Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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Schalkhaftes ſprichſt, mit dir in Sc<merz erbeben, wenn Deine 
Rede traurig iſt, mit dir erglühen, wenn vas Feuer der BDe- 
geiſterung aus deinen Worten ſprüht . . . 
Leihe mir dieſe Macht nur auf Minuten! . .. Und wenn 
dir nächſtens eine Verſammlung lauſcht, verzichte auf den lohnen- 
den Vortrag eines ſchwungvollen, wirkungösmächtigen Dichter- 
werkes und lies diejes kunſtlofe Blatt! (ES iſt ein Teſtament... 
Geſchrieben in einer Fiebernacht, geſchrieben in ängſtlicher Hatt, 
vbenn draußen pocht ſchon der Tod . . . I<h will ihm nicht öffnen, 
dieſes muß fertig aeſ<Mmrieben werden, ehe er die Tür aufreißt. -- 
Aber werde ich da no alle8 ſagen können, was mir auf der Seele 
brennt? -- J< batte noc< fo endlos viel zu tun, ſo viel meinen 
Mitmenſchen zu verkünden, Pläne von Taten und Büchern . . . 
Und jeßt möchte ich das alles auf ein Blatt bringen =- in dieſen 
meinen „legten Willen“. Darum ſoll es nicht nur gedruckt und 
geleſen, e3 foll auch geſprochen und gehört werden, geſprochen von 
einem, deſſen Herz mitbewegt fein möge von dem Sehnjuchtsweh, 
das in dieſes Schriftſtiic> geleat iſt = gehört von Menſchen, die, 
gefühbl3- und geſinmma5verwandt (Verwandte pflegt man ja zu 
Erben einzuſeßen) gewillt find, das Vermächtms anzunehmen, 
Wa32 da vermacht wird, iſt dieZ: 
Gin Kampf, ſo hart wie jeder Kampf, 
Gin Erſchauern, ſo tief, als man nur erſchauern kann, 
Gine Hoffnung, j9 berrlih wie feine! 
. .« . Wer weiß, vielleicht befindet ſi? im Saale auc< ein 
Mächtiger, der, wenn er die weiße Fahne erfaßte, imſtande wäre, 
fie mit einem Ruck auf boher Zinne aufzupflanzen. Denn auc< 
die Großen dieſer Erde, wenngleich ihre Größe au38 alter Zeit 
herüberragt und au8 den JIvealen des alten Geiſtes hervor- 
gewachſen iſt, fühlen ſich vom Geiſte der neuen Zeit gar mächtig er- 
griffen; auch ſie blifen nach lichteren Zielen aus =- der Wunich, 
von der Welt den drohenden Jammer abzuwenden, der erfüllt -- 
fie lügen nicht, wenn ſie's beteuern = au<“ ihre Herzen . . . 
Doh um mit dem alten Geiſte brechen zu können, brauchen ſie die 
Veithilfe der Allgemeinheit, die Willen8skundgebuna der Maſſen, 
die Zuſtimmung der Welt. Aber die Welt iſt träge . . . ſchleicht 
nur in Gleiſen weiter. Dennoc<h: ein Neues, ein Leuchtendes iſt 
im Werden begriffen; Kräfte offenbaren ſich, welche alles um- 
wandeln wollen -- und Kröfte von ſo ungeahnter Wucht, daß ſie 
unſere Erde allem, was wir al3 irdiſc< zu betrachten gewohnt ſind, 
allmählich entrücden, ſie zu einem Himmel machen könnten oder -- 
zur Hölle. Alles wird verhunderifacht, vertaufendfacht: die 
Schnelligkeit, das Licht, die Schöpfungs8- und die Vernichtungs- 
Fraft. Der Wert von tauſend Stunden Hände- oder Geiſte3arbeit 
kann in Leiſtung einer Sekunde gepreßt werden und tauiens 
Tove3qualen = in eine Bombe. . 
Zu ſchwindelnder Höhe wachſen alle Mittel unter uns heran 
-- flein und miedrig ſind nur noch die Zwecke. Da3 bißc<hen Haß 
und Ne1d zu befriedigen, das uns Menſc<en anhaftet, dazu gae- 
nügten die alten Keulen. Der Haß iſt nicht gewachſen. Im 
Gegenteil. Aber die Keulen ſind ſo geworden, daß ein au3- 
geholter Hieb nicht mir den Geſc<lagenen, ſondern au< den 
Schlagenden und alles um ihn her vernichten muß . . . Den 
Zukunftskrieg -- ſeht ihr ihn kommen, den raſenden Millionen- 
ſelbſtmord? Seht ihr dieſe ganzen Völker aufeinander lo3gehen, 
jeht ihr die todſpeienden Maſchinen auffahren, die in einigen 
Stunden ganze Heere miederſtre>en? Aus der Luft, unter den 
Waſſern -- überall die ſauſenden, ſprengenden, teufliſchen Ge- 
ſchofje . . . Und lauter noch als dieſer eiſerne Zerſtörung3donner, 
rafender al8 all das Dynamit- und Ecraſitgekrache das Wut- 
gebrüll und das Wehgeheul der Gehekzten und Gefolterten und 
Verzweifelten! = =- Und keine Ausſicht auf Lohn und Sieg und 
Rube! Denn ein Zuendeführen, ein Entſcheiden des Zukunfts- 
Frieges gibt e8 nicht. Erſchöpfung, Vernichtung auf beiden 
Seiten . . . Solc<h2 Maſſen mit ſolchen Werkzeugen: das .gibt 
kein Duell, bei dem der cine zu Boden ſinkt und der andere ſiehen 
bleibt unter beifälligem Nicken der Herren Zeugen . . . nein, 
einen Kampf gibt es am Abgrundsrand, wo beide, einander an 
der Gurgel umfrallend, in die Tiefe kollern, die korrertten 
Sekundanten hinterdrein. Denn wenn die Vorhut gefallen, dort 
und da, und Hunderttauſende nachrücken und -- wieder dort und 
da, zuſammenbrechen, dann hort - alle Kriegskunſft auf: neue 
Würger betreten den Plan: Hunger und Seuchen =- und morden 
alle, dort und da. 
. Shr faßt es niht -- ih fajſ' es nicht . . . Höchſtens eine 
Sekunde lang -- der Geiſt, das Herz iſt zu ſcywach, um die Vor- 
ſtellung des titanenhaften Jammer3 zu ertragen. Ein Zutcen, 
ein Schauern -- da3 Bild verſchwindet . . . O, wenn ihr aber 
nicht feige flüchten wollt in kaltes Unverſtändni8, in glei<gültiges, 
 
Kabitali8mus. 
Arbeiter-Iugend 
ing 
jeibſtijc<es: „Wa3 geht's mich an?" = „Wa3 kann ic tun?" 
wenn ihr euch aufraffen wollt, dem Entjeglicen ins Antlig 3:: 
jichauen, und zu der Energie euc< aufſchwingen, e8 abzuwehrer. 
dann verichließt cuer Herz nicht gegen da8 Weh, das der -Mitwel- 
vroht . . . Doch nicht an die ganze Witwelt, nicht an die Rieſen. 
Fataſtropben und Welterſchütterungen wollen wir dabei denker. 
Oazu iſt ver Geſichtskreis unſeres Mitgefühls zu eng. Nur einern: 
Ginzelfall, nur ein armes Weſen ſtellen wir un38 vor, das untke- 
Trümmern valiegt, von den Splittern eines Sprenggeſchoſſe3 
haib zerriſſen, noh atmend -- ſtundenlang, leiſe wimmernd, di: 
Saugen mit Zränen gefüllt, ſo furchtbar unglücklich und geguäli -- 
und diejez Weſen unſer Teuerſtes auf dieſer Welt: ein heiß- 
geliebter Mann, ein ſüßes, einzige8 Kind. --- -- | 
Und baben wir ſo im Geiſte das eigene Ungliid in8 Aus: 
gefaßt, Jo blißt uns das Verſtändnis des millionenfach vox- 
größerten Unglüds auf, das mit ſeinen ſc<warzen Fittichen iib2+ 
unſerem Geſchlechte ſOwebt . . . 
„3a, wenn es fein müßte, dann könnien wir den Mut 32 
Ergebung haben; ja, wenn der mögliche Gewinn no< dem Wag- 
niſje das Gleichgewicht hielte, dann könnten wir den Opfermaur 
entfalten, aber nein: e8 muB nicht fein! Und nein: das 
Spiel iſt den Einfaß nicht wert! 
Iicht nur da8 Herz, auch der Verſtand bäumt fic auf. Seit: 
Stolz wehrt die Betörung ab, mit der die Torheit ihm einlulle:: 
will. AU der alte, auf Herdenblödſinn berechnete Rhraſenwut:. 
das eingeflüſterte Kommandodenken widerſtrebt ihm: Wahrbhe:- 
will er haben! Und Offenheit! Das Reich der Hinterliſt if 
vorbei!! | 
Die große, die übermenſchliche Macht, die unſere Zeit der“ 
VWieni<en gegeben und in ſtets ſteigendem Maße gibt, dieſe Krafs- 
und Lichtfülle, die muß auch den Menſc<en felber über ſein alte 
TVeaß erheben. Es müſſen ihm au< arößere und lichtere Seeler. 
werden, Seelen, welche ſic; zu der Kraft emporarbeiten, die neue: 
Ziele zu erkennen, zu erreichen und zu behaupten. Nicht 51: 
Qual iſt heilig, ſondern die Freude, nict der Tod, ſondern hbeili: 
1it das Leben . . . Und weg =-- um unſerer Menſ<enwürde2 
'willen! -- weg mit der Mordwaffe des Haſſe3 und der Gewat-. 
denn heilig ijt das Recht, und über alles heilig iſt . . .“ 
. HSier Ihein, dem Fiebernden, dem Sterbenden -- man fan? 
ion lot vor feinem Schreibtiſche liegen -- die Feder entſunken 3: 
jein, venn jo bricht das Schrifiſtü ab. Und nun wird es ewi:? 
unvollitandig bleiben. Nur der leßtes Saß ergänzt ſich von feib'r:: 
Liebe! 
7 4 & . 
Suttner, 
Ueber alles heilig iſt die 
Beorta v. 
 
  
 
 
 
    
  
REHER EIE V TCM DWIrTEr SESSSE2L 
Aeroplan (drei- oder vierſilbig, Ton auf der Endſilbe. Vom grie<. 32- 
= Kuft, und planao = ich ſc<webe), Drachenflieger, Flieger. 
Argument (lat., Ton auf der (Gndſilbe), Beweoismitte!, BeweisSgrundD. 
Borniert (franz.), beſchränkt. 
Dokument (lat.), Urkunde. 
Fontäne (franz.), Springbrunnen, Springquell. 
Hade3 (griech.), Bezeichnung der Unterwelt bei den alien Griechen. 
Harmonie (griech., dreiſilbig, Ton auf der Gndſilbe), Cinklang, U2352x- 
einſtimmung. 
Idylliſc; (griech.), friedlich, harmlos-glücklich. 
Korrekt (lat.), fehlerfrei, tadellos. 
Letter (lat.), Druckbuchſtabe. 
Offiziell (lat.), amtlich, von Amt3 wegen. 
Pavillon (franz., 7prich ungefähr: pawijong), 
Häuschen. . 
Periode (griech.), Zeitabſchnitt; Funſivoll gegliedertes Saßgefüge. 
Voſſimi3mus (lat. Von pessimus = der ſchlechteſte), Neigung, alls3 vo 
der ſchlimmſten Seite zu nehmen; Schwarzſehere:. 
Rolemik (griech., Ton auf der vorletzten Silbe), Streit, 
Auseinanderjeßbung. - 
Reſpektieren (franz.), achten. 
Univerſum (lat.), Weltall. 
Vertikal (lat.), jheitelreht, lotrecht. 
Zeli9aus, GartanhInz. 
 
gagononnanaGganangonnangnAononEBnaIananaQaaa20252 
Inhalt von Nr. 18: Zean Jaurs3. -- Au3 den EntwiFelungsjahren 52? 
Von Rudolf Wiſſel. (Schluß.) =- Als „Kunde“ auf der Leipzig?“ 
Buchgewerbeausſtelung. (Sc<luß.) Von Karl Heinz. =- Da38 Lo<h in der Lu?“ 
Von Friß Kahn. -- Wie ein plaſtiſce3 Kunſtwerk entſteht. I]. Von Üdolf Brauns. 
--“ Krieg und Friede. 
Jaures8. Von Edmondo Veluſo. -- Ein Teſtament. 
Fremdwörter. 
Von Berta v. Suttn2r -- 
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Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn. -- Verlag: Jr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). = Dru>: Vorwärts Buchdruckerei u. Verlag3- 
anmnttalt Dmtmt fAfAZinaavr & Ta 
ZB&Emtich in RavTir 
Gedicht von Detlev von Liliencron. =- Erinnerungen a / 
 
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