Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

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haben wir zu häufig miteinander beiprochen, als daß ich nötig 
hatte, darauf heute näher einzugeben. 
Dieſer Brief iſt weiter nicht3, als die Bitte eines Menſchen, 
„der Fuch jo gerne, fo gerne bei Eurer ſchweren Arbeit helfen möchte 
in einer Sei in der leider mancher geneigt iſt, die Flinte in3 orn 
ZU werfen, Wenn Ihr zuſammenhaitet, werdet Jhr die Fot dieſe 
ſchweren Zeit überſtehen; aber auch nur dann. 
Wie habe ich mich immer gefreut, wenn incine vielen Pflichten 
mir erlaubten, einen Abend in Eurer Mitte im Jugendheim zu 
verbringen. Dann habe ich in mir eine zuverſichiliche Stimme 
vernommen: Merk auf! Da wächſt ein Geſchlecht heran, das wird 
dereinſt vollenden, was die Väter begonnen haben. Wein lieber, 
tapferer Junge, laß dieſe Stimme recht behalten! -- 
Soeben bringt uns der Adjutant den Befehl zu unverzüglichem 
Aufbruch. Veit dem Ausruhen iſt es darum nichts. Alſo noch 
einmal, mein Junge: Saltet treu zur Fahne wie wir! - 
AZ Dein treucr Vater. 
Die alitiiche Komödie und Ariſiophanes. 
“7 die Athener waren ein (eicht bewegtes und heiteres Völk<en. 
) 7 Scherz und Satire ſprang von aller Lippen, und e8 wäre 
<= ihnen unerträglich geweſen, einen Tag ohne Wiß, ohne 
politiſche Stichelei zubringen zu mütiſen. Wieviel weniger hätten 
fie Feſte feiern können, ohne dem attiſchen Salz ihres Geiſte8, das 
beißt ihrer boShaften Spaßhbaftigkeit, Verwendung oder Betät1- 
gung zu verſ<affen! Nun waren aber doch alle dramatiſchen Feſt- 
aufführungen der Hellenen und ſpeziell der Athener Feſtauffüh- 
rungen. Nur in den heiligen Zeiten, an den Feſten des Diony10o38, 
wurden für das Volk der Athener ſolche Vorſtellungen gegeben. 
Wohlbegreiflich iſt e8 alfo, daß zu dieſen Feſten nicht nur die 
ſI<werg, ernſte Tragödie, jondern auch das Luſtjpiel, die lachende 
und Jpöttelnde, immer aber politiſch gewürzte Komödie zu 
Worte kam. 
Die Kulturanſ<auungen jener Zeit waren andere al38 die 
unſerer Zeit. 
war grundverſchieden von dem, was man in neuerer und neuer 
Zeit, ſich entfernend von der einfachen und wahren Linie kün1t- 
foriiher Unbefangenbheit, als Geſe3 aufgeſtellt hat. Im Diony1o8- 
Theater der Stadtbürger von Athen am Südabhange der Afropol13 
wurde mit Unverblümtbeiten in bezug auf das politiſche Getriebe 
wie auc< auf da3 private Leben der einzelnen nicht geſpart, und 
auc< die ſc<härfſte und unzweideutigſte Satire wurde von dem 
BVöltchen der Aitifer geichaßt, gewürdigt, beklaticht. Wenn ſie nur 
traf! Danach iſt e3 ſchon verſtändlich, daß gerade die Komödie von 
Der Oypvofitio n als eine beliebte und zwedmäßige Waffe 
gebraucht wurde, ja, daß der Komödiendichter geradezu oppoſitionell 
jein mußte, um mit feinem Werk den ſatiriſchen Erfolg zu erzielen, 
der die Gigentümlicheit der attiſchen Komödie ausmacht. Die 
Oppoſition in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhundert3 war in 
Athen aber konſervativ. 
 
Was an Spott und Offenherzigkeit für erlaubt galt, 
Arbeiter- Jugend 
Bie politiſ<e und kulturelle Lage war eine ganz eigenartige. 
In unglaublich raſcher Entwikelung ward beſonder38 durc< Perikles 
die demokratiſche Verfa ſung de3-ileinen Stadtſtaates, der in ſeinen 
wiſ fenſchaftlichen und künſtleriſchen Errungenſchaften den Keim zu 
nabezu aller geiſtigen Betätigung der abendländiſchen und neuwu- 
zeitlichen Kultur gegeben hat, zu ihrer höchiten Entfaltung ent- 
widelt. In der Raſc<hheit die? er Entwidelung war jie an ihrem 
Höhepunkt vorüber geſchnellt und eigentlich auf einen abſteigenden 
Aſt der Kurve ihrer Laufbahn geraten. Abgeſehen davon nämlich, 
daß ja auc die demokratiſche Jepublif der Athener im Zeitalter 
ihrer Blüte mt ihren Rechten nur einen verhäliniSmäßig ge- 
ringen Bruchteil der Bevölferung umfaßte =- waren die Sklaven 
doh von allen Bürgerrechten a1i8geſchaltet und juriſtiſch nicht als 
Perſonen, ſondern als Sachen gewertet --, fo war doch die wirt- 
ſchaftliche Grundlage de38 Staates vernachläfſ jigt worden. Die 
gefellichaftlichen Abſichten der demokratiſchen Athener richteten 
ſich faſt ausſ<licßlich auf die PBolitik. Die werteſchaffende 
Arbeit war nicht nur dem antiken Römer, ſondern noh mehr 
dem vom Orient zeeinſlußtlen Griechen etwas Entehrendes, und 
e3 gab philojophiſd je und äſthetiſche Beweisführungen, welche die 
Arbeit als etwas hes freien Bürger3 Unwürdiges hinſtellten. 
Der Athener war nur zu fehr geneigt, ſein Leben ausſchließlich 
politiſchen Streitigkeiten oder aber NRecht3händeln zu widmen, 
obne jelbit irgendwie wirtſchafilihe Werte zu ſchaffen. Schon 
Perikles hatte dieſer Neigung mehr EGinräumungen macen 
müßten, al8 e8 der geſunden Entwickelung der demokratiſchen 
Republif förderlich war. Der Durchſchnitisbürger Athen3 ver- 
brachte ſeine Zeit viel lieber mit Sitzungen in den Schöffen- 
gerichten, die in gewöhnlichen Gallen mit 501 Richtern beſetzt 
waren, oder aber mit privaten und ſtaatlichen Rechtshändeln. 
al38 daß er jein Brot mit ſeiner Hände Arbeit zu verdienen ver- 
jucht batte. 
Da Athen ſeit den Perſerkriegen ein Handelsſtaat war und 
angefangen hatte, ein Seeſtaat zu werden, ſo iſt es verſtändlich, 
daß dieſe rein politiſche Demokratie faufmänniſ d) fapitaliſtiſchein 
Veſtrebungen keinerlei Hinderniſſe entgegenfeßte. C3 aab ganz 
Arme und ganz Reiche, wie jener Hipponiko3, der imſtande war, 
aus eigenen privaten Vaitteln zehn Kriegs8ſhiffe auszurüſien, und 
man kann ſagen, daß aerade die Blütezeit der atheniſchen Demo- 
fratie troß aller ſonſtigen ſympathiſchen Eigen <Haften zugleich 
denno< der Anfang der kapitaliſtiſchen Entwickelung im attiſchen 
Staate war. Nun hatte die großs Mengc der Armen ja aller- 
dina3 die volitiſche Macht in Händen, ſolange ſie ſich, hablos8 1mnd 
träge, wie fie zum größten Teil war, dieſe nicht von den Be- 
ſißenden abkaufen oder do) wenigſtens beeinfluſſen ließ. Cs iſt 
eine hiſtoriſche Tatjache, aß im vierten Jahrhundert in eineni 
Prozeß der Ankläger ſagen durfte, er halte zwar den Angeklagten 
nic<t unbedingt für ſchuldia, aber er fordere die Geſchworenen 
denno<ß auf, ihn zu einer Geldſtrafe zu verurteilen, da er wiſſe, 
daß die Staatskaſſe leer ſei und die Gebühren der Schöffen mit- 
hin nur aus dem Strafgeld des Angeklagten bezahlt werden 
konnten. Wir haben hiſtoriſche Beiſpiele, daß die Geſchworenen 
ſjolc<en Anregungen wirklich nachkamen. 
 
 
Die Lehrlingsprüfungsfommiſſion. 
Erlebtes und Erlauſchtes von Th. Th., Frankfurt a. M. (Sc<luß.) 
S-D lume fuhr fort: „Sehen Sie ſich doch die Pfuſcherei an. Möchten 
8“ Sie ſolche Arbeiten geliefert haben? DaS iſt eine geradezu ſträf- 
D- lich leichtjinnige Lehrling3ausbildung, das iſt ein Verbrechen an 
einem Menſchen.“ 
„Jeder Junge eignet Nich auch nicht zu dem Handwerk, 
Sie nicht vergeſſen, Herr Blume.“ 
Der Obermeifter wurde ordentlich freundlich, - im Blume umzgu= 
ſtimmen, denn Meijter Poppert wollte er doh nicht ohne weiteres fallen 
laſſen. Aber Blume ließ ſich dur<aus nicht irre maßen, er meinte 
ärgerlich: 
„Gewiß eignet ſich nicht jeder. 
vier Wochen ſehen, 9b ſich jemand eignet. 
Jahre müßte man ſich darüber klar ſein. 
danac<? Wenn nur der Meiſter auf ſeine Recnung kommt, dann ift's 
iI<on gut.“ 
„Sie kommen immer gleich in3 Roltiti? “che, 
Obermeiſtex, und nach einer Pauſe fügte er hinzu: 
„Wenn Sie meinen, laſſen wir ihn einfach noch ein Jahr nadh= 
lernen!“ | 
„Ra und? Wer hat dann den Schaden? Dex arme Junge und 
ſeine Eltern, die do< ſicher ſchon auf die paar Groſchen warten, die er 
nun verdienen foll, nachdem er drei Jahre das Brot umſonſt gegeſſen 
 
das dürfen 
Aber das muß man in den erſten 
Veindeſten3s nach einem halben 
Blume,“ erwiderte dor 
Aber wer fragt denn heute. 
 
hat! Wir ſprechen, das iſt meine Meinung, den Jungen frei, machen 
es aber Poppert zur Pflicht, ihn no<h mindeiten3 ein Jahr tariſmäßig 
al3 Gefelle zu beſchäftigen und zu bezahlen. Dann wird er f<on La- 
hinter ſtehen und dafür ſorgen, daß er etwa3 lernt.“ . 
„Meinen Sie, daß das gehen wird?“ 
Jnzwiſchen waren die anderen Prüfung3mitgliederx hinzugefommen, 
darunter auch Meiſter Friedland und Pregel. 
„Da3 iſt voch ſo ſ<le<t nicht,“ miſchte ſich Pregel in3 Geſpräch. 
„G38 wird einem bloß ſchlecht,“ meinte ein anderes Mitglied der 
Kommiſſion. 
„Sco habe ſc<on böſere Arbeiten von „Geſellen aefehen,“ 
Pregel wieder, deſſen Geſicht puterrot wurde. 
„Sch weiß,“ ließ fich Blume hören, „das war bei dem lekten Streik, 
wo Sie ſich Rausreißer hatten kommen laſſen, deren Arbeiten wir vont“ 
wieder beruntergeriſſen haben.“ 
„Meine Herren!“ miſchte ſich der Ober in38 Geſpräch, „da3 «chört 
nicht hierher.“ 
„Dem Jungen fein Vater iſt Mitglied im riſilichen Holzarbeiter- 
verband, das erklärt Jhr Verhalten wohl zur Genüg2,“ ſagte Pregel 
zu Blume. 
„Da kann ich Jhnen nit zuſtimmen,“ unterbrach hier der DOber- 
meiſter den Prcgclſchen Redefluß. „Blume hat im Gegenteil torhin 
die Eltern in Schuß genommen. - Die Arbeit iſt in der Tat piinder- 
wertig, darüber wollen wir doch einig jeu.“ 
Mit einem wütenden Bli mußte ſi Pregel vorläufig als beſiegt 
erklären. 
Ichrie nun
	        
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