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Eingetragen in die Poſt- Zeitungsliſte. |
Die Arbeitkerſchußgeſeßgebung und der Krieg.
Der Kampf um den Schuß der Arbeiterjugend.
' 4 egenwärtig hört auc< die Jugend nur vom Krieg. Jevoh
| Y verſteht darunter durchaus nicht jeder da8ſelbe. Der eine
denkt dabei in erſter Linie an die Siege, über die die - Tages-
zeitungen berichten; der andere blickt auf die Opfer des Krieges,
auf die, die im blutigen Ringen draußen kämpfen oder die daheim
jich um Brot und Arbeit mühen. Aber alle ſtimmen darin über-
ein, daß es jekt gilt, alle Kraft einzuſeßen, damit wir möglichſt
bald über dieſe ſchwere Zeit hinauskommen zu einem Frieden, der
allen Völkern zum Segen gereicht.
Hier zeigt e3 ſich wieder, wie notwendig ein wirt imer Ar-
beiterſchuß war. Denn mit einer Arbeiterſ<aft, die durch undbe-
j<hranfte AuSnußung ihrer Kräfte ſchließlich körperlich und geiſtig
geſchwächt worden wäre, hätten wir weder die Opfer des Krieges
tragen, no< die Hoffnung auf eine beſjere Zeit nach dem Abſchluß
des Friedens hegen können. Gerade weil es gelungen iſt, immer
weitere Kreiſe der Arbeiterſchaft vor den Folgen der heutigen
Wirtſchaft8weiſe zu ſchüßen, ihre körperlichen und geiſtigen An-
lagen zu entwickeln, ſie auf eine höhere Stufe der Bildung und
Geſittung zu erheben -- gerade de3halb können wir davon über-
zeugt fein, daß unſer Volk die furchtbaren Opfer dieſe3s Krieges
nicht vergeben38 bringen, daß nach dem Kriege die Wohlfahrt
des arbeitenden Volfes um ſo wirkſamer gefördert werden wird.
Schwer hat es gehalten, auch nur die erſten Anfänge 5238 ge-
feblichen Arbeiterſchußes durchzuſehen. DeShalb iſt e3 gerade jekt
cin Gebot der Gerechtigkeit, daran zu erinnern, welche Mühe e38
koſtete, um im Reichstage die unentbehrlichſten Schußbeſtimmun-
gen auch für die Arbeiterjugend durchzuſeßen, obgleich im Jahre
1869, al3 der Reichstag des Norddeutſchen Bundes zum erſtenmal
über den geſeßlich feſtzulegenden Schuß der Arbeiterfinder zu be-
ſchließen hatte, niemand mehr im Zweifel ſein konnte über die
ichreklichen Folgen, die die übermäßige gewerbliche Beſchäftigung
für die körperliche und geiſtige Tüchtigkeit des Arbeiternach-
wuchſes haben müſſe.
Die Regierungen hatten vorgeſchlagen, daß bereits 12 Jahre
alte Kinder in gabriten zu regelmäßiger Beſchäftigung eingeſtellt
werden vürften. Die tägliche Arbeit3zeit der Kinder von 12 bi8
14 Jahren ſjollros höchſten3 ſechs Stunden betragen, und außerdem
jollten dieſe Kinder täglich einen Schulunterricht von wenigſtens
drei Stunden erhalten. Für die Kinder von 14 bi38 16 Jahren
endlich jollte eine tägliche Arbeit3zeit bis zu zehn Stunden zuge-
laſſen ſein. Vorübergehend jollie die Ortspolizeibehörde dieſe Ar-
beitSzeiten jogar noch um eine Stunde verlängern dürfen, wenn
dies infolge von Naturereigniſſen oder Unglücksfällen notwendig
erſchiene. Jtachtarbeit war für ſämtliche Kinder verboten.
Die Sozialdemokraten wollten dagegen alle Kinder unter
14 Jahren von der Fabrikarbeit ausſ<hließen und für die Kinder
von 14 bi3 16 Jahren die längſte tägliche Arbeit8zeit von zehn auf
ac<t Stunden herabjeßen.
Am „29. April 1869 verhandelte der Reichstag über dieſe ? An=
träge. Der RegierungsSvertreter erinnerte daran, daß dic Vor-
ſ<läge her Regierungen das enthielten, was zu jener Zeit in
Preußen vorgeſchrieben war. In Preußen ſind dic erſten Boſtim-
mungen Über die in Fabriken beſchäftigten jugendlichen Arbeiter
„bereit3 im Fahre 1839 erlaſſen worden. Damal38 wurde feſtgelegt,
vaß Kinder unter neun Jahren in Fabriken üborhaupt nicht be-
Ichäftiat werden dürften und daß jede8 Kind vor dem Eintritt in
Berlin, 7. November
Expedition: Buchhandlung V Vorwärts, Paul
Singer G. m. b. H., Lindenſtraße 3. Alle ZU»
ſchriffen für die Redaktion find zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68
1914
die Fabrikarbeit drei (!) Jahre lang die Schule bejucßt haben
müßte. Erft allmählich fam man zu der Grfenntnis, daß dieſcr
Schuß nicht genüge. 3m Jahre 1858 befreite ein Geſeßs ſtufenweiſe,
von Jahr zu Jahr, einige weitere Altersklaſſen von der Fabrik-
arbeit, und man gelangte jo zu dem Verbot der Fabrikarbeit für
alle Kinder unter zwölf Jahren. Dieſes Verbot dur<zuführen,
hat in einzelnen Fabrifgegenden viele Müße gekoſtet: fo verſicherte
der Negierungsvertreter. Einen Grund, noch weitere Alters-
Haſjen, alfo auch -- wie die Sozialdemokraten beantragt hatten --
dic Kinder von 12 bis 14 Jahren von der Fabrifarbeit fernzu-
halten, fonnte der Herr nicht anerkennen. Er verſicherte, daß dic
Zahl der in den Fabrifen beſchäftigten Kinder im Verhältnis zu
der Geſamtzahl der Arbeiter zurücgehe.
Kurz vorher aber hatte bereits der fozialdemofratiiche Abge-
ordnete Bebel einige Beiſpiele für die Kinderausäbeutung vor-
getragen. 3n den jächtiichen Indufſtriebezirfen, in Crimmitſc<ait
und Werdau, wo befonvers die Tuchmacherei betrieben wird,
wurden drei Fünftel aller Waren durch Kinderhände hergeſtellt;
im Crimmitſchau waren nicht weniger als 1400 Kinder unter vier-
zehn Jahren beſchäftigt. Dieſe Tatiache hat der Regierungsver-
treter mit feinem Worte beſtritten.
Sowohl diejer Herr als auch Redner der bürgerlichen Rar
teien hatten behanvptet, daß die Arbeiter felbit keinen hefſeren
Kinderſchuß haben wollten. Demgegenüber ſtellte der ſozialdemo-
fratiſic<ge Abgeordneie FrißBßi<e felt: die Arbeiter ſelbit
wünſchen, daß die Kinderarbeit eingeſtellt werde. Wenigſtens
jo fuhr er dann fort -- der vorgeſc<ritiene Teil der Arbeiter hat
diejen Wunjc<h und hat ihn ſchon ſeit längerer Zeit öffentlich aus-
geſprochen. E32 iſt vorzüglich die Rückticht auf die Sittlichkeit, die
uns zu dem Antrage veranlaßt, daß Kinder unter vierzehn Jahren
nicht in Fabrifen beſchäftigt werden dürfen. Außerdem kommt
no ein weiterer Grund in Betracht. Die Kinderarbeit übt auch
einen nachteiligen Cinfluß auf den Geſundheitszuſtand des Volfes
au8. Der Arbeiter, doſſen Kräfte und Geſundheit bereits durch
die Kinderarbeit beeinträchtigt ſeien, könne ſpäter nur noch eine
geringere Leiſtungsfähigkeit aufweiten.
Die konſervativen Großgrundbeſiter waren ebenfalls dafür,
daß für Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren die Fabrikarbeit
aus8geſ<loſſen ſein ſoll; von einem derartigen Kinderſc<uß in der
Landwirtichaft freilich wollten fie nichts wiſjen. Auch der Fort=
ſchrittler Dr. Hirſc< unterſtüßte den Antrag der <oztaldemotraten.
Gegen den Antrag ſprachen der Nationalliberale Dr. Wehren-
pfennig und der Frcifonfervative von Einjiedel: ihnen + eiichien DIe
Kinderarbeit in den Fabriken gar nicht jo ſ<linm.
No weiter ging der freifonfervative Abgeordnete Stumm,
der ſchon damals viele Hunderte von Arbeitern in ſeinen Hütten-
werken beſchäftigte. Er wollte für ſich und die anderen Groß-
induſtriellen die „Freiheit“ haben, die Arbeiterkinder zwiſchen
vierzehn und ſechzehn Jahren zu beſchäftigen, ſolange es dem Be-
trieböleiter vaßt jogar während der Nacht. Daher beantragte er,
daß jede Beſchränkung der Arbeitszeit für die Kinder von vierzehn
bi3 ſechzehn Jahren geſtrichen werde. Er wies auf die Hochöfen
hin, die das Feuer Tag und Nacht unterhalten und die Arbeit Tag
und Nacht umumterbrochen fortſeben müßten. HSier ſeien, fo ver-
ſißerte Herr Stumm, die Kinder vom vierzehnten bis zum
ſechzehnten Leben3jahre unentbehrlich, woil jonſt die Induſtrie
zugrunde gehen müſſe. Er verriet hierbei, daß in Preußen dort,
wo die Großfapitaliſten der Schwerciſeninduſtrie herrſchten, die
Schußbeſtimmungen für die Kinder von vierzehn bis ſechzehn