Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Arbeiter» Jugend . 
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Weshalb man den Arbeikern das Koalitions- 
recht geben müßte. 
Von Rudolf Wiſſell. 
n demſelben Maße, wie mit Beginn der Neuzeit die Ent- 
T wiälung das Handwerk zerricb und Scharen beſitzloſer Ar- 
beiter ſchuf, ſchuf ſie auch den Boden für eine ſelbſtändige 
Arbeiterbewegung. Zwar hatten auch ſchon die zunftigen Ge- 
jellen de38 Miattelalter3 ihren Mann geſtanden gegen ihre Meiſter, 
die ihnen den blauen Montag nicht gönnten; auch die hörigen 
Bauern des Mittelalters hatten ſich gegen ihre Bedrücer auſge- 
lehnt, aber dieſe Bcwegungen, die ſpäter hier geſchildert werden 
jollen, ſind doch nicht mit der „zu vergleichen, von der wir im 
weitereri hier ſprechen wollen. Ohne Ziel und Nichtung, nur aus 
dent Dunftlen Gefühl heraus, daß es fo niht mehr weitergeben 
könne, hatte fich die ausgebeutete Maſſe gegen ihre Ausbeuter 
gewandt. Kein feſtes Band der Organiſation umj<loß ſie. Nur 
die Gemeinfamkeit der Not, der Aus8beutung und des Ausbeuters, 
licß fie folidariſch fühlen, denken, handeln. In den AuzSbrüchen 
DEr Verzweiflung, in der Zertrümmerung der Maichingen, in den 
Hurgerauſſtänden, von denen im letzten Artikel die Rede war, 
zeigte fich diejes Solidaritätsgefühl. Von den Machthabern 
int Staate wiirden dieſe Ausbrüche der Verzweiflung nicht in 
ihren Grundurfſachen rkannt. Man ſah in den durch die wirt]<aft- 
liche Entwickelung zur Verbitterung und Verzweiflung getrie- 
benen Maſſen nur unruhige, wilde Verſchwörer, nicht die Armen, 
Hungernden, die micht aus und ein wußten, die nichts erſtrebten 
als einen, ach, fo beſcheidenen Anteil von dem, was ſie mit 
Vruühe und Not und ſaurem Fleiß geſchafft hatten. Jede BWer- 
ainiqung der Arbeitenden galt den Machthabern als ein ſchweres 
Vergehen gegen den Staat. Und dies wurde mit harter Strafe 
belegt, wie auch jedes gemeinſame Handeln gegen vie Unter- 
nehmer. Den Unternehmern wurde jede Erleichterung und Frei- 
heit in der Ausübung de8 Gewerbes gewährt, den Arbeitenden 
nuit den Machtmitteln des Staates gedroht. Nach der preußi- 
ichen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 ſollten „Gehilfen, 
Gei c«Uen oder Fabrikarbeiter, welche entweder die Gewerbetraiben- 
den oder die Obrigkeit zu agcwiſſen Handlungen oder Zugeſtänd- 
niſſen dadurch zu beſtimmen ſuchten, daß ſie die Einſtellung der 
Arbeit oder die Verhinderung derſelben bei einzelnen oder 
mehreren Gewerbetroibenden verobredeten oder zu ſolcher Verab- 
redung andere aufforderten, mit Gefängni38 bis zu eimem Jahre 
beſtraft werden“. Das galt auch fir Arbeiter, die auf Berg- umd 
Hüttenwerken, an Landſtraßen, Eiſenbahnen, Feſtungsbauten und 
anderen öffentlichen Anlagen beſchäftigt waren. Die Bildung von 
Verbindungen unter den Arbeitern oder Lehrlingen war ohne 
polizeiliche Erlaubnis nicht geſtattet. Die Stifter und Vorſteher 
jolc<her Vereinigungen ſollten mit Geldbuße bis zu fünfzig 
Talern oder Gefängnis bis zu vier Wochen, die Übrigen Teil- 
nehmer mit Geldſtrafe bi8 zu zwanzig Talern oder Ge- 
fängnis bis zu vierzehn Tagen getroffen werden, falls nicht 
die Krim'nalgeſeke eine härtere Strafe vorichrieben. Das eigen- 
mädctige Verlaſſen der Arbeit und „grober Ungehorſam oder be- 
hbarrliche Widerſpenſtigkeit“ ſollten mit Geldbuße bis 
zu Zwanzig 
Talern oder Gefängnis bis zu vierzehn Tagen beſtraft werden. 
Dieſem Beiſpiele Preußens im Erlaß der Koalition8verbote 
folaten die übrigen Staaten Deutſchlands bald nach. Damit 
war dann glücklich dafür geſorgt, daß aus ſich ſelbſt heraus die 
Arbeiter faum etwas zur Beſſerung ihrer Lage tun konnten. Au) 
ohne die Koalition5verbote wäre das iIchon ſchwer geweſen, denn 
jo fehr auch die Arbeiter inſtinktiv ihre Zuſammengehörigkeit 
empfanden und ſich ſolidariſch fühlten, fo wenig klar war noch 
ihre Einſicht in den Zuſammenhang der Dinge, io häufig auch 
Ichaiterts die AusSübung der Solidarität an den tatiächlichen Ver- 
hältniſfen. Selbſt wenn ſie foklidarri< handeln wollten, die Not, 
der Hunger trieb ſie nur zu bald wieder in die alte ron. Wenn 
ſie die Arbeit nicht machen wollten, dann ſtanden ja Tantjende 
und Nbertaufende draußen vor den Toren, die gern an 1hre 
Stelle traten, die noch ſchlechter daran waren als jene, die arbel- 
teten, die nichts zu beißen hatten und gern nahmen, was andert 
nicht wollten. Der Dunger vernichtet alle Solidarität, namentlich 
in Menſchen, deren geiſtiger Horizont nur bejchränft iſt. Und 
das war er leider nur zu jehr bei den Maſſen. Wo ſollten ſie auch 
die Zeit zur Bildung hernehmen! 
Die Schar der Arbetts8lojen war es, die mit zermalmendem 
Dru> auf den Löhnen der Arbeitenden lattete. die dem Unter- 
nchmer immor und immer wieder die Möglichfeit gab, Abzüge 
zu machen, in dem Maße, daß den Männern mir Frauen- und 
Kinderlöshne gezahlt wurden, die ihm geſtattete, die Arbeitszert 
nach Belieben zu verlängern, überhaupt den Inhalt des Arbeits- 
vertrages nach ihrer Willfür zu diktieren. 
Die Wirkungen dieſer Verhältniſfe habe iM im lebten Artikel 
geſchildert; ſie zwangen Ichließlich auch den Staat, zumimnſitn dor 
Arbeiter dinzugreifen, Vorichrifken über die Beichäft'aumm der 
Zrauen, Kinder und der Jucgendlichen, über die Barzahlung der 
Lohne, über die Arbeit3zeit 1i1w. zu erlaſſen. (Schluß folgt.! 
 
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Begeiſt'rung, Himmelstochter! laß dich zur Erde nieder 
Und ſchwing' ob unſern Häuptern dein fjiegreid Banner wieder; 
Bann' ihn hinweg den Unhold, den Dämon unſrer Zeit, 
Das ſchläfrig, lahme Scheuſal, genannt Gleichgültigkeit! 
Anaſiatizs Grün. 
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Im Schweizer jura. 
Eine Wanderung im Felſental der Arenſe. 
Vom Bruder Siraubinger. 
n Zürich erklärten ſie uns für verriickt; als wir im Veeuchätel 
aus dem Zug ſtiegen, ſagten ſi „fou“, und das bedeutet init 
JIranzöſiſchen dasfelbe. Und jie vatten remt, die Spießhürger; 
von ihrem Standpunkt aus, natürlich. Denn es reqnete Bindfaden. 
Koin PRlaßzregen, hinter dem die Sonne gleich wieder hc jervorgut! 
Nein, es war in der Zeit der EisSheiligen, Viitte Mai. Da kriechen 
DIC Wolken aus der Erde und 1enken ich aus der Luft, wickeln jich 
 
 
 
 
 
funden haben, daß Gäſte und Beruf den Menſchen im Kellner formen; 
daß dem vollendeten Kellner die angenehmen Stunden der Gäſte gleich= 
gültig ſind und das Trinkgeld die Hauptſache, weil ſie davon leben. 
müſſen und ein Leben in Luxus ſie umgibt. Wo blieb hier die Freude 
an der Arbeit, dieſer Arbeit zur Freude der Menſchen? Sie wurde 
durc< das Stſtem der Bezahlung durch die Gäſte unterdrückt. 
Gäſte waren gewiſſermaßen ſelbſt daran ſchuld, wenn ſie von den 
Kellnern als eigentliche Brotgeber betrachtet und je nach der Höhe d1r:5 
Trinkgeldes entweder mit fricchender Höflichkeit oder mit Verachtung 
und Fluchen behandelt werden. Die Hohe des Trinkgeldes diktiert die 
Höhe der Achtung, nicht der Menſchen zu den Menſchen, nein, der Kellner 
zu den Gäſten. So wirken Gäſte und Wirt, indem ſie da38 ganze Ar= 
beitöſyſtem, wie cs nun einmal iſt, ruhig hinnehmen, moraliſch zerſeßend 
auf dieſen Beruf ein, und folglich auch auf dic M enſchen, die ihn aus- 
üben müſſen. 
Friß wußte nicht, wie die Kellner mit Eiferſucht darüber wachen, 
daß. der eine nicht dem anderen das Trinkgeld wegſchnappt. Er wußte 
nur, daß ihm Unrecht geſchah, fühlte darum ſeine Ohrfeigen doppelt 
Ic<merzlich und brach in lautes Weinen aus. 
Da kam der Wirt d1x5 Hauſes, mit rotem Geſicht, wie es ſchien, ein 
wenig angetrunfen; e8 war ja auc< ſchon ſpät und daher auch kein 
Wunder. Er wollte an den Beiden vorüber ins Reſtaurant, die Gäſte zu 
begrüßen. Er ſah den Friß heulen: 
„Wa3 iſt denn hier [l93?“ 
Dem „Ober“ war die Frage nicht gerade angenehm, doch er als 
weltgewandter Mann faßte ſich ſchnell: 
„3Y hatte dem Jungen verboten zu kaffieren, weil er doch noch 
Die 
nicht jo aufpaſſen fann und etwa3 zu unſerem Schaden vergeſſen fönnto. 
I<h hatte nun einen Augenbli> nebenan im Sißungszimmer zu iun; 
da geht der freche Bengel doch hin, kajſiert, ſte&t das Geld cin und ſaat 
nichts. Als ich wieder ins Reſtaurant fomme, ſehe ich natürlich jofort, 
=D 
daß der eine Herr fort iſt, wundere mich und verlange das Geld. Da 
will dieſer freche Bengel das Geld unterſchlagen? Solch ein Schlingel! 
Na, da habe ich ihm ein paar Ohrfeigen gegeben und ihm das Geld 
abgenommen. “ 
„Da haſt Du noch eine,“ ſagte der Wirt und licß ſeine ſchwammig? 
Hand in Frißens Geſicht niederſaufen. „Da hört doch alles auf! Jit 
ert ein paar Tage da und rl ſchon betrügen ! Ha, ha, ha, Du wirt 
ein ſchönes Früchtchen, cin richtiger Kellner.“ 
Und immer noch vor ſich hinſchimpfend über den „Betrug“ und üer 
den 'Aerger- mit den Kellnern und den Lehrlingen, ging er hinaus, um 
draußen die Gäſte mit ausgeſuchter Lieben3würdigkeit und Höflichfeit 
2U begrüßen. 
Friß konnte es noch gar nicht faſſen, was ihm da alles paſſiert war. 
Der Schmerz über die erhaltenen Ohrfeigen kam ihm gar nicht mehr 
voll zum Bewußtſein; Schrec> und Staunen beherrſchten ihn und machtett 
ihn ſtumm 
Was38 -- Geld ſoll er unterſchlagen haben, ein richtiger Kellner foll 
er werden? . . 
Ta Herrſcht ihn der „Ober“ an: 
„Scher' Dich zu Bett, i< brauche Dich nicht mehr!“ 
Und Friß ſchlich ſich davon wie ein | getretener Hund. Und vor ilm 
dehnten ſich die Nacht und die anderen Tage, zum Donken und Grübel!y 
was ihm da paſjiert war.
	        
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