Arbeiter Jugend
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Sprüche Scheerbart3 anders «al3 wörtlich aufzunehmen. Dem
Philiſter muß man natürlich alles ſo ernſt wie irgend möglich jagen,
wenn er es begreifen ſoll. Menſchen, die für einen leichten und
freien Ton, wie ihn Scheerbart anſchlägt, Verſtändni38 haben, ſind,
beſonders bei un3 in Deutſchland, recht gering an Zahl.
Warum iſt nun das Gla3haus dem Dichter Paul Scheerbart
gewidmet? Weil Scheerbart als der erſte für die künſtleriſche Be-
deutung des Glaſes eingetreten iſt. Schon lange hat Scheerbart in
jeinen Geſchichten und Erzählungen die Schönheit des States qe-
ſeiert, die jo ungeheuer vielſeitig und abwechſelungsreich iſt. Vor
Furzem hat er ein beſondere3 Buch über die "Blazorditeftur“ ge-
ichrieben, das aber die Philiſter ſicherlich erſt recht befremden wird.
Denn auch dieſes Buch iſt nicht im ernſten 'Ton eines Predigers und
Weltverbeſſerers geſchrieben, ſondern in einer heiteren Weiſe, die
für un 3 das Buch nur noch 'anziehender- und leſen3werter macht.
Scheerbart liebt das Schwere und. Elefantenmäßige nicht, das dem
Publifum immer ſo angenehm iſt;.er liebt. Freiheit; friſche Leichtig-
keit und Heiterkeit. Und nun verſtehen wir auch, weshalb Seer-
I<loſſen bleiben müßte. Das wäre aber ein Irrtum, wie man ſich
an einem anderen Bau der Kölner AuzSijtellung leicht überzeugen
kann. Gin anderer Architekt, Walter Gropiu38, hat dort eine Fabrik
gebaut, die als Muſterfabrif mit allen erdenkbaren hygieniſchen und
ſozialen Eimrichtungen gedacht iſt. Und auch hier ſpielt da8 Gla3
eine mächtige Rolle. WaS3 ermöglicht nicht das Gla38 für eine wun-
dervolle Reinigung! Den Bazillen macht e8 das Leben ſchwer, und
auf der anderen Seite ermöglicht e3 ein Arbeiten in der allergrößten
Helligfeit. Hierzu muß natürlich das Glas ſc<on dur<ſic<htig
jein. Derſelbe Architekt hat in Alfeld a. d. L. eine Schuhleiſten-
auf der anderen Seite geſtattet e38 ein Arbeiten in der allergrößten
raum gibt, und das nicht nur aus praktiſchen Gründen der Hellig-
feit, jondern auch aus dem weiteren Grunde, daß das Arbeiten in
einem jol<en Raume, dem infolge des Glaſes alles Dumpfe uns
Drückende fehlt, ein freieres und jeelitfch befriedigenderes iſt. Was
da-das Gla3 für Vorzüge hat, mag auch wieder ein Scheerbartipruch
beleuchten. „Das Ungeziefer iſt nicht fein, ins GlaShaus fommti
c38 nicht hinein.“ „Im GlaShaus brennt es nimmermehr, man
bart ſich für die Gla3- braucht da feine
architeftur einſekt: . Feuerwehr.“
weil das Gla3 die "- " . Sicherlich gibt es
Veöglichkeit gibt, auch
unſere Architektur
leicht und frei, rein m
und heiter zu machen. |. >
Zunächſt werden | =
nicht allzuvielz? Ar-
ditekten ihm dabei
folgen wollen. (ES ge-
hört Mut und Phan-
taſie dazu, mit einem
Material zu arbeiten,
vas no<4 ſo wenig
praftiſM; al8 Bau-
material erprobt iſt
wie das Gla3. Frei-
uch, ganz neu iſt
das Glas in der
Architektur ja durch-
aus nicht. Wa3 die
gotiſchen Baukünſtler
in Deutſchland und
ierankfreihßh und in
England im Laufe
de3 13. und 14. Jahr-
hunderts bereits mit
dem Glaſe Herrliches
erreicht haben, lehren
die Dome zu Straß-
burg, Chartres, die
Sainte Chapelle zu
Baris uſw. Mit Recht
jagt Scheerbart, daß
der gotiſche Dom mit
ſeinen leuchtenden Rieſenfenſtern aus buntem Gla3 -- auch dieſc
Fenſter ſind natürlich undurchſichtig = das Vorſpiel zur Glas3-
architektur jet. Ein herrliches Vorjpiel! Wenn unſere Architekten
das fortſeken wollten, was die Erwin von Steinbach, Peter von
Ulm geleiſtet haben, dann können wir Prächtiges noch erwarten.
Jeder, der einmal die zauberhaft i<hönen bunten Rieſenfenſter im
Straßburger Münſter geſehen hat, wird verſtehen, warum Scheer-
vart jagt: „Das bunte Glas zerſtört den Haß“! Da3 müßte ſchon
ein ganz minderwertiger Menſch ſein, der vor ſol<em Anbli> nicht
icin Beſte3 empfände. Cin Tolher Anbli> erhebt uns wirklich
und wer in jol<hem Momente wirklich haſſen könnte, an dem iſt
nicht3 zu verlieren.
Nun könnte es ſcheinen, al3 ob die GlaZ2architekiur nur ein ſchr
koſtſpieliger Artikel für teure Luxus8bauten ſein könnte, und daß der
weitaus größte Teil der Menſchheit von ihrer Schönheit ausge-
Das Glashaus von Bruno Tauk auf der Kölner Wertbundausſftellung.
noh jehr viele, vie
an der Zufunft der
GlaZarchiteftur über-
haupt zweifeln. Und
richtig ift, daß die
Sdqwierigfeiten vor-
erſt noch recht groß
find. Glas ſt nämlich
nicht porvs. Der
Backſtein läßt infolge
jeiner feinen Poren
Luft hindur<, und
das iſt 1cehr wich-
tig für die gute
und trocdfene Luft in
den Räumen. €EZ5
4 verſteht ſich alis von
- 4 Jelbit, daß man
; bei einem GlaShaus
die Wände anders
anlegen muß. Man
muß nämlicJ, die
Wände nach Urt
Unſerer D Dovppelfenſter
doppelt machen, und
zwiſchen der äuBe-
ren und der inneren
Wand mt ein
Luftraum beſtehen.
bleiben. Luft iſt [ja
befanntlich eim ]/<led-
ter Wärmeleiter, 19
daß eine Luftichicht
„wiſchen zwei Glaswänden das Innere des Hauſes gegen Die
Siße von außen bis zu einem beſtimmten Grade 1<ü8t und in
Winter das Entweichen der künſtlichen Märme verhindert, Frel-
lich genügt die Luftichicht zwiſchen den beiden Wandungen noc
immer nicht ganz, um ein Gla8Shaus im Sommer genügend kühl
zu halten. Es wird: da doch notwendig, eine künſtliche Kühlung
anzubringen, wa3 ja für unſere Techniker nicht die geringſten
Schwierigkeiten bietet.
Ganz gewiß ſtehen aljo zunächſt den Vorzügen küntileriycher,
hygieniſcher und vraftiſcher Art (Feuerſicherheit) noch große Sqcwie-
rigkeiten gegenüber. Aber denken wir an das Fliegen, fo wiſſen
wir, daß die Menjſc<heit ſchon viel größere Schwierigkeiten Über-
wunden hat, wenn es nur galt, -einer großen Jdec zum Siege ZU
verhelfen. Und die Glas8arc<itektur iſt eine ſolche große < DCC. Xhr
gehört die Zufunft = und alſo das Intereſje der Jugend.
SENE Dienen
EIU UNN.
M. wr
SEILE EBENE RNIT
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Leben die Steine?
AP Anſinn! Wie können die Steine leben! Tiere und Pflanzen
8 leben; aber die Steine? Man ſpricht doch ausdrüclich von
TT der lebloſen Natur im Gegenſaß zur Welt der Lebeweſen.
DaS ſekt dod) eine hohe, unüberſteigbare Schranke zwiſchen beiden
voraus. = Ja, wenn aber nun früher die Naturwij jenſchaft doch
etwas voreilig gewejen 1 wäre, indem ſie dieſe Schranfe aufrichtete?
Sie war es ja ſo oft. Sie ſchied ja früher den Menſchen vom Tier,
und doch wiſſen wir heute, daß wir aus tieriſchen Vorfahren her-
vorgegangen ſind; ſie ſchied die Pflanze vom Tier, und doch hat die
Jor] ſchung nachgewieſen, daß für die Anfänge und die niedrigſten
Formen beider dieſe Trennung unſtatthaft iſt, daß ſogar der
Leben3ablauf von Pflanze und Tier viel mehr übereinſtimmi, als
man früher ahnen konnte. Sollte e3 alſo nicht auch möglich ſein,
daß eine Brücke von der Welt der Geſteine hinüberführt zu ver der
Lebeweſen, von der anorganiſchen zur organiſchen Natur?
Um. das ZU unterſuchen, müſſen wir un3 zunächſt über den Be-
griff „Leben“ einigen. Nichts leichter al3 das, wird man jagen.
Wir lernten doch ſeinerzeit: Pflanzen haben eine beſtimmte Form,