-Arbeiter-Zuzend
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Jeder ſieht, daß zahllsje Kombinationen möglich ſind. Schlüje
werden weiter zu Beweiſen verbunden, Beweiſe ergeben ſchließlich
ein wiſſenſchaftliches Syſtem, das häufig auf ganz wenigen Grund-
jägen (Axiomen) ruht.
| V. Rejthettil.
Wir ſahen ein Bild, hörten ein Muſikſtück, lajen ein Buch. Die
beiden erſten, ſagen wir mal, gefielen un8, das Buch aber gar nicht.
Einem Bekannten von uns ging es mit denſelben Dingen gerade
umgekehrt. Er fand nur das Buch f<ön. Wer hat rect? Die
„Geſc<hmäder find verſchieden“, ſagt man ſcherzhaft. WMVuß das
jein? Sängt ein folche38 Urteil von der größeren oder geringeren
Bildung de38 Genießenden ab? Oder iſt etwas darum Kunſt over
Jeihtfunit, TcOlechte oder gute Kunſt, je nachdem es Beſtimmtes
darſtellt: Nackte8 oder Bekleidete3, Revolution oder bürgerliche
Zufriedenheit? Wir unterſcheiden nun aber in der Tat bedeuten-
dere und unbedeutendere Künſtler. Woran denn? Solche und
ähnlicße Fragen beſchäftigen die Aeſthetif: Fragen der Kunſt, Bc-
lehrungen über den Genießenden, den Künſtler und vas Kunjit-
werk (aisthetikos, griech. = wahrnehmbar, für die Sinne faßbar).
Man glaubt nachweiſen zu können, daß zur Kunſt nicht jo ſehr
Erkennen und Wollen gehören (Erkennen kommt mchr der Wiſjen-
ichaft zu, Wollen dem praktiſchen Leben, der Sittlichkeit, der Cthik)
als das Gefühl. Aber kommen dieſe Vermögen wirklich j9 getrennt
vor? Ste>t nicht in jedem Fühlen auc) Wollen? Weiter fand
man durch Unterſuchungen, daß uns in der Architeftiir, der Bild-
hauerei die Darſtellungen gefallen, die beſtimmte Maßſtäbe auf
weiſen, zum Beiſpiel ein beſtimmtes Verhältnis der Breite zur
Höhe, de8 Durchmeſſers zum Umfang. Dann müßte ſich die AetthL-
nit, fo folgerte man, zuleßt auf Mathematitf zurückführen laſen.
Auch die Töne (Muſik) laſſen ſich nämlich auf Schwingungs3-
zublen zurückführen. Beſondere Farbenzuſammenſtellungen ge-
fallen i<einbar immer. Farben laſſen fich auf das Licht, Licht auf
Weollenbewegungen verſ<iedener Länge zurückführen. Aber ſolche
ee uc<ungen ſind ſehr weitläufig und noc< längſt nicht abge-
Ichlotfen.
Lange Zeit hindur< bis in unjerc Tage hinein behauptete
man, die Kunſt habe e€8 mit dem Shsnen zu tun. Aber iſt in
den Arbeiten des belgiſchen Malers und Bildhauers Menmier,
der arme, au8qezehrts Kohlenarbeiter darſtellte, keine Kunſt? Und
kei unfercr Käthe Kollwik? „Schön“ ſind dieſe Geſtalten: gewiß
nicht. Alfo bat es die Kunſt vielleicht mit der Wahrheit zu
tun? So hat man Forderungen über Forderungen gejtcUt und
ſtellt ſie heute noh; 3. B. auch: alle große Kunſt muß jymboliyh
jein, d. 9. ſie muß auf etwas Höheres hinweiſen, einen tieferen
Sinn haben, der dem Durchſhnittömenſ<en vielleicht gar nicht
aufgeht; ihn muß man erſt dazu erziehen.
Heutzutage ſtechen ſic) im großen Ganzen zwei Richtungen
gegenüber. Die eine behauptet: über die Aeſthetik laſſen fich bc-
ſtimmte, immer gültige Säße finden, Wertbeſtimmungen (Yor-
men). Die Vertreter diejer Anſicht ſchließen ſich vielfa<ß an Kant
an, ſind aber nicht ſo zahlreich wie früher. Die andere behauptet:
alle Normen ſind willfürlich. Erſt müſſen wir durc< Erfahrung
alle Tatſachen kennen lernen, Geſeke ergeben ſich dann von ſelbſt.
Dieſe Gelchrten können wieder ganz verſchieden vorgehen. Sie
fönnen 3. B. alles an fich ſelbſt, an ihrer Berſon, ihrem Empfinden
beobachten und e8 dann verallgemeinern. Sie können dieje Unter-
ſuchungen aber auc< auf zahlloſe Perſonen auSsdehnen und die Phy-
ſfiologie wie Pſychologie zu Hilfe nehmen, d. h. das Körperliche wie
Sceliſche beobachten. Endlich können ſie auf die Entwi>elung
der Kunſt zurückgehen und beiſpicl8weiſe fragen: Haben auch die
Tiere Kunjtempfinden? So hat man Tieren Muſik vorgemacht
auf den verſchiedenſten Inſtrumenten; ihre Empfindungen äußer-
ten ſich auf die mannigfachſte Weiſe. =
Welches iſt der Urſprung der Kunſt? Klima, Raſſe, die
Wirtſ<aft3verhältniſſe können vielleicht von über-
ragender Bedeutung ſein! Der SozialiSmus ſagt mit Recht, mit
ſeinem Siege werde auch u. a. eine neue Kunſt entſtehen. Wir
Icehen: auch hier ein weites, weites Gebiet.
Man unterſchied früher und unterſcheidet auch heute noh be-
ſtimmte Künfte: Dichtkunſt, Muſik, Malerei, Bildhauerkunſt,
Architektur, Shaujpielkunſft, Tanz. Nod) andere werden genannt,
3. B. Gartenbaukunſt uſw. Wo hört die Technik, das Handwerk8-
mäßige auf, und wo fängt die Kunſt an? Endlich will man auch
den einzelnen Künſten Grenzen ziehen; [9 verlangt Leſſing in
feinem befannten „Laokoon“, die Dichtung müſſe ſich hauptſächlich
mit Handlungen, die Malerei mit Zuſtänden beſchäftigen. Gibt
es aber feſte Grenzen? Nun denke man auch an Wagner, der in
der Oper alle Künſte in einem Kunſtwerk vereinen will, dem
„Kunſtwerk der Zukunft“. Und zum Schluß erinnere ich noch an
die .moderne, ganz neue Kinokunſt, die heute gewiß noc Schäden
hat, aber ſich ſicher auch zu einer ganz eigenartigen Kunſt heran-
Karl Schröder.
bildet. |
- Der Brand im jJejuikenkloſter bei Lüttich.
Fach der Erzählung cines Augenzeugen. *)
ZZ 03 Kloſier Jemte liegt dicht bei Lüttich auf einem Hügel,
w 5 vom ſüdlichen Fort etwa 600 Meter entfernt. Z< war feit
"Zz zwei Jahren in dieſem Floſter Bruder. Wir Brüder leſen
feine Zeitting, und imſfolge unjeres Schweigegelübdes ſprechen
wir auch nicht, daher wüßten wir nichts vom Krieg.
Am Donners8tag, den 6. Auguſt, hatts ich mit ſieben anderen
Brüdern die Wache, von Mittag bis Mitternacht. In dor Nacht,
1115 Uhr, hörte ich plößlich ein mir Janz unbefanntes Geräuſch.
Taraufhin ging ich in den Hof nach der Seite, von der aus ich
Güttich und ſeine Forts fehen konnie. Ich fah da in einiger Enk-
fernung am Himmel ein fleines Licht, das zeigie mir, daB ſich das
Weſen in der Luft befand. I< wollte meinen Nundaang wieder
aufnghmen, aber das näßherfommende Surren, obzwar das Leben
der Welt mich nicht intereſſierte, hielt mich doch feſt. Tas Licht
fam naber und näher. Jett hörte das Geruaumih auf. Ts ging
mir durch den Kopf, das konne vielleicht ein Luftimiif ſun =- aber
nein = plößlich erſtrahlte auf der Crde ein blendendes Licht =-
Das 11t der Stern der Weiſen, der etwas anfündigt, dachte ich, den
faßt dir nicht aus dem Auge. In dem Lichtichein da unten ſab ih
alles hell und deutlich, Teile der Befeſtigung und anderes. Aber
da =- vom Widerichein der beleuchteten Erde erhellt, jah ich 8 jezt,
cs war wirklich ein mächtiges Luktichiif! Z>< wollie jauchzen vor
Sreude =- ich hatte Ja nod) feins getehen. Ter Schein mochte fich!
nur einige Sefunven gez2gigt haben, aber wie lange ichen es mir:
Mein Auge hatte fich noch nicht an das Dunkel der Wacht gewohnt,
da horte ic) ein Getoie. I< 1ab gen HSinmel, mcht5s vpaiierte:
das fleine Licht zog ruhig weiter. Aber da unten, da jah ich jezt
genug = Feier und Rauch! In der Helle war alfes zu feben.
Tas C<o fam nun an mein Ohr. Ich hatte mich von dem großen
Schre>en noch nicht erholt, als ſc<on ein zweitoar Schein auf ver
Erde in ziemlicher Nähe ſich zeigte. Jeti fonnte ims auch nod
dentlichker jehen, daß es ein Luftichiff war, an langem Seile tic?
unten bing, wir mir ſchien, ein metalloner Korb, in dietem ſiand
ein Mann. TDeutlich fah ic 8, wie er mit beiden Händen einen
Gegenſtand in die belenmchtete Stelle himunterwarf. Dowie das
c&fehen war, verſchwand ſofort auf der Erde der helle Schem.
Aber ich ſtarrte doch weiter auf diefon Fle. Eine mächtige Licht-
aarbe ſchoß da nun auf, und große Klumpen flogen nach allen
Seiten in die Höhe. Da = ain furckibares Getoie! WMein
Trommelfell ſchien zu plagen, ich war wie taub. Die Erde jchwankte
unter meinen Füßen 19, daß ich tuumolte. Ganz benommen ſchaute
ich nun nach der Stelle. Die blendende Garbe hatie jich in eine
dide, IcOwarze Rauchmaſſe zufammmengeballt, die ſO langiam 11
vie Höhe wälzte. Nach und nac wurde fie von unten herait
Beller und beller wie weißer, leuchtonder Dampf. Schließlich
brannte die Stelle wie eine FeteröSbrumit. I< wehte min zu er-
fennen, ob das Fetter ſich ansSbreitete, fuhr aber da ſchon wieder
von einent weiteren entfezlichen Knall erſchre>t uau?. Dieſe8 furcht-
bare Schauſpiel wiederholie ſi fort und fort, nur ferner und
ferner. Von 1134 Uhr bis furz vor Mitternacht wurden au? die
Forts zwölf Bomben geworfen. Zwiſchen den GCxrplojionen horte
man hiia und: wieder die Motoren furren. Lach der lebten Cx-
ploſion ſieg das Luftſchiff in die Höhe, 306 weiter und entichwand.
Noch immer ſtand ich wie ſtarr an derſelben Stelle, da 1<luau
unſere Kloſteruhr zwölf. Wir acht wurden nun abgelöſt, blieben
aber mit den un8 Ablöſenden auf dem Hofe. Au Schlaf war ja
nicht mehr zu denken. Die anderen Brüder und Patres, wir waren
zuſammen fünfhundert, blieben in den Gebunden und ichanten vom
Fenſter aus auf die brennende Feſtung.
Um 4 Uhr rief uns die Glo>ke zur Kirc<e. Troß der unge-
beuren Erregung aller beherrſchte doch weiter uns alle das
Schweigegelübde. Es war zum Staunen! Nber die Erregung
wurde 21x Folter, denn unſere Andacht dauerte volle zwei Stun-
den. Die herrlich gemalten Glasfenſter, die auch noh jeglichen
Ansblice verſperrten, waren vom Luftdru> der Exploſion nach
innen gebogen, wie Segel vom Winde gebläht. Die 80 Zenti-
meter di&e Stein-Umfaſſung8mauer des Hofes hatte aud tiefe
und lange Niſſe bekommen. Als wir um 6 Uhr aus der Kirche
heraus auf den Hof kamen, war da8 Schießen und Schreien noch
=) Nachrichten oder Berichte vom Krieg kann die „Arboiter-JugenD“
naturgemäß nicht veröffentlichen; ſie gehören in die Tagespreſſe, die
in dieſer aufregenden Zeit gewiß auc< von unſeren Leſern „ver-
ſchlungen“ wird. Mit nachſtehender Schilderung, die wir der „Köln.
Ztg.“ entnehmen, machen wir eine Ausnahme, denn ſie hat in Dar=
tellung und Inhalt einen eigenartigen Reiz und leuchtet wie mit dem
Blendlicht in einen entlegenen Winkel unſerer ſogenannten Kultur.
Wenn man von dem modernen Apparat, den im Text erwähnten Luft-=
ſchiffen, Bomben, Automobilen abſieht, könnten dieſe Zeilon einer Chronik
aus der Merovingerzeit entnommen ſein,