Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
Arbeiter Jugend 
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Sprüche Scheerbart3 anders «al3 wörtlich aufzunehmen. Dem 
Philiſter muß man natürlich alles ſo ernſt wie irgend möglich jagen, 
wenn er es begreifen ſoll. Menſchen, die für einen leichten und 
freien Ton, wie ihn Scheerbart anſchlägt, Verſtändni38 haben, ſind, 
beſonders bei un3 in Deutſchland, recht gering an Zahl. 
Warum iſt nun das Gla3haus dem Dichter Paul Scheerbart 
gewidmet? Weil Scheerbart als der erſte für die künſtleriſche Be- 
deutung des Glaſes eingetreten iſt. Schon lange hat Scheerbart in 
jeinen Geſchichten und Erzählungen die Schönheit des States qe- 
ſeiert, die jo ungeheuer vielſeitig und abwechſelungsreich iſt. Vor 
Furzem hat er ein beſondere3 Buch über die "Blazorditeftur“ ge- 
ichrieben, das aber die Philiſter ſicherlich erſt recht befremden wird. 
Denn auch dieſes Buch iſt nicht im ernſten 'Ton eines Predigers und 
Weltverbeſſerers geſchrieben, ſondern in einer heiteren Weiſe, die 
für un 3 das Buch nur noch 'anziehender- und leſen3werter macht. 
Scheerbart liebt das Schwere und. Elefantenmäßige nicht, das dem 
Publifum immer ſo angenehm iſt;.er liebt. Freiheit; friſche Leichtig- 
keit und Heiterkeit. Und nun verſtehen wir auch, weshalb Seer- 
I<loſſen bleiben müßte. Das wäre aber ein Irrtum, wie man ſich 
an einem anderen Bau der Kölner AuzSijtellung leicht überzeugen 
kann. Gin anderer Architekt, Walter Gropiu38, hat dort eine Fabrik 
gebaut, die als Muſterfabrif mit allen erdenkbaren hygieniſchen und 
ſozialen Eimrichtungen gedacht iſt. Und auch hier ſpielt da8 Gla3 
eine mächtige Rolle. WaS3 ermöglicht nicht das Gla38 für eine wun- 
dervolle Reinigung! Den Bazillen macht e8 das Leben ſchwer, und 
auf der anderen Seite ermöglicht e3 ein Arbeiten in der allergrößten 
Helligfeit. Hierzu muß natürlich das Glas ſc<on dur<ſic<htig 
jein. Derſelbe Architekt hat in Alfeld a. d. L. eine Schuhleiſten- 
auf der anderen Seite geſtattet e38 ein Arbeiten in der allergrößten 
raum gibt, und das nicht nur aus praktiſchen Gründen der Hellig- 
feit, jondern auch aus dem weiteren Grunde, daß das Arbeiten in 
einem jol<en Raume, dem infolge des Glaſes alles Dumpfe uns 
Drückende fehlt, ein freieres und jeelitfch befriedigenderes iſt. Was 
da-das Gla3 für Vorzüge hat, mag auch wieder ein Scheerbartipruch 
beleuchten. „Das Ungeziefer iſt nicht fein, ins GlaShaus fommti 
c38 nicht hinein.“ „Im GlaShaus brennt es nimmermehr, man 
 
 
bart ſich für die Gla3- braucht da feine 
architeftur einſekt: . Feuerwehr.“ 
weil das Gla3 die "- " . Sicherlich gibt es 
Veöglichkeit gibt, auch 
unſere Architektur 
leicht und frei, rein m 
und heiter zu machen. |. > 
Zunächſt werden | = 
nicht allzuvielz? Ar- 
ditekten ihm dabei 
folgen wollen. (ES ge- 
hört Mut und Phan- 
taſie dazu, mit einem 
Material zu arbeiten, 
vas no<4 ſo wenig 
praftiſM; al8 Bau- 
material erprobt iſt 
wie das Gla3. Frei- 
uch, ganz neu iſt 
das Glas in der 
Architektur ja durch- 
aus nicht. Wa3 die 
gotiſchen Baukünſtler 
in Deutſchland und 
ierankfreihßh und in 
England im Laufe 
de3 13. und 14. Jahr- 
hunderts bereits mit 
dem Glaſe Herrliches 
erreicht haben, lehren 
die Dome zu Straß- 
burg, Chartres, die 
Sainte Chapelle zu 
Baris uſw. Mit Recht 
jagt Scheerbart, daß 
der gotiſche Dom mit 
ſeinen leuchtenden Rieſenfenſtern aus buntem Gla3 -- auch dieſc 
Fenſter ſind natürlich undurchſichtig = das Vorſpiel zur Glas3- 
architektur jet. Ein herrliches Vorjpiel! Wenn unſere Architekten 
das fortſeken wollten, was die Erwin von Steinbach, Peter von 
Ulm geleiſtet haben, dann können wir Prächtiges noch erwarten. 
Jeder, der einmal die zauberhaft i<hönen bunten Rieſenfenſter im 
Straßburger Münſter geſehen hat, wird verſtehen, warum Scheer- 
vart jagt: „Das bunte Glas zerſtört den Haß“! Da3 müßte ſchon 
ein ganz minderwertiger Menſch ſein, der vor ſol<em Anbli> nicht 
icin Beſte3 empfände. Cin Tolher Anbli> erhebt uns wirklich 
und wer in jol<hem Momente wirklich haſſen könnte, an dem iſt 
nicht3 zu verlieren. 
Nun könnte es ſcheinen, al3 ob die GlaZ2architekiur nur ein ſchr 
koſtſpieliger Artikel für teure Luxus8bauten ſein könnte, und daß der 
weitaus größte Teil der Menſchheit von ihrer Schönheit ausge- 
 
 
Das Glashaus von Bruno Tauk auf der Kölner Wertbundausſftellung. 
noh jehr viele, vie 
an der Zufunft der 
GlaZarchiteftur über- 
haupt zweifeln. Und 
richtig ift, daß die 
Sdqwierigfeiten vor- 
erſt noch recht groß 
find. Glas ſt nämlich 
nicht porvs. Der 
Backſtein läßt infolge 
jeiner feinen Poren 
Luft hindur<, und 
das iſt 1cehr wich- 
tig für die gute 
und trocdfene Luft in 
den Räumen. €EZ5 
4 verſteht ſich alis von 
- 4 Jelbit, daß man 
; bei einem GlaShaus 
die Wände anders 
anlegen muß. Man 
muß nämlicJ, die 
Wände nach Urt 
Unſerer D Dovppelfenſter 
doppelt machen, und 
zwiſchen der äuBe- 
ren und der inneren 
Wand mt ein 
Luftraum beſtehen. 
bleiben. Luft iſt [ja 
befanntlich eim ]/<led- 
ter Wärmeleiter, 19 
daß eine Luftichicht 
„wiſchen zwei Glaswänden das Innere des Hauſes gegen Die 
Siße von außen bis zu einem beſtimmten Grade 1<ü8t und in 
Winter das Entweichen der künſtlichen Märme verhindert, Frel- 
lich genügt die Luftichicht zwiſchen den beiden Wandungen noc 
immer nicht ganz, um ein Gla8Shaus im Sommer genügend kühl 
zu halten. Es wird: da doch notwendig, eine künſtliche Kühlung 
anzubringen, wa3 ja für unſere Techniker nicht die geringſten 
Schwierigkeiten bietet. 
Ganz gewiß ſtehen aljo zunächſt den Vorzügen küntileriycher, 
hygieniſcher und vraftiſcher Art (Feuerſicherheit) noch große Sqcwie- 
rigkeiten gegenüber. Aber denken wir an das Fliegen, fo wiſſen 
wir, daß die Menjſc<heit ſchon viel größere Schwierigkeiten Über- 
wunden hat, wenn es nur galt, -einer großen Jdec zum Siege ZU 
verhelfen. Und die Glas8arc<itektur iſt eine ſolche große < DCC. Xhr 
gehört die Zufunft = und alſo das Intereſje der Jugend. 
SENE Dienen 
 
EIU UNN. 
M. wr 
 
SEILE EBENE RNIT 
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Leben die Steine? 
AP Anſinn! Wie können die Steine leben! Tiere und Pflanzen 
8 leben; aber die Steine? Man ſpricht doch ausdrüclich von 
TT der lebloſen Natur im Gegenſaß zur Welt der Lebeweſen. 
DaS ſekt dod) eine hohe, unüberſteigbare Schranke zwiſchen beiden 
voraus. = Ja, wenn aber nun früher die Naturwij jenſchaft doch 
etwas voreilig gewejen 1 wäre, indem ſie dieſe Schranfe aufrichtete? 
Sie war es ja ſo oft. Sie ſchied ja früher den Menſchen vom Tier, 
und doch wiſſen wir heute, daß wir aus tieriſchen Vorfahren her- 
vorgegangen ſind; ſie ſchied die Pflanze vom Tier, und doch hat die 
 
Jor] ſchung nachgewieſen, daß für die Anfänge und die niedrigſten 
Formen beider dieſe Trennung unſtatthaft iſt, daß ſogar der 
Leben3ablauf von Pflanze und Tier viel mehr übereinſtimmi, als 
man früher ahnen konnte. Sollte e3 alſo nicht auch möglich ſein, 
daß eine Brücke von der Welt der Geſteine hinüberführt zu ver der 
Lebeweſen, von der anorganiſchen zur organiſchen Natur? 
Um. das ZU unterſuchen, müſſen wir un3 zunächſt über den Be- 
griff „Leben“ einigen. Nichts leichter al3 das, wird man jagen. 
Wir lernten doch ſeinerzeit: Pflanzen haben eine beſtimmte Form,
	        
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