Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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TOESAEINOMAXOoYTP 
Abb. 1. Die dem Meergott Poſeidon geweihten 
Zöpfe des Philombrotfos und Aphthonetos. 
London, Britiſh Muſeum. 
 
Arbeiter-IJugend 
'. Dichter, der Lord 
Byron, der den Grie- 
'<en zu: Hilfe eilte, 
„fand auf griechiſcher 
Erde, bei Miſſolunghi, 
den Tod. DaZ3 alle3 
* geſchah, weil man den 
modernen “ Griechen 
. micht fo ſah, wie er 
wirklich war, ſondern 
"und. Berſchönerung, 
: die. ſich, wie geſagt, aus 
der Bewunderung für 
den antiken Hellenen 
-- mit dieſem Namen 
bezeihnen ſich die 
langer und mühſeliger Arbeit 
wieder -aus dem Schutt der 
Jahrhunderte - 
Engländer in ; den - 
Kampf gegen Hie-T TÜL-. 
EI Fen. Einer der be-- 
.- Bewendſten engliſchen: 
ZUg. aus Lava, 
„in einer Verklärung 
erflärte („Hellenen“ 
au38gegraben 
worden 1ſt, - und - daß man 
unter dem |hüßenden Ueber- 
Erde und 
Staub 5das alte Pompeji in 
überraſchender Lebendigkeit 
wieder vorgefunden hat. So 
vernichtete, ſo ſtiegen ſie 
wieder au3 der Erde! 
In no4&ß weit frühere 
Zeiten der Bergangenbheit 
haben un3 dann die berühm- 
ten Anusgrabungen Schlie- 
inanns geführt. Vom Wunſc<e 
geleitet, da3 alte Troja, um 
das Hektor und Achill, Aga- 
memnon und Baris und ſo 
wie vor faſt 2000 Jahren dr A fh 
AusSbruceh de8 Vejuv Die | 7 ih IMME / 
Häuſer der Stadt plößlich | SZ ZUR. > 
viele andere Helden der alten 
Sagen gekämpft haben, zu - 
entdefen, hat Schliemann, 
Griechen in ihrer eigenen Sprache; das bei uns übliche Wort 
„Grieche“ iſt romiſchen Uriſprungs3). 
Wir heute ind davon abgefommen, die Griechen mit den be- | 
geiſterten Augen unſerer Großväter zu ſehen. Wir haben ihre der von Hauſe aus Kaufmann 
Itiederlage unter dem Vater des jetzigen Königs erlebt, wir haben war, tatſächlich einige jehr 
ihren lezten Krieg ebenfalls nicht mit blinder Bewunderung ver- alie und intereſſante Orte 
folgen können. Un3 erſcheint der moderne, das heißt der heutig d ausgegraben, wenn es auch, 
Grieche rec<ht nüchtern. Vom Helden hat er nicht viel an fich, ' er iſt wie ſich ſpäter herausſtellte, 
mehr Kaufmann, Rechner und Händler. oo: feine8weg8- gerade - die Stätten der Agamemnon und Priamos 
Ganz ähnlich nun, wie unſere Großväter den modernen waren. -Mit der Zeit hat ſic dann die Kunſt des Ausgrabens 
Griechen mit verſchönernden uus verklärenden Augen an ſahen, immer mehr vervollkommnet, und dieſen Ausgrabungen eben ver- 
pflegen wir jelbſt noch heute den antiken Griechen nicht jo zu danfen wir größtenteils unjere Kenntniſſe vom alltäglichen Leben 
jehen, wie er wirklich war, ſondern durch eine gefärbte Brille, die der Griechen vor zwei bis drei Jahrtauſjenden.. 
uns alle3 in einem rojaroten Lichte zeigt, obwohl manche Eigen- Die wichtigſten Aus8grabungen werden heute in 
ſchaft der alten Griechen in Wahrheit eine ganz andere Beleuchtung Kreta veranſtaltet. Hier ſteigt die Kultur von 
verdiente. Die alten Griechen ſind e8 dur<- Menſchen greifbar vor uns wieder herauf, die 1500 
aus wert, daß wir un38 mit ihnen noh jekt, Jahre vor Chriſti Geburt gelebt haben. Und aus 
nach zweiundeinhalb Jahrtauſenden, be- diejer jo frühen Zeit entde>en wir Dinge und Ein- 
ſchäftigen. Sie waren ein außerordentlich rietungen, die wohl niemand den Alten zugetraut 
intereſſantes, ja in vieler Beziehung ein hätte. E8 iſt keine Aufi<hneiderei, wenn ich jage, 
„unglaubliches“ Volk. Nur fo wie unſere daß man neuerdings in Kreta ein regelrechtes 
Herren Magiſter ſie uns ſchildern, ein Volk Klojett mit Waſſerſpülung entdeät hat. Aus einer 
von Muſterknaben, ſind ſie ni<t geweſen. Zeit, die 8400 Jahre vor der unſerigen liegt! 
Die Griechen verdienen al3 eines der aller- Roch verblüffender vielleicht iſt eine runde 
bedeutendſten Völker alle Bewunderung, Tonſcheibe mit einem gedrudten Text. Tat- 
aber man jehe ſie als Menſchen von FleijlM jächlich iſt hier das Gutenbergſiche Prinzip der ver- . 
und Blut, nicht wie die Helden eines von jetbaren Lettern --- 3300 Jahre vor Gutenberg! <« 
Edelmut überfließenden Theaterſtü>s an! jc<on benußt worden. Denn der ganze Text 1ſt 
Viel wichtiger, als die alten Griechen zu nicht etwa ' in den Ton eingerikt, fondern mit 
verhimmeln, iſt e3, ſich ein Bild von ihrem Stempeln eingedrückt worden. Für jeden einzelnen 
wirklichen Lehen und Buchſtaben hatte man einen 
Treiben zu machen. Auch Stempel, der aljo immer wieder 
bei : den alten Griechen zu neuen Texten benußt werden 
war nicht alle Tage Feſt- fonnte. Das aber und nicht3 
tag, wie es in den meiſten anderes it ja auc< das Prinzip 
Büchern aus8gemalt wird. Auch bei ihnen war der Gutenberg3. Leider ſind wir vor- 
Werktag, der Wochentag, der häufigere und wichti- lanfig noc< nicht imſtande, die 
gere Tag. Und wie ein ſolcher ganz durc<hſchnitt- Schrift dieſer uralten Tonplatte zu leſen. Wir 
 
Abb. 3. Zwei Kreiſel aus altgriechiſcher 
Zeit. Darüber das Bild eines kreiſelnden 
Mädchens na<h: einer Vaſe des V. Jahr- 
- hunderts. v. Chr. 
 
Abb. 2. Sparbüchſe in Form 
eines Tempels. Berlin, 
Kgl. Muſeum. 
 
Abb. 4, Glieder- 
puppe. London, 
Britiſh Muſeum. 
 
lißer und gewöhnlicher Wochentag, wie der Alltag 
bei ihnen ausfah, das wollen wir uns an einigen 
Proben zu vergegenwärtigen verſuchen. Von den 
Theatern, von den Tempeln, von den Kriegs- 
i<hiffen wird ſchon ſeit langem ein übertriebenes 
Weſen gemacht -- wir wollen uns8 vielmehr den 
Spielſachen, den Waſſerleitungen, den Münzen 
ujw. zuwenden, al dem Einfachen, :Alltäglichen 
und Menſ<lichen, das doc< gewiß nicht weniger 
Reize hat. 
“ Wem verdanken wir, wird mancher fragen, 
die Kenntnis dieſer Dinge? Daß ſich die großen - 
iteinernen Bauten der Tempel und. Theater er- 
halten haben, iſt ſc<ließlich nicht: fo verwunderlich, - 
äber daß auc<; Puppen, Sparbüchſ ſen, Fingerhüte, 
Geldſtüke und Kreiſel auf uns gekommen find, 
nach jo "vielen Jahrhunderten, -das iſt do< wohl 
überraſchend. Nun, wir danken die Kenntnis und 
den Beſiß dieſer Dinge unſeren „Ausgrabungen“. 
E3 wird - wohl jedem “bekannt ſein, daß die Stadt 
Pompeji, die im Jahre 69 n. Chr. ein Ausbruch 
de3 Veſuv verſchüttet und völlig bede>t hat, in 
'Abb. 5. - Der Lehrer mit dem fleißigen 
und.mit dem fauten Buben. 
 
Terrakotta. 
" Berlin, Kgl. -Muſeum. 
 
wollen uns nun einigen beſönder3 intereſſanten 
Gegenſtänden. zuwenden, deren Kenntnis wir den 
jüngſten- Au3grabungen verdanken, und die wir 
hier zim Bilde vorführen können. Da iſt eine kleine 
Steintafel, auf der zwei Zöpfe dargeſtellt ſind (Ab- 
bildung). - Was bedeutet da8? Darüber belehrt 
uns die Inſchrift am oberen Rande: Zwei aber- 
gläubiſc<e Leute, Philombrotos und Apbtbhonetos 
mit Namen, wurden bei- einer - Seefahrt vom 
Sturm iiberraſcht und verſprachen in ihrer Angjt, 
dem Gott des Meeres, Poſeidon, ihr. Haar zu 
Ichenfen, wenn er ſie noh 'einmal dem. drohenden 
Tode des Ertrinken3 -eritgehen- ließt. Sie ſind 
dann wirklich no<ß mit dem Screen davon- 
gekommen, und. ihrem Verſprechen getreu, haben 
ſie = ihr Haar. abgeſchnitten -und dem Gott „ge- 
opfert“? Nein, ſie haben ſich damit begnügt, ihr 
Haar in Stain.“ nachbilden zu : laſſen und die 
ſteinerne Nachbildung 'dem Po] eidon zu verehren! 
(Uebrigen3 fann man aus dieſer Tafel erjehen, daf 
die Griechen no& um da83 Jahr 400 vor Chri ſt! 
lange38 Haar trugen.)
	        
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