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unheimlicher und die Brande auch Ichon weiter hineingedrungen
in die Stadt und noch zahlreicher.
Wig üblich öffneten nun um 6 Uhr die Torwächter die Tore.
Aber welc<es Erſchrefen! Hunderte von in der Nachbari<a!t
wohnenden Belgiern ſtürmien in den Hof. Da wir von dieſen die
Plünderung des Kloſter3 befürchteten, ſuchten vor allem die Tor-
wächter fie hinau8zudrängen. Ein Vater rief: „Gehet! Ihr ſollt
ia alle3 befommen!“ Der ſinnlo3 verwirrte Pöbel griff aber
gleich zum Meſſer und mordete zwanziu unjerer Brüder und eincr
Pater. Jh jelbſt eilte zur Glo>ke im Hofe und lautete Sturni.
Mit Heu- und Miſtgabeln und Schaufeln bewaffnet ſtürmten die
Brüder herau38 auf den Hof und jaovten die Horde wicder zum
Tor hinaus. Zwei Brüder, die bei diejem Kampfe obne unter
Wiſſen im Gedränge mit hinausgeriſſen wurden, fanden wir dann
draußen, wie von Beſtien zerfleiſcht und fürchterlich zerhackt. Die
Leichen waren entſeßlich anzujehen. Auch ein belgiſcher Bruder
hatte zur Heugabel gegriffen, als ic? Sturm geläutet, und war
mit gegen die Tore geſtürmt, in der Meainting, gegen deutſche
Soldaten fämpfen zu jollen. Als er aber jah, daß die Hercein-
itürmenden feine Lands8leute waren, kehrte er jeine Waffe gegen
uns, feine Brüder, und ſchrie immerfort wie von Sinnen: „Yous-
“tes fous! Vous &tes fous!“ (Ihr ſeid verrückt!) Nac birzons
Durcheinander und Kampfe mit ihm wurde ihm die Heiigaboel
cntrungen. Viele Hände packten ihn und warfen ihn uber d!2
Mauer. Er hatte ja die Waffe oegen ſeine Brüder gerichtet, aber
vor allem das Schweigegeliübde gebrochen.
Der ganze Kampf hatte kamm eine Viertelfiunds gedanerr.
Nachdem die Tore wieder geſchloſſen, 6:4 Ubr, unſerer feſtſicehen-
den Gſſen3zeit, verſammelten. wir uns im EChſaale zum Frühſiuc.
Ich hatte, troß der ungeheuer erregenden Vorgänge, großeit
Hunger. Wir fühlten uns jekt in Sicherheit. Als wir dann
aber nao unferm 20 Minuten währenden GCſfen wieder anf dein
Hof kamen, da hatten die belgiſchen Beſtien Ichon von zwei Seiten
an unſerm Kloſter Fetier angelegt. Unſer Getreide und Hei,
das unweit des Kloſters lan, hatten ſie an die Holzichuppen gL-=
ſchleppt, auch die von uns beladenen Getfreidewagen an dic Gce=
baude und Schuppen herangeſchoben wid angezündet. Die
Flammen hatten ſchon die Giebe! erfaßt. An ein Netten war nicht
mehr 211 denken, denn alle Gebänds waren miteinander verbun
vu Dieſe Prüfung war aroß! LTbor auch fie vermochte nicht
unſer Schweigegelübde zu brechen, und doppelt ſprachlos Ganten
wir nun in die Flammen.
Unſer furchtbares Weh löſte fich, al38 wir unſere8 Kloſter8-
Oberhauvt in Tränen jahen, endlich anch in Träncn auf. Er trat
miten unter uns und, wie alle Vatr23 zum Sprechen berechtigt,
icf er laut: „Gehet hin, reitet, was zu retten iſt!“ und wir folqq-
ten feinem Gebote. Eiligſt wurde nun auch am die Behörde in
Lüttich telephoniert und um Hilfe und Schuß gebeten. Aber zu
unterm großen Schre>en erſdien daraufhin deutſches Militär.
Weil Deutſchland uns Jeſuiten in feinen Grenzen nicht duldet,
hatten wir mun aroße Sorge. Die "hon auf den Hof geſchafften
wertvollen Schäße wollten wir, angeſicht3 der dentichen Soldaten,
eiligſt wieder in3 Kloſter ſchaffen, aber der Führer der deutichen
Truppe erklärte unſern Obern, daß Lütti; auf dicſer Seite ſchon
ganz in deutſchen Händen ſei. Daraufhin ſtellten wir uns unter
deutſchen Schuß. Wir hatten e3 nicht zu berenein.
Die deutſche Schußtruppe erſchien mit acht Antomobilen, die
unjere ungeheuer wertvollen Schätze, Gemälde, die in der Eile
von den Rahmen abgeſchnitten, wie Papier zuſammengerollt und
gebrochen wurden, unſere goldnen Weihgefäße und unſere Patres
nach Deutſchland brachten. In großer Eile haben wir dann eine
große Grube gegraben, in die wir, ohne jede religiöſe Zercmonien
und Worte, unſere 20 erſtohenen Brüder und den Pater betteten
und mit Erde bededten.
So zogen denn, am Sams8tag im Morgengrauen, wir 350
Brüder zur deutſchen Grenze, hinter un8 da8 noch rauchende
Kloſter. Die gerettete, geringe Habe ſchleppte jeder unter Miüh-
jalen die drei Stunden mit ſi<. Nur ein an die achtzig Jahre
alter Bruder blieb zurüc>. Gelaſſen ſagte er: ich will hier ſterben.
Obzwar deutſche Soldaten uns auf dieſem Marſche beſchüßten,
'beſtürmte uns auch da nodh) oft der belgiſche Vöbel. Ich erhielt
beftige Fußtritte und Stöße an Beine und Leib. Zwei Nächte
batte feiner vom uns geſchlafen; dazu die ſeeliſche Erregung und
Qualen allerſtärkſter Art.
A13 wir dann, nach unendlichen Mühen, uns über die Grenze
gejchleppt hatten, ſanken wir alle todmüde auf einer Wieſe nieder
und verfielen in einen bleiernen Schlaf und ſchliefen, beſchüßt und
umwact von deutſchen Soldaten, vom frühen Morgen bis8 die
Sonne ſank.
Miiemmnanne
Verantwvorllich für die Redaktion: Karl Korn, =- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſ<land3). = Du:
anitalt Paul Singer & Co, Sämtlich in, Berlin,
Arbeiter- Jugend
Reben Gewittern.
Im ſonnenbrütenden Erdbeerhag
Die Kupfernatter geringelt lag.
Auf dürres Moos und verkrüppeltes Holz
Der Mittag fengend niederſchmolz.
Am Horizont aus Dunſt und Hißge
Wuchs ſchweres Gewölk im Sonnenblige.
Ein Krater ſchien es, deſſen Rachen
Von Brauſen ſchwoll, von dumpfem Krachen.
Wie Donner klang es, raſtlos grollend,
Wie Knattern und Brodeln, in Stößen rollend.
Dort drüben rangen, verhüllt von Dampf,
Zwei Heere den Vernichtungskampf,
Es ſchnürte ſich ein ſtählernes Net
Um das berannte, verlorne Mez.
Doch freundlich ſchien die Sonne hier,
Auf Poſten ſtand ein Grenadier,
Stahlblau von Auge, hell von Haar,
Ein Kerl, mit dem nicht zu |paßen war,
Der ſperrte den Weg und rief ſein Halt.
Vor ihm, kaum ſechzehn Winter alt,
Barfüßig, ein Mädchen, das Kleid voll Flicken,
Maß den Pruſſien*) mit böſen Blicken.
Und wie der ſchweigend rü>wärts wies,
Schlich ſie beiſeit durch Heid und Wies,
Wollt Beeren ſammeln in einen Krug,
Den mühſam ihr mageres Yermchen trug.
Dod tief im jonnenbrütenden Hag
Die Kupfernatter geringelt lag,
Die hat, zu züngelndem Sprunge gezüc>t,
Den Zahn in des Mädchens Ferſe gedrüt.
Nufſchreit das Opfer ſinberaubt. --
Da jenkt der Feins ſein vehelmtes Haupt
Und niederfniend hält er ſett
Den Mund auf die bläuliche Wunde gepreßt,
Auffaugend das Gift, erroitend das Kind . . .
Im dürren Roggen ſchlief der Wind,
Auf zwei geſenkten Menſchenſtirnen
Fiel Liebesgruß von ew'gen Firnen.
Sie ichwiegen; die Sonne ſank heiß und ſacht,
Im Blutrauſch vertobte die Semmerſchlacht,
Ein Weltereianis brad dort fich Bahn,
Hier ward ein Wer? der Liebe getan,
Und welches von beiden das größte war,
Macht einſt die Zukunft offenbar.
Denn nur die Liebe kann erlöfen
Von Haß, von Krieg, vom Fluch des Böſen.
Emil von Schönai<-Carolath (1870).
Sprich etwa prüßjäng.
*) Franz.: Preuße.
(gricch.), Luftſchiffer. .
Antife (lat.), das griechiſche und römiſche Alterium, beſonders mit
NÜE iht auf ſeine Kunjtwerfe; eine Antike = ein aus Dieſe,
Altertum ſtammendes Kunjtwerk. .
Fort (franz., ſprich: fohr), befeitigter Pla, Vorwerk? einer Feijtung.
Frent (vom lat. irous = Stirn), Vorder-, Stirnſeite, vordere Schla.HIt=
reihe.
Inveſtieren (lat.), Geld in Unternehmungen anlegen.
Kataſtrophe (äriech.), Wendepunkt, Wendung zum Schlimmen, Z1us-
ſjammenbrud).
Kolporteur (franz..
Sdcriftenverteiler.
Kombination (lat.), Zuſammenſtellung,
Kompliziert (lat.), verwickelt. .
Meunier (franz., Tprich: mönnjeh), Maler und Bildhauer, 1831--1905.
Spintiſieren, nachgrübeln, tüfteln,
Zyklen (gricch.), Wirbelſturm.
jpricd: Kolportöhr), Hauſicxer mit Schriften,
Qno0nCnNOnNGINAASEGNCOCOOOGEONDONELNEDLIRBRnaLDSOCREn
Inhalt von Nr. 19: An die Front, Kameraden! -- Nur ein Lehrling.
Von Anna Moſegaard. =- Der Kampf um den Urbeit35tag. Von Guſtav Hod.
-=- Da3 Lo in der Luſt. (Shluß.) Von Frit Kahn. (Mit Abbildungen.) -- Wie
ein plaſtiſ<ces Kunſtwerk entſteht. (Schluß.) Von Ndolf Bruno. -- Sonnenaufgang.
Gedicht von Emma Dölks. -- Philoſophie. IV. Logik; V. Aefthetik. Von Kar!
Schröder. = Der Brand im Zeſuitenkloſter bei Lüttich. Nac< der Erzählung eines
Augenzeugen. = Neben Gewittern. Gedicht von Emil von Schönaich-Carolath.
--“ Fremdwörter,
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Vorwärt3 Buchdruckerei u. Verlag3»-