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ſchöne Kirhe. Drinnen lagen deutſche Krieger in Wehr und Waſſen
neben ihren belgiſchen „Feinden“ au? den Knien und beteten gemeinjam
zu Gott. Nicht weit von der Kirche aber ſtarren die Ruinen einer auUs-
gebrannten Straße zum Himmel; ſie ſind die Zeugen einer flammen«=
dur<hlohten Schre>enznaht, als Landwehriruppen für Schüſſe aus
He>en und Häufern Vergeltung übten.
Lüttich, die erſte von unſeren Truppen eroberte Fejiung, war
das Endziel unſcrer belgiſchen Reiſe. Auch hier zerſchoſſene und nieder-
gebrannte Häuſer. In den TageSzeitungemn iſt darüber genug geſ<ricben
worden. FÜr uns wurde der Beſuch in Lüttich von Bedeutung, weil wir
in dieſer von Deutſhenhaß erfüllten Stadt von belgiſchen Sozialiſten
mit Herzglichfeit und Brüderlichkeit aufgenommen wurden. Ueber vie
Stre>en, wo deutſche und belgiſche Soldaten mit allen Vernichtungs-
mitteln moderner Kriegste<nif gegeneinander gerungen hatten, ſchritten,
noch mitten im Kriege, wir Deutſchen mit Belgiern dahin und tauſchten
unſere Anſichten über Urſachen und Verlauf des Weltkrieges aus. So
befam das düſtere Bild unſerer Fahrten dur< Belgien doch noch einige
„Lichtere Farben. Als wir unſeren belgiſchen Freunden die Hände zum
Abſchied ſchüttelten, geſchah es in der fejten Zuverſicht, daß doch noch
eine Zeit anbrechen wird, in der die Menſchen nicht mehr die Waſſen
gegeneinander richten.
Im Güterzug, auf blutigem und ſc<hmußigem Stroh, traten wir die
RÜU>fahrt nach Deutſchland an. Wieder froren wir eine Nacht hindurch
und hatten nach zwoölfſiündiger Reiſe am Morgen keine größere Stre>c
hinter un3, als fie ein Schnellzug in einer Stuvde durchſauſt. Das war
unſerer Unratt zu langjam. Hinter der deutſchen Grenze ſtiegen wir
aus und wanderten durch regenfriſchen Wald auf Aachen zu. Durch
blüßende Dsrferx mit geruhig lebenden Menichen ging unſer Weg. E38
war der Friede, der ſie ſegnete. Jm raſchen Ausſchreiten dachten wir
der Schre>kensbilder hinter uns und dankten im Stillen den Brüdern
im Felde, deren Heldenmut unſer Land vor blutigen Geißelhieben be=
wahrt. |
Die Fortbildung3ſ<ule während des Krieges.
Der Handelsminiſtex hat an die Negierungspräſfidenten eine Ver-
...
füaung erlafjen, daß der zgortbildungsſchulunterricht während des
Krieges grundjäßlich in den biSberigen Formen fortgeführt werden ſoll.
Leider ſind aber eine Neihe von EGinſchränfungen zugunjten der Unter-
nehmer getroffen. Dice Lehrlinge und jungen Arbeiter derjenigen Ge-
weorbebetricbe, die durc“; den Krieg beſonder3 geſchädigt und bei denen
die Jugendlichen Arbeiter zur rechtzeitigen Fertigſtellung der Arbeiien
„unentbehrlich“ jind, jollen vom Beſuch dex Schule entbunden, einzelne
Klaſen ſollen jfogar ganz geſchloſſen werden. Cs gelte dies auch für den
Fall, daß die Gewerbeirceibenden auf die Arboit der Lehrlinge mehr als
jon angewieſen jind, weil die älteren Lrbeiter zum HceereSdienſt ein=
berufen worden find. Daß die Lehrlinge, die fo zu Gehilfen aufrücken,
aul Gehilfenlöhne beziehen ſollen, davon fteht in der Verfügung nicht.
Dafür enthält ſis einige andere, ſehr weitgehende Anordnungen. S9
fann zur Förderung der militäriſchen Vorbereitung der Jugend der
eigentliche Fortbildungsſ<ulunterricht für die Dauer des Kricges für
Schüler über 16 Jahren bis auf zwei Siunden wöchentlich beſchränkt
werden. Dice militäriſchen Uebungen können lehrplanmäßig an
die Stelle der freigewordenen Stunden geſebt werden. E35 gilt dies
aber nicht für Schülor unter 16 Jahren und ſolche, die körperlich nicht
tauglich jind.
BiSher wurde betont, daß die Beteiligung an den Ucbungen zur
militäriſchen Vorbereitung der Jugend freiwillig ſein ſolle, und
in der Tat liegt keine geſchliche Handhabe zur Ausübung ein28 Ziwanges8
vor. Durch dieſs Verfügung kann aber leicht der Schein entſtehen, als
fjolle indirekt ein Zwang auf die jungen Leute ausgcübt werden. Ebonfso
bedenklich ijt, daß die militäriſche Schulung auf Koſten des Fortbildungs3-
ſchulunterrichts erfolgt, anſtatt auf Koſten der Arbeitszeit. So bringt
allein der Schüler Opfer, und nicht auch der Unternehmer.
*.
Rfadfinder im Kriege.
TaZ3 preußiſche Kriegsminiſterium hat verfügt, daß die Verwendunz
von Pfadfindern und anderen, nicht im Heeres3dienſt ſtehenden Jugend-
lichen bei den Fämpfenden Truppen unzuläſſig iſt. Insbeſondere
iſt den Pfadfindern und ſonſtigen Jugendlichen eine Begleitung von
Truppen ins OperationsSgebiet oder in Feindesland, ferner die Hilfe-
leijttung bei Verpflegung3-, 'Munition5«- und Verwundetentransporten
außerhalb des Heimatgebietes, die Heranſchaffung von Lobenz3mitteln
und Munition an die in Schüßengräben liegenden Truppen nicht zu
geſtatten. u
In den vergangenen Wochen haben eine Reihe deutſche Zeitungen
gegen den biSherigen Zuſtand geſchrieben. Bemerken3wert ſind folgende
Tatſachen: “
Vor dem Jugendgericht in Köln ſollic ein fünfzehnjähriger
Lehrling wegen hartnäckigen Schwänzens der Fortbildungs3ſchule ver-
urteilt werden. Zum Erſtaunen ves Gericht5hofes cer*<ien der Junge
in der Uniform eines preußiſchen Untoroffizier8 vor den Schranken.
Evra
Arbeiter-Jugend
Er war bei dem Kriegsbeginn ſeinen Cliern davongelaufen und in der
Ausrüſtung eines Pfadfinder3 ins Feld gezogen. So machte er auch
die Crſtürmung von Lüttich mit und würde dann eingekleidet. Bald
* Darauf beförderte man ihn wegen ſeiner tapferen Leiſtungen zum Unter-
offigzier. Selbſtverſtändlich konnte der Unteroffizier nicht al3 Schul-
ſchwänzer verurteilt werden. Der Gericht3hof entließ ihn, mit reich-
licßem Zehrgeld verſehen, und er fuhr an die Front zurü&. Cbenfalls
in Köln ſind vor furzem zwei Jungen im Alter von 12 und 13 Jahren
al3 Verwundete eingeliefert worden. Sie Hatten ſich ausrücdenden
Truppen angeſc<loſſen und Munition in die Schüßengrävben getragen.
Mit Recht erhoben in Kölner Zeitungen Lehrer Ginſpruch dagegen,
daß man Kinder auf den Schlachtfeldern verwend2s. Von den verrohen-
den Wirkungen abgeſehen, liefen die Jungen Gefahr, ſtandrechtlich er-
TIhoſſen zu werden, wenn ſie in die Hände de38 FeindeZ3. fielen, venn ſie
beteiligten fich als Zivilperſonen am Kampf.
Auch die „Frankfurter Zeitung“ brachte Fälle von der Beteiligung
fnabenhafter Pfadfinder. Mehrere davon wurden verwundei. Scharf
aber treffend ſc<rieb das große ſüddeutſche Blatt (Nr. 286) : „Jungens
gehören nicht aufs Schlachtfeld, ſondern in die Schule und follen brav
auf? den Hoſen ſiken. Schlimm: genug, daß die verrohende Wirkung des
Krieges ſich an Männern geltend machen muß; die Seele des Kindce3
foll man davor bewahren. Deutſchland hat e8, Gott ſei Dank, noch nicht
nötig, wie Serbien, ſeine Kinder in den Krieg zu laſſen, fei es auch
nur als Munitionsträger. Die militäriſchen Behörden ſollten dieſein
Unfug mit aller Gnergie ſteuern und die Pfadfinder ſchleunigſt zurüc-
erxpodieren. Wir ſind ein Kulturvolf und führen den Krieg als Männex
gegen Mäannexr.“
Dieſem Wunſche iſt nun erfreulich raſch entipro<hen worden. ECS
ware zu wünſchen, daß man auch die notigen. Folgerungen für die ZuU-
kunft ziehen möchte. Denn von jenen Jugendlichen war das gewaltige
Völkerringen zweifello8 als ein abenteuerlich vergrößertes „Kriegsſpiel“
aufgefaßt worden. Erziehung der Jugend zur Wehrbaftigkeit iſt: aber
nicht gleichbedeutend mit Jolcher Indianerromantif.
| X
Die katholiſche Jugendbewegung macht mit.
Cin Miniſterialerlaß regt die militäriſche Vorbereitung der heran-
wachſenden Jugend während der gegenwärtigen Kriegs8zeit an. E83 find
an vielen Orten Ausqjchüſje gebildet worven, deren Wirken bisher viel-
fach nicht den erwarteten Grfolg hatte. Die Urſache war: SowoH9l
DieArbeiterjugendwicauU<hdie katholiſch? Jugend-
bewegunghieltenjich zurücd Die fatholiſche Jugendbewegung
befürchtete, die jungen Leute könnten der Kirche entfremdet odor zu ſchr
entzogen Werden. Das wurde mehrfach offen ausgeſprochen. Jett
fordert das Erzbiſchöfliche Generalvikariat in Köln die katholiſche Jug2nO
auf, jich rege an den Uebungen zu beteiligen. Von den Miniſterien
zei die Zuſicherung gegeben worden, daß durch die Jugendwehr die
Tatigieit dex vorhandenen Jugendvereinigungen nicht berührt würde.
Aftuell (lat.), was im Augenblick wichtig iſt.
Animiert (lat.), angeregt, „aufgefraßt“.
Aviatik (lat.), Luftſchiffahrt, Luftſchiffahrtswejen oder -k!
Elegant, der (franz.), Ge>, Stuker.
Elementar (lat.), uranfänglich, urwüchiig; anfangsmäßig, die Anfang2-
gründe bietend. .
Fanatifer (lat.), Schwärmer, mit der Nebenbedeutung verbiſſen, ver=
rannt; Eiferer, „Querkopf“.
Franktireur (franz., ſprich: frangtiröhr), Freiſcrärler.
Gran (lat.), Korn, Keines Gewicht.
Illuſion (lat.), Täuſchung, Wahn. -
Intelligenz (lat.), Erfenntniävermögen, . Verſtandsfkraft.
Kartellieren (franz.), vereinigen, verbinden.
Ksniſh (griech.), kegelförmig. -
Melodram (griech.), Singſpiel, in dem die Worte mii Muſikbegleitung
geſprochen werden.
Montieren (lat.), in die Höhe bringen, aufftellen.
Parabaſe (griech., wörtlich: Stellungwechſel, Abſchweifung), im alt-
griechiſchen Luſtſpiel eine Anrede, in der ſich dex Chor von der
Bühne ab-= und dem RPublifum zuwandte, wobei der Chorführer im
Namen des Dichters Fragen erörterte, die mit dem dargeſtellten
Stü> nicht im Zuſammenhang ſtanden.
Rilot (franz.), Lotſe, Schiffsführer; neuerdings beſonders Führer eines
Luftſchiffs.
Projektil (lat., Ton auf der Cndſilbe), Geſchoß.
Rapid (lat.), reißend ſchnell.
Sekret (lat., Ton auf der Endſilbe), Ausſcheidung, Saft.
Senſation (lat.), gewaltiger Gindruck; was großes Aufjehen macht.
Totalität (lat.), Geſamtheit.
SoongonananE ann oOo OonGOoOCCOOoOoCOEnEDOoCQQQOQCQOIOonNIDIOCONno
Inhalt von Nr. 25; Der Krieg als Erlebnis. Von Heinrich Schulz. --
Die attiſche Komödie und Ariſtophanes (11). Von Otto Koenig. -- Da3 verzauberte
Städtchen. -- Au3 dem Leben der Arneiſen. Von Heinz Welten. = Die Kriegs-
tätigkeit der Luftflotte. Von H. Ströbel. -- Kriegsfahrten in Belgien (1). --
Aus der Jugendbewegung. =- Fremdwörter. |
verena
Gemen
Verantwortlich für die Redaktion: Karl Korn, =-- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſchlands). =- Druck: Vorwärts Buchdru>erei u. Verlag3-
anſtalt Paul Singer & Co. Säintlich in Berlin.