
wenn ji nur fünf oder vier odex gar nur zwei zuſammenfinden. 
Unfer Obmann in N. hat es uns geſagt: ſelbſt wenn wir ganz allein 
jind, auf der Straße, im Arbeits5ſaal 9der zu Hauſe =- wir ſollen mie- 
mals vergeſſen, daß wir zur Arbeiterjugendbetvegung gehören.“ 
„Das itt rihtia. Man muß ſftet3 in die Sache denken, zu der 
man gehört.“ | - 
„Nein, Herr, mit dem Darandcnken iſt es wohl nicht getan. Man 
muß danac<h handeln. Wir haben mehr Pflichten al8 andere junge 
Arbeiter, die in unjerem Alter ſind und nicht zur Jugendbewegung 
gehören, jagt Herr Freund, unſer Obmann. Wenn ſo einer, der nicht 
zu uns gehört, findiſc<e Albernheiten macht, wenn er jich feige zeigt, 
wenn er träge ſeine freie Zeit vertrödelt und fie ich mit Schumdliteratur 
verdirbt, ſo ſollte er ſich zwar recht ſchämen -- aber wer fragt nach ihm? 
Bei un3 iſt es anders. Nah uns fragt die Arbeiter- 
jugend. Wir können der Arbeiterjugend Schande bringen. Wir 
müſen uns nicht nur für uns ſchämen, wir müſen uns für die Arbeiter- 
jugend jmämen. 
Ex -ging eine Weile jweigend jeines Wegs. 
„I kann Jhnen das nicht gut erklären. Sie werden aus meiner 
Noderei nicht flug geworden ſein,“ ſagte er dann, ein wenig Aengjtlich- 
feit in ver Stimme. | 
Im Trupp hob ſich ein rotbä>iges Geſicht und einer jah mich ver- 
ſiohlen an, ob ich den Sprecher wirklich nicht verſtanden batte. 
Sie ſchritten ruhig ihres Wegs. J<h lief hinter ihnen her und 
geriet ins Sinnen. E38 war ſehr merkwürdig: mir wollte immer ein 
Sprichwort in franzöſiſcher Sprache über die Lippen = in dieſen 
deutſchen Kiefernwald, bei dieſen jungen Deutſchen --, ein Sprichwori, 
das in Zeitungen und Reden ſc<on jehr abgetragen ijt: Noblesse 
oblige. Mir fiel nichts Vernünftigeres ein. Hatte der Junge nicht 
ungefähr dasſelbe geſagt? Der Adel legt Pflichten auf, heißt es zu 
deutſch. Die Sache, die Jugendbewegung, legt dir Pflichten auf. Der 
Abel DEINEx Sache bebt deine perſönliche Bedeutung =- du mußt jedoch 
ihrer | würdig fein. 
Du bijt nicht ein tleiner Irgendwer, ein beliebiger Lehmann over 
Rieffe, der auf der Straße umherlungert, Narrenpoſſen treibt und 
vurc Bubentftreiße nicht vicl Anſehen verfieren kann, weil er nicht viel 
beſißt, weder bei anderen Leuten, noc< bei ſich ſelbjt. Du bijt als An- 
känger der Jugendbewegung etwas: ein Vertreier der großen Sade. 
Du haft daher Anſehen zu verlieren: dein Anſehen vor deinen Mit=- 
genoſen, das Anſehen deiner Bewegung. Darum haſt du andere 
Pflichten. 
Da hat in der Werkſtäite ein Iumger Mitarbeiter Malheur. Er 
weiß, er hat Strafe zu gewärtigen. Dic Zehrlinge und Arbeitsburſchen 
iehen dabei und = grinfen in ihrem Unverſtand. Sie haben noch nichts 
von Kameradſchaftlichfeit und Solidarität gehort. Dann iſt ja die 
Schadenfreude zumeiſt die erfie Wirkung. Was3 tut es, kein Menijc< 
achtet darauf. Aber bei dir, wenn du von der Arbeiterjugend kommit, 
achtet jemand darauf, das iſt =-- die Arbeiterjugend. Natürlich ſtehen 
nicht deine Jugendgenoſſen um dich herum, aber bei dir ſteht das 
Arbeitergewiſſen, das in der Geſellſchaft deiner Jugendgenoſſen gewet 
wvurde; in dir regt ſich die Forderung: die Arbeiter ſollen zuceinanderx= 
ſtehen, fie ſollen fich gegenjeitig helfen. 
Du mußt dich dur< Kameradſchaftlichfeit und Mut auszeichnen, 
beim Spiel wie bei ernſten Dingen. Denn du biſt immer „die 
Arbeiterjugend“. 
Genau das meinte doch der junge Freund aus N. Und mir ſchie, 
ſeine Wandergeſellſ<haft hat heute vom erſten Augenbli> an fo gehandelt. 
„Mir fam ein Gedanke: wenn auf jedem Wieſenplan, wo die Jugend 
jpielt, in jeder Werkſtelle, auf dem Weg zur Fortbildungsſc<hule, in 
jeder Jugendzuſammenkunft jeder von uns ſo-dächte und handelte wie 
die Kameraden, von N., dann würden wohl die Lehmann und Riefke, die 
icßt noch nichts mit unſerer Sache zu tun haben, bald zu uns kommen 
und es ebenſo halten wie unſere Jungen. Denn ſchließlich will keiner 
unten bleiben, wenn er andere aufwärts3ſchreiten ſieht. Und ſie 
müßten alle bei un3 ſein! 
Der geſamten Arbeiterjugend von N. wollte ich daher einen Gruß 
beſtellen laſſen. Meine frohe Geſellſchaft war aber ſchon weit weg. 
Sie hatte den Wald verlaſſen und wanderte draußen im hellen 
Sonnenlicht. 
„Wir ſtehn mit Jugendflammen 
Stet3 treu zum freien Bund!“ 
lang e3 au3 der Ferne zu mir herüber. | | 
Emil R. Müller-Magdeburg. 
ten für ein mildes D 
blieben wir glüdlicherweite uns 
Hundskagswanderung. 
ex dieSjährige Sommer meinte e38 wirklich. gut. mit un8; tagein, 
VN) uon fielen die Strahlen der Sonne vom faſt ſtändig wolken- 
loſen Himmel auf uns hernieder und verbreiteten eine richtige 
Badofenglut. Jeder war beſtrebt, unnötige Bewegungen zu vermeiden, 
um nicht noH mehr zu jſc<wißen, als da3 bloße Daſein ſc<on erforderte, 
und jo konnte man es verjtehen, wenn auch die Luit zum Wandern nicht 
bejonders lebhaft war. Allgemein zog man es vor, den Sonntag halb 
im Waſſer und halb im Sande zu verliegen. 
Auch wir netxgten zu digſjem Zeitvertreib, wollten aber auch die ge= 
wohnte wohltätige Bewegung nicht gänzlich entbehren und verlegten 
deShalb unſere programmäßige mehrjtündige Wanderung in die Nacht- 
jtunden. 
Um 121% Uhr nachts fuhren wir. mit dem lezten Zug in dreiviertel= 
ſtündiger Fahrt von Berlin na< B. Eine ſehr gemiſchte Reiſegeſell- 
ſchaft hatie fich zuſammengefunden. Arbeiter, die erſt jeht zu ihren 
draußen vor der Stadt gelegenen Wohnungen gelangten; Laubenkolso- 
niſten, die auch die Nacht ſchon auf ihrem „Rittergut“ verbringen 
wollten; verichiedene würdige ältere Herren, Lewafinet mit langen 
Yiuten und 8?) 'chb ehältern, die offenbar nicht früh genug zu ihrem „auT= 
vegenden“ Sport fommen fonnten; nicht zuleßt auch eine größere Ars= 
zahl Jugendfameraden, die g: 'eich uns vorhatien, die Nachtiunden hin= 
durd) zu wandern. 
Die ur8e Baznjirede war bald zurücgelegi. In einigen Minuten 
hatten ivir das ſhon ganz ruhig daliegende Städtchen B. durc<ſ<ritien 
und varen draußen. Wir waren allein, denn die übrigen Nachiwanderer 
i<hienen andere Wege eingeſ<lagen zu baben. 
Der Beleuchtung nach fam uns übrigens die Nat wenig zum Bc= 
wüßtiein, denn der tierniſare Himinel und der hochjſtedende Vollmond jorg- 
amincrlicht; Iczu maddte fich: im Rordojien iHon eint 
Dieſer entgegen, durch hoße Kornfelder, führte 
Schritte ſtörien die Stille. Ging M arichunter- 
feines dunflcs 6 Geic<öpf furz vor uns den Weg 
freuzte. „Gine Ratte,“ hieß e8. „Ausgeſchloffen -- 10 gemächlich be 
megen jich dieje micht,“ lauteis es dagegen. Inzwiſchen war das „Wild“ 
Icon gejtelt. Ein Igel war der frühe Wanderer, der fich wahrſcheinlich 
j<on vor Sonnenaufgang jein erjies Frühiück beſorgen wollie. 
GStwa um 2 Uhr morgens hatten wir den Rand des Walde3 er= 
reicht, der zu dur<queren war. Gerade als wir den Feldern den Rüden 
tehrten, itiegen die erjten Lerchen in die Luft, um den anbrechenden 
Tag mit ihrem Gruß zu empfangen. 
Ju Walde bemeriten wir ähnliche Verjuche, nur gelangen fie nicht 
gaanz 19 qui. Unjere Jahrigenojen hatten jich uns von anderer Nichiung 
her genähert; wir jahen fie zwar noch nicht, vorien Ne aber um 19 deut= 
der; denn Tie fangen laut und vernehmlich, noh dazu verſchiedene 
Lieder zu eicher Zeit. Für uns galt es, Ichleunigit zu flüchten, denn 
wir wollten den Morgen im Walde in ſeiner Rube genießen. Weiterhin 
jelbſt überlaſſen. 
Unjer Weg ging nun am Waldrand entlang, dem Laufe eines 
Baches nac<. Den feuchten Wieſen, die der Bach durc<querie, ent) jtiegen 
leichte Nebel die der Landſchaft ein ganz eigenartiges Gepräge gaben. 
Die Dächer und Türme eines Siädtc<en38, das in ver Ferne vor uns lag, 
leuchteten verſchwommen zwiſchen hohen Bäumen auf und erhielten von 
dem weißen Nebel einen geradezu winterlichen Anſtrich. Dadinter aber 
jtieg Jeßbt rotgoliden die Sonne empor und zerteilte al3Sbalbd die Nevel= 
dünſte. Dem farbenprächtigen Gemälde geſellte jich die kötliche Rube 
zu, hin und wieder durc feh hliches Vogelzwiiſhern unterbrochen, nicht 
zu vergeſſen den würzigen Duft, den das friſc<gemähie Gras auSsitrömte. 
Denn waren wir auch früß auf den Beinen, überall waren ichon die 
Mäher am Werk, ihre Arbeit vorwärt3zubringen, bevor die Sonne jede 
Tätigkeit zur Qual machie. 
Auch unſere „Arbeit“ nahte ſich ihrem Ende, denn unſer Ziel, ein 
lieblicher Waldſee, war nun in kurzer Zeit zu erreichen. Zuvor machte 
es fich aerdings notwendig, eme Kaffeepauſe eintreten zu laſſen, denn 
unſer Appetit hatte einfach unheimliche Dimenſionen angenommen; für 
den verſäumten Schlaf verlangie der Körper eben auf andere Weije 
Kraftzufuhr. 
Gegen 6 Uhr morgen3 Hatten wir den Fle erreicht, auf dem wir 
zwölf 'Stunden lang verweilen wollten. Und wie ſchnell verging die 
Zeit! Ueber Plaudern, Spielen Cſſen, Lejen und Schlafen verflogen 
die Stunden, fo daß man beim Aufbruch gar nicht das Gefühl hatte, dex 
Abend müſſe bald beginnen. 
Erleichtert wurde un38 der Abſchied durch einige Badegaſte, die ſich 
im Laufe de3 Tage3 eingefunden hatten und am Abend herausfanden, 
daß ſie eigentlich einen Geſangverein gründen fönnien. Der Plan war 
bald ausgeführt und über den ruhig daliegenden See ertönte weithin= 
ſchallend die Frage: „Wer hat dich, du ſchöner Wald, aufgebaut ſo hoh 
da droben?“ Mit Grauſen und in beſchleunigtem Tempo wandten wir 
unſere Schritte, die un3 bald wieder in die köſtliche Waldeinfſamkeit 
janjte Röte bemertvar. 
unjer Weg. Nur unſere 8 
brechung gab eS, als ein
	        
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