eint alle 14 Tage.
Eingetragen in die Poſt- Zeitungsliſte,
Nr. 24
Worte eines deutſchen Landwehrmannes
an ſeinen Sohn.
. Mein lieber Junge! |
- Die Schlacht iſt vorbei. Die Ruſſen ſind, ſoweit ic< da3 zu
Überſehen vermag, gänzlich geſchlagen. Nach den furchtbaren Sr-
eigniſſen der lezten Tage ſind uns -- hoffentlich! = nun einige
Stunden der Ruhe vergönnt; und die will ich dazu benußen, Dir
zu ſc<reiben. Wer weiß, vielleicht iſt es das leztemal, und ic<
denfe, meine Worte werden darum um ſo eindringlicher zu Dir
reden. | un
Geſtern nachmittag lagen wir noch im Schüßengraben dem
Feinde gegenüber. Unſer Graben zog ſiß am Rande eines Föhren-
walde3 entlang; vor un8 dehnte ſic< die braune Heide. Hinter
einer wellenförmigen Erhebung, kaum 8300 Meter vor uns, hatten
ſich die Ruſſen eingegraben. Wir ſahen nicht8 von ihnen; nur das
Erdreich, das ſie ausgeworfen hatten, 30g ſic< wie ein helles Band
dur< die dunkle Landſchaft. Wenn ſich irgendwo etwas zu rühren
ſchien, krachten hüben wie drüben vereinzelte Schüſſe. Wir
warteten ſehnlichſt auf da8 Erſcheinen unſerer Artillerie.
Wie ich ſo da lag, ſchweiften meine Gedanken zurück zu Cuch.
Wie manches liebe Mal bin ih mit Dir in friedlicher Zeit über
die Heide gewandert; wie manches liebe Mal haben wir uns nach
langer Wanderung in brauner Heide acelagert, haben ihren tiefen
Frieden, ihre verborgene Schönheit auf uns wirken laſſen. Wie
manches liebe Mal haben wir in fol<hen Stunden vertraut geredet
über das, was Dich am meiſten bewegte: über Deine Bejtrebungen
im Kreiſe Deiner Kameraden und Kameradinnen. Und wie ging
Dir da da38 Herz auf, wenn wir von der Zukunft ſprachen, von der
Zukunft, in der Eure Wünſche der Erfüllung entgegenreifen follen!
Sieh, mein Junge, und dieſe Erinnerung iſt es, die mir in
dieſer ſchifal8ſ<weren Stunde die Feder in die Hand gibt. I<
kenne Dich zwar gut genug, um zu wiſſen, daß Du, mag es
'nun kommen wie e8 will, das hohe unverrüc>bare Ziel nicht aus
dem Auge verlieren wirſt. Aber es iſt nicht genug, daß Du ſelbſt
zur Stange hältſt, Du mußt auch auf Deine Kameraden eimwirken,
daß ſie zuſammenbleiben zu gemeinſamer Arbeit. Wa38 Euch ſc<on
in Frieden3zeiten eindringlich geraten wurde, das iſt jeßt doppelt
notwendig: Schließt Euch zuſammen zu unlöSbarer Gemeinſchaft!
Jett, da der Sturm de3 Krieges über die Länder brauſt, iſt der
einzelne hilfloſer denn je. Wie oft habe ich En< geſagt, daß Ihr
unſere Hoffnung ſeid; daß Jhr, wenn uns Alten dereinſt das
Schwert entſinkt, e8 mit feſter Hand aufnehmen müßt; daß Jr,
dereinſt das geiſtige Erbteil der Arbeiterklaſſe antreten ſollt.
Darum ſage i<ß: Jhr ſeid unſere Hoffnung. Das wäre das Troſt-
lofeſte an dieſem fur<htbaren Kriege, wenn er die Hoffnung auf eine
beſſerg Zukunft unſerer Sache zertrinmmerte.
niemal38 fommen. Niemals!
Du entgegneſt mir vielleicht, daß ces jezt ſchwerer als je ſei,
die Kräfte zu gewinnen, die Ench ſonſt bereitwillig zur Verfügung
ſianden. Das glaube ich ohne weiteres. Aber das ſage ich Dir:
Schwerer als bei uns kann es damit bei Cuch auch nicht ſein. E3
kommt vor, daß eine Kompagnie während der Schlacht ihre ſämt-
lichen Offiziere und Unteroffiziere verliert. Dann weiſt e3 ſich
aus, wer Kopf und Herz auf dem rechten Fie> hat, und mancher
I<lichte Soldat hat ſich in ſol<hen Stunden höchſter Gefahr das
Vertrauen und die Liebe ſeiner Kameraden erworben. Sollten
nicht auc; in Euren Reihen Genoſſen oder Genoſſinnen ſein, die
reis der Einzel- Nummer i0 ig. | 2 4440 4 S G. m. b. H.,
NAbonnement vierteljährlich 50 Pfemnto. | Berlin, 21. November ] förkten für vie 8evattion find
Dahin darf es.
Expedition: Buchhandlung Vorwärts, Paul |
Lindenſtraße 3. Alle Zu- |
zu richten |
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68 |
1914
während de38 Kriege3 in die Breſche ſpringen können? I< zweifle
keinen Augenbli> daran. Falſche Scheu hält ſie vielleicht zurüs,
hervorzutreten. Die muß überwunden werden. Nur erſt be-
ginnen, das weitere findet ſich; „es wächſt der Menſc< mit ſeinen
höhern Zweden“. Zudem, wenn alle eines Sinnes jind, dann iſt
Die größte Schwierigkeit ſhon überwunden. Wir haben hier in
unſerer Korporalichaft einen Hamburger; er iſt ſicher der Juüngite
unter un3, und doc< haben wir unbedingtes Vertrauen zu ihm.
Warum? Dieſer ſtet3 muntere Burſche beſißt eine fabelhafte
Geſchilichfeit in der SHerſiellung höchſt willfommener Veahlzeiten
aus -- beinahe hätte ich geſagt: nichts. Wenn wir müde und auU3-
gehungert in3 Quartier fommen und alles int leer, dann dauert
e3 feine Viertelſtunde, ſo hat der Teufelskerl einen Keſſel auf dem
Feuer mit allerlei Shmackhaftem. Woher er das immer mimmt,
das weiß ſicher nur er allein. Und wenn wir dann begierig unferen
Napf auslöffeln, dann lacht ſein ganzes Geſicht. Cin Prachikerl,
jag iM Dir; in der ganzen Kompagme iſt er beliebt und wir,
jeine engeren Kameraden, gehen für ihn durc<s Feuer. Seines
Zeichen38 iſt er Schuſter und hat kaum jemals vorher Gelegen-
beit gehabt, als Koch für eine größere Geſellichaft zu wirken. --
Und darum ſage ic: Faßt nur das Werk beherzt an, es wird
ſchon geben. Wer fich immer nur auf andere verläßt, der wird
häufig genug verlaſſen jein. Und ſc<ließli<? iit es doD auFg Cure
eigene Sache, für die Ihr arbeitet.
Da3 beſte iſt, Du machſt gleich den Anfang und geöſt bei
Eurer nächſten Zuſammenkunft mit gutem Beiſpiele voran. Und
wenn die anderen dann noch zaghaft bleiben, dann lies ihnen dieſen
Brief vor; vielleicht hilft er, das Bewußtſein ihrer Verantwortiic-
Feit zu feſtigen. .
Erinnerſt Du Dich meiner Worte, die ich zu Dir ſprach auf
unſerer lezten Wanderung im Juli? Es war ein heißer Tag, und
wir raſteten unter einer großen Buche. Nachdem wir ſeit einiger
Zeit über die Freiheit des Menſchen und ähnliche Dinge geſprochen
hatten, wurdeſt Du ungeduldig und fragteſt mich, was das fei, dit
Jreiheit des Menſchen. Ob das nur eine ſIchöne RedenSart el,
oder ob man ſich etwas Beſtimmtes darunter vorſtellen könne?
I< empfinde noh heute die Freude von damals im mir über Deine
Jrage; denn ſie war und iſt mir ein Beweis, daß Du nach Klarheit
über Weg und Ziel zu ſtreben beginnſt. I< jagte Dir damals,
daß Deine Jrage für uns Arbeiter ſchr einfac zu beantworten jet;
für uns bedeutet Freiheit zunächſt wirtſchaftliche Befreiung, und
wir haben un38 ſehr eingehend darüber unterhalten. Heute will
ich noch dieſes hinzufügen: der Rieſenkampf um die Befreiung der
arbeitenden Menſchheit wird niemals zum Ziele führen, wenn nur
einige wenige, nur die „Führer“ ſich dafür einfeßen. Nein, diefer
Kampf geht uns alle an; auch Dich und mich! Jeder einzelne
hat die Pfli<ht, mitzukämpfen, wenn er nicht zum Feigling umd,
was ſ<limmer iſt, zum Verräter an ſeiner Klaſſe werden will.
„Nur der verdient fich Freiheit wie das Leben,
der tuglich ſie erobern muß.“
Und darum iſt e8 Eure heilige Pflicht, Euch das geiſtige Rüſt-
zeug zu beſchaffen, damit Jhr in dem bevorſtehenden Kampfe mit
Ehren beſtehen könnt. Das geiſtige Rüſtzeug; denn Euer
Kampf wird ein Kampf mit geiſtigen Waffen ſein. |
Da3 heißt nicht3 andere38, als daß Ihr unabläſſig beſtrebt ſein
müßt, an Eurer geiſtigen Weiterbildung zu arbeiten; unabläſſig,
als gäbe es kein Fertigwerden. Wie das im einzelnen durc< Vor-
träge; Lektüre, Ausſprache u. a. m. erſtrebt werden kann, das