Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
 
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Eingekragen tn die Poft- Zeitungsliſte. 
Nr. 19 
An die Front, Kameraden! 
KWE 10 die gejamte deutſche Arbeiterbewegung, ſo hat auch die 
9 vroletariſige Jugendbewegung durß den Krieg einen 
i<weren Schlag erlitten. Vor einem Monat konnten 
wir hier über die erfreulichen Fortſchritte berichten, die unferc 
Sache au<4 im eben abzJelaufenen Geſchäft3iahr heimgebracht 
batte. Die Bewegung war flott im Zuge; bi3 in die ent- 
jegenjien Winkel unſeres Vaterlandes war der Werberuf unſeres 
proletariſchen Jugendidceal8 gedrungen. In Granit verankert 
erſchie uns unſere Fahne, denn es war ja das Banner der ſich 
ewig verjüngenden Menſchheit ſelber, das wir entrollten. Und 
nur als eine Frage der Zeit erſchien e8 un8, daß wir die Haupt- 
maßen der deutichen Arbeiterjungen und Arbeitermädchen in 
umjeren Reiben verſammelt haben würden. Unſeres vorwärt3- 
fürmenden Willen8, der dieſe Scharen mitreißen ſollte, waren 
wir ja ſicher. 
Da fiel, wie ein Höllenhund in der Nacht, dieſes furc<htbare 
Schic>fal über unſer Vaterland her. Daß die Proletarier, die 
Men? ;chen der Arbeit, unter einem Krieg am ſ<werſten zu leiden 
haben würden, Fonnten wir uns ſchon an den Fingern abzählen, 
al3 ein folc<e38 Unglücd, eben: wegen ſeiner zermalmenden Wucht, 
uns bloß als AuS38geburt längſt vergangener, barbariicher Zeiten, 
als Alpdruck wüſter Träume möglich erſchienen war. Da reden 
ſie davon, daß der Krieg die Klaſſenunterſ<hicde der Volk3- 
genotjen hinwegfege. Gewiß, wenn es gilt, das Vaterland, den 
Seimnatboden unſerer Bildung und Arbeit zu verteidigen, eilt der 
Proletarier an die Grenze wie der Bürger, und der Prinz gibt 
ieinen [cßten Blutstropfen her wie der Bettler. Wenn darum 
ie ciner im Ernft an der Vaterlandslicebe der deutſchen Arbeiter 
zu zweifeln gewagt bat, hat er längſt feinen Zweifel beihämt 
zurüdgenomaen, jeßt, wo ſhon viele Hunderte unjferer Genoſſe 
die Aufrichtigkeit der oft beteunerten Geſinnung mit dent Höchſten, 
 
dem abjolut unwiderleglichen Boweis, dem Loben, erhärtet 
haben. . . 
Aber gegemiber dieier, nummehr jedam Zweifel entrücten 
Tatſache iſt doch feſtzuſtellen, daß der Kampf fürs Vaterland den 
Angehörigen der Arbeiterklaſſe viel härtere Opfer zumutet, als 
zen Angehörigen der beſißenden Klaſſe. Der eine wie der andere 
jießt fein Leben ein, aber für den Arbeiter iſt das Leben das 
einzige Gut, für den Beſißenden zwar auh ein teures Gut, mag 
jein das teuerſte, aber doch nicht das einzige. Wenn der Ange- 
borige der Bürgerklaſſe in3 Feld zieht, laßt er feinen Beſitz zurücf, 
und er weiß, ſollte er fallen, j9 iſt für feine Familienangehörigen, 
dic Wortführer und Erben ſeiner Exiſtenz, geſorgt. Der Arbeiter- 
vater, der ſein Leoben verliert, büßt damit feinen einzigen Beſit, 
I1C Arbeitskraft, ein, und alle ſeine Angehörigen, die von diefent 
Beſiß zehrten, ſtehen fortan dem Nichts, und Schlimmerem als 
dent Nicht3, der Not und dem Elend gegenüber. 
unverheirateten Leute, Arbeiter- wie Bürgerſöhne, mochten mit 
dem Lächeln des Sieger3 auf den Lippen in dem Kampf ziehen, 
und wir alle freuten uns de8 unbekümmerten Heldenmut38, der 
aus ihren Blicken leuchtete. Aber als die älteren Jahrgänge der 
Reſerve, der Landwehr und de3 Landſiurm38 Abſchied. nahmen, 
Ia war e8 nicht bloß den zurücblceibenden Trauen und Kindern 
i<wer 1um8 Herz. 
Wa3s für den einzelnen gilt, gilt für die Klaſſe. Da3 
Bürgertum wird große wirtſchaftliche Verluſte in dem Kriege 
erleiden, aber =- wir rechnen mit dem Sieg der deutſchen Waffen 
 
Berlin, 12. September 
Die juügen, 
ETpedition: Buchhandlung Vorwärts, Paul 
Singer G. m. b. H., Lindenſtraße 69. Alle Zu- 
ſchriften für die Redaktion find zu richten 
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68 
1914 
und ſpintifieren in dieſer Stunde nicht alle überhaupt möglichen 
Falle aus -- aber e3 wird feine Machtpoſition, die Machtpoſition 
der befißenden und herrichenden Klaſſe, unveriehrt, womöglich 
geitärft, au3 der Kataitrophe heimbringen. Die Arbeiterſchaft 
bat ihr ganzes getelicha?ftliche3 Kapital, wenn wir un3 fo au3= 
drücken dürfen, hat ihre ganze Anwartichaft au? die Zukunft in 
den Köpfen und Herzen ihrer Angehörigen inveſtiert. In jedem 
einzelnen Menichen, der ihr entrijjen wird, verliert ſie einen 
wertvollen Teil ihrer ziraft, wie ſie ja auch jeden Menichen, der 
zu ihr gehört, durch mühevolle Werbearbeit hatte gewinnen 
müſſen. Wa3 die organiſierte Arbeiterichaft fonit am Klaſſen- 
beſiiß aufweitt, als ſachliche Bedinaungen ihrer wirücbaftlichen 
Macht, ihre Geldmittel, ihre Unterſtütungseinrictungen, 19re 
Bildungs5imititute, ihrs Preſice, al das wird durch den Krieg ix 
ichwere Meitlaidenichaft gezogen. Wir verſtehen e3 deShalb, das 
die verantwortlichen Leiter der Orgamationen mit banger Sorge 
den kommenden Tagen entgegenfeben und die lette Fiber an= 
ſtrengen, um die Zuriüdbleibendon zufaimmenzuhalien und 31 
retten, was zu reiten ilt. 
Auch umere freie Jugendbewegung mai Thlimme Zei 
durch, die einzelnen wie das Ganze. Umiere Sameraden und 
Kameradinnen find Kinder von Arbeiter! 
4 1, gehoren alis 
Bevöolferungäihiubten an, die direff und „ndvett am barten 
unter dent Krieqeunglüd zu [eiden babe: Ten meinten ebe 
Vater oder Brüder und "omitige wre 
Angehörige im FD, == 
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jie wiſjen mht, ob ne ie wiederiehe 
ichen werden. BViele andere minen es erlebe, wig der Vater, 
die Mutter arbeitslo8 wad und die ohnehin Fünmerltiche matt 
rielle Grundlage ihres gammenfreiſe 5 aufs Tcmwerne eriqmuitert, 
3 
wenn nicht gar vernichtet im. Cie telbit fönnen nichts zur Cr 
haltung ihrer Lieben beitragen, denn auch fie nnd ohne Be- 
IGaſtigung, die Lebr= und Arbettsttellen, in denen 10 ihr bißchen 
Lohn empfingen, find geichlotten. Wer noch nicht wißte, was 
Not und Clend verirrt, jeu erfahrt er's gründlich. Die freie 
Jugendbewegung, die Dumitätte uwnicres Geiites und unferor 
Jvceale, it an vielen Orten felber heimatlos geworden. Untere 
alteren Greunde und Leiter Wwmd uns entriſſen: die Mittel, die 
uns die Drgamiation zur Verfügung ſtellten, werden Zu DringLn= 
deren Zweden Jebraunchr. 
Und doh, Jugendgenoſſen und -genoninnen, iolen wir den 
Mit nicht jinfen laſten. „Wir jind jung, und das 1i1t ſ<ön,“ 
rie? uns in glüäicheren Tagen Jürgen: Brand zu, und übermütig 
jaudzten wir feine Worte im3 Weite. Aber nicht bloß ihön. iſt 
die Jugend, ſondern aud) gertanichlanf und kraftvoll. Wenn die 
alte Eiche der denutichen Arbeiterbewegung dieſe Stürme Über- 
dancern wird = und ffe wird fie nberdarern, mac auch mancher 
Aſt böſe zerzauſt werdet = wie ſollte dann m<ht auc< ihr 
jüngſtes Rei38, die Arbeiterjugend, in der Biegſamkeit und 
Sc<hwungkraft ihrer elaſtiſchen Glieder dem Unwetter ſtandhalten 
können! So mancher unter End) mag vordem gemurrt haben, 
daß die „Klten“ uns zu |<arf auf die Finger faheim. 
Tonnen wir alleim machen,“ 'grolltet Ihr, wenn man uns gar zu 
wenig Selbſtändigkeit zuzutrauen dmm. Yun macht Cuner Wort 
währ und zeigt, was Ihr könnt! Wie ſo manche andere Sache 
und Geineinſchaft foll in diejen Nöten anch die deutſche Arbeiter- 
Jugendbewegung ihre Belaſtungsprobe ablegen, und Eure Ehre 
iſt verpfändet, daß ſie die Probe beſteht. Jm Feuer erxerzieren, 
beißt jekt auch für Eu< die Patole. Im Feuer aber kann 
dcr Soidat m<ht lange darauf? warten, daß ihn jeder Schritt 
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