Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

D. Feld davor iſt leer oder beinahe leer. 
 
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von Jrankreich ſchon vertragen lernen. Aber weißt Du, was mir 
weniger gefällt? Ia, daß die Tribüne mit den Zuſchauerpläßen 
gerade vor meiner Kanone aufgeſtellt iſt. Na, wir geben ja nur 
blinde Schüſſe ab, äber eine Kanone iſt do< keine Spielerei. 
Ich löſe nie gerne den Schuß, wenn ihr Schlund einer großen 
Menſchenmaſſe zugekehrt iſt.“ | 
Auf dieſem Sxpaziergange hatte ſie ſich vorgenommen, auch 
hinzugehen und fich den ganzen Staat anzuſehen, aber heute 
morgen hatte es fich gezeigt, daß ihr kleines Söhn<hen nicht recht 
wohl war. Und ſs war ſie gezwungen geweſen, daheim zu bleiben. 
Und jeßt, was iſt jekt geſchehen? Ihr Mann, der ſo zu- 
frieden, fo froh, ſo ſtolz auf feine Stellung war und ſeine liebe 
Kanone! Der follte wahnſinnig geworden ſein? Sich vor die 
Mündung der Kanone geworfen haben? Aber das itt ja die reine 
Unn “oglichfeit. 
Sie merkt mit einem Male, daß ſie ſchreit, während ſie läuft. 
Sie ſieht felbſt, wie unheimliß ſie auſehen muß, wie ſie ſo 
über die Gaſſe ſtürzt. Auf einmal verlangſamt ſic den Schritt 
und fängt an zu geben. Es8 iſt der Gedanke an ihren Mann, 
der ihr die Selbſtbeherrſchung wiedergibt. Er pflegte ſich 1o 
oft zu fragen, wie er ſich wohl betragen würde, wenn ihm etwas 
geſchähe, das als furc<tbare Ueberraſchung über ihn käme. 
„Man ſollte eigentlich nicht Soldat werden dürfen, ehe man 
nicht irgendeine Art Probe abgelegt bat,“ pflegte er zu ſagen. 
„Sieh mich an! Ih bin nie im Kriege geweſen. Kann ich wiſſen, 
wie ich micl; benehmen werde, wenn die Kugeln ſauſen?“ Vielleicht 
werde ic Angſt bekommen. Vielleicht werde 1M die Beſinnung 
verliere:. Man kann nie wiſſen. 
„Gewip nicht. Du wirſt bis zuleßt auf Deimem Poſten a13- 
harren,“ hatte fie geantwortet. 
„Wir wollen e3 hoffen. Aber das iſt wirklich etwas, wa8 man 
nicht ſicher wiſſen kann. In ſolchen Augenblicken iſt man nicht 
Herr über ſich ſelbſt. Da iſt e8 etwa3 andere3, das die Macht 
an ſich reißt und einen führt. Dann kommt es darauf an, ob 
da3, was in einem ſteckt, ſtark oder ſ<wach iſt. Bevor man die 
Probe nicht beſtanden bat, weiß keiner, wie er handeln wird, 
wenn eine große Gefahr kommt.“ 
Alz ſie ſic) an dies erinnerte, hatte ſie ſich aufgerichtet und 
begonnen, gefaßt weiter zu geben. 
Aber e8 dauert nicht lange. 
faßt zu zeigen? Ihr Mann liegt ja tot, zerſchoffen. 
laufen, ſie muß ſGreien, fie fann nicht ander83. 
Der Feſtplat iſt übrigens nicht weit entfernt. In ein paar 
Auggablicken iſt ſie da. Sie ſieht die beiden Tribünen. Sie ſind 
Weida eden. die oben auf den Bänken ſtehen und ſchreien und 
geſtikulie? "M. (E3 iſt alfo etwas geſthehen. Es war kein bo23- 
hafter Spaßmacher, der ſie hergenarrt hat. 
| Sie bleibt nicht ſtehen, wie am vorhergehenden Abend. 
M Mitten auf dem offenen 
"W. Platze ſteht eine Schar Menſchen, die ſich ganz ſtill verhalten, 
BW ve, nicht ſchreien, die nigt erſ<hrodene Gebärden machen wie die 
übrigen. 
Sie wird von einem Poſten aufgehalten, aber der Poliziſt, 
der da Wache ſteht, erkennt ſie und. läßt ſie durch. 
„Gehen Sie dorthin, da finden Sie ihn!“ ſagt er und weiſt 
auf die kleine Gruppe mitten auf dem Felde. 
Sie nähert ſich, noc< immer laute Schreie ausſtoßend. Als 
ſie nur ein paar Schritte entfernt iſt, wird einer in dieſer dichten 
Gruppe, die ſo ſtill und ſtumm iſt, auf ſie aufmerkſam. Ein hoher 
Offizier, der ſich Iniend über etwas Regungsloſes, Unförmliches, 
pas auf dem Beden liegt, gebeugt hat, erhebt ſich und geht auf 
ie zu. . 
„Tarten Sie,“ ſagte er. Und cer umklammert ihren Arm. 
„Sie dürfen ihn noc< nicht ſehen. Sie müſſen zuerſt wiſſen.“ 
„3 weiß, daß er wahnſinnig geworden iſt, daß er ſich vor 
die Kanone geworfen hat.“ 
CS iſt 
„tein,“ fagte der Offizier. 
Seinc Art beruhigt ſie jo weit, daß ſie ſich ſtill verhalten 
' Wa3 ſiegt ihr daran, ſich qe- 
Sie muß 
 
Das 
| „Sie wiſſen gar nicht8. 
nichr ſo.“ 
fann. Sie beginnt, eine leiſe, 'chwadhe Hoffnung zu faſſen. 
„Sie jeher dieſe Kanone dort,“ ſagt der Offizier. „Sie 
wiſſen, daß Ihr Mann einen Schuß darau38 abgeben ſollte. Und 
Sie ſehen dieje Tribüne, die gerade vor der Kanonenmündung 
aufgebaut iſt.“ 
„Sch habe das alles ſchon geſtern geſehen, Serr Goneral,“ 
„Ichluczt die Frau. „Mein Mann hat mir gezeigt, wie alle8 an- 
geordnet iſt. Es war ihm nicht recht, er wollte nicht ſo viele 
Menſchen vor einer Kanonenmündung haben, wenn es8 keine 
Jeinde ſind, die niedergeſchoſſen werden ſollen.“ 
amen, 
Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn. -- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). =- Druck: Vorwärt35 Buchdruckerei u. Verlags- 
Arbeiter -Jugend 
Ennert gg 
Ente neee g 
„Run wohl,“ ſagt der Offizier. „IJhr Mann bat ſeine Order 
befonmnen, und er hatte die Lunte in die Kanone eingeführt. 
Aber in dem Augenblick, in dem wir alle erwarten, daß der Schuß 
abbrennt, ſchreit er auf, ſtre>t die Arme zum Himmel und wirft 
ſich mit einem Sprung vor die Kanonenmündung, ſo, als wollte 
er den Sc<huß hindern, abzugeben. Alle, die es jahen, glaubten, 
er wäre wahnſinnig geworden. Der Schuß brannte natürlich ab, 
und Ihr Mann wurde weit übers Feld geſchleudert, bis dorthin, 
wo er Jeßt liegt.“ 
Wieder will ſie ſich losSmachen, um ſich durc<zudrängen, aber 
der Offizier ve ſie zurüdf. 
„Warten Sie,“ ſagt er. „Sie müſſen wiſſen, was wir fanden, 
als wir horbeieilten. um feinen Zuſtand. zu unterſuchen. Sein 
ganzer Körper war von einer Maſſe von EGijendrähten durch- 
bohrt. Sic, als Frau eines Kanoniers8, wiſſen natürlich, was 
eil Kanonenbeſen ift2“ 
„3a,“ antwortete fie. 
„hr Mann hat einen fol<en Eiſenbejfen benüßt, um die 
Kanone zu reinigen, und aus irgendeiner Vergeßlichkeit hat er 
nicht daran gedacht, ihn wieder herauszunehmen, ſo daß er ſich 
in der Kanone befand, al8 der Schuß lo8ging. Jhr Mann hat 
ſich nicht früher erinnert, daß er drinnen war, erſt im leßten 
Moment. als die Lunte ſchon eingeführt war. Da hat er in 
einem Augenblick vor ſich geſehen -- denn denken konnte er ja 
nicht fo raſ< =, was geſheben mußte, wenn die furchtbare 
Ladung die Tribüne hier vor un38 traf. Al dieſe aus8einander- 
geſprengten Stü>ke Eiſendraht würden ebenſo viele Menſchen 
durchbohrt haben, e3 wäre ein einziges Gewühl von Toten und 
Sterbenden geweſen. Da ward er von übermenſ<lichem Mitleid 
ergriffen und jtürzte herbei, um die Ladung mit ſeinem eignen 
Leive aufzunehmen.“ 
„AH, mein Gott!“ ruft die Frau und faltet die Hände. 
In demſelben Augenbli> läßt der Offizier ihren Arm lo. 
„Madame,“ ſagt er, „ic will Sie jeht nicht mehr hindern, 
Ihron Mann 31 ſehen. Denken Sie nur, wenn Sie dieſe 3er, 
ſtörten Reſte eines Menſchen ſehen, daß ſie das Edelſte umſchloſſen. 
haben, was in dieſer Welt zu finden iſt. Es wird Ihnen leichter 
werden, ihren Anbli> zu ertragen, wenn Sie wiſſen, daß ihr 
Mann dies aus eigenent freien Willen gewählt hat, um all 
dieſe anderen retten zu können. Denken Sie ſich ferner, daß 
wir alle, ſeine Waffenbrüder, ihn um folche Heldentat beneiden. 
Watten in der Gefahr, wo es keine Beſinnung aibt, wo es ſuch 
um Lebern und Tod handelt, recht handeln zu. können, das iſt 
der Beweis von Große. 
Das» heißt die Seele eine3 Helden in fich haben.“ 
 
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Aefthetik (ariech., Ton auf ver zweiten 'S Silbe), vie ehre 1 vom | fünſtle- 
riſch Schönen; äſthetiſ< = künſtleriſch ſchön, geſchmacvoll. 
Aula (lat.), Feſtſaal an höheren Lehranſtalten. 
Chef (franz., Tprich: ſchäft), GeſchäftSinhaber; 
Jüuſion (lat.), Täuſchung, Jrrtum, Trugbild. 
Immunität (lat.), Unempfänglichkeit für anſteckende Krankheiten; 
verleßlichfeit, z. B. eines Abgeordneten. 
Inſtruktion (lat.), Anweiſung, Vorſchrift. 
Raleidoſfop (griech., wörtlich: Schönbildzeiger, von kalos = ſchön, ecidos 
= Bild und s8kopein = ſchauen), Bilder- oder „Zauber“Lrohr, das 
farbige Gegenſtände vervielfältigt. 
Kapitulieren (at), fich ergeben. 
KaSkade (franz.),. Waſſerfall. . 
Koalition (lat.), Verbindung, Vereinigung. 
Naiv (lat., zweiſilbig, Ton auf der Endſilbe), harmlos, weltfremd. 
Narkoſe (griech.), Betäubung. | 
Portemonnaic (franz., Iprich: portmonnaß), Geldbörſe, Geldvehälter. 
Reſtaurant ifranz., ſprich etwa: reitorang, Ton auf der Gndſilbe), Gajt- 
haus, Gajtwirtſchaft. 
Soziologie (lat.=griech.), Geſellſhaft5wiſſenſc<aft. 
Verdikt (lat., Ton auf der Endſilbe), Urteilsſpruch. 
Vitrine (franz.) , Glaskaſten, Glasſchrank. 
Zitieren (lat.), wörtlich anführen, 3. B. einen Ausſpruch, eine Buchſtelle 
uſw. Zitat = das angeführte Wort, die Belegſtelle. 
GOOQCOnRL ERR GOOLNSGOERDREREOERNQLQEOCROERNEannaOnoOoOoanoadan 
Vorgeſeßter. 
Un- 
 
Der Friede ein Traum? -- Das erſte Trinkgeld. 
Inhalt von Nr. 20: 
Bon Friedri< Stampfer. =-- Das 
Von Emilie Baldamus. = Ludwig Fran. 
Gla8haus. Von Udolf Behne. --- Leben die Steine ? --- Da3 Lehrverhältnis in 
der Krieg3zeit. Von W. Ploog. -- Eine Jugenderinnerung an Frank. Von 
D3wald Gehrhardt. -- Nicht alle ſind tot. Gedicht. -- Der Kanonier. Von 
Selma „Lagerlöf. -- Iremdwörter..“ 
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« anſtalt Paul Singer & Co. Sämtlich in Berlin. 
Eon 
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