Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

54 Arbeiter -Iugend 
Seit kurzem beſtrebt man ſich auch, die elektriſche Lokomotive 
dem Großverkehr der Schnell» und D-Züge dienſtbar zu machen, 
und längere Verſuche auf der Strecke Deſſau--Bitterfeld haben die 
Möglichkeit dargetan, mit der Elektrizität einen ebenſo regel- 
mäßigen Betrieb durc<zuführen: wie mit dem Dampf. 
„Ganz wunderlich ſieht aber der benzol-elektriſche Hofzug ceine3 
ägyptiſchen Herrſcher38 aus, .den unferc leßte Abbildung zeigt. Hier 
treibt ein Benzolmotor eine Dynamo, dieſe erzeugt Strom und 
treibt damit die Elektromotoren, die das Fahren des Zuges be- 
wirken. Das iſt allerding38 ein Umweg, der Verluſte bringt. Aber 
voch ein praktiſcher Weg, weil ſich gerade elektrijche Kräfte jehr gut 
in Bewegung umſeßen laſſen. 
Wie lange wird e38 währen,“bis alle unſere Eiſenbahnen „elck- 
trijiert“ find? 
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Die Zölle. 
Teil feiner Einnahmen bezieht das Deutihe 
Reich aus feinen Zöllen, das heißt Abgaben, die bei der 
'= Einfuhr ausländijſ<er Waren nach Deutſchland erhoben wer- 
den.“ Da3 Deutſche Reich bildet e in „Zollgebiet“. 
Grenzen de3 Reichs werden Zölle gefordert; der Verkehr zwiſchen 
'den einzelnen Bundesſtaaten iſt zollfrei. Eine Ausnahme bilden 
Bier und geſ<rotete3 Malz, wenn ſic die zwiſchen den Staaten der 
„Uddeutichen Brauſteuergemeinſc<haft“ (Bayern, Württemberg, 
Baden) und den übrigen Bundesſtaaten laufenden Grenzen paſ- 
jieren; dann wird von ihnen eine ſogenannte „Uebergangö3abgabe“ 
erhoben. Eingeſchloſſen in das deutſche Zollgebiet iſt = was ſich 
aus der geſchichtlichen Eniwickelung erflärt = auch Zuxemburg, 
obgleich diefer Staat ja nicht zum Deutſchen Reich gehört. In 
Bremen, Hamburg und andern Hafenvpläßen aibt e3 kleine Gebiete, 
die für die Zollerhebung gewiſſermaßen noh als Ausland gelten: 
das heißt, hier können Waren aus8geladen und gelagert werden, 
ohne daß Zölle zu entrichten ſind. Erſt wenn jene Waren über 
& inen erheblichen 
 
das „Freihafen“-Gebiet hinausgebracht werden, kommen die Zoll- 
veamten, unterſuchen, wiegen und jorgen für die geſebliche Ver- 
zollung 
Nicht immer waren die Grenzen unſeres Reiche3 vor der Ein- 
fuhr fremder Waren darrc< hohe Zölle geſperrt, wenigſtens micht 
immer in gleichem Maße. Bi3 zum Jahre 1879 konnte die meiſten 
und wichtigſten. Erzeugniſſe des Auslande3 unbehindert Herein- 
kommen, wie es in dem -,Freihandel3land“ England heute noch 
der Fall iſt. Von da ab begann man ganz ſyſtematiſc< Zölle ein- 
zuführen =- zuerſt nur Abgaben in geringer Höhe; vann aber 
hohere, Jehr viel höhere. Unter dem Reichskanzler Caprivi, in den 
neunziger Jahren des vorigen I Fahrhunderts, wurden die Zölle 
einigermaßen herabgeſeßt, aber im Jahre 1902 erfolgte Wieder 
eine um ſo ſtärkere Erhohung. 
Ein neuer 39 (ltarif wurde in jenem Jahre beichlojjen. 
„Tarif“ heißt ein jolc<es Gejetz deshalb, weil darin nicht ein ein- 
ziger, für alle Falle "ültiger Zollſaß für jede Ware vorgeſehen 
wird, ſondern weil man meiſt mehrere Abgabenſäße, höhere und 
goringere, nebeneinander ſtellt, deren Anwendung fich nach be- 
jonderen Verträgen mit den übrigen Staaten richten joll. - Man 
will ſo ein Mittel gewinnen, für die Einfuhr deutſcher Erzeugniſſe 
in anderen Ländern günſtige Zollbedingungen zu erhalten, indem 
man den ais jenen Ländern nach Deutſchland kommenden Waren 
die geringeren Zollſäße einräumt. Natürlich liegt den deutſchen 
Handeltreibenden ſehr viel daran, daß ihre Waren bei der Ausfuhr 
nach anderen Ländern dort möglichſt niedrige Abgaben zu ent= 
richten: haben, denn um ſo billiger können ſie dort angeboten wer- 
den, um ſo eher werden ſie dort Käufer finden. Ebenjo haben aber 
auf der anderen Seite auc: die engliſchen, franzöſiſchen, amerika- 
niſchen Händler und Fabrikanten natürlich das größte Intereſſe 
daran, daß ihre Waren ſo billig wie mögli na< Deutſchland 
hereingelaſſen werden, -- und jo iſt dem Abſchluß von „Han=. 
del3verträgen"“ der Weg gebahnt. . 
Neben den höheren und den „Ver trag3zöllen“ ſieht ein ſolcher 
Zolltarif wie der deutſche aber gewöhnlich au noch ganz beſondere 
Säße vor, man möchte ſie „Kriegszölle“ nennen. Sie jollen' in 
Anwendung kommen, wenn ein fremde38 Land in „jeiner Zoll- 
erhebung überhaupt nicht entgegenfommen will. Für die aus 
jenem Lande nach Deutſchland eingeführten Waren werden: dann 
doppelte Zölle berechnet. Selbſt-Waren, die fonſt zollfrei ſind, er- 
halten einen Zollaufſc<hlag, mit dem. Erfolge natürlich, daß der 
Handel jenes Staate3 mit Deutſchland völlig lahmgelegt wird. 
Mit den meiſten Ländern iſt Deutſchland heute durch Handel3- 
verträge verbunden, mit einigen auch durh Meiſtbegünſti-- 
gung8verträge. In dieſen iſt feſtgeſeßt, daß alle Zollver- 
Nur an den 
. au3 jo und ſo vielen Staaten überhaupt verboten. 
Reiches zu ſteigern. O nein! 
günſtigungen, die irgendeinem anderen Staate eingeräumt wer- 
den, -ohne weiteres auch jenen Staaten zugute kommen, die den 
Meiſtbegünjtigungsvertrag miteinander abgeſchloſjen haben. 
Die Handel3verträge bedingen durchweg auch, daß auf die 
Dauer des Vertrage3 -- zehn, zwölf, fünfzehn: Jahre -- keiner der 
vertragſchließenden Staaten ohne Zuſtimmung des anderen ſein 
Zollſfäte ändern darf, was natürlich all den Unternehmern, die 
Waren ausführen, ſichere Vorau38bere<hnungen ermöglicht und ſic 
vor Ueberraſchungen 1|hüßt. Die Handel8verträge de8 Deutſchen 
NReiche3 laufen zum größten Teile am 831. Dezember 1917 ab; vor- 
her können aljo unjere Zölle nicht geändert werden. Aber man 
Fann und wird vielleicht ſchon vorher einen neuen Zolltarif auf- 
ſtellen, um ſeine Säße dann den Verhandlungen zugrunde zu legen, 
die dem Abſchluß neuer Veriräge vorangehen. 
Man macht jich wohl kaum einen Begriff, wa3 heute bereits 
alles mit Zöllen, und meiſt ſehr hohen Zsllen, belaſtet: iſt. Faſt 
alle Lebensmittel, die über die Grenze fommen, müſſen: 'kre Ab= 
aaben entrichten. Für jedes Kilo Weizen ſieht der Zolltarif eine 
Abgabe von 71445, Pf. vor, bei Vertrag8abſchluß von 5%5 Pf.; fiir 
jedes Kilo Roggen, da3 über die Grenze kommt, ſind ohne Vertrag 
1 Pf., mit Vertrag 5 Pf. zu bezahlen. Wenn man bedenkt, daß ein 
Kilo Roögen (außerbalb der deutſchen Grenzen) nur 12 oder 13 Pf., 
ein Kilo Weizen 16 oder 17 Rf. zu koſten pflegt, ſo ermißt man 
die ganze Schwere dieſer Zölle. Aber auch Hafer iſt mit 7 bezw. 
5 Pf., Mai3 mit 5 beim. 3 Pf. belaſtet; Gerſte und andere Futter- 
mittel müſſen hohe Zölle tragen. Reis und Südfrüchte, Kaffee 
und Tee, Zu>er und Malz, Butter und Schmalz, Margarine, Pc- 
troleum, Bau- und Nußholz, Wein, Tabak -- wa8 man ſich nur 
denten kann, alles wird durch die oft ganz ungeheuerli< hohen 
Zolls verteuert. Selbſtverſtärdlich darf auch da8 Fleiſch nicht 
fehlen. Jedes Stück Vieh, das über die Grenze kommt (von Eſeln 
abgeſehen), iſt nach ſeinem Gewicht zu verzollen; bei jedem Stiick 
Fleiſch, das eingeführt wird, müſſen: 1335, oder gar 17145 Pf. Ver- 
trag33oll (ohne Vertrag: 291,4 Rf.) für jedes Pfund entrichtet wer- 
den ; zubereitetes Fleiſch und Spec ſind noch kräftiger mit Abgaben 
bepat. Zum Ueberfluß iſt die Einfuhr von Vieh und Fleiſch 
Man ſucht 
das damit zu begründen, daß ſonſt die Gefahr beſtünde, aus den 
anderen Ländern könnten Seuchen und Krankheiten eingeſchleppt 
werden. Dabei iſt der Ge] jundheit3zu] jtand des Viehe3 jenſeit3 der 
Grenze häufig beſſer al38 diesſceit3, und außerdem beſißt unſere 
Wiſſenichaft Veittel gemig, um durch genaue Unterſuchungen, ge 
ebenfals durch jofortiges Abſchlachten alles Vieles an der 
Grenze, die Cinſichleppung von Seuchen zu verhüten. Wo die 
(Grenze geöffnet iſt, gelten alle möglichen Vorſchriften, die die Ein- 
fuhr von Vieh ſehr erſ<weren und verteuern. Die Einfuhr von 
Gleiih, das durc Gefrieren auch für langen Transport friſch cr- 
balten wird, vereitelt man dur< vie törichte Vorſchrift, daß 311= 
gleich mit dem Fleiſch auch die - Eingeweide mitgeſchi>t werden 
müſſen. Kurzum, die hohen Zölle und die Einfuhrverbote ſoraen 
„dafür, daß die Zufuhr von Fleiſch aus dem Ausland jehr gering 
iſt. Infolge der Fleiſ<not hat man im vergangenen Jahre einige 
Vergünſtigungen eintreten laſſen, ſofern nicht Privatleute, ſondern 
Gemeinden das auswärtige Fleiſch beziehen und verkaufen. Aber 
es handelt fich hier nur um vorübergehende Erleichterungen, die 
überdie2 auch no< fo gering ſind, daß ſie keine erhebliche Wirkung 
ausSüben. 
War bi8 ſekt immer nur von Erzeugniſſen der Landwirt- 
Ihaft, von „Naturprodukten“ die Rede, ſo ſorgt unfer Zolltarif 
aber auch dafür, daß Erzeugniſſe der Znduſtrie gehörige Zölle 
zu entrichten haben. Auch da gibt e3 wenig, wa3 noch zollfrei über 
unſere Grenze kann: Roheiſen, Röhren, Schienen, Ketten, Draht, 
Geräte aller Art, Baumaterial, Stricke, Lampen, Farben uſw. -- €3 
bleibt kaum ein Gebrauc<hsgegenſtand, der nicht mit Abgaben be- 
laſtet wäre. Und auch hier ſind die Zollſäße oft ſehr hoch. 
E3 wäre nun grundverkehrt, zu glauben, all dieſe hohen Zölle 
ſeien nur de3halb eingeführt worden, um die Einnahmen des 
Die Erhebung der Zölle, die ja mit 
ſirenger Grenzbewachung verbunden jein muß, iſt jehr Foſtſpicliag 
und die hohen Abgaben vermindern dazu naturgemäß die Einfuhr. 
ſtart, jo daß der Ertrag der Zölle im Verhältm3 zu den mit der 
Zollerhebung verbundenen Umſtänden gar nicht einmal jo fehr 
groß iſt. Allenfalls kann man einige Zölle, wie die auf Raffee 
und Tee, als „Finanzzolle“, d. h. im Intereſſe der Staats- 
einnahmen liegende Abgaben, an ſprechen, weil es ſich hier um 
Waren handelt, an deren Preiserhöhung niemand in Deutſchland. 
ein Intereſſe hat, abgeſehen von der Reich: Stfaſſe, die dadur< zu 
ihren Zolleinnahmen kommt. Die große Mehrzahl der Zölle joll 
aber viel weniger den Reichs8finanzen dienen al3 dem Schug, will 
heißen der Preiserhöhung deutſcher Erzeugniſſe, 
we3halb man ſie au<h kurzweg „Sc<hußzöll e“ nennt. 
(Schluß folgt.)
	        
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