Arbeiter-Iugend . | 51
Rundſchau") erzählt. Der jeßige Herau3gober des däniſchen Ar-
beiterblatte3 „Solidaritct“, Chriſtian Chriſtenſen, wurde j<on als
zehnjähriger Knabe in eine Zün dhölz<enfabrif zur Arbeit ge-
Gilt. Dort hatten die Knaben aver nicht nur unter der ſ<weren,
langen und gefundheitSmörderiſ<en Arbeit zu leiden, ſondern vor.
allem unter den rohen Mißhandlungen der erwachſenen Arbeiter.
Der kleine Chriſtenjen organiſierte nun ſeine Gefährten, und eines
Tages traten: die Kinder in Streit, wobei ſie verlangten, daß ver
Sohn erhöht und da8 Prügeln verboten werden ſollte. Tatſächlich
mußte die Fabrik ſtillſtehen, und .al8bald ließ der Fabrikbeſiker
welle daß er Die Forderungen der Streikenden bewilligen
1VOoUC
Doch nun geſchah etwas Unerhörtes. Die erwachſenen Ar-
beiter erflärten, auf ihr Prügelrecht nicht verzichten zu wollen,
und drohten, ihrerſeits in Streik zu treten, fal3 das Prügelverbot
nit zurücdgenommen würde. Ja, fie boten dem Fabrikanten an,
er Jolle zunächſt erwachſene Arbeiter ſtatt der auffäſſigen Kinder
einſtellen, bis neue Kinder einrückten, die ſich willig prügeln
licken. Die Differenz zwiſc<cn den Qöhnen der provijoriſch ein-
geſtellten Erwachſenen und den Kinderlöhnen ſeien fie unterdeſjen
bereit, felbſt zu tragen.
Aber min eröffneten die jugendlichen AuSgeſperrten einen
wilden Kampf gegen die erwachſenen „Arbeit3willigen“, die ihre
Stelle einnehmen jollten, und in dieſem Kampf wurden ſie -von
den Arbeitern auf einem nahegelegenen Bau tatkräftig mit Ziegel-
tücen unterftüßt.
Doh nicht nur mit ihren erwachſenen Arbeitsgefährten hatten
die kapferen Jungen den Kampf aufzunehmen, auch ihre verblen-
deten Eltern traten vielfach gegen ſie auf und verlangten, daß jiec
bedingung3lo8 die Arbeit wieder aufnehmen und ſi< wider] t+a1d3-
103 von den Arbeitern ſchlagen laſſen ſollten. Aber auch die häus-
lichen Prügel vermochten nicht, die Widerſtandslraft der zähen
Kämpfer zu erſchüttern. Die3 gelang erſt dem Scharfjinn =- vc3
Vorſikenden der Gewerkichaft, der .die Zündholzarbeiter ange-
hörten. Dieſer entdeckte ein alte38, chon in Vergeſſenheit geratenes
Geſeß, wonach Vereinigungen von Yeinderjährigen unſtatthaft -
ieien, wenn nicht wenigſtens ſechs Erwachſene an ihrer Spiße ſtän
den. Nun wurde Chriſtenjen verhaftet und zugleich bei ihm Haus-
juchung gehalten, wobei die Streikkaſſe den Poliziſten | in die Hände
fiel. Daraufhin" konnte ſich der Streif nicht mehr halten, die
Jungen mußten Hbedingungs8los zur Arbeit zurückkehren und ſich
dic Brutalität ihrer Kollegen weiter gefallon laſſen.
Die Geſchichte dieſes Streik3 von Kindern iſt nicht nur de3-
Galb bemerfenswert, weil ſie uns ein ſo prächtige3 Bild von der
FRampffreudigkeit und dem Opfermut Jener arbeitenden Jugend
entrollt, ſondern vor allem auch deShalb, weil ſie uns beſonders
raß die niederdrücdende, entſittlichende Wirkung de3 Faptalii t=
Ihen Wirtichaft3ſyſtems vor Augen führt. Es iſt leicht, ſich über
dic Brutalität jener Arbeiter, über die Niederträchtigkeit des Ge-
werktſchaffsvorſißenden und den Unverſtand der kurzſichtigen Eltern .-
zu entrüften, die ihre Kinder gewaltſam zur Würdelofigkeit zwan-
Eflaverei.
gen. Aber wichtiger iſt, daß wir erkennen, wieſo Menſc<hen, die
im Durchſchnitt wahrſ<einlich nicht ſchlechter waren al3 ihre hcu-
tigen Klaſſengenoſſen, dazu kamen, [Jo elend zu denken und zu
handeln. NIE
So oft ſich der KapitaliSmu3 neuer Länder bemächtigte, brach
er dort den Widerſtand der Arbeiterſchaft und zwang ſie in ſeine
Und dieſer Vorgang wrielete häufig ſo raſdh, vaß die
Arbeiter zunächſt gar nicht Zeit fanden, ſich zum Kampf gegen
den neuen, ihnen in feinem Weſen noch ganz fremden, unbekannten
Jeind zuſammenzuſchließen. So blieb ihnen nicht8 übrig, als die
Herabſeßung der Löhne nac< Möglichkeit dadurch wett zu machen,
daß ſie Weib und. Kind zwangen, in die Fabriftretmühle zu gehen.
Dadurc< wurde freilich die Konkurrenz der Arbeitsfkräfte 109 ver-
ichärft und damit der Lohn weiter herabgedrüct. Aber um 1o
weniger war dann der einzelne Arveiter imjtande, auf dieſe Lohn-
bilfe zu verzichten. Nur fo iſt es zu erklären, daß Arbeitereltern
ihre Kinder zwangen, Tag für Tag Die Jabrifhöle aufzulucen,
obwohl ſie wußten, daß jene dort ein frühes Siechtum und oft
Verkrüppelung und Tod finden mußten. Dieſelbe Silfle igkeit
der großen Vaſen der Arbeiter führte aber auch dazu, daß DiIC-
jenigen Arbeiterſchichten, die noh die Kraft beſaßen, ſic zu organ1-
ſieren, ſic) in Vereinen, in Gewerkichaften zufammenzuſchließen,
Doh nicht den Mut und die Kraft fanden, den Kamp? mit ihren
Zwingherren aufzunehmen, jondern daß ſie die Macht ihrer Or-
ganijation vornehmlich zum Kampf gegen andere, jihwächere Ar-
beiterſhichten benußten, um ji auf deren Koſten 3 zu bereichern oder
Do) Een Jotlage für jich aueaunüßen. Und das Kapital begiün-
tigte natürlich dieſe inneren Kämpfe innerhalb der Arbeiterſchaft
jelbſt. War es 500 ein beliebter Brauch, Arbeiten jo zu vergeben,
daß ein Untermeijter eine beſtimmte Arbeit zu beſtimmtem Preite
in Akford übernahm. Der ſtellte dann jelbit wieder Arbeiter aun,
die er ausbeutete, und dieſe Arbetier hatten dann ot noch Kinder
unter fich, aus deren Blut und Knochen jie wicder naß | Möglichkeit
ihren Vorteil bherausſ<hinden mußten. Gin jolches Syſtem war
wohl auch in jener Zündholzfabrif eingeführt. Tas ertlärt, we3-
halb der Fabrikant 1o bereitwillig in eine Lohnerhöhung der Kna-=
ben einwilligte und ihnen beſtfere Behandlung zuſagte. Kojtieie
ihn doch dieje Zuſage nichts oder nicht viel. Tie Arbeiter aber
gewieſen; ſie wollten nicht darau? verzichten, dieic allenfalls auch
dur< Schläge zu raiherer Arbeit anzuhalten. HSohere Löhne für
ſich) zu verlangen, dazu fühlten fie fich jedenfalls zu Jhwach. Nus
den Fungens mehr herauszuſchinden, dazu waren fie jiart genug.
Hinzu kommt aber noc, daß der Kapitaliemus bei einem
Gindringen in ein neues Land dort dE hergebrachten Beziehun geit
in der Arbeitert<aft zorſtört. Der Bauer wied von Dir Scholle
und aus dem Dorfe 1oSgerimen, ar wird als Vagabund auf die
Landjiraße geworfen, iS er endlich in fremder Gegend, unter
fremden Menſchen fremde Arbeit finde " an die ihn nichts fefſelt
als dic Not. Aehnlich geht cs dem Handwerker. Und zugleich
zerreißt der Kapitaliamus die Familienbande, indem er die cin-
war für den guten Mann der ſchwierigſte. Er konnte cs doch noh
nicht ſo recht faſſen, daß man Beiträge zahlt, ohne einen direkten
materiellen Nüußen davon zu haben.
Nunmehr beſann ſich der Herr Richter darauf, warum ich eigentlich
vor ihm ſtand. Nach einigem Nachdenken ſagte ex: „Alſo Landſtreicherei
fam natürlich niht mehr in Frage fommen, aber wegen Beticlns
muß ich Sie mit acht Tagen leichter Haft bei einem Faſttag beſtrafen.
Nehmen Sie die Strafe au ?" „Jawohl.“ I< konnte gehen.
Draußen verivunderte ſich der Kaſtellan des Hauſes, daß ich gar ſo
lange bei dem Herrn Adjunkten zugebracht habe. Das ſei ja noh nicht
dageweſen. Aufklärung ijt eben nicht ſo ſchnell zu geben! Auch meine
beiden Leidensgefährten verwunderten ſich nicht wenig; hatte ich doch
etiva drei Viertelſtunden da oben zugebracht. Dieſe beiden zuſammen
waren in fünf Minuten fertig. Jeder hatte =- ich bitte, recht zu hören,
neun Tage mit einem Faſttag bekommen. IO nur ac*t ! Und warum?
Es gibt feine andere Löſung des Rätſels als die: ſic waren alle beide
weder gewertſchaftlic noch politiſch organiſiert. Darum! Nun rede
mir noch einer von Klaſſenjuſtiz! Im ſchönen Zillertal wenigſtens
gibt's feine.
Der Gerechtigkeit wegen darf ich nicht vergeſſen, zu erzählen, daß
wir drei e3 in dieſem Tiroler Kittchen wirklich ſehr, ſehr gut Hatten.
Ia, wir merkten faum, daß wir überhaupt eingeſperrt waren. Wir
mußten dem Gerichtsdiener, der zugleich auch unfer Wärter war, bei
feinen Arbeiten behilflich ſein und genoſſen dafür vollſtändige Freiheit.
Abends ſpät 'erſt wurden wir wieder daran erinnert, warum wir eigent=-
lich hier waren; wenn der Wärter den NRNiegel hinter uns verſchloß.
Der gute alte Herr ſtellte uns auch ſeine für Tiroler Verhältniſſe recht
anſchnliche Hauzsbücherei zux Verfügung. Er meinte, er wiſſe ſchon,
was wir von der Behörde zu leſen befämen, Habsburger Krieg3ge-
Ichichten nämlich, das läfen wir ja doch nicht.
Tand.
G3 wurde auch für uns.
drei nicht bejonder3 gefocht; wir faden die Wirislonice dastelbe enen,
iwas wir auch bekamen.
Im übrigen hatten wir bei den Qouten faſt budmnablich Familicn=
anſchluß. Wir kamen un2 vor wie Sommergätte. Nur einmal jolie
das gute Verhältnis vorübergehend getrübt werden. Cines Tages gav's
Gomsfleiſc<h. Da das Fleiſch ar ro<, glaubten wir, cs fei ſchlei,
und flugs beſchwerten wir uns. Da machie man uns denn lar, daß
Wildfleiſch doch überhaupt einen ſcharfen Geruch babe, was wir Nord-
deutſ<en natürlich ißt wußten. Damit war Die Sacße erlediat. Wir
haben noch öftex3 Geomsfleiſch bekommen, das dori jehr villig fein muß
Unſere wirkliche Haftzeit dauerte aber nicht acht odox neun Tage,
ſondern vier bis fünf Wochen. Das kam daber: Die Tiroler Be=
hörden ſollen früher, jo ſagen die Kunden, ſehr dumm geweſen fein
Man fragte jeden, den man erwijcht hatte, „nach Nam" und Art“ nd
„woher er fam der Fahrt“. Da gaben denn die ſchlauen deuticheit
Kunden alle möglichen Länder als ihre Heimat an, nur nicht Deutich-
Sie iwollten eben, wonn jie ſchon auf den Schub famen, weitor
geſchubt werden und nicht zurüd. So wurden denn aus den Sachſen
Schwaben, Pommern uſw., Kroaten, Slaivoniex und ſonſt no< was.
Da c3 aber auch) den „Geſcheerten“ in Tirol endlich auffiel, daß ihrer
gar ſy viele gar ſo ſchnell zurükfamen, ſie die Geſellſchaft alſo immer
wieder auf dem Halſe Hatten, hielten und halten fie jet noch jeden
iv lange feſt, bis ſeine Staat8zugehörigkeit feſtgeſtellt iſt, und das
dauert eben, da ja ſolche „hohen“ Behörden fich manchmal ſchr vicl
Zeit laſſen, immer mehrere Wochen. I< muß aber offen befennen :
die viex Wochen in Zell am Ziller ſind mir niht lengweilig geworden.
Wenn ich heute das würfelartige, weiße Haus =- es iſt das größte im
Orte = auf den Photographien in irgendeinem Laden ſehe, dann
erinnere ich mich dieſer Zeit mit ciner gewiſſen Wohmut, und leite
ſumme ich vor mir hin: „Zillertal, du biſt mein' Freud.“