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MädHhenverſammlungen in Berlin.
Um das3 Intereſſe der jungen Mädc<en an den Veranſtaliungen der
freien Jugendbewegung zu weden, fanden kürzlich an einem Sonntag-
abend in verſchiedenen Stadtgegenden Berlins vier Mädchenverſamm-
ſungen ſtatt.
eigener Anſchauung ein Bild machen ſollten von dem, was Die freie
Jugendbewegung ihren Kindern bietet. Sich nicht umgarnen zu laßen
von den falſchen „Freunden“ der Jugend, ſondern ſich anzuſchließen an
die jungen Klaſſen- und Schidſalsgenoſſen, Bildung und Geſelligkeit in
ihren Kreiſen zu pflegen -- das war e3, was den zahlreich erſchienenen
jungen Mädchen von den Genoſſinnen, die die Vorträge übernommen
hatten, ans Herz gelegt wurde.
Warum treten wir mit dieſem Grfuchen an die weibliche Jugend
des Proletariat8 heran? Warum wollen wir ſie für die freie Jugenv=
bewegung gewinnen? -- Die Genoſſin Wurm, eine der vier Nedne-
rinnen, beantwortete dieſe Fragen nach einem Bericht des „Vorwärts“
im weſentlichen ſo: | . |
Mit dem 14. LebenS3jahre verlaſſen die Arbeiterkinder die Volk2-
ſhule. Viele von ihnen werden den Wunſch haven, weiter zu lernen,
ſich einer Tätigkeit zu widmen, für die ſie eine beſondere Neigung
haben. Viele junge Mädchen werden wünſchen, daß ſie nach dem Ende
der Schulzeit die Mutter bei der HausSarbeit unterſtüßen fönnen. Doch
davon iſt bei den Kindern des Proletariats keine Rede. Wenn ſie die
Schule verlaſſen haben, dann geht es hinau3 ins Erwerbsleben, .in die
Fabrik oder in die Heimarbeit. Ein Paradies der Kindheit, eine ſonnige
Jugend hat es für ſie nie gegeben. Die Kinder der Beſivenden dagegen
fönnen, während die Proletaricerjugend ſchon am harten Kampf ums
Daſein teilnimmt, weitcr lernen und ſtudieren oder als Haustöchter ein
behagliches Leben führen. Sic haben reichen Anteil an den Freuden
de3 Dateins8, die der Arbeiterjugend verſagt ſind. Warum das [o iſt,
das hat man den Kindern in der Volksſchule nicht geſagt. Nichts hat
man ihnen gelehrt von den Zuſammenhängen des wirtſchaftlichen Lebens.
Man hat ſie im Geſchichtsunterricht ein ganz falſc<es Bild der Ver-
hältniſſe gegeben. Man hat ihnen erzählt, daß da38 Volk alles Guie den
Fürſten und Herrſchern zu danken habe, aber nichts hat man 1ihnen
geſagt von dem Ringen des Volfes und ſeinem Anteil an dem kulturellen
Fortſchritt, nichts von dem, was die Arbeit des Volfes an Kulturgütern
errungen hat.
Was die Schule an den Kindern des Volkes vorſaumt hat, das muß
die Jugend, das müſſen die jungen Mädchen, wenn jie die Schule ver=
laſſen, nachholen. Dazu wird ihnen Gelegenheit geboten in den Arbeiter-
jugendbeimen. Dort können ſie, jeder nach ſeiner Neigung und Jeiner
Veranlagung, ihr Wiſſen bereichern und im zwangloſen Verfoehr mit
gleichdenfenden und gleichſtrebenden Alters8genoſſen Unterbaltung und
Gefelligfeit pflegen. Was die bürgerliche Jugendbewegung bietet, das
hat lezten Cnde3 nur den Zwe, die proletariſche Jugend zu willigen
Arbeitsfräfiten zu machen. Die freic Jugendbewegung dagegen will die
Finder des Volkes zu denfenden Menſchen erziehen, die ſich ihre8 Werte3
al3 Menſch bewußt ſind und die Gebrauch machen ſollen von ihrem Ydiecht,
al3 Menſchen im wahren Sinne des Wortes zu leben.
Wenn vielleicht in den Kreiſen der Eltern noch hier und da die
Anſchauung herrſcht, e8 ſei bedenklich, daß in unſeren Jugendheimen
die Jugend beider Geſchlechter gemeinſam zuſammenkommt, 19 mögen
die Eltern ſelbſt einmal ein Jugendheim beſuchen. Sie werden ſich
dann Überzeugen, daß ihre Bedenken unbegründet ſind, und daß der
ungezwungene geſellige Verkehr beider Geſchlechter gute erzicheriiche
GCinflüſſec hat.
Nachdem die Vortragenden in dieſer Weiſe den Wert ver freien
Jugendbewegung für die jungen Mädchen der Arbeiterklaſie dargelegt
hatten, trat die Unterhaltung und die zwangloſe Geſelligkeit in ihr Recht.
Der gute Beſuch der Verfammlungen, der lebhafte Beifall, mit
dem die Vorträge aufgenommen ivurden, läßt erwarten, daß dieſe Ver=
anſtaltungen auf den Beſuch der Arbeiterjugendheime dur< die weibliche
zugend günſtig einwirken werdcn.
X
LehrlingsSſchutz in Wien.
Aus Wien ſchreibt man uns: Seit acht Jahren beſteht in Wien eino
Zentralſtelle für Lehrlingsjchuß, die von den genoſſenſchaftlichen Ge=-
hilfenvertreiern im Ginvernehmen mit der freien Jugendorgantjation
geſchaffen wurde. Dieſe Ginrichtung auf dem Gebiete der Lehrlings
jürforge hat ſich als äußerſt notwendig erwieſen. Aus dem joceben vor-
öffentlichten Bericht für das Jahr 1912 iſt zu erſehen, wie traurig t's
um die Wiener Lehrlinge in der von den Zünftlern fo viel geprieſoyän
Weiſterlcehre fteht. In dom Bericht wird erzählt: |
Im Jahre 1912 wurden 484 Lehrlings|ſchutzfälle ihrer Erledigung
zUgeführt. Seit der Errichtung ver Zentralſtelle für unentgeltlichen
Lehrlingsſchuß wurden im Jahre 1906 152, 1907 174, 1908 187, 1909
214, 1910 235, 1911 306 und 1809 484, zuſammen alſo 1712 Lehrling3=
ichußfälle erledigt. Von den beichiverdeführenden Lehrlingen waren
225 ohne Eltern und der Vormund zumeiſt unauffindbar. Jm Jahre
1912 ſuchten allein 163 elternloſe Lehrlinge Hilfe bei der
Schußſtelle. In neuerer Zeit greift auch der Lehrgeldſchwindel in den
verſchiedenſten z5ormen ſeinex Antvendung durc berüchtigte Lehrling3-
züchter immer weiter um ſich. Gin zweimaliger Verſuch der Schußſtelle,
gegen dieſen infamen Unfug wirkſam Stellung zu nehmen, mißlang,
weil die Gerichte für die patriotiſchen Handwerks8meiſter ſo eingenommen
find, daß ſie dieſen geſchlich zuläſſigen Naub auf die Taſchen der Eltern
„»
Auch die Eltern waren eingeladen, damit fie jich aus.
unter allen Umſtänden billigen, auch wenn ſich herausttellt, daß der Lehr-
herr ein geriebener Halunfe iſt. Wie es in der heutigen Meijterlehre
wirflich ausfieht, geht aus vem Klageverzeicni8s des Berichtöjahre3
hervor. ES wurden nämlich Klagen erhoben wegen -
dauernd harter Behandlung, ſchlechter und ungenugender Kojt (61);
Transport ſchwerer Laſten, Wagenziehen, langer ArbeitsSzeit und
Ueberjftunden (72); |
förperlicher Züchtigung durch den
vder den Gehilfen (121);
förperlicher Mißhandlungen mit ſichtbaren Merkmalen, Zer=
reißung des Trommelfelle2, Ohrfeigen mit Zahnverlezungen ujw. (39:;
Veruntreuung des Lehrgelde8 durch den Lehrherrn (97);
Verrichtung Hhäus8licher Urbeiten (Teppihtlopfen, UeuSregen,
zivchen), Lohnabzüge und Sonntagsarbeit (25);
mangelhafter fachlicher Ausbildung (31);
Serxnbhaltung vom Sdculbeſjuch (29), und anderes mehr i61.
Die meiſten Klagen (59) mußten für
werden.
Dic Unterbringung entlaſſener Lehrlinge bildet oftmal38 eine großc
Sorge der Schußzjtelle, weil iroß der Vorausbezahlung der Schlafſtellen
in den Wiener Männerheimen es im Winter vorfommt, daß unterſtand5-
loje Lehrlinge abgewieſen werden, da alle 'Schlanytellen beſezt find.
Beſonders ſchwierig geſtaltet fich der Lehrlingöichuß, wo es fich um
elternloje Lehrlinge handelt und Streitigfeiten aus dem Lehrverhältnis
vor dem Wiener Gewerbegericht erledigt werden ſollen. Früher konn:
jeder Vereinsfunftionär, der eine Vollmacht dem Gericht vorwies, an
jtandslo3 den Lehrling in ſginer Sache beim Gewerbegericht verireten.
Seitdem aber in der bürgerlichen Preffe ſoviel von Jugendfürſorge
geſchrieben wird, iſt es bei den Gewerbegerichten in diefer Teziehung
bedeutend ſchlechter geworden. Cs flinat zwar unfinnig, aber es iſt 19,
daß der bevollmächtigte Vertreter eines haibtoi geprügelien Leürling3 ein
Lehrherrn, die Lehrmeniterin
die Schloſter eingebracht
Ev
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'„Berufs8genoſſe“ fein muß, da ſjonit die Durchführung der Klage aur
unüberwindliche Schwierigfeiten ſiszt. Auch die von den Gemeinden
beitellten „Vermittiungsämier in Lehrlingsöitreitigieiten“ baben jich nict
bewährt, denn die AmtSs8iwalter diejex Stellen nehmen zumeiit Siellung
für den Lehrherrn und nicht für den hilfsbedürftigen Lehrling.
Die von der Lehrlings8ſc<huzſtelle im Verein mit ſozial füblenden
Werzten ins Leben gerufene ärztliche Beratungsſtelle hat eine langiaim
ſteigende Benußzung durc< Cliern und Vormünder zu verzeichnen, Dit
beabſichtigen, ihr Kind oder Mündel ver gewerblichen Meiterlehre an
zuverirauen.
Der Bericht beweitt, daß in Wien die Lehrverhäliniſe noch viel zu
wünſchen übrig laſſen und daß die viterreichiſche VBruderorganmiſation
noch eine gewaltige Arbeit zu leiſten haben wird, um D T
ein einigermaßen menſdliches Daſein zu erwirken.
Herr Jlgenſtein von ſeinen eigenen Amts8brüdern abgei<üttelt.
Zur Vefämpfung unjercr Jugendbewegung wird von Gegnern Ier
verſchiedenſten Richtungen, von evangeliſchen und
lichen, von Junkern und Scharfmachern häufig eine Schri
der evangeliſc<e GotieSmann Jigenſtein unter dem Titel „DT
danfentvelt der modernen Arbeiterjugend“ berausgegevben b
den parlamentariſchen Auseinanderſchungen wird dieſs Schrift
Gegnern der Arbeiterjugend vielfach zitiext. Und doch iſt viel
ein Buch mit weniger Gehirnſ<malz hergeijtellt worden, als dieſes „Wort
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geſteuert. Mit den aus jedem Zufammenhang berausgeriſjenen Stellen
wird dann „beiviefen“, daß die „Gedankenwelt“ des Jugendproletariats
ein Gemuch aus Satans Küche jet. t
Cigenem hat der Verfaſſer bloß den Geruch ſeines Sißfleiiches bei=
Das int bei jolcher Meihode naiür-=
lich eine Kleinigkeit. Hat doch ſchon lange vor deim Gotiesmann Jlgen=
ſtein ein franzöſiſcher Staat3mann geſagt: „Geben Sie mir drei Worte
eine3 Menſchen, und ich will ihn an den Galgen bringen.“ Herr Jgen=
ſtein freilich -- auch in dieſom verächtlichen Handwerk ein Stümper =-
braucht, um uns aufzukfnüpfen, drei Millionen Worte. Trokdem
erfüllt das „Buch“ ſeinen Zwe, als eine überaus bequeme Gſelsbrü>2
zur Niederknüppelung der freien Jugenavewegung. Sozt es voch ſeinen
Beſißer inſtand, unſere Jugendbewegung „geiſtig zu vernichien“, ohne
daß*ein ſolher Biedermann eine Ahnung von unſerer Bewegung hat.
So ereignete e3 ſich vor einiger Zeit, daß in einer Jugendverſammlung
in einem Berliner Vorort ein bürgerlicher Redner = es war ſogar ein
Profeſſor =- eine geſchlagene Stunde lang auf die „Arbeiter-Jugend“
berumpaufte. Zur Bekräftigung der Behauptung, welch verderbliches
Blatt das ſei, la3 er eine Unmenge Stellen daraus vor. Aber nicht
aus dem Blatte ſelber, ſondern aus einem Buch, das er mitgebracht
hatte. Natürlich war es der Jlgenſteinſc<ce Schmöker. In der Debatte
mußte dann der Herr Profoſſor auf die direkte Anfrage eines unſerer
Diskuſſion3redner kleinlaut zugeſtehen, daß er nie eine Nummer der
„Arbeiter-Jugend“ in dex Hand gehabt habe. Dafür mußte der Derr