Full text: Arbeiter-Jugend - 6.1914 (6)

Arbeiter-Jugend | | 5 
wie dicſe in ſeinen Urſachen und in ſeinem Verlauf recht gut be- 
kannt: das Ei wird vhefruchtet. Aus der Eizelle allein 
würde nie ein Hühnchen werden, auch wenn ſie Wochen hindur< 
in derſelben Weiſe weiterwachſen fönnte. VoLaUSTeBUng iſt viel 
mehr, das ſie fſic>* vermehrt, daß | ie unau38geſeßt neue, verſchieden- 
artige Zellen entſtehen läßt. Dieſe Entwickelung der Eizelle wird 
aber erſt dadur< ausgelöft, daß die gleichwertige Fortpflanzungs- 
zelle des Hahns mit ihr verſj<milzt. Auch der Hahn bildet int 
jeinen GeſclechtSdrüfen Keimzellen, die ge- 
nau [9 wie die Eier ver Henne die Eigen- ED 
ſchaften des ganzen Organiösmus in ſich 
tragen; nur werden ſic beim Hahn nicht 
mit Nahrung vollgeſtopft und bleiben nicht 
fugelig, fondern erhalten längliche, faden- 
förmige Geſtalt, damit ſie ſich leichter von 
dcr Stelle bewegen können. Sobald jie 
in der Samenflüſſigkeit in den Leib der 
Henne gelangt find, ſc<längeln ſie Tich 
raſch weiter, dringen in den Eileiter ein 
iind kommen dort nicht früher zur Ruhe, 
bi3 jie ſein äußerſtes Ende erreicht haben. 
NRollt nun das vom Cierſto> abgeriſſene 
Ci hier hinein, dann fangen ſie gleich an, 
ſich zu rühren; die ganze Horde, gewöhnlic) 
jind eS viele Tauſende, ſtürzt ſic) mit unheinm- 
licher Geſchwindigkeit auf den Ankömmling; 
die eine Samenzelle ſucht die andere zu über- 
holen, jede will zuerſt am Ziel ſein. Wie 
wenn vernunftbegabte Weſen nac<ß dem Glü> jagten! In Wirl- 
liGfeit handelt es ſich bei dieſem Wettrennen natürlich nicht 1m 
eine WillenöSäußerung, um eine bewußte Tat; die Triebfräfte jind 
einzig allein <emijc<her Natur: das Eiweißklümphen, das in 
unſeren Fall als männliche Geſc<lecht3zelle organiſiert iſt, wird 
von dem ander38 beſchaffenen Eiweiß der Weiblichen Geſchlec<t2zelle 
angezogen, eben]o wie im Reagenzröhrc<hen des Chemifer3 irgend- 
ein Stoff einen anderen verwandten an fich reißt. Wan hat jogar 
ichon demie Verbindungen ausfindig gemacht, die die Samen- 
zellen. niederer Tiere im demſelben Maße anzulocken vermögen, 
wic e8 das weibliche Ei tut. M ter as erſter nnter den Keimfäden 
das Ci erwiſcht, bohrt fich jchn: ell in die Dotterhaut ein und ver- 
einigt jich mt dem obenauf ſchwimmenden Kern der Eizelle. 
(Fig. 3.) Die große Sc<har der Nachzügler geht I<ließlich im 
Eileiter zugrunde, diC wenigen ausgenomnen, die etwa „noch in 
dein nächſten Tagen bai einer neuen Bewerbung den Sieg er- 
ringe 
N Im Eileitor erfährt das Ei anßerdem noh mance wichtige 
Veränderung. Zunächſt wird es benn Vorüberitreichen an den 
Drüſen der- Eileiterichleimhaut von dieſen reichlich mit Weißet 
umtleidet. Die iert abgeſonderte Weißeiſcicht dreht ſich an 
zwei entgegengeſekten Enden zu dien, ziemlich ſtarren Schnüren 
zuſammen, die die Puffer des Gelbeices jind, alfo verhüten, daß e3 
innerhalb der Eijc<hale zu heftig hin und her ge] IOleudert wird. 
Wenn das Weißeipoli ier fertig iſt, I<eiden wieder andere D Drüjfen 
Faſern aus; die legen ſich feſt um das Ci herum und verfilzen 
untereinander zu einem cnamaſchigen Yeß. Jeder kennt wohl 
dieſe „Haut“ aus cigener Anſchamung; wer genauer hingefebhen 
hat, wird ſicher bemerkt haben, daß ſie aus zwei Blättern zu- 
jammengeſekt iſt. Am ſtumpfen Pol Deos Eics we zeichen ſie aus 
einander und laſjen eine fleine Hohle zwiſchen ſich. Dieker mit Luft 
gefüllte Raum it eine Art Vorratsfannner fiir das Hühnchen. 
Bevor dieſes nämlich ein od) in fein Gefängnis Ihlägt, pickt 63 
erſt die diinne Wand dieſes Gasbehälters auf und atmet die darin 
vefindliche Luft ein. =- Im unteren Teil des Eileiiers erhält das 
Ei ſeinen ſhükßenden Panzer. E3 wird hier gle! <mäßig von 
einem zunächſt noch zähen Kalkbrei eingehüllt, der dann an D ox 
Luft zur feſten Schale erſtarrt. Itun ziehen | ſich die Muskeln des 
Eileiter3 zuſammen, der Schlauch verengert ſic<, 1<hiebt ſeinen 
Inhalt der Oeffnung iminer näher und :chon iſt das Ci ga 6= 
boren. (Fig. 4.) 
Genau jo ergeht es dem Ei, da3 nicht befruchtet Word don iſt, 
weil dor Samen zm Eileiter fehlte. Es wird alfo mit Weißei ver= 
ſeben, mit der Faſerhaint und der Schale umfleidet ind. dann aus= 
geſtoßen; aber -- das iſt der große Unterſchicd! = es fann ſich 
nicht entwideln, es bleibt auch dann, wenn es der bt ütenden Henne 
untergelegt wird, im ſelben Zuſtand. Ein Windei! Das be -= 
fruüchtete Ei dagegen enthält bereits bei der Ablage einen 
aus einem dichten Zellenhaufen beſtehenden Keim. Schon die 
Wärme des Mutterleibes hat die in der Eizelle I<lummernde 
Tähigkeit der Fortpflanzung geweckt: zunächſt. find zwei Zellen 
aus ihr hervorgegangein, dann vier, dann a<ht, und bald Ihwinmmt 
eine vielzellige Scheibe auf dem Dotter. Sobald nun auf das 
abgelegte Ei wieder eine. Temperatur von ungefähr 88 Grad Cel- 
Fig. 4. 
DM Dotterbaut, 
 
ein unbebrütefes Hühnerei. 
Bl lebender Keim, GD gelber Dotter, WD weißer Dokter, 
EW Weißei, 
Hagelſchnüre), S Faſerhaut, K5 Kalkſc<ale, LR Luftraum. 
(Nach Allen Thom1on-Balfour.) 
Längsſc<nittf durd) 
ſiu8 einwirkt, 5. h. ſobald es bebrütet wird, ſchreitet die Ent- 
widkelung raſc<r weiter. E35 entſtehen viele Tauſende neuer Zellen, 
und all dieſe Abkömmlinge der Reinmz elle ordnen ſich nah be- 
ſtimmten Geſeßen, treten zu großen Gruppen zufammen und bilden 
vorläufig ein paar flache Schichten, jJogenannte Keimblätter. Diele 
vergrößern fich allmählich, verdicen ſich, ſtülpen jich ein, verwachten 
untereinander, und 19 formen ich ihließlich die einzelnen O 
SdHhon gegen 
Organe. 
Ende des zweiten Tages ijt das Gehirn und Rücen-- 
marf wenigijtens in der Anlage vorhanden, 
ebenſo das Herz. Am dritten Tage beginnt 
MW -„. - der Blutkreislauf, am vierten ſchließt ſich 
EN | der Darm und am fünften ſproſſen die 
Glieder aus dem Leib hervor. Beim 
Scheiden der erſten Woche ſind Kopf, Hals 
und Rumpf deutlich voneinander abge- 
grenzt; jelbſt der Schnabel iſt zu erfennen, 
und überall vededen den Körper winzige 
Fcderſtümpfe. Der zwBlſte Tag findet im 
Hühnden bereits alleO Tgane vor, wennaud) 
nur wenig ausgebildet; in der driiten Woche 
reifen jie dann zur normalen Srüße nach 
und nach heran. (Fig. 5.) = Als Bau- 
material benußt befanntlich der wacht ende 
Feim = Embryo heißt er mit dem wiſſen- 
Ichaftlic<en AuSdrucd = den Dotter und 
das WeißeiL Doch dancben braucht er für 
feine Gebenstätig? eit noch eine tüchtige 
Portion Sauerſtoff, div ibm von Der 
Henne nicht mitgeacben werden konnte. Dice!ics Gas verſ<at er 
jich während jeiner Gntwideiung. eins Blutgefäße breiten ſich 
in einent jeinverzweigten Not dicht unter der Cil<ale aus, und 
das Blut, das gerade in den dünnen Röhrchen fließt, angt nun 
dieſen wichtigen Stioff aus der <uft andauernd durch die fleinen 
Poren der Kalfwand und Fajerhaut in ſich hinein. Das gelingt 
recht gut, venn zwi) iden Blut und Saueritoit bejieht wieder eitic 
be] anders YGemide Verwandticka?ft. Tau die Giieale und Die 
Taierhaut für Luft wirklich durchläfſig nnd, laBt Tic leit dur) 
cin Erperiment feititellen. Man lege mw cin roßes Ei neben 
jtarf riceßende Gegenjtände, und bald wird ſein Inhalt deintelben 
Geruch aufweiſen. Oder man beitreiche ein vbebrüteies Ci, in dem 
jich 1<&on Leben regt, nut Tinus, , und der Cimbryo 1 irr iofort ab, 
Ch 'Weißeiſch:: üre (oder 
weil nun die Seiſnungen der <cale verjiopit jmv. Cr aeht da ann 
iibrigens micht bioß am Sanerſtoimangel zugrunde; gleicmzeitig 
wird er an durch die beim Lebensprozeß ontjiandene Sogieniäure 
vergiftet, die jeht nim mehr ausgeichicden 1 werden fan LC 
Am neunzehnten Tag beginnt das Hühnchen die Eiſchale an 
zufeilen, aber er!t zwei Tage darauf glückt es 1m, ein großes Lod) 
 
 
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a b 
Fig. 9. 3) Hühnhon von 11 Tagen. (Imal vergrößert). CX Nabel- 
ſtrang, in dem die Blurkgefäß2 verlaufen, welche Sauerſtoff in den 
Körper rransportieren und Koblenſäure heranſhaffen. PG gemeinſame 
Oeffnung der Harn- und Geſchlechtsorgane. Das Auge iſt erſt t2 ilwveiſe 
vom Lid bededt, hinter ihm die Ohröffnung. db) Hühnchen, von 13 Tagen 
(1! mal vergrößert). D HöFer auf dem Schnabel, mit dem Die Ei- 
ſc<ale angefeilt wird. -- Der Körper rr8gr bereits winzige Federn. 
(Nach Duval.) 
hineinzuſchlagen und die breite Kuppe abzuiprengen. %och ein 
paar Stunden verweilt es im offenen Ei, erholt ich von feiner 
fcweren Arbeit und übt ſich im Lungenatmen. Dann ein kühner 
Inuk =- und das Hähnchen hat feinen erſten Schritt in die Welt aetan. 
Liegt nicht viel Gewaltiges und Erhabenes in der Geſchiche 
dc3 Hühnereic82?2 Lohnt es ſich nicht, darüber nachzuſinnen? 
-& | .
	        
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