Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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Der Colſe. 
+A ox Roſtdampfer „Hamburg“ hatte eine ſchlechte Reiſe hinter 
- ſich. Seit drei Tagen rollte und ſtampfte er in einer 
hohen achterlihen See ganz gewaltig. Bald tauchte er 
zitternd ſeinen Bug tief in die grünlichen Waſſer, und 
der quirlende Schaum umſpülte die beiden mächtigen, auf 
der Ba> feſtgezurrten Anker; dann wieder hob ſich der 
Steven hoch empor, und das He« empfing den dröhnenden 
Schläg des. nächſten Brechers. Ab und zu wälzte er - fich 
langſam, aber mit unwiderſtehlicher Wucht ganz auf die Seite, daß 
die erſchre>ten Paſſagiere in den Kajüten den Atem .anhielten. 
Jreilich, die meiſten lagen krank und elend in den Rojen; hier vor 
der Elbmündung war ja auch die See noch ſteiler und höher als 
draußen. Die ganz Seefeſten, die, bis an. die Zähne vermummlt, 
von ficheren E>en aus den Aufruhr der: Elemente mit angeſehen 
hatten, waren nun doch, als der trübe Wintertag zu Ende. ging, 
einer neuen Sc<neebs gewichen. Nun jaß .man plaudernd. beim 
we] 
Kaffee in der behaglichen: Kajüte und lauſchte dem. Brauſen .des 
Plößlich verſtummt das donnernde Stampfen der Ma- 
Sturms. 
ichine = die Shraube + 
fchlägt langſam und 
ſteht dann ſtill. All- 
gemeine Unruhe. „Was 
hat das zu bedeuten, 
hier mitten auf See?“ - 
Der Steward beruhigt 
die Gemüter ſchnell mit 
der kurzen Bemerkung: 
"„Der Lotſe kommt an 
Bord!“ „Aha, der Lotje; 
na, Gott ſei Dank! 
Dann kann's ja nicht 
lange mehr dauern;“ 
ſo ſchwirren die Reden 
durcheinander. Zwei, 
drei wagen es aber 
doch, ſich die Sache 
anzuſehen. Draußen 
wiegt ſich ganz in der 
Nähe auf den dunklen 
Jluten ein weißes zwei- 
maſtiges S<iff; ſeine 
Segel ſc<lagen und 
knattern im Winde; hell 
funkelt das weiße TopPp- 
licht durc< die Dämme- 
rung. Zwiſchen Segel- 
ſchiff und Dampfer 
wird jezt auch ein Boot 
ſichtbar, das mühjam 
gegen die Sec heran- 
ſtampft. An der Lee- Sn . 
ſeite legt e8 an. Ein bärtiger Mann: ii triefendem Delanzug 
lettert an De und beſteigt ſofort die Brücke. - Mit dumpfem 
Brauſen ſc<lägt die Schraube wieder an und' die durc<frorenen 
Zuſchauer flüchten in die warme Kajüte zurück. as 
Dies“ An- oder auch Abfeßen des Lotſen iſt oft das einzige, 
was die Paſſagiere von ſeiner Exiſtenz überhaupt merken. Seine 
Tätigkeit entzieht ſich meiſt völlig ihrer Beobachtung und Kennt- 
ni8, jo daß man ſich nicht wundern kann, wenn die Seffentlichkeit 
ihn zwar ſchäßt, aber do< faſt nichis von ihm weiß. 
Lotſe =- das Wort klingt ſo beruhigend, und in der Tat kann 
man ſich unſeren deutſchen Lotſen vollkommen ruhig anvertrauen, 
dieſen ernſten Leuten, deren Beruf ſchwer und verantwortungs8voll 
und do< verhältnismäßig gering entlohnt iſt. Früher betrieben -die 
Lotjen ihr Gewerbe mit ſtaatlicher oder ſtädtiſcher Erlaubnis 
ſelbſtändig und mit eigenen Schiffen. Nac< und nac< wurden jie 
jedoch zuerſt: von den Hanjeſtädten, jpäter von Preußen und den 
anderen deutſchen Küſtenſtaaten organiſiert. 
reglement von Bremen datiert vom Jahre 1710. Heute unterſtehen 
die Lotſen al8 Staat3beamte der -Aufſicht der betreffenden Regie- 
rungen, die auch die Lotſenſtationen, Gebäude und Lotſenfahrzeuge 
unterhalten. 
- Die Lotſen ſind über alle deutſichen Häfen oder für die Schiff- 
fahrt wichtigen Punkte verſtreut und auf ihren Stationen anſä)ſig. 
Eine große oder mehrere kleine Stationen werden von einem 
Lotſenkommandeur (meiſt alte Kapitäne der Handel8marine oder 
ältere Seeoffiziere außer Dienſt) geleitet. An der Spiße einer 
leinen Station ſteht ein Oberlotje, der dein Kommandeur für die 
vorſchrift3mäßige Dienſthandlung der drei bis zehn Loijen ver- 
antwortlich iſt. oo | 
 
 
- unter der. . Führung. eines Zwangslot| de 
Jammenſtoß mit einem anderen Fahrzeuge erfolgt, fo hat der 
 
- Bolliſchiff, den Lotſen erwartend. 
fallen 
Das erſte Lotjen-- 
Arbeiter=Igend 
Die Lotſen zerfallen in Seelotjen, die Schiffe aus Seeim den 
Hafen oder umgekehrt bis zu einer beſtimmten Stelle. des Fobr- 
waſſer3 (Lotfenfahrwaſſer) in See führen; Revierlotjen, die auf 
"Haffen und den großen Strömen Dienſt tun, und Hafenlotjen, die 
das. Anlegen und Verhoken der Fahrzeuge leiten. Die beiden 
erſteren find meiſt ältere Steuerleute der Handels8marine, nicht 
jelten jedo< auch ehemalige Kapitäne mit Patent für große Gahrt. 
Sie müſſen ſi<g vor ihrer Anſtellung einer ziemlich ſtrengen Prü- 
fung über Navigation, Signalkunde, Seeſtraßenrecht Und der- 
gleichen unterziehen. Da nun die Lotſen meiſt viele Jagre dieſeltc 
„- ' 
Station haben, ſo kennt jeder einzelne jein Jahrwaſſer bei Tag 
und Nacht ſehr genau. . . | 
Jür die Schiffe beſteht von einer beſtimmten, aber bei den ver- 
ichiedenen Stationen ſehr jc<wankenden Größe an im Intereſſe des 
Verkehr8.und der öffentlichen Sicherheit an dem größten Teil der 
"deutſchen Küſte Lotſenzwang. Ausgenommen ſind die regelmäßigen 
-Tourendampfer. und die Schiffe, : deren Führer für beſtimmte 
Häfen eine Lotſenprüfung beſtanden. haben. Fall38 ſich ein Schiff 
- 
en befindet. und ein ZuU- 
Reeder für den da- 
dUr) verurſachten 
- Schaden niht auſ- 
zukommen, ſofern die 
zur Schiffsbeſatzung 
gehörigen - Perſonen 
Pflichten erfüllt haben 
und der Zuſammen- 
ſtoß durc<h den Zwangs- 
lotſen verurſacht wor- 
den iſt. Die Abgaben 
der Schiffe an die 
Lotſen (das Lotſen- 
geld), die der Staats- 
kaſſe zufallen, ſind 
nach Größe und La- 
dung ſehr verſchieden. 
Meines Wiſſen3 jind 
zum Beiſpiel die Elb- 
lotſen an dieſen Ab- 
gaben auch ſelbſt inter- 
eſſiert. Die Art dcs 
Lotſendienſtes an Nord- 
und Oſtſee weiſt nun 
beträchtlihe PUnter- 
ſchiede auf. Die Fahr- 
waſſerverhältniſſe der 
Nordſee ſind un- 
- gleich ſchwieriger als 
die der Oſtſee. Weit 
vorgeſchobene flache 
Sände. und Watten 
enoen viele Meilen: in See ſchon die Fahrt ein; bei Ebbe 
ſie tro>en und nur bei jonnigem Wetter zeigen ſie ihr 
warnendes Hellgrün. --Bei Flut rauſcht die See meterho<h darüber 
hin. -Wohl dem, - der bei- Ebbe feſtkommt, bei Flut dürfte meiſt 
jein Schickſal beſiegelt jein! Zu den unaufhörlic< wechſelnden 
Tiefen geſellt ſi der Strom, der meiſt auslaufend, bei Ebbe mit 
verſtärkter Kraft, beträchtliche Ort3verſezung der Schiffe zur Folge 
hat. Kurs und Fahrt eine8 Schiffes dur<s8 Waſſer iſt verhältnis- 
mäßig einfach, die wirkliche Fahrt über den Grund dagegen bei 
wechſelndem Strom und Mangel an feſtliegenden Seezeichen oder 
Landmerkmalen (bei Nebel zum Beiſpiel) ungemein ſc<wer zu be- 
ſtimmen. Allerdings ſind die Mündungen unſerer großen Ströme 
vorzüglich befeuert und betonnt; trozdem können ſich die ungün- 
ſtigen Verhältniſſe derart häufen, daß es zur Strandung kommt. 
Vebel berüchtigt als Schiffskir<höfe ſind in der Elbmündung der 
große: Vogeljand und Kraßſand gegenüber Kuxhaven. 
„Gefährliche Küſten machen gute Seeleute,“ fo ſind denn auch 
die Elb- und Weſerlotjen beſonders tüchtig; jedenfalls iſt ihre 
Arbeit die weitaus ſchwierigſte. Weit draußen zwiſchen Helgoland 
und der Elbmündung, bei Weſter Dill N und nördlich vom Wezjer- 
feuerſchiff kreuzen ihre Fahrzeuge tage- und wochenlang umber, 
um die einſteuernden Schiffe mit Lotjen zu beſezen. Nachts führen 
die Lotſenſ<oner als ErkennungSzeichen keine roten und grünen 
Seitenlichter wie alle anderen Fahrzeuge, jondern ein weißes TopP- 
licht und zeigen, wenn Lotſen an Bord ſind, alle Viertelſtunden ein 
oder mehrere Jladkerfeuer. Al8 Signal, daß ein Schiff einen 
Lotjen wünſcht, gilt die im Vortopp gehißte Nationalflagge oder 
die Lötſenflagge (Nationalflagge mit ring3sum laufenden weißen 
Streifen) oder das internationale Signal PT; nachts ein über der 
die ihnen obliegenden - 
 
 
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