Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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Arbeiter- Jugend 
 
zu entflammen. 
„Saillefer“, an die Dichter der Greiheitskriege, an die „Mar eillaiſe“ 
Wianter, wenn wegen Ti38gang die Schiffahrt ſto>t, aber auc< 
bäufig au3Sbleibt. Erwähnt mag no< werden, daß faſt alle Lotſen 
Mitglieder der Deutſchen Geſellichaft zur Rettung Schiffbrüchiger 
jind und als Jolche oft Gelegenheit haben, der See mit Boot und 
Rakete ihr Opfer zu entreißen und jo ihrem Beruf eine neue ſc<öne 
Seite abzugewinnen. 2 
Ein Dicmtker des Krieges. 
FA 3 ware ein vergebliches Bemühen, die Gedanken ablenken zu 
15 + wollen von dem furchtbaren Weltdrama des Krieges, deſſen 
=“ 32 itgenoſſen wir geworden ſind. Die Arbeiterjugend muß 
vielmehr, wie überall fo auch jekt, ihre ganze geiſtige Kraft darauf 
richten, zu einem vertieften Verſtändni38 vom Weſen dieſes gewal- 
tigen Ereigniſſes zu gelangen. Das geſchieht gewiß in erſter Linie 
durc< Beſchäftigung mit der wirtſchaftlichen und politiſchen Ge- 
Ihichte der lezten Jahrzehnte; nur ſie kann uns die tieferen Ur- 
faHen des furd<tbaren Infammenſtoßes der beiden Mächtegruppen 
erklären. 
Aber der Menſch iſt nicht nur erkennende8 Weſen, ſondern 
gleichzeitig mit den Gräften de3 Verſtandes5 regen ſich, ſtärker oder 
I<wächer, in ihm ſtet3 die Kräfte des Gemüt3 und der Phantaſie. 
Dief e können die Arbeit des Kopfes beleben und befruchten, ſie 
können aber au< die klare Erkenntnis der Welt hindern. Kein 
Zweifel: ein Ereignis wie der Krieg bringt unſer Gemüt ſo ſtark in 
Wallung, gibt unſerer Phantaſie ſo reichliche Nahrung, daß wir 
Mühe baben, einen kühlen Kopf zu behalten. 
Phantaſie und Gemüt -- an ſie wendet ſich, wie jede Kunſt, 
auch die Poeſie, und beide Fähigkeiten muß der Dichter neben der 
Gabe des Worte3 in hervorragendem Maße beſizen. Kein Wunder 
daher, daß zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Krieg Gegen- 
jtand der Dichtfunſt geweſen iſt, und daß umgekehrt die Dichter 
verjucht haben, durch die Macht ihrer Rede die Herzen der Jhren 
Wir erinnern an Uhland8 ſchöne Ballade 
 
der franzöſiſchen Revolution. 
Auch heute bemüht ſich ein ganzes Heer von Dichtern und 
Dichterlingen für dieſen Krieg, den das deutſche Volk bi8 zum 
lezten Augenblide abzuwenden verſucht hat und in dem zumal 
unfere Arbeiterſchaft ein furchtbares Verhängnis für Europa ſieht, 
Begeiſterung zu erzeugen. 
Von ſolcher Tendenz ijt Detlev v. Qiliencron, den 
die „Arbeiter-Jugend“ ſc<on fo häufig ihren Leſern vorgeführt hat, 
ganz frei, wohl nicht zulegt gerade de3halb, weil er ſelbſt die Feld- 
züge von 1866 und 1870/71 mitgemacht hat. Qilieneron kennt 
die Dinge, von denen er ſpricht, und er iſt ein Meiſter des Wortes, 
zu ſagen, wa3 er eſchaus hat. Dabei iſt er ein ehrlicher wahr- 
haftiger Menſc< mit einem fühlenden Herzen. Dieſer Mann, ein 
Zunker und Offizier, 
vielen ſeiner 
in den Bann ſeiner Darſtellung zu ziehen, daß wir die geſchilderten 
Borgänge mitzuerleben glauben. So, wenn in der Novelle „Eine 
Sommerſchlacht“ die Truppe auf den erſten 2 Toten ſtößt, zum crſten 
Verale widerſfrebend ein reifende3 Kornfeld niedertritt, die erſten 
Granaten über ſie hinwegſauſen. Der Dichter ſcheut fic) nicht, 
Ddurc< ein „UM“ -- bum!" das Sauſen und Einſchlagen der 
Geſchoſſe, dure< gruppenweiſe Wiederholung der Silbe „tak“ 
das Knattern de38 Gewehrfeuers8 nachzuahmen. Und dem Leier 
jelbſt will der Atem ſtocken, wenn er lieſt: 
| „Da trifft die erſte Kugel. Dicht neben mir ſinkt einer meiner 
Füſiliere, mitten durc< die Bruſt geſchoſſen. J<h ſeh's vor mir: 
das Gewehr entfällt ihm, ſein Mund öffnet ſich weit, es iſt wie ein 
frächzender Ton, die Augen werden ganz groß, dann bricht ex, mit den 
Händen greifend, zuſammen.“ 
Oft arbeitet Lilieneron durch da8 Mittel des Gegenſaßes, 
wenn er, gleichfalls in diejer Novelle, den Kampf in einer Gazelle 
toben läßt. Welch grauſiges Symbol vom Triumph des Kricg3- 
gottes über den Gott der Liebe iſt doH das in Blut gebadete 
Meuttergotte8bild und der Schütze auf der Kanzel! 
Noch ſtaunen5werter faſt erſcheint die Kunſt des Dichters, im 
Verſe, im Reim ſolc< unerhört realiſti Ie Schlachtbilder zu zeichnen. 
Das Handgemenge, das im dem Gedicht „Krieg und Grieden“ 
(„Arbeiter-Jugend“ Nr. 18 d. I.) geſchildert wird, iſt dafür ein 
großartiges Beiſpiel. In dieſem herrlichen Gedichte jchauen wir 
tief in des Dichters Seele. Wie ſein Herz auc< emporglüht im 
- Augenbli> de8 Kampfes, eIngeriſſen von dem Taumel de8 Ringen8 
um Tod und Veben, ebenſo heiß empfindet er den Segen des 
- heiligen Friedens. Ja, lauſcht man re<t aufmerkſam auf den Ton 
ſeiner Kriegsnovellen und Kieder, ſo hört man überall eine Sehn- 
facht nach Frieden, ein Suchen nach Menſchlichkeit mittlingen, 
. N 
eve 
hat un3 in ſeinen „Krieg3novellen“ und. 
| Leder den modernen Krieg gezeichnet, wie er iſt. 
. Durch rückjichtsloſe Viedergabe der Wirklichkeit weiß er uns ſo 
/ 
Weil dieſer Dichter den Frieden, die Natur, die Frauen, die 
einfachen-Menſchen der Arbeit, den Genuß des Leben3 ſo über-alles 
liebte, darum verſank er nie in rohe8 Lands8knecht8stum. Darum 
konnte er auc< in dem ergreifenden Gedichte „Tod in Aehren“ den 
ſterbenden Krieger zeigen, der in der Stunde des Tode3 ſein Dorf 
im Arbeitsfrieden ſieht. Unbewußt hat da Liliencron wuchtigen 
Proteſt gegen den Krieg erboben. 
Die Sterbenden, die Toten, ſie ſpielen bei Liliencron eine 
große Rolle. Er zeigt uns etwa einen Jäger (in der Novelle 
„Unter flatternden Fahnen“), der mit den Worten: „Matter, 
- Mutter =< daß Du bei mir biſt!“ in feinen Armen verendet. 
Over es packt ihn in dem Gedicht „Unter den Linden“ die Er- 
innerung an einen Kameraden, der an ſeiner Seite bei 'einem Er- 
kundigung3gang auf einjamem ſ<neebededten Felde fiel: 
„Da3 rote Blut auf dem weißen Schnee 
Sticht trojtlojer ab als im grünen Klee.“ 
Aus Einzelerlebniſſen fett ſi da8 Maſſenſ<ickfal zuſammen. 
Aber das iſt doc<+ mehr als8 bloße Addition: mit der Zahl ſteigert -- 
ſich der furchtbare Geſamteindru> de8 Leide8. In der Novelle 
„Umzingelt“ iſt die Schilderung eines Leichenfeldes von ſchier 
unerträglicher Eindringlichkeit und unbarmbherzigſter Wirklichkeit3- 
malerei: 
„Und ich ſchreite durch den Garten des Todes . Hier greift 
jich einer ans Herz, dort ſtret einer die Arme vor; der hat die 
Finger gekrümmt, dieſer rubt platt auf dem Leibe. Die Geſichter ſind 
verzerrt, ſelten wie ſchmerzlos ſchlafend. Die Wunden vurch Spreng- 
jtüde der Granaten ſind die furc<htbarſten: Beine und Arme ſind oft 
weggeriſſen, Bruſt und Gingeweide ſtehen offen.“ 
Und über dieſen verſtümmelten Menſc<enleibern ſieht der 
Dichter kleine weiße Sqhmetterlinge gaukeln, die ſich zuweilen auf 
das rote Blut miederlaſſen. . 
- Indes, wer klagt nicht um ſeine Kameraden, wer empfindet 
nicht das Grauen de3 Tode8?2 - Mehr noch ehrt den Dichter ſein 
Mtitgefühl mit der friedlichen Bevölkerung im Feindes8land. So 
retten einmal wackere Soldaten auf ſeinen Befehl mitten im 
mörderiſ<en Kampf eine Wöchnerin us einem brennenden 
Schloſje. Und ein andermal zeigt uns der Dichter die grauſige 
Verheerung einer einjamen Heidehütte: nur der hundertjährige 
blödſinnige Greis als8 einzig Lebender zwiſchen den Trümmern 
humpelnd. „Von fern herüber tönte Siegesgeſang . 
Dieſe Proben müſſen genügen, um einen Begriff von Lilien- 
cron3 künſtleriſcher Kraft und menſchlicher Größe zu geben. 
Wie aber kam e3, daß ein rolcer Dichter, von dem man mit 
Recht geſagt hat, ſeine Kriegspoeſie gehöre „in die Büchereien der 
Friedensfreunde, doch den Krieg ſo liebt? Denn daß er ihn liebt, 
troß aller ſeiner Schreden, verrät er uns immer wieder. Dieſe 
Frage führt un38 zur Weltanic<hauung des Dichter3. 
Vergleichen wir Liliencron etwa mit den Dichtern des Frei- 
heitsfrieges, ſo ſpringt eins ſofort in die Augen: Kiliencron gibt 
nur Bilder de38 Krieges, er ſchildert den Krieg, wie er iſt. Er 
fragt nicht nac<ß dem Recht ſeines Lande3, nach dem Zwe des 
Krieges, er gibt und nur ſeine Erlebniſſe in dichteriſcher Form. 
Das kommt daher: Der Freiherr Detlev von Liliencron hat 
ſic; nie viel um Politik gekümmert. . Jhm, dem Junker, dem DOffi- 
„Zier, war der hingebende Kampf für König und Vaterland eine 
Selbſtverſtändlic<hkeit. Seine KönigS3treue iſt ganz naiv, herzlich, 
ohne Hintergedanken, ohne Rüdſichten auf Ehren oder Vorteile. 
Und mehr noh: in einem ſeiner berühmteſten Lieder „Wit 
Trommeln und Pfeifen“ klagt ein alter ſtelzfüßiger Kriegsveteran 
ergreifend, daß er nicht mehr gegen den Feind marſchieren könne: 
„Hinter Trommeln und Pfeifen ]telzte zu ſchwer 
mein Holzbein, o weh.“ 
Dies Gedicht iſt ganz aus des Dichters eigenſter Empfindung 
hervorgegangen. Zwar war er in den Feldzügen nicht gerade zum 
'Krüppel geic<oſſen, aber immer iſt er geweſen, was man einen 
Invaliden des Lebens nennen könnte. Er, der im Jahre 1844 in 
Riel geboren war, hat bis zu feinem Tode im Juli 1909 mit Geld- 
jorgen zu kämpfen gehabt. Die Schulden vertrieben ihn jogar aus 
Amt und Brot, und eine Zeit lang mußte er ſiG in Amerika jeinen 
Unterhalt durc< ſchwere Sandarbeit verdienen. 
Darunter litt der Dichter ſOwer. Und nun werden wir ver- 
' Ftehen, daß für ſolch ein Leben die beiden Kriegsjahre in der Tat 
den Höhepunkt bedeuteten. Zugleich eine Kämpfernatur und ein 
unbedenklicher Genießer des Daſein3, hat Liliencron damals im 
Jelde einmal im Leben das ſ<rankenloſe Gefühl der Kraft, des 
eigenen Wertes gehabt, gleich jenem Invaliden, von dem er ſingt. 
Darum ſc<ließt auch eines ſeiner friſcheſten Kampfgedichte: 
„Schwamm ich viele Jahre lang 
Steuerlos im Leben, 
Hat mir beut der ſc<arfe Gang 
Wink und Ziel gegeben.“ 
6 TR 
 

	        
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