Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
 
Arbeiter- Jugend 
301 
 
eme 
== 
hier oben einen halben Fuß hod liegt, unſere „Genagelten“ werden 
j<on mit ihm fertig. 
A1l5 aver der erſte ſeinen Kopf aus der Fel53rinne heraustteckt, 
zieht er ihn ſI<leunigſt zurü&> mit einem „Verdammt noch mall“ 
das jo recht von Herzen fam. Da oben auf dem Bergplateau tobte 
ein Schneeſturm, der uns die Backen mit Eiskriſtallen ſpite und 
uns im Nu durchfältete b13 in3 Mark hinein. Obendrein wehte er 
no< daher, wo wir hin wollten. 
„>< hab's ja gleich geſagt,“ brummte unſer Dieker, „wären 
wir do; in der „Forelle“ geblieben! Wer weiß, ob wir heute 
überhaupt noch irgendwie unterfriechen rönnen!“ 
Wir. frochen aber doc) noc< unter. In einer Sennhütte nänt- 
zich, die wir auf den Matten oben auf dem Plateau enide>ten, ais 
;chon das Nebeldüſter in Dunkelheit überzugehen drohte. Tie 
Hütte war lecr -- das machte nichts, Holz und Hei war noch 
genug das Und. im Nu hatten 
wir's uns gemütlich gemacht. Auf 
der offenen Scuer telle prajſfelten 
die Flammen. Schnell flog da3 
naſe Zeug vom Leibe und wurde 
m maleri? her Drapierung um den 
breiten Kamimjuns gehängt. Wäh- 
zend Wolken von Wa ſerdampf 
daraus emporquollen, begann ein 
Focßen und Schmoren, als ob für - 
oin Feſteſſen angerichtet werden 
ollte. Wa3 da alle3 au38 den 
Tiefen des NRuckia>k8 zum Vor- 
ichein fam! Und was drei hung- 
rige Mägen alles aufnehmen 
fionnen! -- 
Ein Bild war's 
Malen, als wir zum Echluß noch 
bei dampfendem Tec ein Plauder- 
nünd<en abhielten: in. Hemd, 
Strümpfen und Sandalen, Säcke, 
die wir in eineni Winkel auf- 
geſtöbert hatten, um die SEdqultern, 
10 hocften wir um das Feuer und 
vertrieben uns die Zoit mit aller- 
jand Räubergei IMichten, bis wenig- 
tens das Nötigſte in der Hiße ge- 
irocnet war. 
Wir hatten den Raum tüchtig 
durc<gewärmt und noc< einen 
Wurzelfnorren ins Feuer geſchoben, 
ehe wir auf dem Heulager zuſant- 
men im unjere Schlaffäde krochen, 
die wir mit ein paar Sicherheit3- 
nadeln aus unteren nunnmehr 
irocfen gewordenen Kelerinen her- 
zeſtellt hatten. Gim paar Heu- 
Tefüllte Säc>e noch quer über die 
Beine, und jelbſt unter Dicker 
dachte nicht mehr an die ſranzgvöſi- 
dann zum 
ichen Betten im Forellenhotel. 
Vom Schlummerlied, das uns der 
 
Hare Himmel, und aus dem Nebel löſen ſich Iichon wieder die erſten 
Schneefloden lo3. . 
Da pacdten wir ſ<nell unjere Siebenſachen zujammen, brachten 
die Bude wieder in Ordnung Und füchten uns die Stelle, wo ein 
Sägerpfädden in die Schlünde des Creux du Vent“) binabführte. 
Der Creux du Vent iſt ein rieſiges Natur-Amphitheater; Drei- 
hundert Meter hoch 'treben die Wände empor, man glaubt jich in 
einem Gigantenzirkus, und die überſ<hneiten Bäume auf den Fel23- 
jtufen erſcheinen wie eiSerſtarrte3 Publikum. 
Vielo Jahrtauſende zurück, al8 die Alpen unter einem Ei2- 
panzer begraben lagen, da kam aus dem Rhönetal ein Gleticher- 
jtrom und ſc<ob fich gen Norden. An den Hängen de8 Jurage- 
birge3 itauten iich die Cismajjen immer höher, bis jie das Tal 
der Areuſe fanden. Hier hinein kroch dann ein (anger. dicker 
Glet] Herwurm vom Hauptglet] dier aus immer weiter aufwärt82. 
Cr war geipickt mit allerhand Ge= 
ſteintrümmern, wie ein Chriit= 
jtolen mit Roſinen: und die Ge= 
jteine jtammten faſt durchweg aus 
deim Montslancgebiet. Solche Find- 
linge, die an Ort und Stelle liegen 
blieben, wenn das Cis wegſchmolz, 
treffen wir heute hier bis in 1300 
Meter Höhe noch an, ein Beweis, 
daß der. Gleticher bis in diele Höhe 
das ganze Tal erfüllt hatic. Als 
5 dann warmer wurde und das 
Eis allmählich abtaute, blieb in 
einer hoßgelegenen Niſche, deni 
heutigen Creur du Vont, ein 
fleiner Gletſcher zuriick; der hat 
dann im Laufe der Zeit, b15 Die 
Wärme der Gegenwart ihm vollig 
den Garaus machte, das ganz? 
Amphitheater ausgqefolft. Ti 
Edcutimatien aber, die er Weg- 
ichob, erfüllten das Tal der 
Areunje und zwangen den Fluß, 
weiter nördlich fich ein neues Bett 
zu araben, in dem Cr jekt in enger 
Selen licht dahinoraiumt. 
Vorſichtig taſten wir uns den 
mit glitichigem << nec verdedien 
Kfad hinab in die Tiefe. In einer 
auten halben Stunde jind wir in 
dem Jlecen Noiratque und folgen 
jekt dem Tal der Areu? abwärts. 
Iticht lange, und wir trajen ein 
paar Forellenangler. Lin Wort 
gab das andere, wir wurden ichnell 
handelsSeins, und ein halb Dußend 
zweipannenlanger Jorellen, billig 
wie die Weißſfiſche, wanderten in 
den Ruchitac>. Hei! ſollte das eino 
Gottermahlzeit werden! Siehit 
Du, Dicker, nun ſind wir doch zu 
unteren Forellen gefommen! 
(> 
 
Sturm draußen auffpielte, hörten 
wir nur noch die erjten Akforde 
und die ſchon mehr un Schlaf. 
Al3 wir aufwachen, iſt's ſchon ziemlich hel. Ein Blick durch's 
Fenſter. Ungläubig reiben wir die Augen. Aber wahrhaftig! 
Mlarer, morgentlarer Himmel draußen! Schleunigſt fahren wir in 
die Kleider. Dann aber hinaus vor die Hütte! 
Der Fuß ſtoct! 
Sterne verglimmen -- wir jelbſt auf einer ſchneebede>ten, ein- 
amen, buckligen Injel. 
Nebelmeer, in dem Wälder und - 
ns verf unfen ſind. 
ämmen des Rebels eine Wunderwelt empor, die Berge der 
Schweizeralpen: Titlis, Eiger, Mön<, Jungfrau, . Monte Rof 
Täler und Dörfer und Seen unter 
Matterhorn und St. Bernhard und der Rieſenkoloß des Montblanc. | 
<cbarf heben ſich ihre Umriſſe gegen die Selle des anbrechenden: 
Tages ab. 
Die Zähne klappern im Froſt, aber da3 Bild läßt uns nicht [o3. 
Schon zucken die erſten Sonnenblit be am Himmel empor; da 
nimmt die Herrlichfeit langſam ein Ende. - Immer höher ſteigen 
die Neobelfluten. 
unſeres Bergkammes verſchlungen. 
nene Nebelſchwaden heran, über uns hinweg, um uns her. Und 
verſc<wunden ſind die Bergrieſen im Oſten, verſ<wunden der 
Brüde im 1 elſental der Areuſe. 
Wir glauben uns in ein Zauberland entrückt. | 
Ucber uns der faltblane Morgenhimmel, an dem eben die leßten. 
Um uns ein weites, , wogendes, brandendes 
Und fern im Oſten taucht aus den Wogen-- 
Geſpenjtiſch haben ſie ſchon . den größten. Teil - 
Von "Südweſten Der flattern 
Weiter unterhalb fommt die 
erte Felſenſchlucht. Mit lauten 
Getöſe zZwängt nu das Waſſer 
durch die überall glatt geicbliffenen Felien; fnapp, daß ein ſc<imaler 
Fußſteig zur Seite Plat hat. 
Stolz mar ſchierten wir eine Weile fpäater aim orellenhotiel vor= 
bei und Trebten weiter talabwärts, immmer neben dont u je her. 
Kaskaden folgten auf Kaskaden, teilwei e in gemauerte Rinnen 
und Stufen gezwängt, teils noch in ueiprünglicer Wildheit dahin- 
ſchäumend. .. Wo" zum zweiten Male die Feljen von vel den Ufern 
her ganz naßhe zufammentraten, da fanden wir in der Nähe eincs 
dur< Felsrutſchungen ungangbar gewordenen Weges eine vom 
Waſſer ans8geſtrudelte Grotte in der FelsSwand. Hier hatten vor 
"Zeiten Höhlenbär und Höhlenlöwe gehauſt; dann war der Ei2zeit- 
menſch gefommen und hatte die Grotte zu ſeiner Wohnung ge- 
macht: al3 man - unlängſt den Schutt au38h9b und unterſuchte, fand 
man. darin. die Zeugmiſſe früherer menſchlicher Kultur, Reſte von 
Werkzeugen und "Mablzeiten. Ein fingergliedgroßer Splitter 
Feuer tein war alle8, was wir nach längerem Suchen bei der Nach-. 
ieſe noch erwiſchten. . 
. Schwieriger war die. Suche nach troFenem Holz, aber Ihlicklich 
fanden. wir auch: davon genug, und bald loht ein [nitiges Feuer, 
wie damals, al8 der Urmenſc< noh daran kauerte. Er wird" 3 wohl 
 
*) Sprich ungefähr: krs di wang (Windloch) .
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.