Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

282 
und jeder Griff vom Führer zugerufen und eingegeben wird. 
Auch in unjeren Reißen gilt es für den Erſten wie für den 
Lekten, den Kopf oben zu behalten und felbſt die Verantwortung 
nict bloß für die eigene Rerjon, ſondern auc<ß fürs Ganze zuU 
übernehmen. Nehmt Cu) am Feldſoldaten ein Beiſpiel, 3hr 
jungen Kämwpjer der freien Jugend! Ihr habt in der Ver- 
folgungszeit Eurer Bewegung doß auc<ß Ic<on manchen Siurim 
erlebt und Euch allerlei Wind um dic Naſe wehen laſſen; un 
habt Euc> nicht unterkriegen laiſen. So haltet auch. jeht DIe 
Ohren ſieif und den Kopf hoc<! Euer Leiter iſt plößlich einbe- 
ve Gut, ſo fucht Euch einen neuen Leiter! So mancher 
nd der Jugend, der Euer Vortrauen hat, int zurücgebliebeit 
-- „Shy nmBt ihn mir auffuchen und ibm Cuer Vertrauen an=- 
bicten, nicht warten, bis er, 
Sorgen it Kopf hat, ſelbſt fic) Cuer erinnert. Cuer ganzer 
Jugendaus5ſchuß iſt geſprenat und die zurücgeblicbenen. Er- 
wacgenen ſagen, ſie bätten dringendere Pflichten als die Jugeno- 
bewegung? Gut, fo geht es in der Not au< ohne Ausſchuß, 
und Jhr werdet, 
Mann für den re<ßten Plaß firden. 
Was einzig nottut, iſt. daß Ihr treu zufanmenbhaltet. Auch 
die Arbeiterjugend bat jeßt größere Pflichten zu erfiüllen und 
eine wichtigere, höhere Anfgabo als in ruhigen Zeiten. Sie joll 
den anmnſten, verlaſſentten unjerer Grennde ind Greundinnen, 
allen, die fein menſchenwiirdiges Heim, keinen Rücdhalt im der 
Jamilic haben, eine Stätts fein, an der ſie gewiß ſind, kamerad- 
(Daftlic;: Silfe und Zuſpruch in ihrer Not zu finden. Auch 
unjere Bildungs9cſirebungen brauchen durchaus nicht zu ruhen. 
Im Gogoentcel, jezt, wo- ſo viele unter uns erzivungene Muße 
mehr al8 zur Genüge baben, können wir» häufiger als jontt 
zufammenfemamen und untere freie Zeit zur gemeinſamen Arbeit 
an unſerer Fortbildung planmäßig ausSnüßen. C3 braucht nicht 
immer ein erwa Jener Vortragender zur Verfügung zu ſtehen, 
wenn es aus unbedingt ratſam iſt, überall dafür zu ſorgen, daß 
wonigſtens eit älterer Ratgeber 1un8 zur Seite ſteht, der uns 
dic Bücher empfiehlt, die wir für uns allein lejen, oder die in 
unferen Zuſammenkünften vorgelejen werden jollen, und der au 
ab und zu bei der Aus1!prache über das Geleſene zugegen ift. 
Daß dieſe Zuſammenkünfte regelmäßig ſtattfinden, dafür muß 
freilich gefragt werden, aber e8 wäre eine Beleidigung für unſere 
Kumeradon, wenn wir ihnen hier ausführlich erzählen wollten, 
wie das zu machen jei. Aud) daß ſie, wo kein eigenes YJugend- 
bheint exiſtiert oder das vorhandene jezt anderweitig verwandt 
wird, den paſſenden. Raum, das .geeignete Stelldichein für ihre 
Zuſammenkünfte ausfindig machen, fo viel Gewandtheit darf man 
wehl unjeren: Jungen und Mädchen ohne weiteres zutrauen. Zu 
„der Ic<ontten Form unjerer Zuſammenkünfte, den Wanderungen, 
ſteht Eu ja ohnehin in dieſen wundervollen Herbſttagen in Feld 
and Wald der weiteſte Tummelplat offen. 
 
. | . 
Jur ein Lehrling. 
ZY A 1 ainem lenzfrohen Vorfrühlingstag haben fie ihn zu Gräbe ge- 
' 8 Lracht. Rein prunkvolles Leichenbegängni8 war da3, a< nein, 
alles ſo ſchlicht, fo beſcheiden. Cs war ja nur ein Lehrling, den 
man da zur lebten Nuhe bettete. Wem, außer Eltern und Geſchwiſtern, 
fehlte cx etwa, dieſer kleine Lehrling? Der Druckerei vielleicht ? Auf 
ſeinem Plaße ſtand wohl längſt ein anderer. Der Maſchine iſt e3 ia 
ganz gleic<b, wer ſie bedient. C5 geht alles ſeine Bahn weiter, immer 
bhüb“f< im Geleije. Der eine geht, der andere fommt. Man fragt nicht 
viel nach dem Wer und Warum. 
Amt Cingang des FLicdhofes bleiben wohl ein paar Spaziergänger 
ſtehen, ſehen vem Leichenzug nach und wechſeln ein paar Wortes über 
ven Verſtorhenen: „Jt da3 nicht jenor, na Sie wiſſen wohl . . . Da- 
 
nals auf dem Ciſe “ 
„Richtig ja, S'iſt ja wohl grad die Jahres8zcit?“ 
„Om = [ſo ungefähr War wohl im Januarimonat. Schade um 
das junge Leoben.“ 
Dann gehen ſie weiter, ſich im ſtillen boglü>wünſchend, daß fic nicht 
js früh ihr Leben laſſen mußten. 
Damal3 -- ach ja, damals! 
ofi an dieſes keine Wort. 
Wicviel längſt Vergeſſenes wird wicder lovendig, wenn cin Menſch, 
den man gekannt, der einem vielleicht einſt nahegeſtanden bat, plötzlich 
Hhiniweggerafft. wird! 
Wie viele Crinnerungen knüpfen ſich 
der vielleicht eine Welt voll 
Iv müßt unter Euch ſelber den rechten - 
Arbeiter : Jugend 
Alf9 an die Front, Kameraden! €EC3 gilt, das Fähnlein 
unſerer freien Jugendbewegung mit Ehren durch dieie Stuürmes8- 
zeiten hindurchzubringen, daß ces in künftigen, helleren Tagen 
wieder frei und ſtolz uns zu Häuvptien weht. 
| Lg 
Der Kampf um den Arbeitskag. 
5 13 auf den heutigen Tag hat c3 das Deutſche Reich no 
/ DB unmer nicht zu einen Geſet gebracht, das die Arbeit3zeit 
= Der mehr 018 16 Jahre alten Arbeiter bearenzt. Eine fol<>se 
Begrenzung beſteht allgemein nur für die Arbeiterinnen und die 
jugendlichen. Arbeiter unter 16 Jahren, außerdem nur für 
einige Grüppen der männlichen Arbeiter, die mehr als 
16 Jahre zählen. Viele, viele Hunderttauſende deuticher Arbeiter 
entbehren jeglichen . geſchlichen Schußes gegen eine Übermäßig 
1a nge ArbeitS3zeit. 
Die Sozialdemokraten freilich haben ſhon bei der erſten Be- 
ratung einer deutſchen Gewerbeordnung im Jahre 1869 den An- 
trag geſtellt, daß in allen Betrieben mit zehn Arbeitern und mehr 
die taglich? Arbeit33zeit nicht länger als zwolf Stunden dauern 
dürfe, mit je einer halbſtündigen Pauſe am Lor- und Nachmittag 
uind einer Pauſe von eimer Stunde am Veittag, [9 daß die wirk- 
liche Arbeitözeit fich höchſtens auf zehn Stunden belaufen würde. 
Daß die tägliche Arbeit3zeit nicht zu lang ſein darf, beſtritt ſchon 
damals feine Vartei. Sogar „Köma“ Stumm, der frei- 
konſervative Abgeordnete, der wegen ſeiner felbſtherrlichen Wiri- 
ſchaft in feinen aroßen Fabriken dieſen Namen von der Arbeiter- 
Ichaft befommen bat -- ſogar Freiherr von Siumm erklärte aus- 
 
drücklich, ex halte es für ein durhaus zwechnäßiges und berec>- 
tigte8 Beſtreben, wenn man auf eine dur</<mnittliche zwölfftündige 
Arbeitsfriſt hinwirfke. Und der fortichrittliche Abgeordnete Dr. 
Hirſe bezeichnete es als die dringendſte N otwendigkeit für die 
gejunde Entwicdlung ver Arbeiterſchaft, ja de8 aanzen Staates, 
daß eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht nur in „der Fabrif, fon- 
dern überhaupt eingeführt werde. Dann fuhr Dr. Hirſch fort: 
„Sc brauche nicht beſonder3 darauf aufmertfjam zu machen, daz 
der Arbeiter ohne eine vollſtändige Erholung jeiner förperlic en 
und geiſtigen Kräfte nicht imſtande iſt, an dem Kulturleben ſeines 
Bolkes teilzunehmen. So iſt die Beſchränkung der Arbeit3zeit 
auf ein natürliches Maß nicht nur die VorausSſeßung für beſſere 
wirtſchaftliche Verhältniſſe, ſondern auc< eine politiſche Forderung 
von der hö<ſten Tragweite. Wollen wir, daß wirklic die Ar- 
beiter von jekt an mitarbeiten in der Geſesgebung und Verwal- 
tung des Staate38, daß ſie wirklic<? naß eigener Ueberzeugung in 
der Lage ſind, die Vertreter zu wählen, die ernſthaft das Gsc- 
meinwohl fördern, dann müſſen fie auch Zeit haben, zu lejen, zu 
hören, zu denfen; dieſe Zeit, das iſt ja bekannt, iſt ihnen jekt 
noch vielfacß entzogen. Wir haben, abgeſehen von landwirtſchaft- 
lichen Unternehmungen, auc) gewerbliche Unternehmungen, wo 
oft -- ohne daß eine unvermeidliche Notwendigkeit vorliegt -- 
no<h jezt Arbeit3tage von vierzehn- oder fünfzehnſtündiger Länge 
zu finden ſind. Und ich frage Sie, ob e3 möglich iſt, bei vierzehn- 
bis fünfzehnſtündiger täglicher Arbeit, die kaum einmal am Sonu- 
 
Wie viele Hoffnungen werden da nicht oft mit zu GC Grabe getragen! 
Heute noch iſt man ſo reich im Hoffen und morgen Icon ſteht man 
vor einem Häuflein kalter ſchwarzer Erde! 
So auch hier. | 
Schon als er noch ein Knabe war, waren wir beide ſozuſagen gute 
Freunde geworden. Jh freute mich jeden Tag auf den Augenbli>, wo 
ic) fein lachende3, rotweißes Knabenangeſicht durch die Türſpalte lugen 
ſah. -Er kam täglich zur feſtgeſebten Stunde, pünktlich wie eine Uöbr, 
und brachte mir die Volks8zeitung. I< Hätte mir wahrlich feinen ge- 
wiſſenhafteren Zeitungsboten denken können als dieſen prächtigen 
Jungen, der es ſo ernſt mit ſeiner Pfliht nahm. Crx war der Soyn 
de8 Parteifolporieur3, war das vierte Kind von ſieben Geſchwiſtern. 
Da hieß ces tüchtig mit zugreifen. Die Urbeit war ihm keine Lati. 
ic fad. ich ihn mürriſch oder verdricßlich. 
blauen Augen, immer war cr frohen Mutes. Bei Sonne und Viegen, 
bei Sturm und Schnee fam er mit ſcinem Zeitung3paket dahergetrabt. 
Kein Weg war ihm zu weit, keine Arbeit zu beſchwerlich. 
Einen Tag, mitten im kalten Winter, ich vergeß' ihn nie. Faſt 
acßtunddreißig Stunden lang hatte es ununterbrochen geſchneit. Dann 
ſeßte ein heftiger Sturm ein; der trieb den Schnee vor ſich her und 
tüirxmte ihn hoc<; auf. Dazu war e5 bitter kalt. Gerade um unter 
„Haus zog ſich och eine Shnecmauer; wir waren gänzlich von der Welt 
abgeſchnitten. Weder Milchmann noc< Briefträger zeigten Luſt, ve" 
Wall zu erſteigen oder zu durc<brcechen. Schon dachte ich mißmutig 
Stet3 leuchteten die klugen- 
 
 

	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.