Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Arbeiter-JIugend 
29! 
 
 
Schutz d den jungen Händen vor Ausbeutung! 
Schuß den jungen Köpfen vor Verdummung! 
Nach zwei Jahren, mit dem Erſcheinen dieſe8 Blattes, war 
feine Miſſion beendet. Aber mit freudigem Stolz haf er jtet3 dieJer 
kurzen: und erfolgreichen Periode ſeine3 Lebens zedacht Mit 
ganzer Kraft warf er jich, der 7eit 1904 der Mannheimer Stadtver- 
ordnetenverſammlung, ſeit 1905 dem badiſchen Landtag, ſeit 1907 
dem Reichötag angehörte, in den varlamentari; en Kampf. 
Dann kam es. Ein Knall, ein Blitz hat alles zerſtört. Cin 
Stückchen Blei zerſc<hmetterte das koſtbare Gehirn. Wahnſinn de3 
Krieges! 
Manchem Alten will es nicht in den Kopf, daß Ferant in Den 
Krieg 309g, den er verabſcheute und bekämpfte, daß er die Flinte 
erhob gegen das tranzöfiſche Volk, deſſen Sprache er ſprach, Seſſen 
Kultur er liebte, mit deſſen Beſten ihn innige Freundſchaft verband. 
Aber die Jungen werden ihn verſtehen, weil er jelbſt mit feinen 
40 Jahren noch ein Junger war, den es zur Tat trieb. Sie werden 
verſtehen, daß er den für Millionen unvermeidlich gewordenen Weg 
des Grauens deShalb als Freiwilliger betrat, weil er r jenjeits der 
acht ein belles Licht aufleuchten jah, das Qicht des Soziali8- 
mu38 und de3 Bhlkerfriedon8. 
Der Krieg reißt in unſere Reihen furchtbare Lücken. Aber 
erbärmliche Gefellen müßten wir fein, wenn wir uns nicht ge- 
trauten, ſie auszufüllen. Da heißt es eben: Junge voran! 
Junge voran zu den aroßen Zielen, zu denen uns die ungeheu- 
En Umwälzungen des Krieges die Bahn offnen. Junge voran! 
Leben -- ſelbſt ein jo freudiges Kämpferleben wie das Ludwig 
rants -- iſt der Güter höchſtes nicht. Das höchſte Glü> 523 
Men ſchen aber iſt die Tat! Friedrich Stampfer. 
> 
Ludwig Franks Abſchied. | 
Kurz vor ſeinem Ausmarſch ins Feld richieis Ludwig Frantf an 
cine Freundin dieſen leßten Gruß, der ein VWbſchied für immer war3: 
Mannheim, 23. Anguſt 1914 
Liebe Freundin! 
Weinen freien Sonntagmittag verbringe ich am Schreibtiſch in 
meiner Wohnurig. Jh bin in der Kajerne einquartiert und ſchlafe 
auf dem garten Feldbett wie mein Stammvater Jafob „zu Häupten 
den Stein“, traumlo8 von 10 bis 5 und manchen M: Sorgen auc< bis 
4 Uhr; der Tromvpeter we>t mich. Die Strapazen der Felddien!?t= 
übung und des Marſches ertrage ich mühelos. Ih bin froh darüber: 
das Blut für das Vaierland fließen zu laſſen, ijt nicht ſchwer 
' und umgeben von Jiomantif und Heldentum. Cin viel größeres iſt 
c3, täglich den Schweiß unter dem Druc des Torniſter8 zu vergießen 
und ſtündlich auf tauſend Gelbſiverſtändlichfeiten von Reinlichkeit 
und Bequemlichfeit zu verzichten, an die man jeht wie an ein weit 
zurücliegendes ſchönes Land denkt. Aber der Körper iſt wirklich der 
Knecht der Seele. Der feſte Vorſas, ſich einzuordnen und auch in 
Fleinen und fleinlihen Pflichten das große Ziel nicht aus dem Be= 
wußtſein zu verlieren, hilft über alle Hemmniſſe hinweg. Wann 
ivir hier abmarſchieren, weiß ich noh nicht. Wir warten täglich auf 
den Ruf vom Regiment Nr. 110, das die lezten Kämpfe bei Mül- 
baujen und Meß mitgemacht hat und deſjen Lücken wir ausfüllen 
jolen. I< ſtehe in der Front wie jeder andere, ich werde von allen 
(Mannjhaften wie Offizieren) mit größter Rücficht (proßig aus- 
gedrüdt: Chrerbietung!) behandelt. Aber ich weiß nicht, ob auch die 
franzöſiſchen Kugeln meine parlamentariſhe Immunität achten. I3 
habe den ſehnlicen Wunſch, den Krieg zu überleben und dann am 
Innenbau des Reiches mitzuſchaffen. Aber jezt iſt für mich der einzig 
mögliche Plaz in der Linie, in Reih und Glied, und ich gehe wie 
alls anderen freudig und ſiegesSſicher. Der Gedanke an meine Eltern 
it JOGmerzlich; Sie wijjen, wie jehr ich an ihnen hänge. Über ich 
habe ſchon mehr als einmal in enticheidenden Augenbliden meines 
Lebens ihnen weh tun müſſen, und ich fann es nicht bereuen. Al3 
ich vor 11 Jahren mich öffentliß zur jozialdemokratiſchen Partei 
befannte und damit mande Brüde hinter mir abbrach, zerſtörte ics 
ſicherlich manche- Hoffnungen meiner guten, braven GEGliern -- aber 
ich mußte mir mein eigenes Leben zimmern, und jezt gedt 25 ja 
um mehr! Nicht um die bürgerliche Exitienz, jondern vielleicht um 
vas Leben. Das Huttenlied wird die Jahrhunderie hindurch immer 
wieder erſebt: 
Ob auch die liebe Mutter woint, 
Daß ich das Ding hab' fangen an, 
IG hab's gewagt. 
Die unerſchöpfliche Güte und Liebe der beiden wird ihnen und 
mir über Dies innere Hemmnis hinweghelfen. 
IeBt aljo =- b'hüt Di Gott! 
Jör treu ergebener Ludwig Fran 
+48 
' 
Ti2 Zeldadrei e folgt, jobald ich fie fenne, 
ZL 
Das Glashaus. 
Bon Adolf Behne. 
n Köln am Rhein ſteht ſeit dem Mai*) ein Haus, das faſt aus- 
Iimließlich aus Glas gebaut itt. CS ijt von einem jun gen Mtb. 
tieften namens Bruno Taut entworfen und atiSgeführt. u 
vine Jmichrifistafel iſt es dem Dichter Paul Scheerbart gewidmet. 
dellen [uliige Geſchichte von dem „Fleinen Mea] jtodon“ Jr ja aus 
ver „Arbeiter-Jugend“ kennt. (Vielleicht habt Ioxr aum aunma 
eine „entzücdenden "Sausmärgen“ gelefen.) 
Ww *?. 
Nas 1it und joll nun diefes GlaShaus, und warim iſt 28 Va 
Scheerbart ewidmet? 
Das Gla3haus iſt zunächſt mal ein Ausſtelungspavillon. Cs 
it nicht zum Bewohnen gedacht, jondern zum Durchwandern. Eine 
Treppe führt uns zwiſchen den Wangen des Betonfo>els au? die 
Plattform hinauf, und 1ofort bringen Uns von hier aus rechts und 
linfs Treppen in die Höhe. Sie münden in einen FKuppelſaal, den 
eigentlichen Glasraum, dex einen Durchmeſſer von rund zehn 
*) Dieſer Auffaß iſt vor dem Kriege geſchrieben. 
die Werkbundausſtellung in Köln get<loſen worden. 
dnzwiſchen ift 
 
 
 
. Und mancher Gaſt ſah ihm vergnügt in fein offewes Geficht: ein 
Neuer, der noc< friſch und unverbraucht war, der die Schattenſeiten 
veines Berufes noch nicht kannte, der die Gäjte noch mit offener, kind= 
licher Freude begrüßte, der ſie noch nicht als bloße Ausbeutungsobjekte 
für Trinkgelder betrachtete! Wie lange würde dies dauern, dann würde 
auch er, gezwungen durch des Leibe38 Notdurft, gezwungen Nirch ſein 
Arbeitsſyſtem, die Gäſte mit geſchäftsmäßiger Gleichgültigkeit empfangen 
und beim Geldwechſeln auf das „ES ſtimmt“ des Gaſtes warten. 5. 
Jeßt trat eiwas Ruhe im Geſchäft ein, der erſte Andrang war vor= 
über. Friß ſtand vorn am Büfett und Überſchaute fein Revier. Er 
muſterte mit hellen, offenen Augem fein Berufsfeld, förmlich mit Liebe. 
Wie ſie alle dort ſaßen! Die einen lafen die Zeitungen, die underen 
erzählten einander, und dort hinten vom Stammtiſch dröhnte dann und 
wann ein gewaltiges Lachen. „Wenn ich erſt ausgelernt habe . . . wenn 
ich erft Oberkellner bin . . .“ ging es Friß durc< den Sinn, und er ſchloß 
für einen Augenbli> die Augen; er ſah ſich in weißer Binde, im Fra 
mit feidenen Aufſchlägen. . 
„Kellner, zahlen!“ ſchlug es plößlich an ſein Ohr. 
die Zeitung hingelegt und winkte. 
Friß riß die Augen auf. Der „Ober“, ja, wo war der „Ober“ „ er 
ſelbſt durfte ja nicht kaſſieren. 
Doch da winkte der Gaſt ſchon wieder: . 
„Sellner, zahlen, ich habe keine Zeit, ich muß Fort. “ 
Wa3 tun? - Der Herr hatte keine Zeit, jezt wurde er ſchon ärger- 
lich, daß niemand kam. Aber das lag ja nicht an ihm; wenn er „Ober“ 
wäre, wäre die Sache fc<hon längſt erledigt. Den „Ober“ ſuchen, das 
ging nicht, da konnten die anderen Gäſte währenddeſſen etwas wünſchen. 
Ein Gaſt hatte 
Wie hatte der „Ober“ zu ihm geſagt? „Die Gäſte wollen ſc<nell und 
flott bedient fein, denn jie wollen angenehme Stunden bei uns vor= 
leben, und wir ſind der Gaſte wegen da.“ 
Der Herr, der keine Zeit hatie und zahlen wollte, jah ungeduldig zu 
Friß hinüber, ihn ſcharf fixierend. 
Da ging Friß zu ihm. 
„Warum famen Sie nicht gleich, als ich Sie rief? Sie haben 
wohl geſchlafen? Jhr Chef ſollte nicht dulden, daß die Kellner un- 
achtſam und ſchläfrig herumſtehen. I< will aufmerkſame Bedienung 
haben.“ 
Friß errötete über dieſen Vorwurf. 
das ihn vorhin ſo hoc<hgeſc<nellt hatte, 
ſtotterte : 
„Entſchuldigen Sie, bitte, aber der „Ober“ wollte ſelbſt kaſſieren.“ 
„Sooo?“ ſagte der Gaſt gedehnt und ſuchte in ſeinem Portemonnaie, 
„darauf kann ich nicht warten. Alfo: ih habe eine Taſſe Kaffee, zwei 
Heine Dunkle und zwei Zigarren zu zehn, macht zuſammen 85 Pfennig.“ 
Er gab Friß eine Mark. Und. als Friß herausgeben wollte, ſagte er: 
„Schon gut, e3 ſtimmt. Das übrige gehört Ihnen, weil Sie mich be- 
dient haben.“ | . 
- Friß danfte. Der Gaſt Fing. Eigentlich ſo rec<t freuen konnte ſch 
Friß über das Trinkgeld doch nicht. Cs war ſein erſtes Trinkgeld, das 
erſte Geld, der erſte Groſchen, den er in ſeinem Berufe verdiente, aber 
ein Wehmutstropfen fiel in die Freude. Erſt Vorwurf und dann Dank 
und Bezahlung, das gefiel ihm nicht, das drückte feine Arbeit herab, und 
er hatte doch ſv gern gearbeitet und fich jo jehr darüber gefreut. Das 
Geld brannte ihm in der Hand. (Schluß folgt.) 
Sein ganzes Selbſtbewußtjein, 
- bra? in fich zujammen. Gr
	        
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