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brachten. Ein kurzer Marſch und. die Bahnſtation war erreicht, von
der aus die Rüchfahrt angetreten: wurde, die wie gewöhnlich wenig an=
genehm war. Aber über ſolche Kleinigkeiten ſieht man hinweg, wenn
der ganze Tag in Luft und Sonne verbracht worden war. Die Heims=-
fahrt im engen, ſtaubigen .Giſenbahnwagen muß eben ſchon als Beginn
Der ArbeitSwoche gerechnet werden, und der ſonnige Abſchluß des ſonnm-
gen Tages ward vorher vollzogen. Wir haben es jedenfalls ſo gehalten,
und noh lange blieben die Cindrüde friſch, die ſich uns in ſolcher
Dauer dargeboten hatten. Walter Maſchke.
N-4
Damenhände.
Aus dem Ruſſiſchen von Anton Tſchechow.
er Kreisſchulinſpektor Fedsr Petrowitſch, der ſich ſtet3s als
einen freigeſinnten, gerechten Beamten binzuſtelilen pflegte,
De Wremensky,"
empfing den Lehrer Wremens3ky.
Mit ſolch einer
jagte er, „Ihre Entlaſſung iſt unvermeidlich.
Stimme kann man unmöglicß unterrichten. Wodurch haben Sie
denn Ihre Stimme verloren?“
„I< war erhißt, trank kaltes Bier . . .“ krächzte der Lehrer.
. - „Solch ein Unglüc! Da dient ein Menſch vierzehn Jahre und
plößlich = ſolch ein Unglü>! Der Teufel weiß, durch wa3 für
Kleinigkeiten man ſich die Karriere verderben kann! . . . Was
gedenfen Sie 'weiter zu tun? Sind Sie verheiratet?“
„Frau und zwei Kinder . . .“ krächzte der Lehrer.
Eine Pauſe trat ein. Der K Treisſchulinſpektor ſiand auf und
ging im Kanzleizimmer erregt auf und ab.
„30, ich weiß wahrhaftig nicht, was ich mit Ihnen machen
ſol,“ fagte er. „Lehrer können Sie nicht bleiben. Penjionsberech-
- tigt find Sie noch nicht . Sie dem Schickſal überlaſſen, geht
auh nicht. Sie ſind vierzehn Jahre im mt -- folglich iſt e3
unſere Pflicht, Ihnen zu helfen . . . Aber wie? Was3 kann ich
für Sie tun?“
Wieder trat eine Pauſe ein.. Der Kreisſ<hulinſpektor aging
ſinnend hin und ber. Tiedergedrü>t von ſeinem Kummer, ſaß
Wremensky auf einer E>e des Stuhles und dachte ebenfalls nach.
Llößlich beiterte ſich das Geſicht des Kreisſchulinſpektor5 auf:
- „Daß ich nicht früher darauf gefommen bin! Hören Sie .
Nächſte Woche nimmt der Sekretär vom Waijenhauje ſeinen Ab-
i<ied. Wenn Sie wollen, können Sie feine Stelle bekommen!
Na, wollen Sie?“
Wremen8ky, der fol. ein Glück nicht im entfernteſten er-
wartet hatte, begann vor Freude zu ſtrahlen.
“ „Alſo ichön!“ jagte Fedor Petrowitſch.
beute ein Gefu ein.“
Nachdem Wremenz3ky gegangen war, fühlte der Kroisſchul-
inſpettor: Erleichterung.
können, daß er eine edle Tat vollbracht, daß er ſic wieder einmal
als Freigeſinnten, gerechten Beamten gezeigt hatte.
Al3 er, nach Hauſe zurücgekehrt, ſich zu Tiſch ſeßte, ſagte
ſeine Frau Naſtasja Iwanowna plößlich: |
„A<h ja! Faſt hätte ich es vergeſjen! Geſtern beſuchte mich
Nina Sergejewna. Sie verwendete ſich für einen jungen Mann.
Sie ſagte, im Waifenhaus werde eime Stelle frei .
- „Dieſe Stelle iſt ichon vergeben . . .“ unterbrach ſie Fedor
Petrowitſch und runzelte die Stirn. „Du kennſt doc< meinen
Grundſaß, nie eine Stelle na< Protektion zu beſehen? 2“
„Sawohl, jawohl, aber ich dente, für Nina Sergejewna kannft
Du ſchon eine Ausnahme machen. Sie liebt un3 wie eine Ver-
wandte, iſt immer ſo aufmerkſam gegen uns. Du darfſt unter
feinen Umſtänden nein ſagen, Fedja! Damit würdeſt Du ſie und
mich fränfen!“ -. :
„Wen empfiehlt ſie denn?“
„Rolſuchin.“
„Do< nicht etwa den Polſuchin, der Neujahr im Kaſino mit
Theater geſpielt hat? Den Stutzer? Auf keinen Fall! Gott foll
mich bewahren!“ Der Kreisſchulinſpektor hörte auf zu eſſen.
„Aber warum denn nicht?“
„Weil . Begreife doch, Liebſte, daß ein junger Mann jich
nicht hinter Weiberröen verkriechen darf, er muß ſelbſt für ſich
ſprechen. So ein junger Mann iſt ein Lump! WesShalb kommt
er denn nicht ſelber her?“
„Reichen Sie no<
Nach dem Eſſen legte ſich Fedor Petrowitſch aufs Sofa und
begann die eingelaufenen Zeitungen und Briefe zu leſen:
„Mein lieber Fedor Petrowitſch!“ ſchrieb ihm die Frau des
Bürgermeiſter3. „Sie ſagten mir neulich, Sie ſchäßten mich als
E35 war ihm angenehm, ſich fagen zu |
- begann die Dame.
- Arbeiter-Zugend
Be
amen
eine gewiegte Menj<enkennerin. Jebt können Sie die Probe
darauf machen. In den nächſten Tagen wird nämlich ein gewiſſer
Polfuchin, den ich als angenehmen jungen Mann ſchäße und achte,
zu Ihnen kommen und ſic um die Stelle de3 Waiſenhausſekretärs
bewerben. Ein ſehr netter junger Mann. Indem Sie ihm Jhr
Zntereſſe zuwenden, verpflichten Sie uſw.“
„Auf keinen Fall!“ ſagte der Kreisſchulinſpektor zu ſich.
„Gott ſol mich bewahren!“ -
Von nun ab verging nicht ein Tag, ohne daß er nicht Briefe
erhielt, in welchen ihm Polſuchin empfohlen wurde. |
Eines Morgen3 erſchien Polſuchin ſelbſt, ein dier junger!
Mann mit raſfiertem Geſicht und im ſ<warzen Anzug .
„Zn Dienſtſachen bin ich in der Kanzlei zu ſprechen,“ jagte
Jedor Petrowitſch tro>en, nachdem er den Zwe des Vejuches er
fahren hatte.
„Entſc<huldigen Sie, aber die Bekannten rieten mir, mich hier-
ber zu wenden.“
„Hm . . .“ brummte Fedor BPBetrowitſ<, die Qadfſtiefel 063
jungen Mannes betrachtend. . „Soviel ich weiß, iſt Ihr Vater ver-
mögend -- we3halb bewerben Sie ſich alſo um eine [o IcHlecht be
zahlte Stelle?“ ;
„3< tue es „icht de3 Gehaltes wegen . - . ES iſt. doch ein
Staat3dienſt .
- „Das gewiß . Aber ich weiß ja =-- nach einem Monat
haben Sie die Geſchichte ſatt, bleiben einfach fort . . . I< habe Ner
einen Bewerber, für welchen dieſe Stelle eine Qeben8frage iſt.
Verſtehen Sie, für De...
„Es wird mir chon nicht überdrüffig werden . . . unter-
brach Polſuchin. „Ehrenwort! I< werde mit allen meinen
Kräften arbeiten . . .
Der Kreisſchulinſpektor wurde zornig.
„Hören Sie! WedShalb hielten Sie es für zweckmäßiger,
zuerſt die Damen vorzuſchi>ken und nicht ſelbſt zu kommen?“
„FSc< wußte nicht, daß Ihnen das unangenehm ſein würde .
antwortete Polf chin verwirrt. „Aber wenn Sie den Empfeh-
[ungsöriefen keinen Wert beimeſſen, ich kann auch Zeugniſſe vor-
egen ,
: Erzog ein Papier aus der Taſche und reichte e3 hin. Unter
dem Zeugnis ſtand die Unterſcrift de3 Regierungspräſivdenten.
Augenſcheinlich hatte der Regierungspräjident unterſchrieben,
ohne zu leſen, vielleicht auch nur, um jich eine aufdringliche Dame
„Dagegen iſt nicht2 zu machen . . . ich züge mich . . . Sch ge-
horche . . .“ dachte Fedor Petrowit] h, nachdem er das Zeugnis
aaelejfen hatte, und feufzte.S
„Reichen Sie morgen. Ihr Geſuch ein!“ ſagte er Jaut. --
IRachdem Polſjuchin gegangen war, gab er fich ſeinen 2»
danken hin. -
„Sol9 eim Lump!“ hrummte er. „Sat jein Stüc do)
durc<geſeßt! Solch ein Ged! Solch ein Frauenjäger! Scheujal!“"
Er ſpuckte nach der Tür aus, hinter welcher Polſuchin ver-
ſ<wunden war, und wurde plößlich ſehr verwirrt, als im nächſten
Moment durch dieſelbe Tür die Frau des Gerichtspräſidenten
eintrat.
„ch tfomme nur auf eine Minute . . . nur auf eine Minute ..
„Seßen Sie ſich, Verehrteſter, und „hören Zie
genau auf mich . . . Die Sache iſt nämlich die: Bei Ihnen iſt die
Stelle des Waiſen hausſelretars Frei. . Morgen oder heute nod)
mE ein junger Mann bei Ihnen vorſprechen, ein gewiſſer Pol-
juchin . . . “
Die Dame plapperte weiter, und der Kreis Ichulinſpettor
blickte ſie mit. tri üben Augen an, wie ein Menſc<, der in Ohnmacht
fallen ſoll.
Al3 er am nächſten Tage in ſeiner Kanzlei Wremen3ky emp-
fing, brachte er e38 nicht über ſich, ihm die Wahrheit zu jagen.
Er machte Ausflüchte, war verwirrt und wußte nicht, was cr
ſagen ſollte. Er wollte fi bei dem Lehrer entſchuldigen, ihm
reinen Wein einſchenken, aber ſeine Zunge war ſc<wer wie die
eine8 Betrunkenen, und er fühlte jich plößlich gekränkt und be-
leidigt, weil er gezwungen war, eine ſo efelhafte Rolle zu ſpielen --
in ſeiner eigenen Kanzlet vor ſeinem eigenen Untergebenen.
Er ſc<lug plößlich auf den Tiſch, ſprang auf und ſchrie boie:
„3< habe keinen Plaß für Sie! Nein und abermals nein:
In drei Teufel3 Namen! Stören Sie mich nicht! Tun Sie
mir den einzigen Gefallen und ſcheren Sie ſich zum Henker!“
Sprac<h'38 und lief aus dem Kanzleizimmer. |
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“ vom Halfe zu ſchaffen.
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Berantworttich für die Redaktion: Karl Korn. -- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchland3). =“ Dru>: Vorwärt3 Buchdrucerei u. Verlag3-
anſtalt Paul Singer & Co. Sämtlic<h in Berlin,
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