Arbeiter-Iugend
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nicht mehr viel. Da3 Beſchießen mit Schrapnells iſt jichon bedenk-
licher, aber gleichfal3 meiſt erfolglos. Am wirk amiten jollen be-
jondere Ballonabwehrkanonen
neuerding38 auch den Engländern verwendet werden.
Mancher Flieger iſt denn auch ſhon herabgeſchofſen worden.
Namentligß auf der franzöſiſ<en Verluſtliſte ſtehen bekannte
Namen. Garro3 joll gefallen ſein, Brindejone wurde Ichwer ver-
wundet, der bekannte Sturzflieger 'Chevillard geriet im Gefangen
Ic<aft. Vedrines dagegen, den ein albernes Gerücht zum deutjchen
Spion gemacht hatte, jol mit jeinem auf einem Bleriot- „Apvarat
montierten Maſchinengewehr nac franzöſiſ<en Meldungen bereits
drei deutſche lieger berabgeſ<oſſen haben.
Einer originellen Waffe bedienen ſich neben der Bomben die
franzöſiſchen Flieger: der Wurfpfeile. Dieſe Pleile jind cigentlich
ſtählerne Bolzen, 120 Maillimeter lang und 8 P Nillimeter did, al19
faum von der Größe eine3 Bleiſtift3. Obendrein jind dieſe Bolz on
nicht einmal maſſiv, denn nur ihre Spiße iſt langkoni1 ß gedreht,
während da3 (ängere Hinterteil alX EreugEormige, diimnwandige
Ktelfläche ausgebildet ift. Dieſe „Pfeile“ wiegen nur 20 Gramm;
jie werden von den Fliegern bündelweite abgeworfen. Erfolgt der
Abwurf in größerer Höhe, jo erlangen die Wurfgeſchoſje cine j9
große Fallgeſchwindigkeit, aß ſie gleich dem Geichoß einer Feucr-
waffe tief in getroffene Körper eindringen. So wurden deutſchen
Soldaten nach den Berichten eines Arztes Wade und „3uß glatt
durch) Ichlagen. Gin Kopftreffer verur jachte eine todliche Verleßung.
Da vei dem leichten Gewicht dieſer Wurfpfeile, von denen 530 auf
das Kilogramm gehen, deren Tauſende von einem einzigen zSl1g-
zeug auSgeſtreut werden konnen, iſt dieſe3 Wurfgeſchoß Unter
günſtigen Umtjtänden kein zu verachtender Konkurrent d der Flicger-
ombe
Die franzöſiſchen Flieger verfügen auch über Brandpfeile, die
dazu "beſtimmt | jind, feindliche Flugzeuge und Luftſchiffe in Brand
zu ſchießen. Doh haben dieſe Projeitile bisSher noch nicht mit Exr-
folg verwendet werden können. Die Beſchädigung des Zeppelins8
in der Düſſeldorfer Ballonhalle orfolgte dur) den regelrechten
Bombenwurf eines engliſchen Gliegers. Kämpfe zwiſchen Lenk-
ballon3 und Flugmaſchinen ſcheinen jich aber biSher überhaupt noch
nicht abge] pielt zu haben. 'O5 das an dem mangelnden Schneid
der franzoſiſchen Flieger liegt oder an der vorſichtigen Verwendung
der Zeppeline, die ſich zu ihren Sauptangriffen die Nachtzeit aus-
gejucht zu haben jcheinen, läßt ſich einſtweilen nicht feſtitellen, da
über die Tätigkeit unſerer Quitfreuzer nur jehr wenig verbürgte
Nachrichten vorliegen.
Kriegsfahrten in Belgien.
11.
doc< daheim vorſtellen, was der Krieg
Sähe man nicht da und dort Ver-
s wandetse, wüßie man nicht3 von crhöhter Arbeitz3loſigicit und von
Peigenden Lebensmittelpreiſen, ſ9 fönnte man ſich im tiefiten Frieden
wähnen. Die meiſten verſchlingen gedankenlos die Krieg3nac<hrichten,
ohne ſich vorzuſtellen, welch ungeheure Arbeit und Mühe, wieviel Blut
und Qual aus jeder von ihnen ſpricht. Daß doch alle dieſe Leichifertigen
einmal über die Landijtre>den geführt werden könnten, wo der Krieg ge=
wütet hat!
„Wir ſahen die breiten Vernichtungsſpuren des Krieges zuerſt in
Charleroi.*) Das iſt ein Hauptort des velgiſchen Steinkohlenbe>en8.
Hier waren heftige Straßenkämpfe geweſen, an denen ſich auch Zivi-
lijten gegen unſere Truppen beteiligt hatten. Die Folge war, daß ganze
Straßenreihen niedergebrannt. und zerſchoſſen wurden; 163 Häuſer
liegen in Schutt und Aiche. Ueberall ſieht man von Kugeln durch=
löberte Fenſterſ<heiben und Kugelſpuren an den Wänden. Aus den
unverſehrt gebliebenen Häufern hängen weiße Fähnchen al8 Zeichen
„der friedlichen Geſinnung ihrer Beivohner. Wir ſuchen die Redaktion
des jozialdemokratiſchen Parteiblattes auf. Nach langem Suchen ent-
deden wir den Redakteur. Er empfängt un3 in der Küche, weil das
NRedaktion3zimmer in die AmtS8ſiube eines preußiſchen Zahlmeiſter8 ums-
gewandelt iſt. Die Zeitung iſt verboten; ſie würde auch ohne Verbot
faum erſcheinen können, denn wer ſollte die Bezugsgelder bezahlen ?
Sind doch: Faſt alle Arbeiter ohne Beſchäftigung. Sie ſind froh, tro>e=
nes Brot zu haben. Auch dieſes wichtige Lebens8mittel iſt nicht im Ueber.
fluß vorhanden. Gin Maueranſchlag de3 Bürgermeiſters ſet den täg=
lichen Verbrauch für jeden Ginwohner über zehn Jahren auf 400 Gramm,
für jedes Kind: unter zehn Jahren auf 200 Gramm feſt. Mehr wird
nicht abgegeben. Der Ausſ<hank von Alfohol iſt ganz verboten. Mit
Recht, denn in ſolchen Zeiten der Not ſind AusSgaben für Alkohol eine
unverantwortliche Verſchwendung. -
+) Sprich:
B/Sy ie ivenig fönnen wir uns
> in Wirklichkeit bedeutet!
iſc<arlroa, kurzes go, Ton auf dem a,
jein, die von den Deutſchen und .
Bon Charleroi führt un3 ein Verwundeienzug na< Tamine3.*) Wir
liegen im Str3h eines Packwagens neben einem 29 jährigen Jäger au3
Hannover, dem in den zwei Kriegösmonaten ein angehender Vollbart ge-
wachſen itt. Seine verlebten Bein2 jte>en in der Hoſe eines franzgÖö=
fiſßen Artilleritten. Man hatte ihm auf dem Schlachtfelde die feld=
grauen Hoſen in Stücke ſ<neiden müſſen, um die hoch angeſchwollenen
Beine freilegen zu können. Dann Hatte ſich der Verwundete, auf einen
Eaumaiyt gejtüßt, mit bloßen Beinen rüdwärt2 geſchleppt, bis er einem
gefallenen franzöfijhen Artilleriten die Hote aus8z309g. Wegen der
breiten roten Streifen an den franzöſiſchen Beinkleidern nannien ihn
allc zum Scherz: „Herr General“, und er wußte mit viel Herablaſjung
und Geichi> die Exzellenz zu ]pielen.
In Tamines, einem Ort zwiichen Charleroi und Namur, ſtiegen
wir aus. Vor wenigen WoP+en war e3 noc< ein Fle>den mit 2500 Gin-
wohnern. Jett iſt es eine Muinenttätte mit ausgebrannten oder zert-
Ichoſſenen Häuſern. Ginwohner 'haben aus dem Hinterhalt auf deutſche
Truppen geſeuert, und ein fur<tbares Strafgericht war die Folge.
Während praſſe eind und ſladernd Hunderte von Hävjern in Flammen
aufgingen, burden unmittelbar am Ufer der Sambre vor dor ſchlichten
Badiieinfirche Scharen von Franktireuren durc< deutſche Standrechis-
fugeln niedergeſtredt. Die große Rebrzadl der männl ichen Ginwohner
fand fo einen inrühmlichen Tod. Die deutichen Truppen jahen ich in
Tamine3s und leider noh an manchen anderen Orten zu roſes blutigen
Vergeltungen gezwungen, um ſich vor Stüſjen aus dem Hinterhalt zu
ficßern und die Ziviliſten von der Teilnahme am Kampfe abzuhalien-
Ning8 um die Kircbe von Tamine3 liegen die erſchoſſenen Franktireure
begraben. Viele, viele friicce Holzfreugzwen. Auf manchen davon ifann
man lejen: Vater und Sohn, oder gar: Vater und zwei Sshne. Auch
cin Geittlicker ijt als Franttireur erichofſen worden. Wir fianden lange
im fahlen Lichte des regneriſchen Herbitabend5 auf dieſem Hlutgeträniten
Firchplas. Die breiten Blutſpuren find mit Kalf beworfen, und Die
Fläche iſt Leſät mit Hunderten von deuiſ<en Paironenbülten. Nicht
weit davon auf einer Hößbe lag eine Villa, die nun edc nals ZOPjIDrt it.
Die erbitterten deutſchen 'Soldaien baben den präctigen 2 Villengarten
zu einer dauernden Gedäciniziiätie umgcwandlti: Zwiicen büunien
Blumenbeeten ſind hier a<t deutſhe Offiziere und 48 Unteroffiziere,
die im Gefec<t bei Tamines den Tod fanden, in einem gemeinſamen
Grabe der SGrde Überaeben.
Roch an einer anderen, nicht minder agräßlicen Stiätie befiigen
Franttixeurfampfes haben wir geitanden. Das war in Sei
Andenne*) zwiſchen der Feſtung Namur und dem Städtchen 8
Auch in Seilles-Andenne, wie überall in den Granftireurne HEIN, WAN
dert man durc< lange Siraßenreihen, an deren Seiten nur ng H GUS=
gebrannte Ruinen ſtehen. Männer ſieht man fait gar nidvi. Frauen
und Kinder jind vor den Schre>en des Krieges gerfloben. In Franireih
Oder England erdulden ſie das Clend beſikloier Flüchtlinge. So licgen
die ausgebrannten Dörfer erjtorben da. Sand ieutg Tührten uns
über eine eben errichteic HöSlzerne B erne MagaszbrüFc iin
geſprengt -- von Seilles nach Andenne. Wenige Scritie vom JFluR=
ufer ſteht eine lange, etwas über mannsShobe Viegeimauer. An vr
3.
jind ſcharenweiſe Franfnreurs eri<offen worzen. Die Matter des Blut=
gerimis iſt Jetzt mit Kalf beworfen. Wer aber mit 1i3arfem Auge näher
witt, feht neben den Kugellöchern ſ<&auerlihr Spuren der Schre>eus=
2
jiunde. Vor der Mauer liegen die Franitireure gemeintam veerd
Gs jind zwei Maſſengräber. Die zum Tode dur Erſchießen Vor
teilten haben fie ſich in ihrer lezten Stunde ſelber jhaufeln müten.
werden bei dieſer Arbeit faum mehr von einem „frii<-fröhlichen“
Kampf geſprochen haben!
Das regſte militäriſche Leben fanden wir in der furz zuvor von
unſeren Truppen eroberten Feſtungs8ſtadt Namur. Doch. fonnien wir
uns auch von dem Wirkungen der Zeppelinbomben überzeugen. Cine
dieſcr „Himmel3gaben“ iſt reſpektwidrig auf das Denkmal der belgiſähen
Majeſtät Leopold 1. niedergeſauſt. Der Rathausplas mit zum Teil
prächtigen Gebäuden liegt in Trümmern. Auch hier hat ein Strafgericht
gegen Franktireure gewaltet. Es Hatte ſic) ein Häuſerkampf entwickelt.
Unſer Gajthofzimmer in Namur -- nur einmal während unjerer Jieije
genoſſen wir die Annehmlichkeit eine3 Bettes -- wies an Fenjiern und
Wänden auch noch Kugelſpuren auf.
Wir ſchliefen troßdem ausgezeichnet und brachen am nächſten Tage
zu Liner Wanderung dur» das Maastal auf. Eine Strecke von drei=
zehn Kilometern war militäriſch nicht beſekßt. Die letzten Poſten warn=
ten uns, aber wir tippelten, deutſche Wanderlieder jingend, ſo ſeelen
ruhig durch „Feindes8land“, als piigerten wir dur< ein deutſches Fluß
tal dahin. Niemand behelligte uns. Im Gegenteil. Wir Hatten das
Gefühl, als ſei die ganze Bevölkerung erfüllt von Furt vor allem, was
deutſch iſt. Wenn un3 danach zumute geweſen wäre, in den Dörfern
den „Hauptmann vorn Küöpeni>“ zu ſpielen, wir glauben, hier hätte die
Rolle Erfolg gehabt wie nie.
In dem Städtchen H uy ſtießen wir wieder auf deutſhe Truppen.
E53 war Sonntagabend und Glokengeläute lo>te auch uns in die alte
*) Sprich: tamien, Ton auf der Endſilde.
FX) Sprich: ßäj-angdenn.