Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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gelegentlich und zufällig, eben im Kriege, ſich offenbaren. Da aber 
Moltke bloß die Menſc<heit de3 KapitaliSmus8 kennt, ſpräche er zu- 
gleich die furctbarſte Bankerotterklärung des Kapitalizmus aus, 
wenn er ihm vorwürfe, ſein Friede bedeute nichts für den Jdeali3- 
mu3 der Menijc<hen, nur im Kriege fördere er Jdeale ans Licht. 
Mag dem ſein, wie ihm wolle, und möge ſich der KapitaliSmu3 
mit dem von ihm gefeierten großen Feldherrn auseinanderjeßen: 
gegen das Kulturideal de38 SozialiSmus iſt mit dieſem Moltkeſchen 
Verdikt jedenfall8 nichts aus8geiagt. Im Gegenteil: wenn jetzt in 
zieſem Kriege das deut*'<he Volf überwältigende Beweiſe jeiner 
Tüchtigkeit ablegt, jo können wir Sozialiſien, die wir zum mindeijten 
die Hälfte, wenn nicht oinen größeren Bruchteil der kämpfenden 
Helden ſtellen, mit Fug und Recht behaupten, daß jene Leiſtungen 
: ohne die geiſtige und ſittliche Erziehung3arbeit unſerer Organ1- 
ſationen, der politiſchen wie der gewerfi<haftlichen, nicht möglich 
geweſen jind. Unſer ganzes ſozialiſtiſches Jdeal iſt ja in dem Ge- 
danfen der Unterordnung de3 einzelnen unter die Geſamtheit, der 
Hintanfeßung aller perſönlichen Intereſſen hinter das Allgemein- 
wohl, der DiSziplin, der Aufopferungsfähigleit beſchloſſen, feiert 
und fördert mithin alle jene wertvollen ſittlichen Qualitäten des 
Menſchen, von denen mit Recht auch die kriegeriſ<en Erfolge ab- 
hängig gemacht werden. Gute Sozialdemokraten brauchen wahrlich 
mt erſt die Geuerprode der Sa aDauwarten, um den Be- 
 
hk Mann! 
“ Arbeiter- Jugend 
 
  
Ludwig Frank. 
- (Gefallen bei Lun&ville am 3. September 1914.) 
AYR enn wir wirklich das Vaterland verteidigen müſſen, jo ver- 
yyy teiwigen Dir 63, weil es unjer Vaterland ift, al8 den Boden. 
auf dem wir ſcben, deſſen Sprache wir [pre hen, deſſen 
Sitten wir beſitzen ; weil wir dieſes unſer Vaterland zu einem Lande 
machen wollen, wie e8 nirgend in der Welt in ähnlicher Voll- 
fommendheit und Schönheit beſteht.“ 
So jprach einſt Auguſt Bebel. Und was der Alte verſprochen, 
as vat der Junge gehalten. Er hat das Vermächtnis Bebel5 exr- 
fü 
Ein Glücklicher iſt von uns gegangen, und nicht trauern ſollen 
wir um ihn. Wir wollen von ihm lernen. 
Cin Glücklicher war er, denn jein ſtarker Geiſt gewann ſpielend, 
was andere nur in harter Arbeit erringen. Wo er eintrat, flogen 
ihm die Herzen zu. Wenn er ſprach, umdrängten ihn Taujſende. 
Ein Glücklicher war er aber vor allem, weil er zu handeln ver- 
jitand. Nie hat er da3 Leid aufgezwungener Untätigfeit empfunden, 
 
. nie das Elend dumpfer Hilfloſigkeit gekannt vor der Uebermacht 
andrängender Naturgewalten. Er war dazu geſchaffen. da8 Leben 
durc< die Tat zu meiſtern. 
yeicht bloßes Mitleid trieb den Bürgerlichen in unſere Reihen, 
jondern ur prüngliche Volk8geſinnung und die Freude am Kampf 
um große Ziele. Der kannte ihn ſchlecht, der da meinte, daß Zöger- 
tattif, die kleine Erfolge verbürgt, jeinem innerſten Weſen ent- 
ſprach. Wenn er ſich zeitweilig mit ſchwerer Arbeit am jheinbor 
Geringen zu begnügen Ichien, jo war e3 bloß, weil er au38 der No 
der Umſtände eine Tugend machte und weil er nur eines nicht 0 
ſtand: das geduldige Abwarten. 
Auch ihm war der Krieg, wie un3 allen, ein furchtbares Ver- 
hängnis. Aber nur für einen Augenblik war er ihm nicht mehr 
als das. Dann erkannte er in dem unvermeidlichen Geſchick, da8 
er ſelbſt mit allen Kräften abzuwehren beſtrebt war, den gewaltigen 
Sammer, der un3 mit einem Schlage den Riegel der Zukunft auf- 
brechen ſollte. Und darum zog er als Freiwilliger ins Feld! 
Denn er konnte micht raſten. Er wollte nicht müßig beiſeite 
jiehen, während über das Schieffal der Welt entſchieden wurde. Er 
ging in den Kampf, den .er nicht gewollt hatte, Dil nun nichts an- 
dere3 übrig blieb als kämpfen. WVäiit einem Wort: Er war ein 
Und Männer braucht die Zeit nicht nur im Kriege. 
ſie nachher nötiger brauchen denn je! 
- Von der Jugend erwartete Frank alles. 
Sie wird 
Er war der Bahn- 
8 brecher unſerer Jugendbewegung in Süddeutſchland. Für ſie grün- 
Nm dete er im Frühling 1906 die „Zunge Garde“ mit dem Programm: 
 
 
 
 
Das erſte Trinkgeld. 
Aus dem Leben eines Kellnerlehrlings. 
Von Emilie BaldamusS. 
riß ſollte heute zum erſtenmal mit ſervieren. Wie freute er ſich 
4 da, und) Doch, wie zitterte e3 auch in ihm, wenn er daran dachte, 
daß er etwas entzwei werfen oder beim Servieren die Kleidung 
der Gäſte beſ<muzen konnte. Im Kontrakt ſtand, entzwei geworfenes 
Geſchirr müſſe er erſezen und die durch ſeine Ungeſchi>lichfeit oder Un- . 
achtſamteit beim Servieren befle>ten Kleider der Gäſte auf ſeine Koſten 
reinigen laſſen, wenn e8 die Gäſte wünſchten. Ja, im Kontrakt ſtand 
. da8; er und ſeine Eltern, beſonder3 ſeine Eltern glaubten aber, er 
würde nac< und nach ſchon etwa3 mitverdienen helfen und ihnen nicht 
mehr ſoviel Geldfoſtemw machen, die anderen zu Haui2 koſteten noc< genug. 
Zn ſeiner biSherigen zehntägigen Lehrlingsiätigfeit hatte Frit 
Silber und Beſte>e pußen müſſen und Bier nach der Kegelbahn ſchleppen 
dürfen. Do< heute ſollte er zum erſtenmal in dem geräumigen 
Speiſeſaal de3 kleinen Sotels mit ſervieren helfen. Otto, der Reſtaurant- 
Fellner, hatte heute ſeinen wöchentlichen Au3gehetag, da war denn Friß 
mit dem „Ober“ ganz allein. - 
Nachdem ihm der „Ober“ nochmals Inſtrultion gegeben, wie er 
die Serviette zu halten und die Gäſte zu begrüßen, wie er nach ihrem 
Begehr zu fragen und ihnen das Bier, den Kaffee oder den Tee zu 
Fervieren hätte, war er hinauf in ſeinen Bretterverſchlag gegangen, um 
ſeine Toilette zu vervollſtändigen, den alten Arbeitskittel und die blaue 
Leinenſchürgze gegen die kurze, ſc<warze, hinten ſpiß zugeſchnittene 
' werden. 
Pikfolojade zu vertauſchen. Au die große ſchwarze Krawatte und da8 
feſt aufgebürſtete Haar verrieten, welchen Beruf Frit ergriffen hatte. 
Und die Hände --- er beſah ſeine Hände; ſtet3 ſauber ſollten ſie ſein, 
hatte der „Ober“ geſagt. Nichts könne ginen Gaſt mehr ÄL, als 
mit ſO<mußigen Händen bedient zu werden. So, jezt war alle38 in Ord 
nung! Die Krawaite ſaß gerade, die Wäſche war blütenweiß. Nun DIN 
unter, die Arbeit konnte beginnen. 
„FriB, FriB!“ rief da der „Ober“, „daß Du Dich heute abend gut 
zuſammennimmſt und- nichts vergißt! Wenn die Gäſte warmes Etfjen 
beſtellen, dann ſagſt Du es mir, da3 ſerviere ich ſelbſt, das kannſt Du noch 
nicht. Und dann bitte ich, vor allen Dingen ſtets eins zu bedenien: daß 
die Gäſte zur Erholung zu uns in38 Reſtaurant kommen, um ſich hier 
zu amüſieren, zu erfriſchen; ſie müßen daher geräuſchlos und flott 
bedient werden, damit ſie fich wohl bei uns fühlen. Und dann noch 
ein3: fajjieren iu ich felbſt.“ 
Friß dachte über die leßte Klauſel weiter nicht nach, ſondern ver- 
ſprach, alle3 zu befolgen. Da kamen auch ſchon die erſten Gäſte. Voll 
Dienſteifer lief er hin und her, begrüßte die Gintretenden, fragte nach 
ihrem Begehr und brachte ihnen, was ſie -wünſchten. E3 ſollte ſich gewiß 
feiner über ihn beklagen, er wollte einmal tüchtig in ſeinem Berufe 
Obwohl er ſcharf aufpaſſen mußte, was diefer und jener Herr 
ſchon verzehrt hatte, um' nachher dem „Ober“ Beſcheid zu geben, fühlte er 
fich doh ſo froh und wichtig. Ja, wichtig --- war er dpch ein Stüc de3 
ganzen Betriebe3, ohne da3 dieſer nicht ging. Und mit jedem neuen 
Auftrag, der ihm ward, fühlte er ſich immer mehr und mehr in ſeinen 
Beruf hineinwachſen. Freudig lief er zwiſchen den Tiſchen hin und her;. 
er war ſtolz darauf, mitarbeiten zu dürfen. 
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