318
Arbeiter- Jugend
zu entflammen.
„Saillefer“, an die Dichter der Greiheitskriege, an die „Mar eillaiſe“
Wianter, wenn wegen Ti38gang die Schiffahrt ſto>t, aber auc<
bäufig au3Sbleibt. Erwähnt mag no< werden, daß faſt alle Lotſen
Mitglieder der Deutſchen Geſellichaft zur Rettung Schiffbrüchiger
jind und als Jolche oft Gelegenheit haben, der See mit Boot und
Rakete ihr Opfer zu entreißen und jo ihrem Beruf eine neue ſc<öne
Seite abzugewinnen. 2
Ein Dicmtker des Krieges.
FA 3 ware ein vergebliches Bemühen, die Gedanken ablenken zu
15 + wollen von dem furchtbaren Weltdrama des Krieges, deſſen
=“ 32 itgenoſſen wir geworden ſind. Die Arbeiterjugend muß
vielmehr, wie überall fo auch jekt, ihre ganze geiſtige Kraft darauf
richten, zu einem vertieften Verſtändni38 vom Weſen dieſes gewal-
tigen Ereigniſſes zu gelangen. Das geſchieht gewiß in erſter Linie
durc< Beſchäftigung mit der wirtſchaftlichen und politiſchen Ge-
Ihichte der lezten Jahrzehnte; nur ſie kann uns die tieferen Ur-
faHen des furd<tbaren Infammenſtoßes der beiden Mächtegruppen
erklären.
Aber der Menſch iſt nicht nur erkennende8 Weſen, ſondern
gleichzeitig mit den Gräften de3 Verſtandes5 regen ſich, ſtärker oder
I<wächer, in ihm ſtet3 die Kräfte des Gemüt3 und der Phantaſie.
Dief e können die Arbeit des Kopfes beleben und befruchten, ſie
können aber au< die klare Erkenntnis der Welt hindern. Kein
Zweifel: ein Ereignis wie der Krieg bringt unſer Gemüt ſo ſtark in
Wallung, gibt unſerer Phantaſie ſo reichliche Nahrung, daß wir
Mühe baben, einen kühlen Kopf zu behalten.
Phantaſie und Gemüt -- an ſie wendet ſich, wie jede Kunſt,
auch die Poeſie, und beide Fähigkeiten muß der Dichter neben der
Gabe des Worte3 in hervorragendem Maße beſizen. Kein Wunder
daher, daß zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Krieg Gegen-
jtand der Dichtfunſt geweſen iſt, und daß umgekehrt die Dichter
verjucht haben, durch die Macht ihrer Rede die Herzen der Jhren
Wir erinnern an Uhland8 ſchöne Ballade
der franzöſiſchen Revolution.
Auch heute bemüht ſich ein ganzes Heer von Dichtern und
Dichterlingen für dieſen Krieg, den das deutſche Volk bi8 zum
lezten Augenblide abzuwenden verſucht hat und in dem zumal
unfere Arbeiterſchaft ein furchtbares Verhängnis für Europa ſieht,
Begeiſterung zu erzeugen.
Von ſolcher Tendenz ijt Detlev v. Qiliencron, den
die „Arbeiter-Jugend“ ſc<on fo häufig ihren Leſern vorgeführt hat,
ganz frei, wohl nicht zulegt gerade de3halb, weil er ſelbſt die Feld-
züge von 1866 und 1870/71 mitgemacht hat. Qilieneron kennt
die Dinge, von denen er ſpricht, und er iſt ein Meiſter des Wortes,
zu ſagen, wa3 er eſchaus hat. Dabei iſt er ein ehrlicher wahr-
haftiger Menſc< mit einem fühlenden Herzen. Dieſer Mann, ein
Zunker und Offizier,
vielen ſeiner
in den Bann ſeiner Darſtellung zu ziehen, daß wir die geſchilderten
Borgänge mitzuerleben glauben. So, wenn in der Novelle „Eine
Sommerſchlacht“ die Truppe auf den erſten 2 Toten ſtößt, zum crſten
Verale widerſfrebend ein reifende3 Kornfeld niedertritt, die erſten
Granaten über ſie hinwegſauſen. Der Dichter ſcheut fic) nicht,
Ddurc< ein „UM“ -- bum!" das Sauſen und Einſchlagen der
Geſchoſſe, dure< gruppenweiſe Wiederholung der Silbe „tak“
das Knattern de38 Gewehrfeuers8 nachzuahmen. Und dem Leier
jelbſt will der Atem ſtocken, wenn er lieſt:
| „Da trifft die erſte Kugel. Dicht neben mir ſinkt einer meiner
Füſiliere, mitten durc< die Bruſt geſchoſſen. J<h ſeh's vor mir:
das Gewehr entfällt ihm, ſein Mund öffnet ſich weit, es iſt wie ein
frächzender Ton, die Augen werden ganz groß, dann bricht ex, mit den
Händen greifend, zuſammen.“
Oft arbeitet Lilieneron durch da8 Mittel des Gegenſaßes,
wenn er, gleichfalls in diejer Novelle, den Kampf in einer Gazelle
toben läßt. Welch grauſiges Symbol vom Triumph des Kricg3-
gottes über den Gott der Liebe iſt doH das in Blut gebadete
Meuttergotte8bild und der Schütze auf der Kanzel!
Noch ſtaunen5werter faſt erſcheint die Kunſt des Dichters, im
Verſe, im Reim ſolc< unerhört realiſti Ie Schlachtbilder zu zeichnen.
Das Handgemenge, das im dem Gedicht „Krieg und Grieden“
(„Arbeiter-Jugend“ Nr. 18 d. I.) geſchildert wird, iſt dafür ein
großartiges Beiſpiel. In dieſem herrlichen Gedichte jchauen wir
tief in des Dichters Seele. Wie ſein Herz auc< emporglüht im
- Augenbli> de8 Kampfes, eIngeriſſen von dem Taumel de8 Ringen8
um Tod und Veben, ebenſo heiß empfindet er den Segen des
- heiligen Friedens. Ja, lauſcht man re<t aufmerkſam auf den Ton
ſeiner Kriegsnovellen und Kieder, ſo hört man überall eine Sehn-
facht nach Frieden, ein Suchen nach Menſchlichkeit mittlingen,
. N
eve
hat un3 in ſeinen „Krieg3novellen“ und.
| Leder den modernen Krieg gezeichnet, wie er iſt.
. Durch rückjichtsloſe Viedergabe der Wirklichkeit weiß er uns ſo
/
Weil dieſer Dichter den Frieden, die Natur, die Frauen, die
einfachen-Menſchen der Arbeit, den Genuß des Leben3 ſo über-alles
liebte, darum verſank er nie in rohe8 Lands8knecht8stum. Darum
konnte er auc< in dem ergreifenden Gedichte „Tod in Aehren“ den
ſterbenden Krieger zeigen, der in der Stunde des Tode3 ſein Dorf
im Arbeitsfrieden ſieht. Unbewußt hat da Liliencron wuchtigen
Proteſt gegen den Krieg erboben.
Die Sterbenden, die Toten, ſie ſpielen bei Liliencron eine
große Rolle. Er zeigt uns etwa einen Jäger (in der Novelle
„Unter flatternden Fahnen“), der mit den Worten: „Matter,
- Mutter =< daß Du bei mir biſt!“ in feinen Armen verendet.
Over es packt ihn in dem Gedicht „Unter den Linden“ die Er-
innerung an einen Kameraden, der an ſeiner Seite bei 'einem Er-
kundigung3gang auf einjamem ſ<neebededten Felde fiel:
„Da3 rote Blut auf dem weißen Schnee
Sticht trojtlojer ab als im grünen Klee.“
Aus Einzelerlebniſſen fett ſi da8 Maſſenſ<ickfal zuſammen.
Aber das iſt doc<+ mehr als8 bloße Addition: mit der Zahl ſteigert --
ſich der furchtbare Geſamteindru> de8 Leide8. In der Novelle
„Umzingelt“ iſt die Schilderung eines Leichenfeldes von ſchier
unerträglicher Eindringlichkeit und unbarmbherzigſter Wirklichkeit3-
malerei:
„Und ich ſchreite durch den Garten des Todes . Hier greift
jich einer ans Herz, dort ſtret einer die Arme vor; der hat die
Finger gekrümmt, dieſer rubt platt auf dem Leibe. Die Geſichter ſind
verzerrt, ſelten wie ſchmerzlos ſchlafend. Die Wunden vurch Spreng-
jtüde der Granaten ſind die furc<htbarſten: Beine und Arme ſind oft
weggeriſſen, Bruſt und Gingeweide ſtehen offen.“
Und über dieſen verſtümmelten Menſc<enleibern ſieht der
Dichter kleine weiße Sqhmetterlinge gaukeln, die ſich zuweilen auf
das rote Blut miederlaſſen. .
- Indes, wer klagt nicht um ſeine Kameraden, wer empfindet
nicht das Grauen de3 Tode8?2 - Mehr noch ehrt den Dichter ſein
Mtitgefühl mit der friedlichen Bevölkerung im Feindes8land. So
retten einmal wackere Soldaten auf ſeinen Befehl mitten im
mörderiſ<en Kampf eine Wöchnerin us einem brennenden
Schloſje. Und ein andermal zeigt uns der Dichter die grauſige
Verheerung einer einjamen Heidehütte: nur der hundertjährige
blödſinnige Greis als8 einzig Lebender zwiſchen den Trümmern
humpelnd. „Von fern herüber tönte Siegesgeſang .
Dieſe Proben müſſen genügen, um einen Begriff von Lilien-
cron3 künſtleriſcher Kraft und menſchlicher Größe zu geben.
Wie aber kam e3, daß ein rolcer Dichter, von dem man mit
Recht geſagt hat, ſeine Kriegspoeſie gehöre „in die Büchereien der
Friedensfreunde, doch den Krieg ſo liebt? Denn daß er ihn liebt,
troß aller ſeiner Schreden, verrät er uns immer wieder. Dieſe
Frage führt un38 zur Weltanic<hauung des Dichter3.
Vergleichen wir Liliencron etwa mit den Dichtern des Frei-
heitsfrieges, ſo ſpringt eins ſofort in die Augen: Kiliencron gibt
nur Bilder de38 Krieges, er ſchildert den Krieg, wie er iſt. Er
fragt nicht nac<ß dem Recht ſeines Lande3, nach dem Zwe des
Krieges, er gibt und nur ſeine Erlebniſſe in dichteriſcher Form.
Das kommt daher: Der Freiherr Detlev von Liliencron hat
ſic; nie viel um Politik gekümmert. . Jhm, dem Junker, dem DOffi-
„Zier, war der hingebende Kampf für König und Vaterland eine
Selbſtverſtändlic<hkeit. Seine KönigS3treue iſt ganz naiv, herzlich,
ohne Hintergedanken, ohne Rüdſichten auf Ehren oder Vorteile.
Und mehr noh: in einem ſeiner berühmteſten Lieder „Wit
Trommeln und Pfeifen“ klagt ein alter ſtelzfüßiger Kriegsveteran
ergreifend, daß er nicht mehr gegen den Feind marſchieren könne:
„Hinter Trommeln und Pfeifen ]telzte zu ſchwer
mein Holzbein, o weh.“
Dies Gedicht iſt ganz aus des Dichters eigenſter Empfindung
hervorgegangen. Zwar war er in den Feldzügen nicht gerade zum
'Krüppel geic<oſſen, aber immer iſt er geweſen, was man einen
Invaliden des Lebens nennen könnte. Er, der im Jahre 1844 in
Riel geboren war, hat bis zu feinem Tode im Juli 1909 mit Geld-
jorgen zu kämpfen gehabt. Die Schulden vertrieben ihn jogar aus
Amt und Brot, und eine Zeit lang mußte er ſiG in Amerika jeinen
Unterhalt durc< ſchwere Sandarbeit verdienen.
Darunter litt der Dichter ſOwer. Und nun werden wir ver-
' Ftehen, daß für ſolch ein Leben die beiden Kriegsjahre in der Tat
den Höhepunkt bedeuteten. Zugleich eine Kämpfernatur und ein
unbedenklicher Genießer des Daſein3, hat Liliencron damals im
Jelde einmal im Leben das ſ<rankenloſe Gefühl der Kraft, des
eigenen Wertes gehabt, gleich jenem Invaliden, von dem er ſingt.
Darum ſc<ließt auch eines ſeiner friſcheſten Kampfgedichte:
„Schwamm ich viele Jahre lang
Steuerlos im Leben,
Hat mir beut der ſc<arfe Gang
Wink und Ziel gegeben.“
6 TR