Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

 
 
Arbeiter- Jugend 
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hat Ariſtophanes in einem Sinngedicht da3 Zeugni3 auSgeſtellt, 
daß fich in ſeinem Hirn die Grazien ihre Wohnung bereitet hätten. 
Leider geht ja 1un38, die wir troß aller gelehrten Forſchungen nicht 
in der Lage ſind, jede Anſpielung, jede verſte>te BoS3heit in den 
wißig und oft kraus genug gebildeten Worten des Komodien- 
dichter8s zu verſtehen, der allergrößte Teil dieſe3 grazivfen 
Geiſtes verloren. Auch find von den ſechzig Stücken des Ariſto- 
vhane3, die für ſeine Zeit eine ähnliche Bedoutung gehabt haben 
miſſen wie die großen jatiriſchen Zeitſchriften oder die O0PP0- 
ntionele Tagespreſſe in unſerem Sahrhundert, nicht mehr al3 
if erhalten. Fünf davon, vie R<arner, die Ritter, die Weipen, 
der Friede und Die Bögel, „Peziehen jich auf Verhältniſſe und Er=- 
eigniſje der Zeit. Drei, Lyſtiſtrate, die Frauien am Jeſt der 
Demeter und die Frauen in ver Volks3verfammlung wenden ſi 
gegen die damals ſcharf einſeßende Frauenbewegung. Die Wolkon 
jind gegen Sokrates gerichtet, die Fröſche gegen Euripides, und 
die Komodie Vlutos8 (der Reichtum), die in einem Märchen die 
Jadcteile der blinden und zufälligen Verteilung der wirtſchaft- 
lichen Güter verſinnbildlicht, hat ſogar eine deutliche antifavpita 18 Hiche 
Tendenz. 
Ariſtophanes hat im Anfange ſeine Werke nicht unter ſeinem 
Namen aufführen laſſen und iſt erſt mit den Rittern mit dem Be- 
kenntnis ſeiner Verfaſſerſchaft vor da3 Volk der Athener getreten. 
Dieſe Ritter ſind nun des Ariſtophanes allerpolitiſchſte3 und zu- 
gleich allerfühnſtes Werk. E3 iſt ein Sturm auf die Volk3- 
meinung, die damals no allgemein und bedingungs8lo8 mit dem 
Nachfolger des Perikles in der Staatsführung, mit Kleon, ging. 
Kleon follte geſtürzt werden, nichts geringeres war des Ariſto- 
phane8 Abſicht. Kleon hatte zu dieſer Zeit in Athen fo gut wie 
niemanden gegen ſich, außer der beſißenden Klaſſe der Ritter, welche 
von dem durch Kleon angeſtifteten Krieg mit Sparta ſchwere 
Vermogensverluſte befürchten mußte, während die Allgemeinheit 
ſiih von dieſem Kriege, allerdings mit Unrecht, wirtſchaftliche 
Vorteile verſprach. Die Perſönlichkeit Kleons ſtand damals in 
einem ſolc<en Anſehen, daß. ſämtliche Maskenanfertiger ſich 
weigerten, deſjen porträtähnliche Maske bHerzuftellen, denn 
Ariſtophanes wollte den Gefürchteten ſelbſt mit feinen eigenen 
Geſicht3zügen auf die Bühne ſtellen und hielt dies für um ſo not- 
wendiger, al3 fein Geſcchi> e3 zuſtande gebracht hatte, in dem 
ganzen Stüc> den Namen Kleon8 nicht zu nennen, ſondern dieſen 
lediglich durch die karifaturiſtiſche und ſatirij;<e Schilderung 
jeiner Eigenſchaften zu kennzeichnen. Ariſtophanes mußte ſich 
ſchließlic) dazu bequemen, die Rolle des: „Paphlagoniers“, eben 
Kleons, in einer beliebigen Maske felbſt zu ſpielen, und der Er- 
folg feiner dichteriſchen und wohl auch ichauſpieleriſchen Leiſtungen 
war ſo groß, daß er mit ſeiner Dichtung, die der öffentlichen 
Meinung mit ſchonungsloſer Kritik und nahezu brutaler Rüc- 
ſichts8loſigkeit entgegentrat, den Preis erhielt. Die Perſonen dieſes 
Generale des peloponneſiſ<en Kriege3, die dur< Kleon ver- 
dvuntelt und zuriücdgeegt worden waren, dann der Baphlagonier, 
Kleon, der Wurfthändler, Fleon83 Nebenbuhler in der politilſ<en 
Caufbahn, der Chor der Ritter und der Demo3. Demo8 bedetztet 
die Volfsgeſamtiheit. Und die Volksgeſamtheit der Attifer iſt nun 
Dargeſtellt in der Geſtalt eines alten, ſchwachſinnig gewordenen 
GSausSvaicrs, der jeine freuen und bewährten Diener, nach de3 
Dichters Meinung DVemojthenes und Jeatias, verfennrf und ihnen 
ben mit allen böjen Eigenſc<aften behafteten paphlagoniſc<en 
Saushälter vorzieht, weil dieſer e8 verjteht, den alter8ichwachen 
Greis mit heuchleriſchen Liebesdienſten zu umſ<meicßeln. Man 
höre, wie der Komödiendichter von dieſem Demos jpricht, was 
alfo das athenit<e Volk von der Szene e des Theater3 herab aus 
dcin Wunde des Schauſpielers hören muß: 
Uns be.den (Demoſthenes und itias) ward 
Patron zu teil, ein ſaucrtöpfiſcher, 
Griezgrämiger Mann, der fich mit Bohnen fütteri* 
Viel Calle hat, auch etwas übel hört, 
Kurz, ein gewiſſer Demo8 au3 der Pnyr? 1, 
Gin grilliger, verdroſſener alter Kauz. . 
Und nun gebt es über den gewaltigen Kleon jelbjt her, und 
zwar folgendermaßen: 
Am lezten Neumond?) kaufte dieſer, unjer Herr, 
Sich einen Sklaven, einen Gärtnerknecht 
Aus Paphlagonien*?), aber den durdhiriebenſten, 
BoShaTtejten Burſchen in der weiten Welt, 
Der, weil er flug3 des Alten ſchwache Seite 
Weghatte, ſich durc< Le&en, S<hwänzeln, Shmeiceln 
Und fleine Lederſhnigßels), die er zum Geſchenk 
Ihm madte, bald in Gunſt bei ihm zu Teßen 
Und ſeinzr ganz fic zu bemeijtern wußte. 
Niemals iſt ein Volk und der Führer eines Staat5wejens in 
unbeſchränkter Oeffentlichfeit, wie ſie dur< die griechtiche Volk3- 
bühne gegeben war, ſo ſc<arf gegeißelt, jo blutig fritifiert worden, 
wie Kleon und 3as Volk der Athener dur< Athen3 großten 
Dramatiker und Satiriker. Daß dieſe Verhöhnung und dieſe 
Kritik ertragen wurde, bat ſeine Urjfache wohl in dem Charafter 
des atheniſchen Volke3, aber noh viel mehr im Weſen ihrer Demo» 
Fratie, die gegen die Waffen des Geiſtes mit brutaler Gewalt vor- 
zugehen ver1|<mähte. Otto Koenig. 
LF 
2) Bohnen, ein beliebtes Volfsnabrung3mittel der Athener. 
2) Rnyxr iſt die Verſammlungsſtätte Der g:ſeBgebenden Volf3Z- 
verfammlung. 
3) Gewöhnlicher Termin der ':Sklavenkäufe. 
ſicht au Kleon, die lezten Wahlen. | | 
23) Die Sklaven aus Pathlagonien ſianden im Rufe dcx Dummheit 
und Frechheit. 
ein ziemlich feltjamer 
Bedeutet hier, in Hin= 
 
 
 
 
Stückes ſind vor allen Dingen Demoſthenes und Nikias, die 5) Anſpielung auf den Ledorhändler Klcon. 
„Kommen Sie mal ſofort mit mir!“ „Run denn, ich bin es auch.“ " | | . 
Ich drehe mich ſehr überraſcht herum, und was ſehe i<? Ein „Was, Sie wären es au<? Das iſt nicht wahr, es gibt keine zwei 
Skelett, moin Herr, ein großes Skelett, das fehr böZzartig ausſficht und 
mich wie mit Zangen an der Sculter feſthält. 
„Was ſoll das bedeuten?“ frage ich ganz beſtürzt, „laſſen Sie mich 
doch in Ruhe!“ 
„Da hätten Sie un3 zuerſt in Ruhe laſſen ſollen,“ 
Skelett. „Jezzt heißt e3 mitkommen!“ | 
C3 zieht mich voran, ich leiſtt?z? Widerſtand, aber ſchon erfaßt mich 
ein anderes Skelett, das etwas kleiner und unterſeßter iſt, von der 
anderen Seite, und ich fühle, wie ein drittes mich mit ſeinem Knie, das 
hart wie Eiſen iſt, im Rüden voran ſtößt. 
Meiner Trou, mich packt die Angit! Ich will ſchreien. 
„Schweige,“ ſagt da3 erſte Skelett zu mir, „oder du kriegſt Prügel.“ 
Und ſie ziehen mich im Galopp zum Friedhofe hin. Und wa3 er- 
blidt mein Auge da? Alle Toten waren aus ihren Gräbern hervor- 
gefeommen und ſpazierten, . in ihre Leichentüchor gehüllt, umher, die 
jungen Elzgant3, wie die alten Halunken; einige ſaßen auch auf der 
CFe ihre3 Grabſteins, um zu plaudern oder zu pfeifen. I< verſicher2 
Ihnen, daß ich ſonſt nicht ſchüchtern bin, aber jezt wußte ich do< wirk= 
lich nicht, wie mir geſchah. 
Man ſchleppt mich bis in die Mitie des Friedhofs und dort, auf 
dem ſchönen, den Verſtorbenen gewidmeten Denkmal, da3 ich ſelbſt hatte 
antwortet da3 
errichten laſſen, ſehe ich ein großes Skelett ſißen, da3 ſehr zornig au3=- 
ſicht und das von einer ganzen Meng2 andercr Skelette umgeben iſt. 
Man führt mich vor und alle anderen drängen ſich heran und ſchließen 
einen feſten Kreis um uns. 
" Dann ſieht mich das große Skeleti an, ſchnüffelt bo3haft in der Luft 
herum und radet mich folgendermaßen an: 
„Biſt du der Bürgermeiſter?“ 
„3a, gewiß, da3 bin ich.“ 
"'Teinen Schweſter einen ſolhen Kummer zu verurſachen. 
Bürgermeiſter" ſage ich entrüſtet. 
„Doch! Du biſt Bürgermeiſter bei den Lebenden, und ich bin hier 
Bürgermeiſter. Uebrigens habe ich dich nicht hierher fommen lanhen, 
um mich mit dir herumzuſtreiten. JJ habe dir ctwas zu jagen. Alſo: 
wir wollen Eure Straßenbahn nicht Lbaben.“ 
„Und warum nit?“ frage im ganz verwirrt. 
„Nein. Die Straßenbahn ärgert uns. Vor allem wollen wir nicht, 
daß hier eine Station ſein ſoll. Das geniert unz. Wir würden uns 
nicht mehr zu Hauſe fühlen, wenn ein Haufen hergelaufener Dumm= 
köpfe von dem Verde> Eurer Wagen herab in unjer Cigentum jeden 
könnte.“ 
„Aber ganz und gar nicht, begreift do, cs würde Euch zerjireuen, 
Ihr würdet die Leute vorbeifahren ſehen.“ 
„Genug, wir wollen Eure Straßenbahn hier nicht haben, das ge= 
nügt. Man wird dir kein Hindernis in den Weg legen, wenn du die 
"Station an eine andere Stelle verlegen willſt, aber hiex wollen wir ſie 
nicht haben.“ 
„Aber e3 iit doh zum allgemeinen Wohl.“ 
„Nicht zu unſerem Wohl! Und übrigans, widerſprich nicht, du 
fannſt das eben nicht begreifen. Da ſieht man, was daraus entſteht, 
„wenn man einen: Fremden zum Bürgermeiſter macht! Wenn man einem 
Hieſigen dieſe Würde anvertraut hätte, ſo würde ſo etwa3 niemals vor= 
gefommen ſein; er würde 23 nicht gewagt haben, ſeinen Eltern, die 
hier find, oder zum Beiſpiel ſeinem Großvater, ſeiner Tante oder ſeiner 
Mit einem 
Fremden kann man darüber nicht ſtreiten. “Da Hilft nichts anderes, 
al3 zu handeln. Und wir werden handeln, wenn .du darauf beſtehſt, daß 
hier die Station errichtet wird. Haſt du das verſtanden?“ 
(Schluß folgt.)
	        
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