Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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ſchlafen, um. wenigſtens eine Seite immer etwa38 anzuiwärmen. Den 
nächſten Morgen wurde uns das8 Aufſtehen immer ſ<wer, be- 
ſonder3 ich litt an fürchterlichen Schwindelanfällen. 
(F5 war Dienstag gegen Abend, von ferne drang Kanonen- 
donner herüber, und al3 wir wieder von einem Baume Ausſchau 
hielten, begriffen wir, daß unjere Truppen ſiegten. OD Mutter, 
unſere dcntbare Seligkeit! Wie ſtiegen da unſere Hoffnungen! 
Troßdem konnten wir nicht aus unſerem BVerſte>, denn in un=- 
mittelbarer Nähe ſtanden franzöſiſche Vorpoſten, und in dem etwa 
200 Meter entfernten Dorf biwakierten zwei Schwadronen der 
feindlichen Kavallerie, die aber im Laufe der Nacht durc< unſere 
Artillerie zum Rüczuge gezwungen wurden. 
Den letzten Reſt unſerer koſtbaren Rübe hatten wir mittags 
veBiehrt und infolge des brennenden Durſtes aus den Pfüßen ge 
trunfen. Doch bekamen wir dabei mehr Erde als Waſſer in den 
Mund. Die folgende Nacht war das Furchtbarſte von allem. Wir 
hatten beide Fieber, ich litt an allen möglichen Wahnvorſtellungen. 
Am Morgen konnten wir uns kaum mehr auf den Beinen halten, 
dazu flagte v. K. über heftige Schmerzen- im linken Knie. VWVtit 
meiner lezten Willens8kraft kam i< aber doch noc< auf einen 
Baum, ſah jedoch nichts. Da plößklich hörte ich in meiner unmittel 
baren Nähe die guten, echtdeutſichen Worte: 
du dummes Luder!“ Wie elektriſiert ſtarrten wir un3 an. (E3 war 
kein Zweifel, wir hatten beide das gleiche gehört. Wohl nie hat 
midy dieſe bei unſerem Militär ſo belicbte RedenZart ſo geradezu 
„berauſcht“. I<h kam ſehr ſchnell von meinem Baum herunter. 
Vorſichtig gingen wir dem Laut der Stimmen nach und kamen al8= 
bald an eine Chauſſee, auf der eine Fernpatrouille marſchierte. 
Sofort winkten wir mit unſeren inzwiſchen feldarau gewordenen 
Taſchentüchern und riefen: „Nicht ſchießen!“ Denn 1in unjerem 
zerfehten und heruntergefommenen Zuſtand hätten unſere Ka-' 
meraden un38 für alle3 mögliche halten können. Der Zwiebac> und 
der Schlu Wein aus der Feldflaſche, den wir dann bekamen, 
ichmedte un3 beſſer al8 die größte Delikateſſe. 
Richtung unſerer Truppen erfahren batten, mußten wir allein auf 
Der Chaulſee ungeſchüßt noch 34 Stunden uns ſchleppen. . 
Wie wir hingekommen ſind, "weiß ich fammn mehr, jedenfalls 
wurden wir aber von den Unſerigen mit Jubel begrüßt und be- 
glückwünfſcht. Unſer Abteilungsführer rief immer wieder: „I< 
hatte ja doch die Heffnung, cuch wiederzuſehen, nicht aufgegeben, 
ich fenne doch meine Jungens!“ Dann war es rührend, wie alle 
Leute ſich überboten, uns etwas Gutes zu tun. Der eine brachte 
eine geröſtete Kartoffel, der andere ein Ei, und ein guter Land- 
wehrmann brachte mir ſeine lekßte 3igarette. Dann aßen wir 
Jleiſch, Kommißbrot, alles, wa38 wir ſahen. Da3 war leichtinnig, 
iroßdem befam c3 uns aber immer noch verhältnismäßig gut. 
Schließlich pate uns der Abteilungsführer in ein Auto und beim 
Abſchied ſagte er un38 dann: „Und nun bleibt ihr einige Tage in 
T., ſchlaft euc< aus, erholt euch und dann kommt mir bald geſund 
mit einem neuen Apparat zurück!“ 
Nun find wir ſeit geſtern hier. 
Fuügeln aus dem Knie geſchnitten worden, das ſtark eiterte. 
geht es un3 aber gut bis auf arge Schlafloſigkeit infolge der etwa3 
Überreizten Nerven, und jo hoffe ich, in den nächſten Tagen wieder 
wohlauf zu ſein und gebe dir dann weitere NX cachrichten, Ciaſtweilen 
aber grüße ich dic) und alle daheim ſehr innig. Dein Junge . 
Der Stolz des Adlers. 
Eine Fabel. 
M cn Adler hatte ein heftiger Sturm gezivungen, in der Felſenſpalte 
9 Schuß zu ſuchen, wo bereits eine Anzahl Tiere verſammelt waren. 
“wz Da er ihnen fremd war, drückte er fich beſcheiden und ſtumm in 
eine E>e. Nicht weit von ihm ſaß die Taube. Da der Adler den Gotte3frieden 
gemeinſamer Not reſpektierte, brauchte ſie ihn nicht zu fürchten. „Seht 
dc<,“ begann ſie lachenb, „wie fieinlaut der ſtarke Mann heute iſt! 
IZ<4 finde e3 überhaupt unmoraliſch, daß ein Tier ſo viel höher hinaus 
„will als die anderen. JH 3. B. begnüge mich mit den Körnern im 
Weizenfelde, bin harmlos und iue feinem was zuleide. Harmloſigkeit 
iſt die wahre Tugend.“ 
„Du wirſt glatt und feiſt dabei,“ ziſchte bo3haft die Otter. Aber 
der Bauer holt Deine Jungen und verkauft ſie auf den Markt. Die 
reichen Leute verſpeiſen ſie. Nein, mit Deiner Harmloſigkeit bleib mir 
vom Leibe. Nur der Kluge iſt Meiſter. I<. lege mich auf die Lauer 
und töte den Bauern, der Dich ſc<lachtet. Meinen Giftzahn fürchten 
alle Tiere. Nur der Adler niſtet mir zu hoch. Jett könnte ich ihn 
treffen, wenn ich wollte.“ -- Die Schlange rollte ſich zufammen und 
veirachtete den Adler mit böſem Bli. 
v. K. ſind heute zwei Schrot- 
 
" „und gloßte ihn groß an. 
- fallen. Haſt Du je gehört, daß eine Kröte fich zU Z 
Geſelichaft. 
„Scher dich doh ran, 
Über dem Abgrund, aber der Vdler fämpfte fich empor. 
Nachdem wir die 
Sonſt 
"prüfungskommiſſſon. 
Arbeiter-JIugend | 
„Kroarx, kroar,“ jagte - die Kröti& hopite breitſpurig . vor den Adler 
Wer hübſch unten bleibt, kann nicht: weit 
Tode fiel? - Jh fühle 
mich am iwohljiten im Sumpf. Man lebt dort geborgen und in großer 
Kroaxp, froax“ =- und die Kröte hopfte ſchwerfällig weiter. 
„Wit, wit!“ pfiff die Mau28.. „Gin voller Kaſten iſt das beſte. Von 
altem Käſe und ſchimmeligem Brot wird man auch fatt. Die Hauptſache 
iſt: man hat genug davon. Ich bin ein zufriedenes Mäuslein. Wit, 
wit!“ 
„STuhu!“ rief die Gule und ſah ſich blingelnd um. „Ich bin der 
Vogel der Weisheit. IJc< bin mehr als ihr alle. 'Ih fliege wie der 
Adler und lebe wie er vom Raube. Aber ich bin kein törichter Himmel- 
ſtürmer. Jch erjtrebe immer nur das Mögliche. Die Sonne blendet da3 
Auge, darum warte ich ſtets auf die Dämmerung. I< jage auch nicht 
auf Lajen und Nebe, Jondern begnüge mich mit einem Ueinen Mäus- 
lein.“ Die Gule betonte das letzte Wort abſichtlich. ſcharf und fah mit 
Genugtuung, wie die MauS8 an allen Gliedern ZU zittern anfing. „Haſt 
Du Angſt, Kleine?“ fragte ſie hämiſch. 
Der Adler hatte biSher geduldig zugehört. Nun ſdüttelte er ſein 
Gefieder, und die Tiere verſtummten. „GEkle8 Gewürm,“ begann er. 
„Weil Jhr meinen Höhenflug nicht begreift, prahlt Ihr mit Gurem Un- 
vermögen! Und die Siurkferen unter Guch haben ihre Freude daran, die 
Schwächeren zu quälen und zu ängſtigen. 'Einig ſeid Jhr nur, wenn 
es mich zu ſc<wächen gilt. -- Ihr 'habt mich geſchmäht, weil ich mich in 
Gure Geſellichaft begab und Euer ſc<onte. Wohlan! Ic<h will den 
Tehler wieder gut machen. Aber nicht mit Eurem Blute will icß mich 
beſudeln. Ich fühle tief, der Boden ſc<ändet den Adler, auf dem Ihr 
Cuc<h wohl fühlt. Wir ziemt, dem Sturme draußen Troß zu bieten. . .“ 
iSprach'3 und re>te die mächtigen Flügel. Das Unwetter heulte 
Endlich war er 
Über den Wolfen. Die Luft war dort rein und ſonnig. Majeſtätiſch 
freiſte der fühne Vogel im ſtrahlenden Blau und die Sonne vergoldete 
jein naſſes Gefieder. -- Und hier, weit über Wolten und Siurm, fand 
er auc<h einen Feljengipfel, auf dem er ausruhen konnte in königlicher 
 
 
Einjamleit. Edwin Hoernle. 
[afp 1 0“ = .' : 1 [ate | 1 
-..|| Fremdwörter und Fachausdrü>e 1iies 
[762 ] 'IL762 ) 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Bac (Schiffer) 'prache), erhöhter Aufbau des Vorderſchiſſes. 
B5 oder Böe (S Schifferſprache), heftiger Winditoß von kurzer Dauer. 
Bug (Schifferſprache), Schi ffsvorderteil. 
Chauſſee (franz., ſprich: Ic<ofſee, Ton auf der Gndſilbe), Landytraße. 
Dialekt (griech., Ton auf der Sndſilbe), Mundart. 
Fallreep (Schifferſprache), die Taue, die an beiden Seiten der S><iffs- 
treppe zum Anhalten bei dex Benußung dcr Trepp& herabhängen. 
Fourage (ſranz., ſprich: furahſch), Futter, Lebensmittel. 
Haff (Schiffer vrache) , durc< eine Landzunge abgetrennter Teil 023 
Meeres. 
Hek (Schiſferiprache), der hinterjte Teil des Schiffs. 
Jargon (franz., 1prich. etwa: j<argong, Ton auf dex Endſilbe), 
ee: 
Koje (Schiffer] prache), Schlafraum im Schiff. 
Lee (Schifteriprame), die vom Wind abgewandte 'Seite des Schiffs. 
Legion (lat.), römiſcher Heeresteil; große Menge, Fülle. 
Martis (lat.), zweiter Fall von Ma Lx 5 (Kriegsgott) ; Martis Söhne alſo: 
des Mars Söhne. 
Navigation (lat.), Schiffahrt. 
Patent (lat.), urkundliche Grlaubnis zur Verwertung einer Erfindung 
oder zur Ausübung einer Fertigkeit: 
Reeder (Schifferſprache), Eigentümer eine8 Schiff8; Unternehmer, der 
Schiffe ausrüjtet und befrachtet. 
Requirieren (lat.), Beſchlagnahme zu Kriegszweden. 
Sconer (engl.), langes, ſchmales, meiſt zweimaſtiges Schiff. 
Skrupel (lat.), "a Bedenken. 
Steven (Schifferſprache), die aufrechtſtehenden hölzernen oder eiſernen 
Balken, die vorn und hinten iden Schiffsrumpf begrenzen. 
Steward (engl., ſprich: ſtjuard), Aufwärter auf Schiffen. 
Topp (engl.), Mat tſpiße. 
Train (ſranz., fprid; eiwa: träng), W 
Turnus (lat.), Reihenfolge. 
Vertikal (lat.) , Tcheitelrecht, lotrecht. 
Watt [Schiffer] iprache), ſeichts Stelle an der Küſte, die bei der Ebbe bloß- 
gelegt ird. 
Mundatt, 
agenzUug, Troß. 
 
SQCOEDEOEDODOEOLCQLEOEEODOCOOCOIOEOCOQCROOCGCOOoEECONIOoEnNRNOoOnnICOCONnIanndo 
Inhalt von Nr. 23: Die Arbeiterſchußgeſekgebung und der Krieg. Der 
Kampf um den Schuß der Arbeiterjugend. Von G. Hoch. --- Die Lehrling8- 
Von Th. Th. -- Ludwig Franks Jugendwerk. - Von Max 
Peters. -- Verſtummte Fabriken. Von Maz Barthel. =- Der Lotſe (Mit Ab- 
bildungen). -- Ein Dichter des Krieges. Von Friß Elsner. -- Fliegerabenteuer. -- 
Der Stolz des Adlers. Eine Fabel. -- Fremdwörter und Fachausdrücke. 
 
 
Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn, -- Verlag: Ir. Ebert (Zontralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). = - Drut: Vorwärt8 Buchdruerei u. Berlags« 
anſtalt Varl Singer & Co. 
Sämtlich in Berlin,
	        
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