D. Feld davor iſt leer oder beinahe leer.
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von Jrankreich ſchon vertragen lernen. Aber weißt Du, was mir
weniger gefällt? Ia, daß die Tribüne mit den Zuſchauerpläßen
gerade vor meiner Kanone aufgeſtellt iſt. Na, wir geben ja nur
blinde Schüſſe ab, äber eine Kanone iſt do< keine Spielerei.
Ich löſe nie gerne den Schuß, wenn ihr Schlund einer großen
Menſchenmaſſe zugekehrt iſt.“ |
Auf dieſem Sxpaziergange hatte ſie ſich vorgenommen, auch
hinzugehen und fich den ganzen Staat anzuſehen, aber heute
morgen hatte es fich gezeigt, daß ihr kleines Söhn<hen nicht recht
wohl war. Und ſs war ſie gezwungen geweſen, daheim zu bleiben.
Und jeßt, was iſt jekt geſchehen? Ihr Mann, der ſo zu-
frieden, fo froh, ſo ſtolz auf feine Stellung war und ſeine liebe
Kanone! Der follte wahnſinnig geworden ſein? Sich vor die
Mündung der Kanone geworfen haben? Aber das itt ja die reine
Unn “oglichfeit.
Sie merkt mit einem Male, daß ſie ſchreit, während ſie läuft.
Sie ſieht felbſt, wie unheimliß ſie auſehen muß, wie ſie ſo
über die Gaſſe ſtürzt. Auf einmal verlangſamt ſic den Schritt
und fängt an zu geben. Es8 iſt der Gedanke an ihren Mann,
der ihr die Selbſtbeherrſchung wiedergibt. Er pflegte ſich 1o
oft zu fragen, wie er ſich wohl betragen würde, wenn ihm etwas
geſchähe, das als furc<tbare Ueberraſchung über ihn käme.
„Man ſollte eigentlich nicht Soldat werden dürfen, ehe man
nicht irgendeine Art Probe abgelegt bat,“ pflegte er zu ſagen.
„Sieh mich an! Ih bin nie im Kriege geweſen. Kann ich wiſſen,
wie ich micl; benehmen werde, wenn die Kugeln ſauſen?“ Vielleicht
werde ic Angſt bekommen. Vielleicht werde 1M die Beſinnung
verliere:. Man kann nie wiſſen.
„Gewip nicht. Du wirſt bis zuleßt auf Deimem Poſten a13-
harren,“ hatte fie geantwortet.
„Wir wollen e3 hoffen. Aber das iſt wirklich etwas, wa8 man
nicht ſicher wiſſen kann. In ſolchen Augenblicken iſt man nicht
Herr über ſich ſelbſt. Da iſt e8 etwa3 andere3, das die Macht
an ſich reißt und einen führt. Dann kommt es darauf an, ob
da3, was in einem ſteckt, ſtark oder ſ<wach iſt. Bevor man die
Probe nicht beſtanden bat, weiß keiner, wie er handeln wird,
wenn eine große Gefahr kommt.“
Alz ſie ſic) an dies erinnerte, hatte ſie ſich aufgerichtet und
begonnen, gefaßt weiter zu geben.
Aber e8 dauert nicht lange.
faßt zu zeigen? Ihr Mann liegt ja tot, zerſchoffen.
laufen, ſie muß ſGreien, fie fann nicht ander83.
Der Feſtplat iſt übrigens nicht weit entfernt. In ein paar
Auggablicken iſt ſie da. Sie ſieht die beiden Tribünen. Sie ſind
Weida eden. die oben auf den Bänken ſtehen und ſchreien und
geſtikulie? "M. (E3 iſt alfo etwas geſthehen. Es war kein bo23-
hafter Spaßmacher, der ſie hergenarrt hat.
| Sie bleibt nicht ſtehen, wie am vorhergehenden Abend.
M Mitten auf dem offenen
"W. Platze ſteht eine Schar Menſchen, die ſich ganz ſtill verhalten,
BW ve, nicht ſchreien, die nigt erſ<hrodene Gebärden machen wie die
übrigen.
Sie wird von einem Poſten aufgehalten, aber der Poliziſt,
der da Wache ſteht, erkennt ſie und. läßt ſie durch.
„Gehen Sie dorthin, da finden Sie ihn!“ ſagt er und weiſt
auf die kleine Gruppe mitten auf dem Felde.
Sie nähert ſich, noc< immer laute Schreie ausſtoßend. Als
ſie nur ein paar Schritte entfernt iſt, wird einer in dieſer dichten
Gruppe, die ſo ſtill und ſtumm iſt, auf ſie aufmerkſam. Ein hoher
Offizier, der ſich Iniend über etwas Regungsloſes, Unförmliches,
pas auf dem Beden liegt, gebeugt hat, erhebt ſich und geht auf
ie zu. .
„Tarten Sie,“ ſagte er. Und cer umklammert ihren Arm.
„Sie dürfen ihn noc< nicht ſehen. Sie müſſen zuerſt wiſſen.“
„3 weiß, daß er wahnſinnig geworden iſt, daß er ſich vor
die Kanone geworfen hat.“
CS iſt
„tein,“ fagte der Offizier.
Seinc Art beruhigt ſie jo weit, daß ſie ſich ſtill verhalten
' Wa3 ſiegt ihr daran, ſich qe-
Sie muß
Das
| „Sie wiſſen gar nicht8.
nichr ſo.“
fann. Sie beginnt, eine leiſe, 'chwadhe Hoffnung zu faſſen.
„Sie jeher dieſe Kanone dort,“ ſagt der Offizier. „Sie
wiſſen, daß Ihr Mann einen Schuß darau38 abgeben ſollte. Und
Sie ſehen dieje Tribüne, die gerade vor der Kanonenmündung
aufgebaut iſt.“
„Sch habe das alles ſchon geſtern geſehen, Serr Goneral,“
„Ichluczt die Frau. „Mein Mann hat mir gezeigt, wie alle8 an-
geordnet iſt. Es war ihm nicht recht, er wollte nicht ſo viele
Menſchen vor einer Kanonenmündung haben, wenn es8 keine
Jeinde ſind, die niedergeſchoſſen werden ſollen.“
amen,
Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn. -- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). =- Druck: Vorwärt35 Buchdruckerei u. Verlags-
Arbeiter -Jugend
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Ente neee g
„Run wohl,“ ſagt der Offizier. „IJhr Mann bat ſeine Order
befonmnen, und er hatte die Lunte in die Kanone eingeführt.
Aber in dem Augenblick, in dem wir alle erwarten, daß der Schuß
abbrennt, ſchreit er auf, ſtre>t die Arme zum Himmel und wirft
ſich mit einem Sprung vor die Kanonenmündung, ſo, als wollte
er den Sc<huß hindern, abzugeben. Alle, die es jahen, glaubten,
er wäre wahnſinnig geworden. Der Schuß brannte natürlich ab,
und Ihr Mann wurde weit übers Feld geſchleudert, bis dorthin,
wo er Jeßt liegt.“
Wieder will ſie ſich losSmachen, um ſich durc<zudrängen, aber
der Offizier ve ſie zurüdf.
„Warten Sie,“ ſagt er. „Sie müſſen wiſſen, was wir fanden,
als wir horbeieilten. um feinen Zuſtand. zu unterſuchen. Sein
ganzer Körper war von einer Maſſe von EGijendrähten durch-
bohrt. Sic, als Frau eines Kanoniers8, wiſſen natürlich, was
eil Kanonenbeſen ift2“
„3a,“ antwortete fie.
„hr Mann hat einen fol<en Eiſenbejfen benüßt, um die
Kanone zu reinigen, und aus irgendeiner Vergeßlichkeit hat er
nicht daran gedacht, ihn wieder herauszunehmen, ſo daß er ſich
in der Kanone befand, al8 der Schuß lo8ging. Jhr Mann hat
ſich nicht früher erinnert, daß er drinnen war, erſt im leßten
Moment. als die Lunte ſchon eingeführt war. Da hat er in
einem Augenblick vor ſich geſehen -- denn denken konnte er ja
nicht fo raſ< =, was geſheben mußte, wenn die furchtbare
Ladung die Tribüne hier vor un38 traf. Al dieſe aus8einander-
geſprengten Stü>ke Eiſendraht würden ebenſo viele Menſchen
durchbohrt haben, e3 wäre ein einziges Gewühl von Toten und
Sterbenden geweſen. Da ward er von übermenſ<lichem Mitleid
ergriffen und jtürzte herbei, um die Ladung mit ſeinem eignen
Leive aufzunehmen.“
„AH, mein Gott!“ ruft die Frau und faltet die Hände.
In demſelben Augenbli> läßt der Offizier ihren Arm lo.
„Madame,“ ſagt er, „ic will Sie jeht nicht mehr hindern,
Ihron Mann 31 ſehen. Denken Sie nur, wenn Sie dieſe 3er,
ſtörten Reſte eines Menſchen ſehen, daß ſie das Edelſte umſchloſſen.
haben, was in dieſer Welt zu finden iſt. Es wird Ihnen leichter
werden, ihren Anbli> zu ertragen, wenn Sie wiſſen, daß ihr
Mann dies aus eigenent freien Willen gewählt hat, um all
dieſe anderen retten zu können. Denken Sie ſich ferner, daß
wir alle, ſeine Waffenbrüder, ihn um folche Heldentat beneiden.
Watten in der Gefahr, wo es keine Beſinnung aibt, wo es ſuch
um Lebern und Tod handelt, recht handeln zu. können, das iſt
der Beweis von Große.
Das» heißt die Seele eine3 Helden in fich haben.“
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DIENE EG A ds
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Aefthetik (ariech., Ton auf ver zweiten 'S Silbe), vie ehre 1 vom | fünſtle-
riſch Schönen; äſthetiſ< = künſtleriſch ſchön, geſchmacvoll.
Aula (lat.), Feſtſaal an höheren Lehranſtalten.
Chef (franz., Tprich: ſchäft), GeſchäftSinhaber;
Jüuſion (lat.), Täuſchung, Jrrtum, Trugbild.
Immunität (lat.), Unempfänglichkeit für anſteckende Krankheiten;
verleßlichfeit, z. B. eines Abgeordneten.
Inſtruktion (lat.), Anweiſung, Vorſchrift.
Raleidoſfop (griech., wörtlich: Schönbildzeiger, von kalos = ſchön, ecidos
= Bild und s8kopein = ſchauen), Bilder- oder „Zauber“Lrohr, das
farbige Gegenſtände vervielfältigt.
Kapitulieren (at), fich ergeben.
KaSkade (franz.),. Waſſerfall. .
Koalition (lat.), Verbindung, Vereinigung.
Naiv (lat., zweiſilbig, Ton auf der Endſilbe), harmlos, weltfremd.
Narkoſe (griech.), Betäubung. |
Portemonnaic (franz., Iprich: portmonnaß), Geldbörſe, Geldvehälter.
Reſtaurant ifranz., ſprich etwa: reitorang, Ton auf der Gndſilbe), Gajt-
haus, Gajtwirtſchaft.
Soziologie (lat.=griech.), Geſellſhaft5wiſſenſc<aft.
Verdikt (lat., Ton auf der Endſilbe), Urteilsſpruch.
Vitrine (franz.) , Glaskaſten, Glasſchrank.
Zitieren (lat.), wörtlich anführen, 3. B. einen Ausſpruch, eine Buchſtelle
uſw. Zitat = das angeführte Wort, die Belegſtelle.
GOOQCOnRL ERR GOOLNSGOERDREREOERNQLQEOCROERNEannaOnoOoOoanoadan
Vorgeſeßter.
Un-
Der Friede ein Traum? -- Das erſte Trinkgeld.
Inhalt von Nr. 20:
Bon Friedri< Stampfer. =-- Das
Von Emilie Baldamus. = Ludwig Fran.
Gla8haus. Von Udolf Behne. --- Leben die Steine ? --- Da3 Lehrverhältnis in
der Krieg3zeit. Von W. Ploog. -- Eine Jugenderinnerung an Frank. Von
D3wald Gehrhardt. -- Nicht alle ſind tot. Gedicht. -- Der Kanonier. Von
Selma „Lagerlöf. -- Iremdwörter..“
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« anſtalt Paul Singer & Co. Sämtlich in Berlin.
Eon
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