Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

274 
Arbeiter« Jugend 
 
 
über die Verſammlung hin, unrettbar jedes Gehirn und jede 
Seele mit ſich reißend, die ſich ihm entgegenzujtemmen verjuchten. 
YNXaurd8, der Löwe -- ſo wird der große franzöſiſche 
Tribun al8 Redner von der Geſchichte <arakteriſiert werden. 
2% - - * 
2% 
Wie Jean Iaures mit all dieſen unvergleichlichen Gaben des 
Geiſtes und der ſittlichen Perſönlichkeit die Sache des franzöſiſchen - 
Proletariat3 gefördert hat, könnte nur durch eine Darſtellung 
der franzöſiſchen Arbeiterbewegung erſchöpfend Llargelegt werden. 
Auch von ſeinen wiſſen] <aftlichen Arbeiten, beſonder3 für die Ge- 
ichichte de8 SozialisSmus und die Vertiefung des Veilizgedanfens, 
Fann heute nicht geſprochen werden. Den Arbeitern der nicht- 
franzöſiſc<en Länder, der ſozialiſtiſchen Internationale der ganzen 
Erde, iſt ſein Leben3werk vor allem in zwei ſtrahlenden Ceiſtungeit 
befanntgeworden. Er war es, der das größte Verdienſt an der 
Einigung des franzöſiſchen, ſo lange durch Spaltungen und 
Sonderbeſtrebungen gehemmten Soziali8mus beanſpruchen durſiec, 
und er hat auf internationalen Kongreſſen, in der Arbeiterpartei 
feines Lande38 und im franzöſiſchen Parlament dur< Wort und 
Schrift mit der glühendſten Hingabe an der Herbeiführung des 
Völkerfriedens gearbeitet. Jene38 Werk, die Einigung der Ar- 
beiterpartei, nimmt er als vollendete Ruhmestat mit ins Grab. 
Jür den Völkerfrieden iſt Jean Jaures als Blutzeuge geſtorben 
in dem Augenbli>, als dieſes hehrſte Ziel ſeine3 Lebens im Welt- 
brand des jezt tobenden Krieges zuſammenbrach. Aber ſo gewiß 
der Ho<gedanke des Völkorfriedens und der Menſc<heit3verbrüde- 
rung den erhabenſten geiſtigen und ſittlihen Wert verkörpert, 
der je über der Erde geleu<tet hat, und ſo gewiß außerhalb dieſes 
Gedankens überhaupt keine Menſch<engeſittung und kein menſchen- 
wiürdiges Daſein möglich iſt, ſo gewiß wird der Tag erſcheinen... 
an dem ſich das mißhandelte Jdeal dem Vogel Phönix gleich in 
alter, ewig-junger Reinheit und Unbefle>theit aus den Trümmern 
des heutigen Chao3 erheben und die Mächte der Barbarei und 
Zerſtörung niederwerfen wird. 
An jenem von Millionen und Abermillionen Zeitgenoſſen 
heiß erſtgnten Tag wird euc< die neuerſtandefie Ji!Ernationale, 
- des SozialiSmu8 ihrem großen Vorkämpfer und Märtyrer die 
würdige Totenfeier bereiten. 
2000BQ0n0nn0nNCNanIoCONNIOEEEOooNnSannnOnanOonoONnaOLONNnD 
Dunkeln muß der Himmel rings im Runde, 
Daß ſein Sternenglanz zu leuchten wage; 
Stürmen muß das Meer bis tief zum Grunde, 
Daß ans Land es ſeine Perlen trage; 
Klaffen muß des Berges off'ne Wunde, 
Daß ſein Goldgehalt erſteh' zu Tage, 
Dunkle Stunden müſſen offenbaren, 
Was ein Herz des Großen birgt und Klaren. 
Grün. 
 
 
Als „Funde“ auf der Leipziger 
Buchgewerbeausſffellung. 
4 erinnere mich, daß uns einmal in der Schule ein Geſc<hichtslehrer 
"Jieoie: „E3 iſt doc; ganz unglaublich, daß die Menſ<beit jo lange 
Zeit brauchte, um auf den ſo naheliegenden 'Gedanken zu kommen, 
daß mit einzelnen Lettern ebenjfogut gedru>t werden kann, wie mit 
ganzen Platten.“ Ja. ja, danach wäre alſo die Erfindung des Buch= 
5rude3 ein gweite3 (Si de3 Kolumbus geweſen. Abgeſehen davon, daß 
auch das wahrlich nichts Ginfaches war, vergißt man eben -immer, daß 
Gutenberg ja nicht nur die beweglichen Letvern, ſondern auch das Giceß= 
inſtrument und die Druderpreſſe erfunden hat. Um dies dem Beſchauer 
vor Augen zu führen, hat man Hinter den, eigentlich ſehr dürftig ver= 
trektenen Druen Gutenberg38 eine alte Druckerei in natürlicher Form 
eingerichtet. Karl Faulmann ſchreibt im Vorwort zu ſeiner „Geſchichte 
der Buchdru>erkunft“: „Wer ein beſtimmtes Jahr al38 die Erfindung 
dcr Buchdruderkunſt angibt, hat die Schwierigkeit der gelöſten Aufgabe 
nicht erfannt.“ Daher ſei nur geſagt, daß nach jahre-, ja jahrzehnte- 
langen Bemühungen, die durc< matericlle Sorgen noch biiterer gemadt 
wurden, e8 Gutenberg gelang, um die Mitte des 15. Jahrhunderts die 
erſten Drue zu erzielen. Leider kann auf all das hier nicht näßer ein= 
gegangen werden. 
E23 folgt ſodann eine internationale, unglaublich herrliche und 
reichhaltige Sammlung von Wiegendruken (Inkunabeln), Dd. h. Druden, 
die bi8 zum Ende des 15. Jahrhunderts, alſo innerhalb eines halben 
(Sdhluß.) 
 
Arbeiter auc<ß noH al8 Konſumenten ausgebeutet. 
Aus den Enlwi>elungsjahren des 
Kapikalismus. 
Von Rudolf Wiſſell. 
zz 1 Deutſchland ging die Entwickelung de? KapitaliSmus in 
DV der erſten: Hälfte de8 vorigen Jahrhunderts denjelben Wegx 
2“ wie in England. Vielfach war die Arbeiterſchaft jo her-* 
untergefommen, daß manch: Fabrifgegenden tithren Anteil 
zun Erfaß der Armee nicht mehr vollſtändig ſtellen konnten. 
Hungerlöhne im wahrſten Sinne des Wortes wurden den 
Arbeitern gezahlt. Dieſe Bezeichnung trifft no< m<hi ein- 
mal den Tiefſtand der Löhne. Das gilt namentlich für 
die Heimarbeiter, die in der eigenen Wohnung den vom Unteor- 
nehmer bezogenen Royſtoff verarbeiteten. Dft erhielten jie den 
ſauer verdienten Jammerlohn noch nicht einmal ausbezahlt. Durch 
das Trucdſyſtem -- Bezahlung der Löhne in Waren -- wurden vie 
Wucheriſche 
Prei8aufſchläge auf dieſe Waren mußten ſie ſich gefallen laſſen. 
Von 68 Fabrikanten in Solingen beſaßen 42 zugleich einen Laden; 
acht hielten eine Schankſtätte, in deren Fuſeldunſt die Löhne aus- 
gezahlt und auc vielfach gleich wieder umgeſeßt wurden. Wie 
übrigen«»gaben zum Teil Anweiſungen auf Geſchäfte, mit denen 
fie in Verbindung ſtanden. ſt vorgekommen, daß ven Ar- 
(Schluß) 
(5 1] 
beitern oft in mehreren Jahren kein barer Lohn gezahlt wurde. 
Dabei mußten ſie Waren nehmen, für die ſie kein Bedürfnis 
hatten und ganz übertriebene Preiſe dafür zahlen. 
Aus dem Bezirk Bielefeld hören wir aus dem Jahre 1345, 
daß ein guter Feinſpinner im ganzen Tage nur zwei Silber- 
groſc<hen und ein Spinner für Gärn zweiter Qualität nur 
7 (ſieben) Pfennig erhielt! Daß dabei die Menſchen geradezu 
verfommen mußten, war unausbleiblih. Aus dem Wuppertale 
gibt Kampffmeyer in ſeiner „Geſchichte der Geſellſhaftsklaſſen in 
Deutſchland“ folgenden Shmerzensſchrei aus den vierziger Jahren 
wieder: 
„Da bei den jehigen Lohnſäßen da8 ungeſtört fortgehende Weben 
höchſtens das tägliche Brot gewährt, ſo iſt der Weber genötigt, durd) 
Ueberarbeiten die Ausfälle zu de>en, welche durch die vielen Störungen, 
Hemmniſſe und PBladereien entſtehen, die wir hier mitteilen werden. 
Er muß daher 1: 9rgens auf den Hahnenruf aufſtehen und bis MittCr= 
naht und wohl '2arüber arbeiten. Seine Kräfte werden 7T<nell ver= 
braucht, feine Sinne vor der Zeit abgeſtumpft. 
ununterbrochenen Zuſammenhoden nicht widerſtehen; die Lungen werden 
frank, Blutſpeien ſtellt ſich ein. Auch ſeine anderen Glieder erſchlaffen 
und erlahmen. So wird ſeine ganze phyſiſche Perſon cine frühe Kirch- 
hofsblume. Der hohen unerſc<hwinglichen Miete wegen wohnt der Ar- 
beiter in den entlegenſten Gaſſen, in armſeligen Höhlen ohne Luft und 
Sonne. Der Hausrat, die Bettung, die Kleidung, die Koſt eines Bett= 
ler3, eine Unreinlichkeit, ein Qualm, eine Ausdünſtung, die kaum zu 
atmen erlauben.“ 
Wie im Weſten Deutſhland38, jo auch im Oſten. Die armen 
aus8gemergelten und wie Zitronen aus8gepreßten Weber Schleien 
wußten aus ihrer Not und ihrer Verbitterung keinen anderen 
AuS3weg als den des Aufruhr8. In ohnmäctiger Wut hatten fie 
 
 
 
Sahrhundert3 nah der Erfindung, entſtanden ſind. Daran ſchließen 
fich Säle, in denen dig Blütezeit des Holzſ<nittes in herrlichen Bei- 
ſpiclen vorgeführt wird. Alle bedeutenden Künſtler wandten ſich dem. 
Buchdru> zu. Der Kupferſtich wird dem Holzſchnitt ein gefährlicher 
Konkurrent. Die krieg3reiche Zeit des 17. Jahrhunderts hat dann einen 
Rückſchlag des BuchdruFgewerde3 in fünſtleriſher Bezichung zur Folge. 
Doch wird der Abſaz der Erzeugniſſe mit ihrer zunehmenden Billig- 
feit immer größer. Der Kupferſtich verdrängt ſchließlich den Holzichmitt 
vollſtändig. | . 
Man ſieht ferner, wie aus der hölzernen Drudpreiſſe Gutenbergs 
naß und nac. die eiſerne Preſſe entjteht, Gei der das Auftragen der 
Jarbe auf die DruFfolm, das Auflegen des zu bedxuFenden Papiers 
und der zum Abklatſch notwendige Dru> ſowie das Auzführen des be= 
reits bedruten Bogens und noch einiges andere immer noh. durd? 
Handarbeit beſorgt werden mußte. Am Beginn des vorigen Jahr- 
hundert3 wird dann durc< die Erfindung Königs all dieſe Handarbeit 
durch Maſchinenarbeit erſezt und ſo die Leiſtungsfähigkeit des Ge- 
werbe3 ganz gewaltig gehoben. Ein in der Hälfte der natürlichen 
Größe vorhandene3 Modell dex erſten Sc<hnellpreſße König2 veranic<hau- 
licht dieſen wichtigen Punkt in der Entwidelung der Buchdru>maſjc<hinen. 
Ferner wird noh in einem beſonderen Raum die Erfindung Alois 
Senefelder8, der Steindru>, gewürdigt. Während beim Buch- oder 
Hochdru> nur die erhabenen Stellen der Platte mit der Drufarbe und 
vem zu bedrukenden Papier in Berührung kommen und ſo der Abdruck 
erzielt wird, liegen beim Stein- oder Flachdru> alle Stellen in gleicher 
Ebene und der Abdru> wird durch <emiſc<he Vorgänge crzeugt. 
(2% 
Seine Bruſt fann dem -/ 
kis
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.