Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Arbeiter-Zugend 
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fag unterbrochen wird, ſich überhaupt mit etwas anderem als -- 
wie das Tier = nur mit den eigenen Alltag8forgen zu bejhäftt- 
gen. Alfo, wenn es wirklich dem Arbeiter geſtatt et ſein joll, 
Menic< zu fein, fo bedarf e3 einer Verkürzung der Arbeit Szeit.“ 
Der Regitierung5vertr&fer Geheimer Regierungsrat Dr. 
Michaelis endlich begann ſeine Rede mit den Worten: --, Id 
alaube, wir alle find darüber einig, daR es wünic<hen3wert iſt, 
wenn die Arbeit3zeit fowohl.janerhalb wie außerhalb der Fabriken 
Im Laufe der. Entwicklung abgekürzt wird. Wir alle jehen in der 
Abkürzung der Arbeitszeit eine Frucht der Kultur und. der Steige- 
rung des Wohlſtandes innerhalb aller Schichten der Geſtellichaft.“ 
Troßdem bekämpften dieſe Redner den Antrag der Sozial- 
demofraten, und der Norddeutics ReichsStag lehnte ihn jmließlich 
ab, weil ein jolcher Zwang zur Veichränfung der Arbeitäzeit in 
manchen Fällen undurc<führbar je. So jeien längere Arbeit5- 
zetcen al3 die zwolfſtündige unentbehrlich in den Betrieben, w9 
Tag. UND Racht an Oefen gearbeitet wird oder die von unregel- 
mäßiger Waſſerkraft abhängen. 
In Wahrheit fann auch in allen dieſen Zallen die Arbeoits- 
2e1it 30 geregelt werden, daR Fein Arbeiter länger al3 zwol7 Stun- 
den im Vetrieb bleiben muß. Außerdem hätte ja das Geſeß vor- 
läufig in diefen beſonderen Zällen AuSnahmen zulaſten fönnen. 
Aber, js führten die Gegner des fozialdemokratiichen 
aus, der Zwang fonne and eine Schädigung der 
Jolge häßen. Abgeordneter Skumm teilt? mit: Es geſchieht 
bäunfig, namentlich in Bergwerken, iwo die acdtſiundige Schicht all- 
gemein üblich ift, daß ein Arbeiter, der feine achtſtiins ige Schicht 
gemadgct hat, wöchentlich noed Zwei oder drei Schichten. machen 
mill, wenn er fräftig iſt und eine zahlreiche Familie zu ceL- 
nähren hat. 
Dieſe Mitteilung itt jedoch die denſfbar beſte- Begründung 
DCS "ozialde mofratiichen Tntrag8. Denn ohne dieſen Antrag wird 
I<lickßlich jeder Familienvater gezwungen fein, länger zu arbeiten, 
unt den Unterhalt für feine Familie ZU deichaffen, auc wenn er 
nicht oder nicht mehr bejonders kräftig ilt. 
leckte Kraft um fo jchneller auf, er wird feiner Familig um 1o 
früher entriſſen: und das iſt doch die Ihlimmſte Schädigung der 
rbeiter. 
cin dagegen die Arbeit8zeit nicht länger als zwöl? Stunden 
Sanern darf, jo werden die Arbeiter alle ihre Kräfte dafür ein- 
jebßen., daß ſie n den zweLlf Stunden 19 viel verdienen, wie ſie für 
ihre Zanilie haben müßten, daß alſo demontiprechend der Arbeits 
lohn erhöht werde. HSier wirft mithin der jogialdemokratiſch2 
Antrag in jeder Beziehung aunſtig für die Arbeiter. 
Dr. Hirſ< behauptete, daß die fortſchrittlichen Arbeiter 
fich nicht das Recht nehmen laſſen wollten, wenn e3 für ſie vorteil- 
hafter ſei, länger als zwol?f Stunden zu arbeiten. Die3 hielt 
Dr. Hirſch für berechtigt. Während des 1ſImlec<ten Geſ<häftsSganges 
werde die Arbeit8zcit heorabgeſeßt, etwa auf die Hälfte, und 
dann bekämen die Arbeiter auch nur dic Hälfte des Lohnes. Wenn 
ipäter die Geſhäftszeit wieder beſſer! würde, könnte man die 
Arbeiter doch nicht daran hindern, daß fie durch Ueberarbet das 
nachverdienten, was ſie vorher eingebüßt hatten. 
Hierauf gab der jozialdemokratiſche Abqeordnete 
Dr. Schweißer ſofort die nötige Antwort. Er erinnerte daran, 
| Unternehmer 
Antrag3 . 
Arbeiter. zur 
Dadurch reibt er feine 
vaß .die jogenannte Ueberproduktion, die Ucberfüllung ves 
Marttes mit Waren, und der daraus folgende ſchlechte Geſchäftz- 
gang die Folge der heutigen ungeregelten AusSbeutungs5wirtichaft 
ift. Wenn die Unternehmer in der: guten Geſchäftszeit nach ihrem 
Belieben die Arbeit3zeit verlängern und Sadurd immer mehr 
"Waren an den Markt bringen können, dann wird der Markt unv 
is Ichneller überfüllt, der. Ichlechte Gejdcäitsgang tritt um 19 
früher ein, und die Arbeiter werden um ſo früher entweder ganz 
arbeitSlo8 vder fie müſſen wenigjten5 m at verfürzter Arbeitszeit 
erbeiten. 
Viel beſſer iſt es dagegen für die Arbeiter, wenn fie auch in 
der guten Geſchäft5zeit nicht übermäßig lange, al!io nicht länger 
al5 3zwolf Stunden "arbeiten und wenn: dadurch die Zufuhr Der 
Waren an den Markt nicht zu fehr überhaftet. wird. Dann hält 
Der qute Geihäft8gang um jo länger an, und die Arbe iter haben 
um 19 länger ihren regelmaßigen BVerdientt. 
Cndlich voriröjtete Dr. Hir) < die Arbeiter darauf, 9aB vie 
jelbit ichon jo vernünftig tein und aus freie 
Stücken. = ali9 ohne von Zwang des GeſeR23 = die Arbeits5z2it 
auf zwolT, zehn, ja bis zu acßt Stunden verfürzen würden. Denn 
die Verfürzung Ier Arbeitszeit bewirft, Daß die Arbeiter ihre 
forperltichs, geiſtige und: ttliche Kraft unt 10 beſſer entfalten wind 
aus dieſem Grunde um 19 loſtiungs5fähiager in WÜLrDEN. Das 
werds, jo hoffte Dr. Hirich, die Unternehmer veranlaſien, dein 
Forderungen dor Arbeiter auf Verfürzung der Arbeitäneit ab 
zugeben. | 
Anch diefen. Ausführungen. trot der Abgeordnete 7 Zr. 
Schweißer entgeJen. Roahalb“, 19 Fragte er, „ellen wir 
au? das Gntgegenfommen 927 Unternehmer IDEX weiß wie lange 
worten, wenn wir es in dor Hand haben, D 12 als notwendig ais 
erfannte Verfürzung der Arbeitszeit jofort Surs die Guetnohung 
zu erreichen?“ 
Wie richt? dieſer Ginwand war, hat die GCrahrung gezeigt 
In der Schweiz 3. B. iſt ſchon längſt die Arbeitszeit für alls Ar- 
beiter durc< GejeB Geſchränft. DIS har fich dii Da „dewährt 
Und in dieſemnt Jahre wird das Goſeß in der Schwe 
beffert, die ArbeitSzeit noch mehr verfürzt. Bei a 
haben wir, weil ein folch25 Geſetz Tehlt, noc) hente unerträgt 
lanac Arbeitszeiten ſelbit dort, w9 zwingende Gründe Dafiir nid 
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vorliegen. > Sufav Dod. 
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Das Loh in der Luft. 
Bon Friz Kahn. ; Scdlus.) 
ovchor in der Lu?t! Ahnt der Menich, der aim Bode Ertocht und 
eL nur zFarden fieht, was füc< abipielt im dem Wogenmeer der 
Lüſte? Wahrlich, wo hat 11 jemals wörtlicher der Zauß er 
füllt als hier, daß es nrohr Dinge zwiſchen Himmel und „Erde gibt, 
al8 untere SchulweiSheit ng träumen läßt? Es 1 iE 10! Dieie Luſt, 
die wir nicht fehen und darunt verachten, ie iſt fein Nichts, fein 
„reiner Aether", wie die Dichter ſingen, = ſie iſt ein Meer von 
Wellen und Wogen, voll Klippen und Strudeln, Brandung und 
Strömung, Siland und Abgrund, ein Ozean mit. allen Tiüickeit 
des Waſſer3, tamjendfach unheimlicher als die MWaſſermeerte, Die 
 
daran, daß ich heute wohl auch auf die Leltüre der Volk8z3eitung ver- 
zichten müſſe. Da, ſo gegen Abend, =- ich traue meinen Augen kaum --, 
arbeitet ſich jemand dur< den hohen Schnee. Wahxrhaftig, mein kleiner 
Freund iſt's! Bis zum Obcrförper ſinkt er cin, macht einen kühnen 
Sprung, ſtapft weiter, um gleich darauf wieder zu verſinken. Mitunter 
ſche ich nur den Arm und das Zeitung3paket hervorragen. Nun hat 
er die ſchlimmjte Stelle pajjiert. Jeßt geht es ſchon etwa5 beſſer. Ex 
nimmt Schritte, al8 hätt' ar Siebenmeilcnſtiefel an. Und endlich iſt 
ex hindurc<. Triumphierend hält ex mir die Volk3zeitung entgegen 
Ganz ſtolz war ich damals auf dcn tapferen kleinen Kerl; wußte ih 
doc<: für den gibt's einmal fein Hindernis, der wird ſich ſ<on ſeinen 
Plaß im Leben erkämpfen. So dachte ich, -ſo dachte vielleicht mancher, 
und e3 fam ganz ander3. All die Luftſchlöſier, die ich mir gebaut, ſie 
ſtürzten jah zuſammen. 
Gerade 2wei Jahre war er in der Lehre -- die Buchdruckerkunft 
ſollte er crlernen =, da nahte jſzin Verhängnis. . 
Wieder ein Tag im Winter war's. Das3 Cis wollte noch nicht 7o 
recht tragen, aber die liebe Shuljugend kann nun einmal die Zeit nicht 
erwarten, bi3 ſie die Schlittſhuhe hervorholen kann. So ein vorwißiges 
Bürſcbhen war an einer dünnen Stelle eingebrochen und unter das 
Eis geraten. Ganz ſicher hätte e3 ſeinen Uebermut mit dem Leben 
büßen müſſen, wenn mein junger Freund, jener Lehrling, ihm nicht 
mit TodeS3verac<htung nac<hgeſprungen wäre in die eiſige Flut. Da3 Kind 
ivar gerettet, der Retter aber ſollte ein Opfer ſeine Mutes werden. 
"Monatelang lag er auf 
'gann -=- als der Stürmer März dahcrgebrauft fam und gar 
Er, dor bis dahin geſund und kräftig geweſen, begann zu 
Die erſten Anzeichen der verheerenden Rroletarierkranfheit, der 
jut, madten fich bald bemerkkar. Von Tag zu Tag aing' : 
mit ihm. Von Zeit zu Zeit machte die Krankheit einmal oin wenig 
Raſt, um dann wieder mit verdoppelter Macht auf den armen Jungen 
einzuſtürmen. Bald fonnic er fich nicht mehr in die Druc:rei ſchleppen. 
vem CdhmerzensSſager; wußte vielleicht, Dd33 
A!3 der Lenz ſeine Vorboten 
Drangen in der Natur bPo- 
ungeſtünt 
die alte Mutter Erde wachrüttelfe, damit ſie eile und ihre Frühlina3- 
ſeine Tage gezählt j2 ien, und klagte nicht. 
in3 Land ſfchidte, ein geheimes Weven 'nund 
- Finder hinau8ſ<hi>2 in38 junge, Inoſpende Leben, da muüßie moin armer 
junger Freund ſich zum Sterben bereitmachen. Jhm half fein Früh» 
ling und keine Sonne mehr. 
Vielleicht, wenn. er die Mittel betkeſſen hätte, im ſonnigen Süven 
Geneſung zu ſuchen, damals, al8 die Krankheit noch im Cntſtebon be 
griffen war -- vielleicht . 
Hatte folch eine Kur nicht oft Wunder getan! Und cs werden dor 
von jungen Müßiggängern, von Söhnen wohlhabendar Väter, oft in einor 
Nacht bei Spiel und Wein Summen verjubelt, die hingereicht hätten, 
ſoich einem Aermſten das Leben zu retten! 
Warum? .... 
N<, wozu denn dieſcs Vicellzicht und W 
ein Lehrling. 
arum! C3 war eben nir 
Anna Moſegaard. 
6**> . 
Gr u
	        
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